2000-protokoll-nr-416
Dieses Dokument ist Teil der Anfrage „Sitzungsprotokolle des Beirats des Bundesministeriums der Finanzen“
Niederschrift 6/00 ung d issenschaftlichen Beirats beim Bundesministeriu der Finanzen m am 13./14. Oktober 2000 in Berlin im ,.Westin Grand Hotel“ A. Teiine’ “) Es wird ausdrdcklich - insbesondere im Hinblick auf die Diskussion mit Gasten und die Verteilung von Unterlagen - auf den Vertraulich-Vermerk hingewiesen,
B. Tagesordnung I. Mitteilungen der Vorsit zenden I. Feststellung der Tageso rdnung Hl. Bemerkungen zum Pro tokoll der letzten Sitzun g lv. Diskussion Uber aktuel ie Probleme Freitag, 13. Oktober 20 00 vormittags Gesprachime ratteYay f = am in | = Thema: Aktuelle Themen der Finanz if politik® V. Gutachten: "Freiziigigkeit und Soziale Sicherung in Europa” Vi. Voruberlegungen zu sin em neuen Beiratsthema Vil. Tagesordnung der nac hsten Sitzung Vil. Verschiedenes
IL Feststellung der Tagesordnun Die vorliegende Tagesordnung wird angenommen. wird am Freitag, den 13. Oktober 2000 vormittags mit dem Beirat ber aktuelle Themen der Finanz- politik diskutieren. ili. Bemerkungen zum Protokoll der letzten Sitzung Das Protokoll wird ohne Anderungswiinsche angenommen. IV. Diskussion tber aktuelle Probleme (Gesprach mit tiber aktuelle Themen der Finanzpolitik) wurdigt die konstruktive Rolle des Beirats, der das Ministerium seit 50 Jah- ren wissenschaftlich begleitet. Auch wenn zwischen Beratung und politischer Umsetzung vielfaltige Hirden bestehen, habe die Bundesregierung Empfehlungen aus der Wissen- schaft aufgegriffen und bericksichtigt. Er berichtet Gber aktuelle Entwicklungen der Finanzpolitik der Bundesregierung und geht dabei insbesondere auf folgende Themen naher ein: Aktualisiertes deutsches Stabilitats- programm, Steuerreform 2000, Konjunkturausblick, Rentenreform. « Fortschritte der Finanzpolitik seien in der Aktualisierung des deutschen Stabilitatspro- gramms zusammengefasst. Das Programm belege, dass Deutschland den Anforderun- gen des Europdischen Stabilitats- und Wachstumspakts voll und ganz Rechnung triige. im Jahr 2004 werde das Staatskonto in VGR-Abgrenzung ein ausgeglichenes Ergebnis ausweisen. Der Bund werde im Jahr 2006 einen ausgeglichenen Haushait vorlegen. Das 60 % - Schuldenstandskriterium werde die Bundesregierung bereits im Jahr 2001 unterschreiten, ein Jahr frdher als urspringlich gepiant. « Die Steuerpolitik sei auf dem richtigen Kurs. Deutschland reagiere mit der Steuerreform insbesondere auf die Herausforderungen des internationalen Standortwettbewerbs. Bei der Unternehmenssteuerreform sei der Ubergang zum Halbeinkunfteverfahren aus eu-
roparechtlichen Grinden erfoigt. e Die europdische Konjunkturlage habe sich vor dem Hintergrund des Olpreisanstiegs geringfiigig singetrubt. Das deutsche Auftrags- und Produktionsniveau befande sich je- doch nach wie vor auf hohem Niveau. Die Bundesregierung bleibt trotz erhdhter Risiken 2Zuversichtlich, dass im nachsten Jahr eine Wachstumsrate von 2 % % erreicht wird. « Die Rentenreform bestehe aus folgenden wesentlichen Elementen: Stabilisierung des Beitragssatzes zur gesetzlichen Rentenversicherung bis 2020 bei unter 20 %: die Ge- setzliche Rentenversicherung bleibt die Hauptsaule der Alterssicherung; die zweite und dritte Saule werden durch staatliche Férderung einer kapitalgedeckten Altersvorsorge gestarkt. Die staatliche Férderung wird in der Endstufe 20 Mrd. DM jahrlich betragen. In der anschlieRenden Diskussion stellen die Mitglieder der Beirats kritische Fragen insbe- sondere zu: UMTS-Versteigerung und Verwendung der Einnahmen, Steuer- und Unter- nehmensteuerreform, Rentenreform, Okosteuerreform und Finanzausgleich. stellt fest, dass nach deutschem Recht nur die Versteigerung der UMTS- Lizenzen moglich war. Die Einnahmen aus der Versteigerung werden zur Schuldentilgung verwendet. Daraus resultierende Einsparungen beim Zinsendienst in Héhe von etwa 5 Mrd. DM sollen in den nachsten drei Jahren fiir Investitionen vor allem in das Stra@enver- kehrs- und Schienennetz sowie in die Hochschulen verwandt werden. Ein ,CTowding out* werde es nicht geben, da lediglicn Ausgaben umgewidmet werden, ohne den Finanzie- rungssaido dauerhaft zu erhéhen. Die Akzeptanz bei den Landern fir dieses Vorgehen sei hGher als erwartet. Gemessen an den massiv vorgetragenen Begehriichkeiten ist die Bun- desregierung diszipliniert mit den unvorhergesehenen Einnahmen aus der UMTS- Versteigerung umgegangen. Angesprochen auf die vorgesehene Anpassung der AfA-Tabellen, die der Senkung der Steuersatze entgegenwirke, weist darauf hin, dass in der Wahrnehmung auslandischer Investoren der Steuersatz eine wichtige Bestimmungsgréfe in der investiti- onsentscheidung sei. Anderen steuerlichen Bestimmungsfaktoren wie verschiechterten Ab- schreibungsmdglichkeiten komme demgegentiber eine untergeordnete Roile zu. Insgesamt werden durch die deutliche Senkung des KGrperschafisteuersatzes die Gewinne auf Unter- nehmensebene nachhaltig entlastet. Mit Blick auf die internationale Koaperation bei den Steuern seien verstarkte Anstrengungen erforderlich, um unfairen Steuerwet tbewerb zu be-
-6- kampfen. in diesem Zusammenhang kommt auch die Idee zur Sprache, auf europdischer Ebene einen Steuerrat einzurichten. Die Rentenreform leiste einen wichtigen Beitrag zu mehr Generationengerechtigkeit. Die FOrderung der zweiten und dritte Saule starke gezielt die Vorsorge von Menschen mit ge- ringén Einkommen. Der im sog. Kombinationsmodell vorgesehene Sonderausgabenabzug sei vor allem erforderlich, um einen reibungslosen Ubergang zur nachgelagerten Besteue- rung nicht auszuschlieBen. Hier soll jedoch das noch ausstehende Urteil des BVerfG abge- wartet werden. Ein Obligatorium fur die zusatzliche Altersvorsorge sei insbesondere mit den Vorstellungen von Bundnis 90/Die Griinen, der CDU und der FDP nicht vereinbar gewesen. Bei der Okosteuerreform sei momentan nicht der Zeitpunkt, um mit Spekulationen Uber ih- re Weiterfuhrung Uber das Jahr 2003 hinaus zur Verunsicherung beizutragen. Auch zukinf- tig durfte ein vergleichbar hoher Betrag — wie durch die Okosteuer erzielt — zur Finanzierung versicherungsfremder Leistungen bendétigt werden. Soziale Harten durch den Olpreisan- stieg sollen dagegen gezielt kompensiert werden. Bei der Reform des Finanzausgleichs (Ma&staébegesetz) muss der Bund die Initiative er- greifen und Spielraume zusammen mit den Landern ausloten. Eine Befriedung der Land- schaft sei nur auf der Basis einer deutlichen Mehrheit im Bundesrat mdglich. Die im Rah- men der Unternehmenssteuerreform gemachten Zusagen zu Gunsten einzeiner Lander wa- ren in erster Linie projektbezogen, und zwar bei Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Berlin; die Finanzierung erfolge durch Umschichtung. Bremen habe die Zusage, dass der Bund sich fur die Beibehaltung des Stadtstaatenprinzips einsetzen werde. V. Gutachten: “Freiztigigkeit und Soziale Sicherung in Europa” Der Beirat setzt die Beratungen der Kommissionsvoriage fort. Zusammenfassend kann festgehaiten werden: * Die Kommission Uberarbeitet bis Ende Oktober 2000 Kapitel III des Textentwurfs im Licht der erfolgten Diskussion und schickt diese Fassung den Mitgliedern zur schriftli- chen Stellungnahme zu.
-7- * Die Kommission legt zur ndchsten Sitzung Teil IV ».usammenfassung und Empfehlun - gen" vor. AnschlieBend wird der gesamte Textentwurf an die Redaktio nskommission weitergeleitet. * Die redaktionelle Bearbeitung des Gutachtens durch die Redaktionskomm ission soll méglichst bis Ende November 2000 beendet sein, * Die endgultige Beschlussfassung ber die Verabschiedung des Gutacht ens ist frihes- tens fur die Dezember-Sitzung des Beirats avisiert. In der Redaktionskommission strebt eine umfangreiche Uberarbeitung des Abschnitts lil an. Sie schiagt vor, die Kapiteltiberschrift neutrale r zu formulieren, die Unterabschnitte B und C zu einem Teil zusammen zu fassen, anschlie Rend mit D und E fort zu fahren und Unterabschnitt A in E einzuarbeiten. Hinsichtlich der Gestaltung des Schlusskapitels besteht Konsens Uber eine Lange von maximal 5 Seiten. Das Kapitel solle genutzt werden, um die Hauptbotschaften des Gut- achtens zu transportieren. Zu Beginn des Kapitels soll zunachs t auf die EU-RL 140871 Be- zug genommen werden. Inhaitlich sollten folgend e Botschaften im Vordergrund stehen: * EU-RL ist ein in sich stimmiges Konzept. Aus 6konomischer Sicht ist indes problema- tisch, dass die RL auf Nicht-Erwerbstatige nicht anwendbar ist, dass Wanderungsent- scheidungen verzerrt und dass Konflikte mit dem integrationsge danken bestehen. * Das Konzept der verzégerten Integration bildet zu der RL langerfristig gesehen eine Al- ternative. Es behandelt Erwerbstatige und Nicht-Erwerbstatige gleich. * Eine starke Verankerung des Aquivalenzprinzips in der Sozialve rsicherung ist 6kono- misch vorteilhaft. * Selbstbeteiligung moderiert die im Gutachten aufgedeckten Probleme. Mit Blick auf das Prinzip der verzégerten Integration wird problematisiert, dass es nur den Soziaibereich umfasst und Steuern nicht mit einschl ieRt. Die Vorsitzende weist auf sinen fruheren Beschiuss hin, dass bei der Beurteilung des Prinzip s eine Differenzierung zwi- schen Aquivalent und nicht-dquivatent finanzierten Soziall eistungen vorgenommen werden soll. Eine soiche Differenzierung ist allerdings in der Praxis schwer umsetzbar. Sie ist auch mit bestehenden Doppelbesteuerungsabkommen schwer vereinbar. Die Empfehlung bleibt insofern im Ergebnis teilweise inkonsistent, weil sie nicht nahtlos in das Steuer-Transfer System eingepasst werden kann.
-8- Einigkeit besteht dariiber, dass das Prinzip der verzdgerten Integration einen Kompromiss darstellt. Eine sofortige Integration erscheint zwar einigen Beiratsmitgliedem wanschens- wert; allgemein wird dies allerdings als politisch nicht praktikabel angesehe n. 2u Beginn der Beratungen Uber das Gutachten steht die Diskussion der von prasentierten Erlauterungen zum Abschnitt Ill.B.1: Effizienz- und Verteilun gswirkungen der FreizGgigkeit. Kern der Diskussion ist, inwieweit eine Aufteilu ng der Wohifahrtsgewinne durch Migration auf die beteiligten Lander bzw. die verschiedenen Gruppen von Migranten und Immobilen méglich ist. Hierbei sind mehrere »Effizienzebenen” zu untersch eiden (Welt, Lander, Individuen). Per saldo bestent Ubereinstimmung, dass typischerweise einige Indivi- duen im Herkunfts- und Zuwanderungsiand gewinnen. im Gutachten ist zu betonen, dass das Welteinkommen insgesamt steigt. Im Einzelnen berat der Beirat den Unterabschnitt If D ff. des Gutachte ns. Am Textentwurf vom 17. Mai 2000 nimmt er folgende Anderungen vor: * S. 62, Zeile 3: Die Arbeitsiosenunterstiitzung und Sozialhiife ... S. 62, Zeile 15: Den Ausgangspunkt der 6konomischen Politikdiskussion kéAnen-d urfen nicht langer ... ° S.63, Zeile 12: ... zur Unterstiitzung in Netfallen Fallen der Bedurfti gkeit begriffen ... « S.S. 63, Zeile 16: ... auf die- Gesamibevéikerung groRe Teil der Bevdlkerung ... * §. 63, Zeilen 20 bis 23: Uberarbeitung durch die Redaktionskommission,. ® §. 64, Zeile 13: Ein Der-wettbewerblicherDruck Zwang in-Rieht ung zu ... ¢ S. 64, Zeilen 20 ff: Jeder Versicherte wird die Kosten seines spezifis chen des-Risikos tragen mussen,-dass-seiner ererbten_Veranlagung_entspricht. Eine Umverteilung z.B, zu Gunsten erblich Benachteiligter ... * S. 64, Zeile 27: Das-Furund-Wider Die Arqumente zu Gunsten wettbewerblicher Lé- sungen ist-sind auf allokationspolitischem Feld zu suchen.
-9- S. 64, Zeile 31: Versicherungsmarkte leide n unter Informationsmangein-: So sind ... S. 65, FuRnote 30: Nach Diskussion und Abst immung entscheidet der Beirat, die Fug- note beizubehalten. S. 66, Zeile 1: ... Versicherungsmar kten S. 66, 1. und 3. Absatz bediirfen der Anpassung im Rahmen einer Gesamtiibe rarbei- tung des Unterabschnitts ,2. Regulier ende Eingriffe in Versicherungsmarkte“ . Dabei ist wie foigt vorzugehen: Differenzierung zwischen ex ante und ex post Moral Hazard: als Beispiel fur ex ante Moral Hazard soll die Arbeitslosenversicherung gelten, und beim ex post Moral Hazard (Beispiel Krankenv ersicherung) soll zwischen angebots - und nach- frageseitigem Moral Hazard untersch ieden werden. Die Notwendigkeit von Selbstbe- halten wird im Zusammenhang mit Konsumentensouveranitat und adve rser Selektion diskutiert, Nach Diskussion und Abst immung wird beschlossen, das Them a Meritorik nicht zu bertihren. Im Grundtenor soll die Botschaft ibermittelt werden: Geme ssen an einer ,Autarkiesituation" ist der Moral Hazard im Kontext der Europaischen Union gré- Rer, weil dem Einzeinen mehr Ents cheidungsméglichkeiten offen steh en. S. 66, Zeile 5: Die-Verhaltensstérun g Das Fehiverhalten .. S. 66, Zeilen 8 und 9: Man kann allen falis wettbewerbsbeschrankende MaBnahmen al- lenfalls dann rechtfertigen, die wenn sie gezielt ... S. 66, Zeile 19: ... bewirken tendenziel l - S. 66, Zeile 27: ..., der damit desh aib wettbewerbsrechtlich S. 67, Zeile 9 ff.: .. der Arzt oft ein wirtschaftliches Interesse an hono rierter Leistungs- ausweitung ... Der Patient ist hauf ig garnicht in der Lage ... Bake r In diesen Fallen lasst sich die angebotsseitige Form von Moral Hazard ... S. 68, Zeile 21: ... eine ineffizien te Entmischung ... S. 69, Zeilen 12 — 14: Dieser Satz ist zu relativieren. Zum Tragen kommen soll hier auch der Gedanke, dass hinsichtlich Alter und Gesundheit ex ante die Risiken fur beide
-10- Marktseiten nur schwer kalkulierbar sind. Auf beiden Seiten - so die einvernehmliche Auffassung — ist unvollstandige Information gegeben. S. 69, Zeile 18: ,das Kostenminimum ist zu ersetzen durch ,die nachgefragte Menge kostenminimal" S. 70, Zeilen 6 —18 sind in den Konjunktiv zu setzen. S. 70, Zeile 12: ... Vermittlung angeblich ungenutzt. Seite 70/71: Ein Beiratsmitglied kritisiert die einseitige Gewichtung in Richtung reine Marktwirtschaft. Konkret wird vereinbart, auf S. 70, Zeile 30: dern-Prinzipien-einer Mit narktwirtschaftlichen-_Ordnuncistdies_kaum-zu-vereinbaren. und auf Seite 71, Zeile 1: ... Ist es allerdings primar Aufgabe ... S. 72, Zeile 16: ... und zu aktuarisch versicherungqsmathematisch fairen Bedingungen ... S. 76, Fu®note 32: integration der FuBnote in den Text muss noch einmal reflektiert werden. S. 78 ist allgemein der Begriff Versicherungsfall durch Leistungsfall zu ersetzen. S. 78, Zeilen 23 — 24: Der steuerliche Charakter des Systems Kindergeld- Kinderfreibetrag soll berucksichtigt werden. S. 80, Zeile 11: ... wird lediglem vieimehr eine ...Auf Seite 80 sollen die administrativen Nachteile der verzégerten Integration thematisiert werden. Erwogen wird uberdies die Reihenfolge der Absatze 1 und 4 zu vertauschnen. S. 81, Zeilen 7 — 9: Dazu wird angemerkt, dass grundsatzlich jede einkommensabhan- gige Steuer die Wanderung verzerrt. Allgemein soll im Gutachten der Begriff Abgabe nicht undifferenziert verwendet werden, sondern ist in die Termini Steuern und Sozialabgaben zu untergliedern.