19-11-04AntwortMINaufSchreibenvonOBPalmerStrukturierterInformationsaustauschbergewaltbereiteAsylbewerber

Dieses Dokument ist Teil der Anfrage „„Liste der Auffälligen“ der Stadt Tübingen

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Baden-Württemberg MINISTERIUM FÜR INNERES, DIGITALISIERUNG UND MIGRATION DER MINISTER Innenministerium Baden-Württemberg • Pf. 10 34 65 • 70029 Stuttgart Datum 04.11.2019 Herrn Oberbürgermeister                                                                         Durchwahl 0711 231-3423 Boris Palmer                                                                                  Aktenzeichen   4-1362/23/357 Universitätsstadt Tübingen                                                                                  (Bitte bei Antwort angeben) Am Markt 1 72070 Tübingen ä *: 1   Strukturierter Informationsaustausch über gewaltbereite Asylbewerber Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, für Ihr Schreiben vom 1. Oktober 2019, in dem Sie mich im Hinblick auf datenschutz­ rechtliche Fragen zu dem in Tübingen praktizierten strukturierten Informationsaus­ tausch über gewaltbereite Ausländer um Unterstützung bitten, danke ich Ihnen herz­ lich. Ich stimme mit Ihnen überein, dass wir konsequent gegenüber denjenigen handeln müssen, die gegen die Vorgaben unseres Rechtsstaates verstoßen. Wer hier Schutz sucht und dann das Gastrecht missbraucht und durch kriminelle Handlungen mit Fü­ ßen tritt, für den muss der Rechtsstaat passende Antworten finden. Dies sind wir auch denjenigen Schutzsuchenden schuldig, die tatsächlich aus Furcht um Leib und Leben zu uns kommen und sich an unsere Regeln halten. Ich bin der Überzeugung, dass wir mit dem Geordnete-Rückkehr-Gesetz unseren Ausländerbehörden wichtige Werkzeuge an die Hand gegeben haben, damit diese ihre Aufgaben effektiver bewältigen können. So wurden nicht zuletzt auf meine Anre­ gungen hin die Hürden für die Ausweisung von Straftätern abgesenkt. Ebenso wur­ den die Möglichkeiten verbessert, Ausländer, die nicht an der Feststellung ihrer Iden­ tität mitwirken, in Haft zu nehmen. Ich bin zuversichtlich, dass gerade die Ausweitung Informationen zum Schutz Ihrer personenbezogenen Daten finden Sie unter: https://im.baden-wuerttemberg.de/datenschutz Auf Wunsch werden Ihnen diese Informationen auch in Papierform zugesandt. Dienstgebäude Willy-Brandt-Str. 41 « 70173 Stuttgart • Telefon 0711 231-4 • Telefax 0711 231-5000 E-Mail: poststelle@im.bwl.de • Internet: www.im.baden-wuerttemberg.de • www.service-bw.de
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- 2 - der Abschiebungshaft und des Ausreisegewahrsams die Fälle des Untertauchens vor einer Abschiebung erheblich minimieren können. Ihr Eindruck, dass es wenige Ausländer sind, die den Rechtsfrieden nachhaltig stö­ ren, deckt sich auch mit unseren Erfahrungen. Wir sind es der großen Masse der rechtstreuen Ausländer aber umso mehr schuldig, dass wir gerade bei solchen Mehr­ fach- und Intensivstraftätern die straf- und aufenthaltsrechtlichen Sanktionsmittel kon­ sequent ausschöpfen. Ihrer Aussage, dass das Land die Kommunen beim Umgang mit gewalttätigen Asyl­ bewerbern weitgehend alleine lässt, muss ich jedoch widersprechen. Mehrfach- und Intensivtäter (MIT) stehen bei den polizeilichen Maßnahmen in Baden-Württemberg in einem besonderen Fokus. Mit der landesweiten Konzeption MIT Baden-Württemberg verfolgen wir einen täterorientierten Ansatz. Ziel ist es, anschwellende kriminelle Kar­ rieren zu erkennen und möglichst spürbar staatlich zu intervenieren. Hierzu wurde eine Vernetzung insbesondere mit der Staatsanwaltschaft durch Bündelung der Er­ kenntnisse und feste Ansprechpartner geschaffen. Bei ausländischen Mehrfach- und Intensivtätern ergibt sich neben strafrechtlichen Konsequenzen auch ausländerrechtlicher Handlungsbedarf. Deshalb habe ich bereits zu Beginn des Jahres 2018 in meinem Haus den Sonderstab Gefährliche Ausländer eingerichtet, um zielgenau eine zwar kleine, aber besonders problematische Gruppe von Ausländern intensiv und fokussiert zu behandeln. Der Sonderstab kümmert sich um ausreisepflichtige Ausländer, die immer wieder und zum Teil auch heftig Prob­ leme bereiten, wie Mehrfach- und Intensivtäter, Personen, die die Sicherheit unseres Landes gefährden, sowie um solche ausreisepflichtigen Ausländer, die bewusst und nachhaltig gegen die Regeln eines geordneten Zusammenlebens verstoßen und sich hartnäckig und dauerhaft als nicht integrierbar erweisen. Ziel ist es, durch ein Fallma­ nagement die für eine Aufenthaltsbeendigung erforderlichen ausländerrechtlichen Maßnahmen zu initiieren und zu koordinieren. Bei Ausländern, die aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht zeitnah abgeschoben werden können, stößt der Sonderstab eine entsprechende Sanktionskette an, unter anderem durch räumliche Beschränkungen, Meldepflichten oder Leistungskürzungen. Das Konzept des Sonder­ stabes hat sich als sehr erfolgreich erwiesen. Seit seinem Bestehen hat der Sonder­ stab bereits 90 Fälle erfolgreich abgeschlossen.
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- 3 - Da sich dieses Konzept bewährt hat, wurde zudem ein Regionaler Sonderstab beim Regierungspräsidium Freiburg als Pilotprojekt mit dem Ziel, die Bearbeitungskapazi­ täten zu erhöhen, eingerichtet. Es ist beabsichtigt, den Sonderstab im Innenministe­ rium um Regionale Sonderstäbe bei allen Regierungspräsidien zu erweitern, um lan­ desweit eine noch zügigere ausländerrechtliche Bearbeitung von Straftätern sicherzu­ stellen. Wie ich Ihnen bereits im letzten Jahr mitgeteilt habe, ist die dauerhafte Unterbringung oder die Zurückverlegung von Geflüchteten aufgrund ihrer Gefährlichkeit in Landes­ einrichtungen nicht von geltendem Recht gedeckt und somit rechtlich nicht durchsetz­ bar. Zwar wurde im Rahmen des Geordnete-Rückkehr-Gesetzes in § 47 Absatz 1 und 1a des Asylgesetzes für bestimmte Asylsuchende die Pflicht eingeführt, länger in Erstaufnahmeeinrichtungen zu wohnen. Diese Rechtsgrundlage knüpft aber gerade nicht an deren Gefährlichkeit oder Straffälligkeit an. Im Übrigen sieht das Ausländer­ recht einen Antrag einer Kommune auf Erlass einer Wohnsitzauflage wegen Gewalt­ bereitschaft oder ähnlichen Gegebenheiten nicht vor. Der von Ihnen erwähnte Informationsaustausch in Tübingen zwischen den Dienststel­ len der Landespolizei und den Ausländer- und Sozialbehörden scheint aus meiner Sicht zwar grundsätzlich ein geeigneter Ansatz zu sein, um Gefährdungen für Ihre Beschäftigten, aber auch für die Bürgerinnen und Bürger Ihrer Stadt frühzeitig zu er­ kennen und erforderliche Maßnahmen treffen zu können. Eine eingehende daten­ schutzrechtliche Bewertung ist mir auf der Grundlage des mitgeteilten Sachverhalts allerdings nicht möglich, da offen bleibt, aufweiche Rechtsgrundlage der Datenaus­ tausch, die Auswertung der Daten und deren Speicherung in einer Datei gestützt wer­ den. Ferner ist Ihrem Schreiben nicht zu entnehmen, welche Kategorien von Daten zu welchen konkreten Zwecken übermittelt werden und welche Stelle die Daten emp­ fängt, auswertet und speichert. In Betracht kommt die Stadt Tübingen sowohl in ihrer Funktion als Ausländerbehörde als auch in ihrer Funktion als Polizeibehörde. Was die Datenübermittlung von der Polizei bzw. den Strafermittlungsbehörden an die Ausländerbehörden angeht, kann ich allgemein festhalten, dass die Ausländerbehör­ den in der Regel bereits von der Einleitung eines Strafverfahrens Kenntnis erlangen. Dies ergibt sich aus der Anordnung über Mitteilungen in Strafsachen (MiStra), in der die gesetzlichen Datenübermittlungsvorschriften nach dem Einführungsgesetz zum Gerichtsverfassungsgesetz und der Strafprozessordnung konkretisiert werden.
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- 4 - Die §§ 87 ff. des Aufenthaltsgesetzes enthalten weitere Übermittlungsvorschriften für personenbezogene Daten von öffentlichen Stellen an die Ausländerbehörden. Ein innerpolizeilicher Datenaustausch wäre unter den Voraussetzungen des § 42 Ab­ satz 1 des Polizeigesetzes Baden-Württemberg (PolG BW) zulässig. Danach übermit­ teln die Polizeibehörden und die Dienststellen des Polizeivollzugsdienstes einander personenbezogene Daten, soweit dies zur Wahrnehmung polizeilicher Aufgaben er­ forderlich ist. Dazu müsste die Datenübermittlung an die Polizeibehörde im Einzelfall, etwa zur Abwehr einer konkreten Gefahr, erforderlich sein, was grundsätzlich nur dann in Betracht käme, wenn der Polizeivollzugsdienst diese Gefahr nicht selbst ab­ wehren könnte. Nichts anderes ergibt sich aus der Unterrichtungspflicht nach § 74 PolG BW, wonach die Polizeidienststellen zwar verpflichtet sind, die Ortspolizeibehör­ den von allen sachdienlichen Wahrnehmungen zu unterrichten, personenbezogene Daten aber wiederum nur unter den Voraussetzungen des § 42 Absatz 1 PolG BW übermittelt werden dürfen. Bezüglich der Speicherung der Daten in einer Datei und deren Auswertung möchte ich auf § 38 PolG BW hinweisen. Dieser regelt die Spei­ cherung und Nutzung personenbezogener Daten, die ursprünglich zum Zweck der Strafverfolgung erlangt wurden, zu Zwecken der Gefahrenabwehr, richtet sich aller­ dings ausschließlich an den Polizeivollzugsdienst und nicht an die Polizeibehörden. Schließlich möchte ich darauf hinweisen, dass der Landesbeauftragte für den Daten­ schutz und die Informationsfreiheit aufgrund der europarechtlichen Vorgaben gemäß § 20 Absatz 1 des Landesdatenschutzgesetzes als unabhängige, nur dem Gesetz un­ terworfene oberste Landesbehörde eingerichtet worden ist. Er untersteht nicht mei­ nem Haus, sondern handelt bei der Erfüllung seiner Aufgaben und bei der Ausübung seiner Befugnisse völlig unabhängig. Dies schließt von Rechts wegen jegliche Ein­ flussnahme auf die Tätigkeit des Landesbeauftragten für den Datenschutz und die In­ formationsfreiheit aus. Mit freundlichen Grüßen Thomas Strobl
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