bu-energieversorgungssicherheit

Dieses Dokument ist Teil der Anfrage „Strategiepapier Gaslieferung

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Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie                                        08. April 2022
 und Betriebe
 III A 3/III A 23                                                          9(0)13 - 8431/8318
                                                      energienotfallvorsorge@senweb.berlin.de


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Besprechungsunterlage


für den Senat am Dienstag, den 12. April 2022



TOP: Energie-Versorgungssicherheit in der Ukraine-Krise



Berichterstatter/Berichterstatterin:   Senator Stephan Schwarz
                                       Senatorin Bettina Jarasch


ENERGIE

Status-Quo der Versorgungssicherheit (SenWEB)

Im Ausgangspunkt besteht bei den Energieträgern Gas, Öl und Kohle eine erhebliche Abhängigkeit
von russischen Importen. Im Jahr 2021 lag der Anteil von russischem Gas deutschlandweit bei 55
% und ist nach Angaben des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) zum Ende
des ersten Quartals abgesunken auf 44 %. Etwa 35 % der gesamten deutschen Rohölimporte und
etwa 50 % des aktuellen deutschen Steinkohleverbrauchs kommen aus Russland. Berücksichtigt
werden muss generell die (unterschiedlich ausgeprägte) Abhängigkeit der gesamten EU von
russischen Importen.

Das BMWK hat verschiedene Maßnahmen ergriffen, um die Abhängigkeiten zu reduzieren:

    •   Fehlende Erdgasmengen können kurzfristig (Winter 2022/23) schwerlich substituiert
        werden. Ein vollständiger Ersatz ist erst mittelfristig möglich. Risiken sollen durch
        Diversifizierung abgemildert werden. Bis Ende des Jahres könnte der Anteil von russischem
        Gas nach Einschätzung des BMWK auf 30 % gesenkt werden. Bis Sommer 2024 ist eine




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schrittweise Reduzierung auf 10 % möglich. BMWK steuert u. A. mit einem
         Gasspeichergesetz entgegen.

    •    Im Sektor Öl kann auf bestehende Reserven zurückgegriffen werden (Rohöl und
         Mineralölprodukte im Umfang der Importe eines Zeitraums von 90 Tagen). Auslaufende
         Verträge mit russischen Unternehmen werden nicht verlängert. Eine Veränderung der
         Lieferketten wird bereits in den nächsten Wochen sichtbar sein. Ölimporte aus Russland
         sollen bis Mitte 2022 halbiert sein. Bis Jahresende soll eine fast komplette Unabhängigkeit
         von Russland gegeben sein.

    •    Es bestehen keine vergleichbaren Reserven im Kohlebereich. Der Weltmarkt ist liquide,
         Lieferketten können daher umgestellt werden. Solange dies jedoch nicht der Fall ist, kann
         ein sofortiger Lieferstopp im schlimmsten Fall zu einer Kohleknappheit führen. Dies kann
         Auswirkungen auf den Stromsektor haben. Ein Kohleembargo wurde durch die EU-
         Kommission in Aussicht gestellt.

Eine genaue Aufschlüsselung Lieferquellen für in Berlin verbrauchten Energieträger existiert nicht,
da eine landesspezifische Erhebung angesichts der überregional organisierten Märkte nicht
möglich ist.

Die Bundesnetzagentur (BNetzA) wurde seitens BMWK nach § 6 Außenwirtschaftsgesetz zum Schutz
der öffentlichen Ordnung und Versorgungssicherheit befristet bis zum 30.09.2022 als Treuhänderin
der Gazprom Germania GmbH eingesetzt. Das Unternehmen betreibt kritische Infrastruktur und der
Erwerb muss durch Nicht-EU-Investoren durch das BMWK genehmigt werden.

Stand 2021 konnte gemäß Umweltbundesamt bundesweit 19,7 % des Endenergieverbrauchs aus
erneuerbaren Energien gewonnen werden - 41,1 % des Stroms und 16,5 % der Wärme.

Weiteres Vorgehen zur Sicherung der Energieversorgung (SenWEB)

Erdgas

Das Krisen- und Notfallmanagement zur Gewährleistung einer sicheren Gasversorgung beruht auf
dem „Notfallplan Gas für die Bundesrepublik Deutschland“, der seine Grundlage in der sog.
europäischen Erdgas-SoS-Verordnung hat. Er kennt drei Eskalationsstufen (Frühwarn-, Alarm-, und
Notfallstufe):

    •    Die Frühwarnstufe ist auszurufen, wenn konkrete, ernst zu nehmende Hinweise auf eine
         erhebliche Verschlechterung der Gasversorgungslage deuten. Das BMWK hat diese Stufe
         am 30.03.2022 ausgerufen, so dass die aktuelle Situation im Gasnetz engmaschig
         beobachtet und bewertet wird. Dies erfolgte vor dem Hintergrund der Ankündigung
         Russlands, die Bezahlung der Gasimporte nur noch in Rubel zu akzeptieren. Laut BMWK ist
         die     Versorgungssicherheit   mit   Gas   aktuell   gewährleistet   und   es    gibt   keine
         Versorgungsengpasslage. In der Frühwarnstufe sind insbesondere die Fernleitungs- und
         Verteilnetzbetreiber sowie auch Gashändler und -lieferanten für die Aufrechterhaltung der
         Gasversorgung verantwortlich.

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•    Die 2. Stufe (Alarmstufe) würde ausgerufen, wenn eine Störung der Gasversorgung vorläge,
        die zu einer erheblichen Verschlechterung der Versorgungslage führt, die o.g. Marktakteure
        die Engpasslage jedoch noch kompensieren könnten. Grundlage für die Maßnahmen der
        Netzbetreiber sind insbesondere die §§ 16 und 16a des Energiewirtschaftsgesetzes. Die
        Gasversorgungsunternehmen haben die Versorgung mit Erdgas gemäß § 53a EnWG weiter
        sicherzustellen    (Schutz      bestimmter    „geschützter     Kunden“,   wie   beispielsweise
        Haushaltskunden und Kunden, die grundlegende soziale Dienste erbringen, sowie
        Fernwärmeanlagen, soweit sie Wärme an diese Kunden liefern).

   •    Die Notfallstufe würde ausgerufen bei einer erheblichen Störung der Gasversorgung, die
        der Markt nicht mehr lösen kann, d.h. die Nachfrage kann nicht gedeckt werden und es sind
        behördliche Maßnahmen erforderlich. In der Notfallstufe kommt ein Eingreifen des Staates
        in   Betracht.    Dies   geschieht    bei    einer   bundesweiten    Mangellage    durch    die
        Bundesnetzagentur         als      Bundeslastverteiler       auf    der    Grundlage        des
        Energiesicherungsgesetzes und in enger Abstimmung mit den Netzbetreibern. Sollte es zu
        einer Gasmangellage und der Ausrufung der Notfallstufe kommen, bestehen von Berliner
        Seite keine Anordnungsbefugnisse gegenüber der Bundesnetzagentur als Lastverteiler.

Erdöl

Bei Erdöl und Erdölprodukten besteht keine mit der Gasversorgung vergleichbare, generell
geregelte Abfolge von Notfallstufen. Bei einer Einschränkung von Liefermengen können durch das
BMWK Lagerbestände des Erdölbevorratungsverbandes freigegeben und damit dem Markt zur
Verfügung gestellt werden. Allein mit den vorhandenen Ölreserven könnte ein vollständiger Ausfall
russischer Lieferungen rein rechnerisch (ohne Betrachtung von Transportmöglichkeiten und
Rohölqualitäten) für über 200 Tage überbrückt werden.

Davon abgesehen stellt die kurzfristige Substitution von Rohöl in geeigneten Qualitäten
insbesondere an den Raffinerie-Standorten Leuna und Schwedt eine größere Hausforderung dar,
da sie ihr Rohöl über Pipelines aus Russland beziehen. Für die Umstellung muss eine Reihe von
Voraussetzungen geschaffen werden (Lieferungen über Häfen Rostock, ggf. Danzig, sowie
Lieferungen aus dem Westen per LKW und Zug). Die Bundesregierung arbeitet nach Angaben des
BMWK aktuell mit Hochdruck daran, diese Voraussetzungen zu schaffen. Die Senatsverwaltung für
Wirtschaft, Energie und Betriebe (SenWEB) steht zur Frage der Kraftstoffversorgung aus Schwedt im
Austausch mit dem Brandenburgischen Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Energie.

Die Verteilung von freigegebenen Kraftstoffmengen aus der Erdölbevorratung erfolgt grundsätzlich
über die üblichen Vertriebswege der Marktakteure. Betreiber kritischer Infrastrukturen müssen
grundsätzlich selbst Sorge dafür tragen, dass ihre Belieferung und die Betankung bei einer
Mangellage sichergestellt sind. Die SenWEB wird auf die Senatsressorts zugehen, um einen
Austausch zum Stand der Vorkehrungen der KRITIS-Betreiber im jeweiligen Zuständigkeitsbereich
durchzuführen und erforderlichenfalls weitere Maßnahmen abzustimmen.




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In letzter Konsequenz könnten auch im Bereich der Ölversorgung staatliche Anordnungen zur
Verteilung von Mineralöl und Kraftstoffen auf der Grundlage des Energiesicherungsgesetzes
getroffen werden.

Kohle

Auch im Bereich der Kohleversorgung besteht keine mit der Gasversorgung vergleichbare, generell
geregelte Abfolge von Notfallstufen.

Nach Angaben des BMWK hat der Großteil der Betreiber von Kraftwerken der öffentlichen
Versorgung bereits angefangen, den Einsatz russischer Steinkohle zu reduzieren und will bis zum
Frühsommer gänzlich auf russische Steinkohle verzichten bzw. den Einsatz stark reduzieren. Dies
gilt nach hiesigen Erkenntnissen auch für in Berlin tätige Unternehmen.

Auch bei den großen industriellen Nutzern von Kohle, insbesondere der Stahlindustrie, erfolgt
bereits eine Umstellung der Lieferverträge. Durch die Vertragsumstellungen erwartet das BMWK in
den nächsten Wochen eine Verringerung des Anteils russischer Lieferungen von 50 Prozent auf rund
25 Prozent; bis zum Herbst könne Deutschland unabhängig von russischer Kohle sein. Bei einem
kurzfristigen Entfall der Importe aus Russland müsse auch auf im Inland vorhandene Vorräte
zurückgegriffen werden.

Nach Informationen aus der Bund-Länder-Runde Lieferketten am 07.04.2022 wird es viermonatige
Frist für die Umsetzung des Embargos geben, um die Auswirkungen auf Unternehmen zu dämpfen.




Maßnahmen in Berlin (SenWEB und SenUMVK)

Die SenWEB hat folgende Maßnahmen ergriffen:

1. Aufbau interner Strukturen, um auf eine Zuspitzung der Versorgungslage im Fall reduzierter
oder eingestellter Gaslieferungen bzw. mit Rohstoffengpässen verbundenen Ereignissen
reagieren zu können.

Eine Taskforce ist eingerichtet mit Mitarbeiter*innen aus den Bereichen Energieversorgung,
industrielle Lieferketten und Ernährungssicherheit. Damit sind Vorbereitungen für die Einrichtung
eines Krisenstabes nach dem Katastrophenschutzgesetz getroffen.

Wir haben die Fachgruppe Energieversorgung intern verstärkt.

2. Enger und kontinuierlicher Austausch mit dem Bund und anderen Bundesländern,
insbesondere Brandenburg.

Über die täglichen Sitzungen des „Krisenteams Gas“ beim BMWK wird die SenWEB laufend
informiert. An den Sitzungen des Krisenteams Gas nehmen vier repräsentativ ausgewählte Länder
teil; die ostdeutschen Länder einschließlich Berlin werden derzeit durch Mecklenburg-Vorpommern


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in der Runde vertreten. Darüber hinaus erfolgt ein regelmäßiger Austausch mit der Kontaktstelle
Lieferketten des BMWK.

Am 07.04.2022 fand die 2. Sitzung Krisenmanagement Gas statt (BNetzA und BMWK mit allen
Ländern). In der Sitzung hat die BNetzA bekräftigt, dass eine Festlegung einer abstrakten
Abschaltreihenfolge von Gasverbrauchern für den Fall einer Mangellage im Vorhinein nicht möglich
sei, sondern dass Entscheidungen nach Abwägung in der konkreten Situation zu treffen sein werden.
Sie hat ihre Überlegungen zur Schaffung einer entsprechenden Datengrundlage vorgestellt. Ein
näherer Austausch zur Zusammenarbeit mit den Ländern bei einer Mangellage bleibt der folgenden
Sitzung vorbehalten.

Zwischen der SenWEB und dem Brandenburgischen Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Energie
des Landes Brandenburg besteht ein laufender Austausch.

3. Intensiver und enger Austausch und Monitoring mit Berliner Netzbetreibern und
Energieversorgungsunternehmen (NBB, ONTRAS (Fernleitungsnetz), BEN/SNB, Vattenfall und
weitere Fernwärmenetzbetreiber) und Tanklagerbetreibern.

NBB und die anderen Gasnetzbetreiber in Deutschland aktualisieren anhand eines mit dem BDEW
abgestimmten Fragebogens die vorhandenen Daten zu den größeren (d.h. leistungsgemessenen)
Gaskunden, um möglichst genaue Kenntnisse zu erlangen, wofür das bezogene Erdgas verwendet
wird, ob ein Wechsel auf einen alternativen Energieträger möglich ist und ob eine gestaffelte
Leistungsreduzierung erfolgen kann. Dies dient insbesondere dazu, die Interessen der betroffenen
Unternehmen und Einrichtungen angemessen berücksichtigen zu können und die individuellen und
gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen etwaiger Abschaltungen zu minimieren.

Am 08.04.2022 wurden die Abstimmungen auf Basis der Ergebnisse der 2. Sitzung
Krisenmanagement Gas gemeinsam mit dem MWAE, den Verteil- und Fernleitungsnetzbetreibern
unter Einbindung der SenInnDS fortgesetzt.

4. Enger und kontinuierlicher Austausch mit den Verbänden der Berliner Wirtschaft.

Ein erster Austausch zu den Auswirkungen der Ukraine-Krise mit den Branchenvertreter*innen fand
am 23. März statt, ein zweiter am 08. April 2022. Der nächste Termin ist in Abstimmung.

5. Weitergehende Maßnahmen

Darüber hinaus arbeitet der Bund mittel- und langfristig am möglichst schnellen Ausbau der
Erneuerbaren Energien, um einen Verzicht auf fossile Importe möglichst frühzeitig zu ermöglichen
und diese so schnell wie möglich zu reduzieren. Dem dient u.a. das vom BMWK vorgelegte so
genannte Osterpaket.

Mittel- und langfristig ist ein Ausstieg aus fossilen Energieträgern erforderlich, um auch zukünftig
Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Dieser Ausstieg ist aus Klimaschutzgründen bereits über
die Klimaziele im Energiewendegesetz (EWG) Berlin festgelegt und muss so weit als möglich
beschleunigt werden. Der Ausstieg aus der Nutzung importierter fossiler Energieträger dient sowohl
dem Klimaschutz als auch der Versorgungssicherheit und Unabhängigkeit.

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Da Gas vor allem in der Wärmeversorgung eine wichtige Rolle spielt, muss neben der
Energiewende insbesondere auch die Wärmewende vorangetrieben werden. Um im Wärmesektor
aus den fossilen Energien auszusteigen, muss die Nutzung erneuerbarer Energien in der
Wärmeversorgung vorangebracht und der Gebäudebestand entsprechend energetisch saniert und
vorbereitet werden. Die in 2021 erarbeitete Studie „Wärmestrategie für das Land Berlin“ beinhaltet
dazu    wesentliche     Handlungsstrategien      und    zielt   auf     möglichst    klimaneutrale
Wärmeversorgungslösungen       wie   Wärmepumpen       in   gering    besiedelten   Gebieten   und
wärmenetzgebundene Versorgungslösungen in dicht besiedelten Gebieten.

Zudem wird ein breiter Instrumentenkasten von Förderungen, Forderungen und Ordnungsrecht wie
z. B. einem Verbrennungsverbot vorgeschlagen, die derzeit geprüft und sukzessive in die
Umsetzung gebracht werden sollen. Im Rahmen der derzeitigen Überarbeitung des Berliner
Energie- und Klimaschutzprogramms (BEK) finden diese bereits Berücksichtigung. Wichtige
Schlüsselinstrumente sind das aktuell bei der Senatsverwaltung für Umwelt, Mobilität, Verbraucher-
und Klimaschutz (SenUMVK) in Erarbeitung befindliche Wärmekataster sowie eine darauf
aufzubauende Wärmeplanung, deren Einführung der Senat in den Richtlinien der Regierungspolitik
vereinbart hat. Des Weiteren wurden mit der Novellierung des EWG Bln in 2021
Rahmenbedingungen für eine technologieoffene Dekarbonisierung der Fernwärme bis 2045
eingeführt, wonach die Fernwärmebetreiber verpflichtet sind Dekarbonisierungsfahrpläne
aufzustellen. Solche Dekarbonisierungsfahrpläne lösen schrittweise den Verbrauch von fossilem
Erdgas in der Fernwärmeversorgung ab.

Zudem soll der Anteil an Erneuerbaren Energien und Abwärme bis 2030 40% im jeweiligen
Fernwärmenetz betragen (§ 22 EWG Bln.). Auch wurde mit der Novellierung des EWG Bln die
Einspeisung und der Vorrang von klimafreundlichen Wärmeerzeugern rechtlich geregelt, um die
Dekarbonisierung der Fernwärme zu beschleunigen, sowie die Einrichtung einer bisher auf
Landesebene einmaligen Regulierungsbehörde für Fernwärme (§ 27 EWG Bln).

In den Richtlinien der Regierungspolitik wurde darüber hinaus ein Berliner Erneuerbare-Wärme-
Gesetz zum Austausch von fossil befeuerten Heizungen vereinbart.

All diese Schritte sind dazu geeignet, sukzessive die Abhängigkeit von Energieimporten in Berlin zu
reduzieren.




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LIEFERKETTEN

Status Quo zu Lieferketten (SenWEB)

Die Europäische Union hat infolge des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine massive
Sanktionen verhängt (Stand 04.04.2022: Finanzsektor/Banken, Beschränkungen für Zentralbank,
Handelsverbote im Hochtechnologiebereich, Listungen von Oligarchen, Sperrung des EU-
Luftraums, SWIFT-Abkopplung einzelner Banken).

Die russische Wirtschaft wird hierdurch schwer getroffen. Es ist zudem mit einem massiven Einbruch
des russischen BIP sowie einem drastischen Anstieg der Inflation in Russland zu rechnen.
Gleichzeitig sind auch für die Europäische Union und Deutschland eingetrübte wirtschaftliche
Aussichten zu erwarten. Deutsche Unternehmen sind betroffen, wenn bestehende Handelspartner
wegbrechen oder Lieferketten reißen.1

Das Ergebnis einer repräsentativen Umfrage des Deutschen Industrie- und Handelskammertages
(DIHK) und der IHK Berlin ergab: „Der Krieg verstärkt den schon zu Jahresbeginn deutlichen
konjunkturellen Gegenwind erheblich. Knapp 20 Prozent der Unternehmen sind direkt von
Sanktionen betroffen. 54 Prozent leiden unter steigenden Rohstoffpreisen oder Problemen bei
Lieferketten. 28 Prozent der Betriebe sehen zwar aktuell keinen Einfluss des Krieges auf ihr Geschäft,
rechnen damit jedoch in naher Zukunft. Mehr als die Hälfte der aktuell befragten Unternehmen sieht
keine andere Möglichkeit die Steigerungen der Einkaufspreise zu bewältigen, als diese an die
Kunden weiterzugeben.“2

Laut Informationen des BMWK zeigen sich Auswirkungen derzeit in folgenden Bereichen:

    •    kurzfristig starke Marktreaktionen, insbesondere steigende Rohstoffpreise,

    •    weltweit kam es zu Störungen der Logistikketten,

    •    nach Wirtschaftszweigen sind vor allem die Metallverarbeitung sowie die chemische
         Industrie in Deutschland von Vorleistungen aus Russland abhängig – insbesondere über
         Energieimporte,

    •    bei deutschen Einfuhren gibt es neben den Energieträgern Öl, Gas und Kohle
         vergleichsweise hohe Importraten bei Rohstoffen wie (Edel-)Metallen (z.B. Nickel, Titan,
         Eisenerze,      Aluminium,      Kupfer),     aber     auch     bei    einzelnen      Vorprodukten          (u.a.
         Elektrokabelbäume für die Autoindustrie, Saphirwafer für die optoelektronische Industrie),

    •    Schon während der Corona-Pandemie waren die Frachtraten erheblich gestiegen,
         sämtliche Transportkapazitäten eingeschränkt (Seeschifffahrt, Güterzüge, Luftfracht, LKW-
         Transporte); diese Knappheit wird durch die aktuelle Situation und fehlende
         Berufskraftfahrer z.B. aus der Ukraine weiter verschärft,



1
  Bericht an den Wirtschaftsausschuss des deuten Bundestages zur Lage der Wirtschaft und zu Lieferkettenstörungen
(Ausschussdrucksache 20(9) 55) vom 06.04.2022
2
  DIHK-IHK-Umfrage zu Folgen des Ukraine-Krieges für die Berliner Wirtschaft, Nr. 5478462, 23.03.2022

                                                                                                       Seite 7 von 13
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•    Negative Auswirkungen gibt es neben bereits eingetretenen Auswirkungen auf die
           Lieferketten der Automobilindustrie v.a. durch Zweitrunden- und Spillover-Effekte durch
           steigende      Energie-    und     Rohstoffpreise.     In   einigen     Fällen    könnten     kurzfristige
           Substitutionsmöglichkeiten für russische Vorleistungen begrenzt sein und Lieferengpässe
           auftreten.

Status Quo Rohstoffversorgung3 (SenWEB)

Der Krieg in der Ukraine hat sowohl kurzfristige als auch langfristige Auswirkungen auf die
Rohstoffversorgung. Im Jahr 2020 importierte Deutschland Metalle im Wert von 2,8 Mrd. Euro aus
RUS. Darunter Palladium (600 Mio. €), Kathodenkupfer (595 Mio €.), Eisenerz, Raffinadenickel,
Aluminium- und Titanprodukte (zusammen 900 Mio. €).

Bei den Nichtmetallen ist insbesondere der hohe Importanteil von Neon, Krypton und Xenon (Einsatz
in der Halbleiter-Produktion) aus der Ukraine nicht nur für Deutschland, sondern für die globale
Halbleiterindustrie von hoher Bedeutung.

Die Preise für viele sehr bedeutende Rohstoffe zeigen seit der Pandemie einerseits eine hohe
Volatilität, andererseits aber auch einen generell steigenden Trend. Der Ukrainekrieg hat z.B. zu
einem extremen Anstieg der Preise für Nickel geführt, da die entsprechenden Erze zu einem großen
Teil in der Russischen Föderation abgebaut und daraus auch das metallisch reine Nickel gewonnen
wird. Dieser Anstieg war so stark, dass der Handel mit Nickel an der Londoner Metallbörse (LME)
ausgesetzt werden musste. Auch weitere Rohstoffe wie Stahl und Aluminium zeigen deutliche
Preisanstiege seit Kriegsbeginn.

Laut dem BMWK ist es für eine sichere Einschätzung, wie die mittel- und langfristigen Folgen für die
globale Rohstoffabhängigkeiten ausfallen werden, noch zu früh. Allerdings wird die ohnehin starke
Abhängigkeit Europas von der VR China bei der Rohstoffgewinnung und -verarbeitung noch weiter
steigen, wenn es nicht gelingt, Verarbeitungs- und Recyclingkapazitäten in Europa zu erhalten und
auszubauen sowie die Diversifizierung der Importe voranzubringen.

Einschätzung der Auswirkungen von Lieferkettenstörungen auf Berlin (SenWEB)

Das Ausmaß der Verwerfungen für Berlin vor dem Hintergrund der aktuellen Krise lässt sich
aufgrund der Komplexität und Individualität der einzelnen Lieferketten und der unklaren Lage z. B.
zur Dauer des Konflikts und der künftigen Energieversorgung nicht genau abschätzen.

Laut einer Befragung der Berliner Wirtschaftsfördergesellschaft Berlin Partner für Wirtschaft und
Technologie (BPWT) unter industriellen KMU (117) befürchten diese vor allem Probleme bei den
Lieferketten und Zahlungen über SWIFT.

      •    spürten rund 17 % schon direkt nach Kriegsbeginn Auswirkungen auf den Umsatz



3
    Aus dem Bericht des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz zu weltweiten Abhängigkeiten bei Rohstoffen,
Ausschussdrucksache 20(9)27, 04.04.2022

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•    sind 30% von Lieferkettenproblemen betroffen

    •    erwarten 30% Auswirkungen durch SWIFT-Einschränkungen und

    •    hat bei 6% die Krise einen unmittelbaren Einfluss auf die Fachkräftesituation.

Zu den drängendsten Problemen gehören

    •    Energieversorgung und -sicherheit sowie bevorstehende Preissteigerungen

    •    Ausfälle von Lieferanten und Umsätzen

    •    Projekt- und Zahlungsverzögerungen.

    •    Preissteigerung bei weiteren Rohstoffe, z.B. Lebensmittel, insbesondere Getreide

Zwar sind die außenwirtschaftlichen Verflechtungen der Berliner Wirtschaft mit Russland, der
Ukraine und der Belarussischen Republik insbesondere seit 2012 sehr gering, aber in welchem
Maße die Berliner Wirtschaft mit nicht-russischen oder -ukrainischen Unternehmen verflochten ist,
die ihrerseits auf Rohstoffe und Vorprodukte aus der betroffenen Region angewiesen sind und in
welcher Weise sich Logistikproblematiken auf die Berliner Wirtschaft auswirken, ist derzeit noch
offen.

Aktuelle Maßnahmen zur Konkretisierung der Auswirkungen auf die Berliner Wirtschaft (SenWEB)

BPWT hat in enger Abstimmung mit der SenWEB die schon zur Coronakrise aufgesetzte
Lieferkettenkontaktstelle   neu   aktiviert   (Link:   https://www.berlin-partner.de/aktuelles/detail/
lieferkette. Das sogenannte Lieferkettenkontaktformular steht allen Berliner Unternehmen online zur
Verfügung. Es bietet neben den genannten Varianten vor allem auch die Möglichkeit Daten zu
Herausforderungen zu erheben, die nicht sofort im Fokus stehen werden, weil sie erst zu einem
späteren Zeitpunkt zum Tragen kommen werden. Darüber hinaus werden aktuell schon lösbare
Problematiken an die zuständigen Stellen weitergeleitet, um im Idealfall eine Lösung
herbeizuführen.



ERNÄHRUNG

Auswirkungen und Regelungen im Bereich Ernährungssicherung (Sen UMVK und SenWEB)

Die Land- und Ernährungswirtschaft ist in vielfältiger Weise von den Auswirkungen des Angriffs-
kriegs Russlands auf die Ukraine betroffen. Derzeit liegen die größten Herausforderungen und
Marktrisiken für die heimische Landwirtschaft in stetig steigenden Energiepreisen, Knappheit von
Mineraldünger, der in hohen Maße aus Russland eingeführt wird und Futtermittelengpässen
insbesondere im Bereich von Gentechnikfreien Futtermitteln und Biofuttermitteln, die sehr stark aus
der Ukraine importiert werden. Die internationalen Agrarmärkte, insbesondere im Bereich Weizen,
unterliegen derzeit aufgrund der hohen Bedeutung der Ukraine und Russlands als
Getreideproduzenten, starken Preisschwankungen. Als Maßnahmen zur Reduzierung der
Futtermittelengpässe werden bundesweit die Ökologischen Vorrangflächen zur Futtermittelnutzung

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freigegeben. Auf Ebene der EU wird zudem die Nutzung der Krisenreserve nach Artikel 219 sowie
die private Lager-haltung von Schweinfleisch nach Artikel 17 Gemeinsame Marktordnung geprüft.

Die von Berliner Landwirt:innen bewirtschaftete Fläche ist äußerst gering und Tierhaltung findet
kaum statt, so dass die akuten Auswirkungen für die Berliner Landwirtschaft vor allem im Bereich
der hohen Energiepreise liegen. Diese bestimmen auch in der Ernährungswirtschaft stark die
Produktions- und Transportkosten. Zudem besteht eine hohe Abhängigkeit von Gas bei der für die
Fleisch- und Getränkeindustrie notwendigen Herstellung von Kohlendioxid. Für die heimische Land-
und Ernährungswirtschaft ist es daher von Bedeutung, dass diese als „geschützter Kunde“ im Sinne
des §53a Energiewirtschaftsgesetz eingeordnet wird, um Stillstände in Produktionsanlagen zu
vermeiden. Dazu finden derzeit Abstimmungen zwischen dem Bundesministerium für Ernährung und
Landwirtschaft (BMEL) und BMWK statt.

Im Bereich der Verarbeitungsbetriebe und der Ernährungswirtschaft kommt es, durch unterbrochene
Lieferketten und/oder stark angestiegener Nachfrage bei einzelnen Produktgruppen zu
Verknappungen. Die Ernährungssicherheit in Berlin, Deutschland und der Europäischen Union ist
durch einen hohen Selbstversorgungsgrad kurz- und langfristig sichergestellt. Die staatliche
Ernährungsnotfallvorsorge wird durch den Bund kontinuierlich aktualisiert.

Der Bereich der Ernährungsnotfallvorsorge der SenWEB steht in engem Austausch mit Vertretern
des Lebensmitteileinzelhandels sowie der Ernährungswirtschaft und tauscht sich mit den für die
Ernährungsnotfallvorsorge zuständigen Referenten in Bund und Ländern in regelmäßigen Runden
aus, zuletzt am 30. März; der nächste Termin ist für den 13. April angesetzt. Damit werden mögliche
Stressfaktoren für Handel und Ernährungswirtschaft erhoben, um frühzeitig möglichen staatlichen
Unterstützungsbedarf zu ermitteln und einen Überblick über die von den Branchen ergriffenen
Maßnahmen zu gewinnen.

Der Bereich nimmt auch an dem Austausch im Bereich der Energienotfallvorsorge teil, um
Möglichkeiten einer Priorisierung der Belieferung der Kritischen Infrastruktur „Ernährung“ für den
Fall zu eruieren, dass es aufgrund der Aktivierung des Notfallplans Gas zu Einschränkungen der
Gasversorgung der nicht durch das Energiewirtschaftsgesetz priorisierten             Kunden der
Ernährungswirtschaft kommen sollte.

Steigende Lebensmittelpreise sind derzeit in einzelnen Bereichen bereits zu verzeichnen. Insgesamt
sind in der Land- und Ernährungswirtschaft durch verschiedene Faktoren steigende Produktions-
und Lohnkosten zu verzeichnen. Maßnahmen zur Entlastung der Verbraucher:innen bei steigenden
Lebensmittelpreisen, wie bspw. eine Senkung der Mehrwertsteuer auf Obst, Gemüse und Hülsen-
früchten werden auf Bundesebene diskutiert. Zunehmende Bedeutung gewinnt auch die
Reduzierung der Lebensmittelverschwendung, hier wird SenUMVK verschiedene Maßnahmen im
Rahmen der Ernährungsstrategie weiter vorantreiben.

Verbraucher:innenschutz im Bereich Energiepreise (SenUMVK)

Die aktuelle Situation auf den Energiemärkten hat auch starke Auswirkungen auf die
Verbraucher:innen. Bereits vor Beginn des Angriffskrieges Russlands gegen die Ukraine waren

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