bu-energieversorgungssicherheit
Dieses Dokument ist Teil der Anfrage „Strategiepapier Gaslieferung“
Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie 08. April 2022 und Betriebe III A 3/III A 23 9(0)13 - 8431/8318 energienotfallvorsorge@senweb.berlin.de Senatsverwaltung für Umwelt, Mobilität, Verbraucher- und Klimaschutz Stellenzeichen einsetzen Telefonnummern einsetzen hier können E-Mails eingetragen werden Besprechungsunterlage für den Senat am Dienstag, den 12. April 2022 TOP: Energie-Versorgungssicherheit in der Ukraine-Krise Berichterstatter/Berichterstatterin: Senator Stephan Schwarz Senatorin Bettina Jarasch ENERGIE Status-Quo der Versorgungssicherheit (SenWEB) Im Ausgangspunkt besteht bei den Energieträgern Gas, Öl und Kohle eine erhebliche Abhängigkeit von russischen Importen. Im Jahr 2021 lag der Anteil von russischem Gas deutschlandweit bei 55 % und ist nach Angaben des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) zum Ende des ersten Quartals abgesunken auf 44 %. Etwa 35 % der gesamten deutschen Rohölimporte und etwa 50 % des aktuellen deutschen Steinkohleverbrauchs kommen aus Russland. Berücksichtigt werden muss generell die (unterschiedlich ausgeprägte) Abhängigkeit der gesamten EU von russischen Importen. Das BMWK hat verschiedene Maßnahmen ergriffen, um die Abhängigkeiten zu reduzieren: • Fehlende Erdgasmengen können kurzfristig (Winter 2022/23) schwerlich substituiert werden. Ein vollständiger Ersatz ist erst mittelfristig möglich. Risiken sollen durch Diversifizierung abgemildert werden. Bis Ende des Jahres könnte der Anteil von russischem Gas nach Einschätzung des BMWK auf 30 % gesenkt werden. Bis Sommer 2024 ist eine Seite 1 von 13
schrittweise Reduzierung auf 10 % möglich. BMWK steuert u. A. mit einem Gasspeichergesetz entgegen. • Im Sektor Öl kann auf bestehende Reserven zurückgegriffen werden (Rohöl und Mineralölprodukte im Umfang der Importe eines Zeitraums von 90 Tagen). Auslaufende Verträge mit russischen Unternehmen werden nicht verlängert. Eine Veränderung der Lieferketten wird bereits in den nächsten Wochen sichtbar sein. Ölimporte aus Russland sollen bis Mitte 2022 halbiert sein. Bis Jahresende soll eine fast komplette Unabhängigkeit von Russland gegeben sein. • Es bestehen keine vergleichbaren Reserven im Kohlebereich. Der Weltmarkt ist liquide, Lieferketten können daher umgestellt werden. Solange dies jedoch nicht der Fall ist, kann ein sofortiger Lieferstopp im schlimmsten Fall zu einer Kohleknappheit führen. Dies kann Auswirkungen auf den Stromsektor haben. Ein Kohleembargo wurde durch die EU- Kommission in Aussicht gestellt. Eine genaue Aufschlüsselung Lieferquellen für in Berlin verbrauchten Energieträger existiert nicht, da eine landesspezifische Erhebung angesichts der überregional organisierten Märkte nicht möglich ist. Die Bundesnetzagentur (BNetzA) wurde seitens BMWK nach § 6 Außenwirtschaftsgesetz zum Schutz der öffentlichen Ordnung und Versorgungssicherheit befristet bis zum 30.09.2022 als Treuhänderin der Gazprom Germania GmbH eingesetzt. Das Unternehmen betreibt kritische Infrastruktur und der Erwerb muss durch Nicht-EU-Investoren durch das BMWK genehmigt werden. Stand 2021 konnte gemäß Umweltbundesamt bundesweit 19,7 % des Endenergieverbrauchs aus erneuerbaren Energien gewonnen werden - 41,1 % des Stroms und 16,5 % der Wärme. Weiteres Vorgehen zur Sicherung der Energieversorgung (SenWEB) Erdgas Das Krisen- und Notfallmanagement zur Gewährleistung einer sicheren Gasversorgung beruht auf dem „Notfallplan Gas für die Bundesrepublik Deutschland“, der seine Grundlage in der sog. europäischen Erdgas-SoS-Verordnung hat. Er kennt drei Eskalationsstufen (Frühwarn-, Alarm-, und Notfallstufe): • Die Frühwarnstufe ist auszurufen, wenn konkrete, ernst zu nehmende Hinweise auf eine erhebliche Verschlechterung der Gasversorgungslage deuten. Das BMWK hat diese Stufe am 30.03.2022 ausgerufen, so dass die aktuelle Situation im Gasnetz engmaschig beobachtet und bewertet wird. Dies erfolgte vor dem Hintergrund der Ankündigung Russlands, die Bezahlung der Gasimporte nur noch in Rubel zu akzeptieren. Laut BMWK ist die Versorgungssicherheit mit Gas aktuell gewährleistet und es gibt keine Versorgungsengpasslage. In der Frühwarnstufe sind insbesondere die Fernleitungs- und Verteilnetzbetreiber sowie auch Gashändler und -lieferanten für die Aufrechterhaltung der Gasversorgung verantwortlich. Seite 2 von 13
• Die 2. Stufe (Alarmstufe) würde ausgerufen, wenn eine Störung der Gasversorgung vorläge, die zu einer erheblichen Verschlechterung der Versorgungslage führt, die o.g. Marktakteure die Engpasslage jedoch noch kompensieren könnten. Grundlage für die Maßnahmen der Netzbetreiber sind insbesondere die §§ 16 und 16a des Energiewirtschaftsgesetzes. Die Gasversorgungsunternehmen haben die Versorgung mit Erdgas gemäß § 53a EnWG weiter sicherzustellen (Schutz bestimmter „geschützter Kunden“, wie beispielsweise Haushaltskunden und Kunden, die grundlegende soziale Dienste erbringen, sowie Fernwärmeanlagen, soweit sie Wärme an diese Kunden liefern). • Die Notfallstufe würde ausgerufen bei einer erheblichen Störung der Gasversorgung, die der Markt nicht mehr lösen kann, d.h. die Nachfrage kann nicht gedeckt werden und es sind behördliche Maßnahmen erforderlich. In der Notfallstufe kommt ein Eingreifen des Staates in Betracht. Dies geschieht bei einer bundesweiten Mangellage durch die Bundesnetzagentur als Bundeslastverteiler auf der Grundlage des Energiesicherungsgesetzes und in enger Abstimmung mit den Netzbetreibern. Sollte es zu einer Gasmangellage und der Ausrufung der Notfallstufe kommen, bestehen von Berliner Seite keine Anordnungsbefugnisse gegenüber der Bundesnetzagentur als Lastverteiler. Erdöl Bei Erdöl und Erdölprodukten besteht keine mit der Gasversorgung vergleichbare, generell geregelte Abfolge von Notfallstufen. Bei einer Einschränkung von Liefermengen können durch das BMWK Lagerbestände des Erdölbevorratungsverbandes freigegeben und damit dem Markt zur Verfügung gestellt werden. Allein mit den vorhandenen Ölreserven könnte ein vollständiger Ausfall russischer Lieferungen rein rechnerisch (ohne Betrachtung von Transportmöglichkeiten und Rohölqualitäten) für über 200 Tage überbrückt werden. Davon abgesehen stellt die kurzfristige Substitution von Rohöl in geeigneten Qualitäten insbesondere an den Raffinerie-Standorten Leuna und Schwedt eine größere Hausforderung dar, da sie ihr Rohöl über Pipelines aus Russland beziehen. Für die Umstellung muss eine Reihe von Voraussetzungen geschaffen werden (Lieferungen über Häfen Rostock, ggf. Danzig, sowie Lieferungen aus dem Westen per LKW und Zug). Die Bundesregierung arbeitet nach Angaben des BMWK aktuell mit Hochdruck daran, diese Voraussetzungen zu schaffen. Die Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe (SenWEB) steht zur Frage der Kraftstoffversorgung aus Schwedt im Austausch mit dem Brandenburgischen Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Energie. Die Verteilung von freigegebenen Kraftstoffmengen aus der Erdölbevorratung erfolgt grundsätzlich über die üblichen Vertriebswege der Marktakteure. Betreiber kritischer Infrastrukturen müssen grundsätzlich selbst Sorge dafür tragen, dass ihre Belieferung und die Betankung bei einer Mangellage sichergestellt sind. Die SenWEB wird auf die Senatsressorts zugehen, um einen Austausch zum Stand der Vorkehrungen der KRITIS-Betreiber im jeweiligen Zuständigkeitsbereich durchzuführen und erforderlichenfalls weitere Maßnahmen abzustimmen. Seite 3 von 13
In letzter Konsequenz könnten auch im Bereich der Ölversorgung staatliche Anordnungen zur Verteilung von Mineralöl und Kraftstoffen auf der Grundlage des Energiesicherungsgesetzes getroffen werden. Kohle Auch im Bereich der Kohleversorgung besteht keine mit der Gasversorgung vergleichbare, generell geregelte Abfolge von Notfallstufen. Nach Angaben des BMWK hat der Großteil der Betreiber von Kraftwerken der öffentlichen Versorgung bereits angefangen, den Einsatz russischer Steinkohle zu reduzieren und will bis zum Frühsommer gänzlich auf russische Steinkohle verzichten bzw. den Einsatz stark reduzieren. Dies gilt nach hiesigen Erkenntnissen auch für in Berlin tätige Unternehmen. Auch bei den großen industriellen Nutzern von Kohle, insbesondere der Stahlindustrie, erfolgt bereits eine Umstellung der Lieferverträge. Durch die Vertragsumstellungen erwartet das BMWK in den nächsten Wochen eine Verringerung des Anteils russischer Lieferungen von 50 Prozent auf rund 25 Prozent; bis zum Herbst könne Deutschland unabhängig von russischer Kohle sein. Bei einem kurzfristigen Entfall der Importe aus Russland müsse auch auf im Inland vorhandene Vorräte zurückgegriffen werden. Nach Informationen aus der Bund-Länder-Runde Lieferketten am 07.04.2022 wird es viermonatige Frist für die Umsetzung des Embargos geben, um die Auswirkungen auf Unternehmen zu dämpfen. Maßnahmen in Berlin (SenWEB und SenUMVK) Die SenWEB hat folgende Maßnahmen ergriffen: 1. Aufbau interner Strukturen, um auf eine Zuspitzung der Versorgungslage im Fall reduzierter oder eingestellter Gaslieferungen bzw. mit Rohstoffengpässen verbundenen Ereignissen reagieren zu können. Eine Taskforce ist eingerichtet mit Mitarbeiter*innen aus den Bereichen Energieversorgung, industrielle Lieferketten und Ernährungssicherheit. Damit sind Vorbereitungen für die Einrichtung eines Krisenstabes nach dem Katastrophenschutzgesetz getroffen. Wir haben die Fachgruppe Energieversorgung intern verstärkt. 2. Enger und kontinuierlicher Austausch mit dem Bund und anderen Bundesländern, insbesondere Brandenburg. Über die täglichen Sitzungen des „Krisenteams Gas“ beim BMWK wird die SenWEB laufend informiert. An den Sitzungen des Krisenteams Gas nehmen vier repräsentativ ausgewählte Länder teil; die ostdeutschen Länder einschließlich Berlin werden derzeit durch Mecklenburg-Vorpommern Seite 4 von 13
in der Runde vertreten. Darüber hinaus erfolgt ein regelmäßiger Austausch mit der Kontaktstelle Lieferketten des BMWK. Am 07.04.2022 fand die 2. Sitzung Krisenmanagement Gas statt (BNetzA und BMWK mit allen Ländern). In der Sitzung hat die BNetzA bekräftigt, dass eine Festlegung einer abstrakten Abschaltreihenfolge von Gasverbrauchern für den Fall einer Mangellage im Vorhinein nicht möglich sei, sondern dass Entscheidungen nach Abwägung in der konkreten Situation zu treffen sein werden. Sie hat ihre Überlegungen zur Schaffung einer entsprechenden Datengrundlage vorgestellt. Ein näherer Austausch zur Zusammenarbeit mit den Ländern bei einer Mangellage bleibt der folgenden Sitzung vorbehalten. Zwischen der SenWEB und dem Brandenburgischen Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Energie des Landes Brandenburg besteht ein laufender Austausch. 3. Intensiver und enger Austausch und Monitoring mit Berliner Netzbetreibern und Energieversorgungsunternehmen (NBB, ONTRAS (Fernleitungsnetz), BEN/SNB, Vattenfall und weitere Fernwärmenetzbetreiber) und Tanklagerbetreibern. NBB und die anderen Gasnetzbetreiber in Deutschland aktualisieren anhand eines mit dem BDEW abgestimmten Fragebogens die vorhandenen Daten zu den größeren (d.h. leistungsgemessenen) Gaskunden, um möglichst genaue Kenntnisse zu erlangen, wofür das bezogene Erdgas verwendet wird, ob ein Wechsel auf einen alternativen Energieträger möglich ist und ob eine gestaffelte Leistungsreduzierung erfolgen kann. Dies dient insbesondere dazu, die Interessen der betroffenen Unternehmen und Einrichtungen angemessen berücksichtigen zu können und die individuellen und gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen etwaiger Abschaltungen zu minimieren. Am 08.04.2022 wurden die Abstimmungen auf Basis der Ergebnisse der 2. Sitzung Krisenmanagement Gas gemeinsam mit dem MWAE, den Verteil- und Fernleitungsnetzbetreibern unter Einbindung der SenInnDS fortgesetzt. 4. Enger und kontinuierlicher Austausch mit den Verbänden der Berliner Wirtschaft. Ein erster Austausch zu den Auswirkungen der Ukraine-Krise mit den Branchenvertreter*innen fand am 23. März statt, ein zweiter am 08. April 2022. Der nächste Termin ist in Abstimmung. 5. Weitergehende Maßnahmen Darüber hinaus arbeitet der Bund mittel- und langfristig am möglichst schnellen Ausbau der Erneuerbaren Energien, um einen Verzicht auf fossile Importe möglichst frühzeitig zu ermöglichen und diese so schnell wie möglich zu reduzieren. Dem dient u.a. das vom BMWK vorgelegte so genannte Osterpaket. Mittel- und langfristig ist ein Ausstieg aus fossilen Energieträgern erforderlich, um auch zukünftig Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Dieser Ausstieg ist aus Klimaschutzgründen bereits über die Klimaziele im Energiewendegesetz (EWG) Berlin festgelegt und muss so weit als möglich beschleunigt werden. Der Ausstieg aus der Nutzung importierter fossiler Energieträger dient sowohl dem Klimaschutz als auch der Versorgungssicherheit und Unabhängigkeit. Seite 5 von 13
Da Gas vor allem in der Wärmeversorgung eine wichtige Rolle spielt, muss neben der Energiewende insbesondere auch die Wärmewende vorangetrieben werden. Um im Wärmesektor aus den fossilen Energien auszusteigen, muss die Nutzung erneuerbarer Energien in der Wärmeversorgung vorangebracht und der Gebäudebestand entsprechend energetisch saniert und vorbereitet werden. Die in 2021 erarbeitete Studie „Wärmestrategie für das Land Berlin“ beinhaltet dazu wesentliche Handlungsstrategien und zielt auf möglichst klimaneutrale Wärmeversorgungslösungen wie Wärmepumpen in gering besiedelten Gebieten und wärmenetzgebundene Versorgungslösungen in dicht besiedelten Gebieten. Zudem wird ein breiter Instrumentenkasten von Förderungen, Forderungen und Ordnungsrecht wie z. B. einem Verbrennungsverbot vorgeschlagen, die derzeit geprüft und sukzessive in die Umsetzung gebracht werden sollen. Im Rahmen der derzeitigen Überarbeitung des Berliner Energie- und Klimaschutzprogramms (BEK) finden diese bereits Berücksichtigung. Wichtige Schlüsselinstrumente sind das aktuell bei der Senatsverwaltung für Umwelt, Mobilität, Verbraucher- und Klimaschutz (SenUMVK) in Erarbeitung befindliche Wärmekataster sowie eine darauf aufzubauende Wärmeplanung, deren Einführung der Senat in den Richtlinien der Regierungspolitik vereinbart hat. Des Weiteren wurden mit der Novellierung des EWG Bln in 2021 Rahmenbedingungen für eine technologieoffene Dekarbonisierung der Fernwärme bis 2045 eingeführt, wonach die Fernwärmebetreiber verpflichtet sind Dekarbonisierungsfahrpläne aufzustellen. Solche Dekarbonisierungsfahrpläne lösen schrittweise den Verbrauch von fossilem Erdgas in der Fernwärmeversorgung ab. Zudem soll der Anteil an Erneuerbaren Energien und Abwärme bis 2030 40% im jeweiligen Fernwärmenetz betragen (§ 22 EWG Bln.). Auch wurde mit der Novellierung des EWG Bln die Einspeisung und der Vorrang von klimafreundlichen Wärmeerzeugern rechtlich geregelt, um die Dekarbonisierung der Fernwärme zu beschleunigen, sowie die Einrichtung einer bisher auf Landesebene einmaligen Regulierungsbehörde für Fernwärme (§ 27 EWG Bln). In den Richtlinien der Regierungspolitik wurde darüber hinaus ein Berliner Erneuerbare-Wärme- Gesetz zum Austausch von fossil befeuerten Heizungen vereinbart. All diese Schritte sind dazu geeignet, sukzessive die Abhängigkeit von Energieimporten in Berlin zu reduzieren. Seite 6 von 13
LIEFERKETTEN Status Quo zu Lieferketten (SenWEB) Die Europäische Union hat infolge des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine massive Sanktionen verhängt (Stand 04.04.2022: Finanzsektor/Banken, Beschränkungen für Zentralbank, Handelsverbote im Hochtechnologiebereich, Listungen von Oligarchen, Sperrung des EU- Luftraums, SWIFT-Abkopplung einzelner Banken). Die russische Wirtschaft wird hierdurch schwer getroffen. Es ist zudem mit einem massiven Einbruch des russischen BIP sowie einem drastischen Anstieg der Inflation in Russland zu rechnen. Gleichzeitig sind auch für die Europäische Union und Deutschland eingetrübte wirtschaftliche Aussichten zu erwarten. Deutsche Unternehmen sind betroffen, wenn bestehende Handelspartner wegbrechen oder Lieferketten reißen.1 Das Ergebnis einer repräsentativen Umfrage des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) und der IHK Berlin ergab: „Der Krieg verstärkt den schon zu Jahresbeginn deutlichen konjunkturellen Gegenwind erheblich. Knapp 20 Prozent der Unternehmen sind direkt von Sanktionen betroffen. 54 Prozent leiden unter steigenden Rohstoffpreisen oder Problemen bei Lieferketten. 28 Prozent der Betriebe sehen zwar aktuell keinen Einfluss des Krieges auf ihr Geschäft, rechnen damit jedoch in naher Zukunft. Mehr als die Hälfte der aktuell befragten Unternehmen sieht keine andere Möglichkeit die Steigerungen der Einkaufspreise zu bewältigen, als diese an die Kunden weiterzugeben.“2 Laut Informationen des BMWK zeigen sich Auswirkungen derzeit in folgenden Bereichen: • kurzfristig starke Marktreaktionen, insbesondere steigende Rohstoffpreise, • weltweit kam es zu Störungen der Logistikketten, • nach Wirtschaftszweigen sind vor allem die Metallverarbeitung sowie die chemische Industrie in Deutschland von Vorleistungen aus Russland abhängig – insbesondere über Energieimporte, • bei deutschen Einfuhren gibt es neben den Energieträgern Öl, Gas und Kohle vergleichsweise hohe Importraten bei Rohstoffen wie (Edel-)Metallen (z.B. Nickel, Titan, Eisenerze, Aluminium, Kupfer), aber auch bei einzelnen Vorprodukten (u.a. Elektrokabelbäume für die Autoindustrie, Saphirwafer für die optoelektronische Industrie), • Schon während der Corona-Pandemie waren die Frachtraten erheblich gestiegen, sämtliche Transportkapazitäten eingeschränkt (Seeschifffahrt, Güterzüge, Luftfracht, LKW- Transporte); diese Knappheit wird durch die aktuelle Situation und fehlende Berufskraftfahrer z.B. aus der Ukraine weiter verschärft, 1 Bericht an den Wirtschaftsausschuss des deuten Bundestages zur Lage der Wirtschaft und zu Lieferkettenstörungen (Ausschussdrucksache 20(9) 55) vom 06.04.2022 2 DIHK-IHK-Umfrage zu Folgen des Ukraine-Krieges für die Berliner Wirtschaft, Nr. 5478462, 23.03.2022 Seite 7 von 13
• Negative Auswirkungen gibt es neben bereits eingetretenen Auswirkungen auf die Lieferketten der Automobilindustrie v.a. durch Zweitrunden- und Spillover-Effekte durch steigende Energie- und Rohstoffpreise. In einigen Fällen könnten kurzfristige Substitutionsmöglichkeiten für russische Vorleistungen begrenzt sein und Lieferengpässe auftreten. Status Quo Rohstoffversorgung3 (SenWEB) Der Krieg in der Ukraine hat sowohl kurzfristige als auch langfristige Auswirkungen auf die Rohstoffversorgung. Im Jahr 2020 importierte Deutschland Metalle im Wert von 2,8 Mrd. Euro aus RUS. Darunter Palladium (600 Mio. €), Kathodenkupfer (595 Mio €.), Eisenerz, Raffinadenickel, Aluminium- und Titanprodukte (zusammen 900 Mio. €). Bei den Nichtmetallen ist insbesondere der hohe Importanteil von Neon, Krypton und Xenon (Einsatz in der Halbleiter-Produktion) aus der Ukraine nicht nur für Deutschland, sondern für die globale Halbleiterindustrie von hoher Bedeutung. Die Preise für viele sehr bedeutende Rohstoffe zeigen seit der Pandemie einerseits eine hohe Volatilität, andererseits aber auch einen generell steigenden Trend. Der Ukrainekrieg hat z.B. zu einem extremen Anstieg der Preise für Nickel geführt, da die entsprechenden Erze zu einem großen Teil in der Russischen Föderation abgebaut und daraus auch das metallisch reine Nickel gewonnen wird. Dieser Anstieg war so stark, dass der Handel mit Nickel an der Londoner Metallbörse (LME) ausgesetzt werden musste. Auch weitere Rohstoffe wie Stahl und Aluminium zeigen deutliche Preisanstiege seit Kriegsbeginn. Laut dem BMWK ist es für eine sichere Einschätzung, wie die mittel- und langfristigen Folgen für die globale Rohstoffabhängigkeiten ausfallen werden, noch zu früh. Allerdings wird die ohnehin starke Abhängigkeit Europas von der VR China bei der Rohstoffgewinnung und -verarbeitung noch weiter steigen, wenn es nicht gelingt, Verarbeitungs- und Recyclingkapazitäten in Europa zu erhalten und auszubauen sowie die Diversifizierung der Importe voranzubringen. Einschätzung der Auswirkungen von Lieferkettenstörungen auf Berlin (SenWEB) Das Ausmaß der Verwerfungen für Berlin vor dem Hintergrund der aktuellen Krise lässt sich aufgrund der Komplexität und Individualität der einzelnen Lieferketten und der unklaren Lage z. B. zur Dauer des Konflikts und der künftigen Energieversorgung nicht genau abschätzen. Laut einer Befragung der Berliner Wirtschaftsfördergesellschaft Berlin Partner für Wirtschaft und Technologie (BPWT) unter industriellen KMU (117) befürchten diese vor allem Probleme bei den Lieferketten und Zahlungen über SWIFT. • spürten rund 17 % schon direkt nach Kriegsbeginn Auswirkungen auf den Umsatz 3 Aus dem Bericht des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz zu weltweiten Abhängigkeiten bei Rohstoffen, Ausschussdrucksache 20(9)27, 04.04.2022 Seite 8 von 13
• sind 30% von Lieferkettenproblemen betroffen • erwarten 30% Auswirkungen durch SWIFT-Einschränkungen und • hat bei 6% die Krise einen unmittelbaren Einfluss auf die Fachkräftesituation. Zu den drängendsten Problemen gehören • Energieversorgung und -sicherheit sowie bevorstehende Preissteigerungen • Ausfälle von Lieferanten und Umsätzen • Projekt- und Zahlungsverzögerungen. • Preissteigerung bei weiteren Rohstoffe, z.B. Lebensmittel, insbesondere Getreide Zwar sind die außenwirtschaftlichen Verflechtungen der Berliner Wirtschaft mit Russland, der Ukraine und der Belarussischen Republik insbesondere seit 2012 sehr gering, aber in welchem Maße die Berliner Wirtschaft mit nicht-russischen oder -ukrainischen Unternehmen verflochten ist, die ihrerseits auf Rohstoffe und Vorprodukte aus der betroffenen Region angewiesen sind und in welcher Weise sich Logistikproblematiken auf die Berliner Wirtschaft auswirken, ist derzeit noch offen. Aktuelle Maßnahmen zur Konkretisierung der Auswirkungen auf die Berliner Wirtschaft (SenWEB) BPWT hat in enger Abstimmung mit der SenWEB die schon zur Coronakrise aufgesetzte Lieferkettenkontaktstelle neu aktiviert (Link: https://www.berlin-partner.de/aktuelles/detail/ lieferkette. Das sogenannte Lieferkettenkontaktformular steht allen Berliner Unternehmen online zur Verfügung. Es bietet neben den genannten Varianten vor allem auch die Möglichkeit Daten zu Herausforderungen zu erheben, die nicht sofort im Fokus stehen werden, weil sie erst zu einem späteren Zeitpunkt zum Tragen kommen werden. Darüber hinaus werden aktuell schon lösbare Problematiken an die zuständigen Stellen weitergeleitet, um im Idealfall eine Lösung herbeizuführen. ERNÄHRUNG Auswirkungen und Regelungen im Bereich Ernährungssicherung (Sen UMVK und SenWEB) Die Land- und Ernährungswirtschaft ist in vielfältiger Weise von den Auswirkungen des Angriffs- kriegs Russlands auf die Ukraine betroffen. Derzeit liegen die größten Herausforderungen und Marktrisiken für die heimische Landwirtschaft in stetig steigenden Energiepreisen, Knappheit von Mineraldünger, der in hohen Maße aus Russland eingeführt wird und Futtermittelengpässen insbesondere im Bereich von Gentechnikfreien Futtermitteln und Biofuttermitteln, die sehr stark aus der Ukraine importiert werden. Die internationalen Agrarmärkte, insbesondere im Bereich Weizen, unterliegen derzeit aufgrund der hohen Bedeutung der Ukraine und Russlands als Getreideproduzenten, starken Preisschwankungen. Als Maßnahmen zur Reduzierung der Futtermittelengpässe werden bundesweit die Ökologischen Vorrangflächen zur Futtermittelnutzung Seite 9 von 13
freigegeben. Auf Ebene der EU wird zudem die Nutzung der Krisenreserve nach Artikel 219 sowie die private Lager-haltung von Schweinfleisch nach Artikel 17 Gemeinsame Marktordnung geprüft. Die von Berliner Landwirt:innen bewirtschaftete Fläche ist äußerst gering und Tierhaltung findet kaum statt, so dass die akuten Auswirkungen für die Berliner Landwirtschaft vor allem im Bereich der hohen Energiepreise liegen. Diese bestimmen auch in der Ernährungswirtschaft stark die Produktions- und Transportkosten. Zudem besteht eine hohe Abhängigkeit von Gas bei der für die Fleisch- und Getränkeindustrie notwendigen Herstellung von Kohlendioxid. Für die heimische Land- und Ernährungswirtschaft ist es daher von Bedeutung, dass diese als „geschützter Kunde“ im Sinne des §53a Energiewirtschaftsgesetz eingeordnet wird, um Stillstände in Produktionsanlagen zu vermeiden. Dazu finden derzeit Abstimmungen zwischen dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) und BMWK statt. Im Bereich der Verarbeitungsbetriebe und der Ernährungswirtschaft kommt es, durch unterbrochene Lieferketten und/oder stark angestiegener Nachfrage bei einzelnen Produktgruppen zu Verknappungen. Die Ernährungssicherheit in Berlin, Deutschland und der Europäischen Union ist durch einen hohen Selbstversorgungsgrad kurz- und langfristig sichergestellt. Die staatliche Ernährungsnotfallvorsorge wird durch den Bund kontinuierlich aktualisiert. Der Bereich der Ernährungsnotfallvorsorge der SenWEB steht in engem Austausch mit Vertretern des Lebensmitteileinzelhandels sowie der Ernährungswirtschaft und tauscht sich mit den für die Ernährungsnotfallvorsorge zuständigen Referenten in Bund und Ländern in regelmäßigen Runden aus, zuletzt am 30. März; der nächste Termin ist für den 13. April angesetzt. Damit werden mögliche Stressfaktoren für Handel und Ernährungswirtschaft erhoben, um frühzeitig möglichen staatlichen Unterstützungsbedarf zu ermitteln und einen Überblick über die von den Branchen ergriffenen Maßnahmen zu gewinnen. Der Bereich nimmt auch an dem Austausch im Bereich der Energienotfallvorsorge teil, um Möglichkeiten einer Priorisierung der Belieferung der Kritischen Infrastruktur „Ernährung“ für den Fall zu eruieren, dass es aufgrund der Aktivierung des Notfallplans Gas zu Einschränkungen der Gasversorgung der nicht durch das Energiewirtschaftsgesetz priorisierten Kunden der Ernährungswirtschaft kommen sollte. Steigende Lebensmittelpreise sind derzeit in einzelnen Bereichen bereits zu verzeichnen. Insgesamt sind in der Land- und Ernährungswirtschaft durch verschiedene Faktoren steigende Produktions- und Lohnkosten zu verzeichnen. Maßnahmen zur Entlastung der Verbraucher:innen bei steigenden Lebensmittelpreisen, wie bspw. eine Senkung der Mehrwertsteuer auf Obst, Gemüse und Hülsen- früchten werden auf Bundesebene diskutiert. Zunehmende Bedeutung gewinnt auch die Reduzierung der Lebensmittelverschwendung, hier wird SenUMVK verschiedene Maßnahmen im Rahmen der Ernährungsstrategie weiter vorantreiben. Verbraucher:innenschutz im Bereich Energiepreise (SenUMVK) Die aktuelle Situation auf den Energiemärkten hat auch starke Auswirkungen auf die Verbraucher:innen. Bereits vor Beginn des Angriffskrieges Russlands gegen die Ukraine waren Seite 10 von 13