rlp-urteil-vgmainz-18nov2021-geschwarzt
Dieses Dokument ist Teil der Anfrage „Unternehmerbetriebe des Justizvollzugs“
1 K 489/20.MZ VERWALTUNGSGERICHT MAINZ URTEIL IM NAMEN DES VOLKES In dem Verwaltungsrechtsstreit des Herrn Timo Stukenberg, - Kläger - Prozessbevollmächtigte: dka Rechtsanwälte, Immanuelkirchstraße 3-4, 10405 Berlin, gegen das Land Rheinland-Pfalz, vertreten durch den Minister der Justiz, Ernst-Ludwig- Straße 3, 55116 Mainz, - Beklagter - wegen Sonstiges hier: Auskunft nach dem LTranspG hat die 1. Kammer des Verwaltungsgerichts Mainz aufgrund der mündlichen Ver- handlung vom 18. November 2021, an der teilgenommen haben Vizepräsident des Verwaltungsgerichts Dr. Fritz Richter am Verwaltungsgericht Dr. Milker Richterin am Verwaltungsgericht Assion ehrenamtliche Richterin ehrenamtlicher Richter für Recht erkannt:
-2- Unter Aufhebung des Bescheides vom 18. Juni 2020 und des Wider- spruchsbescheides vom 6. Juli 2020 wird der Beklagte verpflichtet, den An- trag des Klägers vom 4. Juni 2020, ihm folgendes zuzusenden: Sämtliche Vereinbarungen zwischen dem rheinland-pfälzischen Justizministerium bzw. der zuständigen nachge- ordneten Behörde und externen Vertragspartnern über die Produktion in sogenannten Unternehmerbetrieben der Justizvollzugsanstalten in Rheinland-Pfalz, insbesondere eine vollständige Liste aller Vertrags- partner mit Vertragsbeginn und Laufzeit, dem jeweils hergestellten Produkt und dem vereinbarten Lieferumfang für jeweils einen Stichtag im Mai 2019 und im Mai 2020, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Das Urteil ist für den Kläger wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages. Tatbestand Der Kläger begehrt auf der Grundlage des Landestransparenzgesetzes (LTranspG) den Zugang zu Informationen betreffend Vereinbarungen des Beklagten mit Unter- nehmerbetrieben in rheinland-pfälzischen Justizvollzugsanstalten. Mit elektronischer Nachricht vom 4. Juni 2020 über die Plattform „www.fragdenstaat.de“ begehrte der Kläger vom Beklagten, ihm sämtliche Verein- barungen zwischen dem Justizministerium des Beklagten bzw. der zuständigen nachgeordneten Behörde und externen Vertragspartnern über die Produktion in so- genannten Unternehmerbetrieben der Justizvollzugsanstalten im Bundesland Rheinland-Pfalz, insbesondere eine vollständige Liste aller Vertragspartner mit Ver- tragsbeginn und Laufzeit, dem jeweils hergestellten Produkt und dem vereinbarten Lieferumfang, zuzusenden, und zwar für jeweils einen Stichtag im Mai 2019 und im Mai 2020. Zur Begründung wies der Kläger auf das Vorliegen einer entsprechenden Liste für das Bundesland Sachsen sowie die Website des Landesbetriebs Vollzugliches Ar- beitswesen Baden-Württemberg mit der Nennung von Vertragspartnern hin. -3-
-3- Nachdem sich der Beklagte über die Identität des Klägers vergewissert hatte, lehnte er den Antrag mit Bescheid vom 18. Juni 2020 ab und führte zur Begründung im Wesentlichen aus: Das Landestransparenzgesetz gelte nach dessen § 3 Abs. 1, Abs. 4 für die Straf- verfolgungs- und Strafvollstreckungsbehörden nur, soweit sie Aufgaben der öffent- lichen Verwaltung wahrnähmen. Vom Begriff der „Strafvollstreckungsbehörden“ in § 3 Abs. 4 LTranspG seien auch die Einrichtungen des Justizvollzuges mitumfasst. Demnach gelte das Landestransparenzgesetz im Justizvollzug nur, soweit Aufga- ben der öffentlichen Verwaltung wahrgenommen würden; denkbar seien hier etwa Personal- oder Gebäudeverwaltungen. Justizvollzugsspezifische Aufgaben seien vom Gesetz nicht mit umfasst. Die Subsumtion des Straf- bzw. Justizvollzuges unter dem Begriff der Strafvollstreckung sei dem deutschen Rechtssystem nicht fremd. Es werde unterschieden zwischen der Strafvollstreckung im weiteren Sinne und der Strafvollstreckung im engeren Sinne. Der Begriff der Strafvollstreckung im weiteren Sinne sei dabei wie der Begriff der Strafverwirklichung zu verstehen und umfasse neben der Strafvollstreckung im engeren Sinne auch den Strafvollzug. Dementspre- chend handele es sich bei Strafvollstreckungsbehörden und den Einrichtungen des Justizvollzuges dann auch gleichermaßen um „Gerichtsverwaltung“ im Sinne des § 4 Abs. 2 Nr. 1 des Deutschen Richtergesetzes (DRiG). Das Vollzugsrecht enthalte zwar ganz überwiegend nur Normen, welche die Art und Weise der Durchführung von Freiheitsentziehungen zum Inhalt hätten, jedoch gebe es neben der begriffli- chen Schnittmenge auch starke inhaltliche Überschneidungen zur Strafvollstre- ckung im engeren Sinne. So wirkten sich beispielsweise vollzugliche Regelungen unmittelbar auf die Strafzeitberechnung aus, die an sich dem Bereich der Strafvoll- streckung im engeren Sinne zugeordnet sei. Wenn § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 LTranspG bei den entgegenstehenden öffentlichen Belangen die „Behörden des Strafvollzuges“ ausdrücklich nenne, so spreche dies nicht gegen die Rechtsauffas- sung des Beklagten. Auch in den verbleibenden Bereichen des Justizvollzuges, für die nach § 3 Abs. 4 LTranspG das Gesetz Anwendung finde (etwa reine Personal- oder Gebäudeverwaltung) gebe es durchaus Konstellationen, wo das Bekanntwer- den der Information die Tätigkeit der Behörden des Strafvollzuges beeinträchtigen würde. Europarechtlich und dadurch mittlerweile auch datenschutzrechtlich werde der Justizvollzug vom Begriff der Strafvollstreckung erfasst, was zum Beispiel für -4-
-4- den Justizvollzug nach einhelliger Meinung aller Länder im Datenschutz den Gel- tungsbereich der EU-Richtlinie 2016/680 eröffne. Es biete sich deshalb an, die Ab- grenzung zwischen dem Anwendungsbereich der Richtlinie und der DSGVO im Jus- tizvollzug (Tätigkeit zu vollzuglichen Zwecken: Richtlinie; nicht vollzugliche Zwecke: DSGVO) auch für die Beurteilung des Anwendungsbereiches von § 3 Abs. 4 LTranspG heranzuziehen. Die Einrichtung von Unternehmerbetrieben im Justizvoll- zug schaffe Arbeitsmöglichkeiten für Gefangene, in deren Rahmen sie Fähigkeiten für ein zukünftiges Leben ohne Straftaten lernen könnten, und diene deshalb der Resozialisierung, dem Vollzugsziel nach § 2 Satz 1 des Landesjustizvollzugsgeset- zes (LJVollzG). Die dem Bescheid vom 18. Juni 2020 beigefügte Rechtsbehelfsbelehrung enthält unter Bezugnahme auf § 68 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) den Hinweis, dass ein Widerspruch nicht statthaft sei und gegen den Be- scheid Klage beim Verwaltungsgericht Mainz erhoben werden könne. Den vom Kläger eingelegten Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbe- scheid vom 6. Juli 2020 als unzulässig zurück: § 22 LTranspG sei nicht einschlägig und damit ein Widerspruchsverfahren nicht statthaft, weil das Landestransparenz- gesetz im vorliegenden Falle aus den im Bescheid vom 18. Juni 2020 dargelegten Gründen keine Anwendung finde. Das Gesetz gelte nämlich für die Strafverfol- gungs- und Strafvollstreckungsbehörden nur, soweit sie Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnehmen. Vom Begriff der „Strafvollstreckungsbehörden“ in § 3 Abs. 4 LTranspG seien auch die Einrichtungen des Justizvollzuges mitumfasst und das Gesetz gelte im Justizvollzug demnach nur, soweit Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrgenommen würden. Justizvollzugsspezifische Aufgaben seien vom Gesetz nicht umfasst. Dem Widerspruchsbescheid ist eine Rechtsbehelfsbe- lehrung mit dem Hinweis auf die Möglichkeit der Klage beim Verwaltungsgericht Mainz beigefügt. Der Kläger hat am 4. August 2020 Klage erhoben, mit der er den Antrag angekün- digt hatte, den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 18. Juni 2020 und des Widerspruchsbescheides vom 6. Juli 2020 zu verpflichten, ihm, dem Kläger, die mit Schreiben vom 4. Juni 2020 angefragten In- formationen zu folgenden Auskunftsbegehren zugänglich zu machen: -5-
-5- Sämtliche Vereinbarungen zwischen dem rheinland-pfälzi- schen Justizministerium bzw. der zuständigen nachgeordneten Behörde und externen Vertragspartnern über die Produktion in sogenannten Unternehmerbetrieben der Justizvollzugsanstal- ten in Rheinland-Pfalz, insbesondere eine vollständige Liste al- ler Vertragspartner mit Vertragsbeginn und Laufzeit, dem je- weils hergestellten Produkt und dem vereinbarten Lieferumfang für jeweils einen Stichtag im Mai 2019 und im Mai 2020 zuzu- senden. Zur Begründung trägt er vor, die Klage sei sowohl zulässig als auch begründet. Ein Widerspruchsverfahren sei durchzuführen gewesen, da es sich auch auf der Grundlage der Rechtsansicht des Beklagten um eine Streitigkeit nach dem Landes- transparenzgesetz handele. Schließlich gehe es gerade um dessen Anwendbarkeit und der Geltungsbereich der Ausnahmeregelung aus § 3 Abs. 4 LTranspG und da- mit auch der geltend gemachte Anspruch seien streitig. Folgte man der Rechtsan- sicht des Beklagten, würde § 22 Satz 3 LTranspG teilweise leerlaufen. Ein Wider- spruchsverfahren wäre nur in den Fällen durchzuführen, in denen die Anwendbar- keit des Gesetzes vom Beklagten nicht in Frage gestellt werde, er den Antrag aber aus anderen Gründen ablehne. Eine solche Unterscheidung ergebe sich nicht aus dem Wortlaut des § 22 LTranspG, der unterschiedslos „Streitigkeiten nach diesem Gesetz“ nenne, ohne zwischen verschiedenen Konstellationen zu differenzieren. Die Klage sei auch begründet, da er, der Kläger, einen Anspruch gemäß § 2 Abs. 2 LTranspG auf Zugänglichmachung der begehrten Information habe. § 3 Abs. 4 LTranspG stehe dem nicht entgegen, da der Strafvollzug nicht zu den Strafvollstre- ckungsbehörden im Sinne der Vorschrift gehöre und außerdem eine Wahrnehmung von Aufgaben der öffentlichen Verwaltung gegeben sei. Der Begriff der Verwal- tungstätigkeit sei weit zu verstehen, es gehe um die Wahrnehmung einer im Öffent- lichen Recht wurzelnden Verwaltungsaufgabe. Hierzu könne auf die Gesetzge- bungsmaterialien (LT-Drs 16/5173, S. 33) und Ziffer 3.3 der Verwaltungsvorschrift zum Landestransparenzgesetz (VV-LTranspG) vom 24. November 2017 (MinBl 2017, 356) sowie die einschlägige Judikatur verwiesen werden. Die Einrichtungen des Justizvollzuges und die von ihm, dem Kläger, begehrten Informationen gehör- ten zum Aufgabenbereich der öffentlichen Verwaltung. Der Justizvollzug gehöre nicht zur Strafvollstreckung, der alle Maßnahmen und Anordnungen umfasse, die auf Verwirklichung, Abänderung sowie befristete oder endgültige Aufhebung einer vom Strafgericht erlassenen Entscheidung gerichtet sei. Vollstreckungsbehörde sei -6-
-6- die Staatsanwaltschaft und der Strafvollzug gehöre nicht zum Vollstreckungsverfah- ren; die Vollstreckung einer gerichtlich angeordneten Freiheitsstrafe bilde lediglich seinen Ausgangspunkt und Rahmen. Es sei nicht nachvollziehbar, warum aus § 4 Abs. 2 Nr. 1 DRiG zu schließen sein solle, der Strafvollzug sei zu den Strafverfol- gungs- und Strafvollstreckungsbehörden zu rechnen, mit der Folge eines Aus- schlusses aus dem Anwendungsbereich des Landestransparenzgesetzes. Das Vollzugsrecht enthalte überwiegend nur solche Normen, welche die Art und Weise der Durchführung von Freiheitsentziehungen zum Inhalt hätten; durch die mögliche Beeinflussung des Strafvollzuges durch strafvollstreckungsrechtliche Maßnahmen ändere sich nichts daran, dass der Vollzug selbst nicht zur Strafvollstreckung ge- höre. Selbst wenn man dem Beklagten darin folgen wollte, der Strafvollzug sei ne- ben der Strafvollstreckung im engeren Sinne von der Strafvollstreckung im weiteren Sinne umfasst und deshalb Strafvollstreckungsbehörde, beträfen die Aufgaben des Strafvollzuges, auf die sich die klägerische Anfrage beziehe, nicht die Kerntätigkei- ten von Strafvollstreckungsbehörden und seien deshalb nicht vom Anwendungsbe- reich des Landestransparenzgesetzes ausgenommen. Im Strafvollzug gehe es um die Ausgestaltung der zu vollstreckenden Strafe, also um das „Wie“ der Bestrafung. Ziel des Strafvollzuges sei die Resozialisierung und diesem Ziel solle auch die Ein- richtung von Unternehmerbetrieben in Justizvollzugsanstalten dienen, sodass sich die streitgegenständliche Anfrage auf eine justizvollzugsspezifische Aufgabe der Einrichtung des Justizvollzuges beziehe und gerade nicht auf eine Aufgabe der Strafvollstreckung. Die Transparenzpflichtigkeit von Strafverfolgungs- und Strafvoll- streckungsbehörden beziehe sich nicht ausschließlich auf Verwaltungstätigkeiten, die in jeder anderen Behörde ebenfalls anfielen; diese Betrachtungsweise sei zu eng. Wenn der Landesgesetzgeber in § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 LTranspG den Straf- und Maßregelvollzug von der strafvollstreckungsrechtlichen Tätigkeit der Staatsan- waltschaft unterscheide und eigenständig benenne, so spreche dies gerade dafür, dass der Vollzug nicht zu den Strafvollstreckungsbehörden gehöre. Wenn der Be- klagte argumentiere, der Justizvollzug werde europarechtlich und datenschutzrecht- lich vom Begriff der Strafvollstreckung erfasst und diese Abgrenzung könne heran- gezogen werden, so sei dem entgegenzuhalten, dass dem Wortlaut von Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 2016/680 nicht zu entnehmen sei, warum die Nennung der Strafvollstreckung den Strafvollzug umfassen solle. Selbst wenn dies der Fall wäre, beziehe sich die klägerische Anfrage vorliegend auf materielle Verwaltungstätigkeit; -7-
-7- im Übrigen sei zu fragen, warum das europarechtliche Verständnis der Strafvollstre- ckung im Bereich des Datenschutzes auf die Auslegung von § 3 Abs. 4 LTranspG übertragen werden sollte. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung erklärt, er stelle den Antrag aus der Klageschrift mit der Maßgabe, dass es sich um einen Bescheidungsantrag handele. Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen. Er ist dem Vortrag des Klägers ausführlich und im Einzelnen unter Bezugnahme und Vertiefung seiner Argumentation in den ablehnenden Bescheiden entgegenge- treten. Ergänzend sei darauf hinzuweisen, dass es um Informationen gehe, welche Belange Dritter berührten. Im Falle einer Anwendbarkeit des Landestransparenzge- setzes müsse den betroffenen Unternehmen vor einer Auskunft erst Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben werden. Wenn externe Vertragspartner in die bean- tragte Auskunftserteilung nicht vollumfänglich einwilligten, sei zu prüfen, ob und wie- weit trotz der Verletzung von Geschäftsgeheimnissen das öffentliche Interesse an der Bekanntgabe überwiege. In diese Abwägung müsse einfließen, welchen großen Stellenwert die von den externen Vertragspartnern geschaffenen Arbeitsmöglich- keiten für die Gefangenen und deren Resozialisierung hätten und welche Auswir- kungen die Veröffentlichung von Unternehmensdaten gegen den ausdrücklichen Willen der Partner für die weitere Zusammenarbeit mit dem Justizvollzug – auch für potentiell neue Partner – hätte. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie ein Heft Verwaltungsakten Bezug genommen; diese Akten haben der Kammer vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen. -8-
-8- Entscheidungsgründe I. Der Kläger begehrt nach der Erklärung seiner Prozessbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung in Abweichung von dem in der Klageschrift angekündigten Verpflichtungsantrag nach § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO lediglich eine Bescheidung gemäß § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO. Hierbei handelt es sich um keine den Vorschrif- ten des § 91 VwGO unterliegende Klageänderung, sondern eine bloße Beschrän- kung des Klageantrages nach § 173 VwGO i.V.m. § 264 Nr. 2 ZPO (vgl. hierzu Riese, in: Schoch/Schneider, Verwaltungsgerichtsordnung, Werkstand 41. EL Juli 2021, § 91 Rn. 13 ff. und W.-R. Schenke, in: Kopp/Schenke, Verwaltungsgerichts- ordnung, 27. Auflage 2021, § 91 Rn. 9, jew. m.w.N.). Die Veränderung des Klage- antrags lässt sich in der vorliegenden Fallgestaltung als eine Präzisierung des Kla- gebegehrens verstehen, da der Klagegrund nicht verändert wird. Klagegrund ist der dem Begehren zugrundeliegende Lebenssachverhalt, d.h. der tatsächliche Vor- gang, das Geschehen, das den Anlass zur Klageerhebung bietet. Dieses Gesche- hen ist hier mit dem Antrag des Klägers auf Zugang zu den vorgenannten, näher beschriebenen Informationen zu beschreiben. Der Lebenssachverhalt, aus dem sich der Bescheidungsanspruch herleitet, ist kein anderer als derjenige, auf den sich der Anspruch auf den bestimmten Verwaltungsakt stützt (vgl. BVerwG, Urteil vom 8. Dezember 1988 – 3 C 45/87 –, juris Rn. 17: Übergang vom Verpflichtungsantrag zum Bescheidungsantrag als bloße „Neuformulierung“). Dies ergibt sich auch aus der in der Fachliteratur vertretenen Kontrollfrage zum Vorliegen einer Klageände- rung: „Könnte das neue Begehren – zwischen denselben Beteiligten oder zwischen veränderten Beteiligten – selbständig anhängig gemacht werden, ohne dass ihm die Rechtshängigkeit entgegenstünde? Eine positive Antwort spricht für eine Klageän- derung.“ (s. Nachweis bei Riese, a.a.O., Rn. 15). Im vorliegenden Fall wäre die Ant- wort negativ. Die Klage ist zulässig (II.) und begründet (III.). II. Der Verwaltungsrechtsweg ist gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO eröffnet. § 22 Satz 1 LTranspG kommt demgegenüber nur deklaratorische Wirkung zu. Denn dem -9-
-9- Landesgesetzgeber fehlt es an der Gesetzgebungskompetenz für eine aufdrän- gende Sonderzuweisung (vgl. § 40 Abs. 1 Satz 2 VwGO; VG Mainz, Urteile vom 30. März 2017 – 1 K 1480/15.MZ –, juris, Rn. 46 und vom 7. Oktober 2021 – 1 K 451/20.MZ –). Die Klage ist nach § 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO als Verpflichtungsklage in Gestalt der Bescheidungsklage mit dem Ziel eines Bescheidungstenors nach § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO statthaft (zur Zulässigkeit der Bescheidungsklage s. R. P. Schenke, in: Kopp/Schenke, a.a.O., § 42 Rn. 8 m.w.N.). Bei der Ablehnungsentscheidung des Beklagten handelt es sich um einen Verwaltungsakt im Sinne von § 35 Satz 1 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG). Nach § 22 Satz 2 LTranspG sind gegen die Entscheidung über den Informationszugang Widerspruch und Klage zulässig. Der Gesetzgeber selbst hat damit vorgesehen, dass über den Informationszugang nach dem Landestransparenzgesetz durch Verwaltungsakt entschieden wird (so auch die Ziffern 12.4.1 und 22 VV-LTranspG). Denn nach § 68 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 VwGO ist der Widerspruch nur gegen einen Verwaltungsakt und die Ableh- nung der Vornahme eines Verwaltungsaktes zulässig (vgl. VG Mainz, Urteil vom 30. März 2017, a.a.O., juris, Rn. 47). Außerdem hat der Beklagte selbst seine Ent- scheidung vom 18. Juni 2020 durch die Bezeichnung „Bescheid“ und die Beifügung einer Rechtsbehelfsbelehrung als Verwaltungsakt im Sinne des § 35 Satz 1VwVfG rechtlich qualifiziert. Der Kläger ist gemäß § 42 Abs. 2 VwGO i. V. m. § 2 Abs. 2, Abs. 1 LTranspG kla- gebefugt. Er hat ferner das in § 68 Abs. 2, Abs. 1 VwGO i. V. m. § 22 Sätze 2 und 3 LTranspG geregelte Vorverfahren zulässigerweise durchgeführt. Der gegen den Bescheid vom 18. Juni 2020 gemäß § 70 VwGO form- und fristge- recht eingelegte Widerspruch war entgegen der Rechtsansicht des Beklagten statt- haft, da eine Streitigkeit nach dem Landestransparenzgesetz vorliegt, für welche § 22 Satz 2 LTranspG die bundesrechtlich in § 68 Abs. 2, Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 VwGO eröffnete Möglichkeit der Nachprüfung in einem Vorverfahren vorschreibt. Ob eine „Streitigkeit nach diesem Gesetz“ – also eine solche im Sinne des § 22 Satz 1 LTranspG – gegeben ist, beurteilt sich nach der Natur des Rechtsverhältnisses, aus dem der Klageanspruch hergeleitet wird. Transparenzrechtlich sind Streitigkeiten, wenn sie sich als Folge eines Sachverhaltes darstellen, der nach den Vorschriften - 10 -
- 10 - des Landestransparenzgesetzes zu beurteilen ist. Die Natur des zugrundeliegen- den Rechtsverhältnisses bemisst sich nach dem erkennbaren Ziel von Widerspruch oder Klage, wie es im Antrag und den ihm zugrundeliegenden Sachverhalt seinen Ausdruck findet. Es genügt, dass der geltend gemachte Anspruch möglich ist; ob er tatsächlich besteht, ist eine Frage der Begründetheit. Maßgeblich ist allein die wirk- liche Natur des behaupteten Rechtsverhältnisses bzw. Anspruchs (zu diesen Krite- rien bei der Bestimmung des Rechtsweges nach § 40 Abs. 1 VwGO s. Ruthig, in: Kopp/Schenke, a.a.O., § 40 Rn. 6 m.w.N.). Diese Auslegung des § 22 LTranspG entspricht im Übrigen der Intention des Ge- setzgebers, wie sie sich aus den Gesetzgebungsmaterialien ergibt. Danach soll das gemäß § 22 Satz 2 LTranspG abweichend von § 68 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 VwGO vorgesehene Vorverfahren „die Selbstkontrolle der Verwaltung stärken und die Ver- waltungsgerichte entlasten“ (LT-Drs 16/5173, S. 48). Zur Selbstkontrolle gehört auch die Überprüfung der Frage, ob ein geltend gemachter Anspruch zu Recht be- reits deshalb abgelehnt wurde, weil die Behörde den Anwendungsbereich des Ge- setzes als nicht gegeben erachtete. Hier begehrt die Klägerin mit ihrem Antrag Zugang zu Informationen des Beklagten nach § 2 LTranspG. Der geltend gemachte Anspruch wurzelt daher in einem trans- parenzrechtlichen Rechtsverhältnis. An der Qualität dieses Rechtsverhältnisses und damit am Vorliegen einer Streitigkeit nach dem Landestransparenzgesetz än- dert sich auch dann nichts, wenn bereits die Anwendbarkeit des Gesetzes im Rah- men der Begründetheitsprüfung verneint wird. Der Kläger hat weiterhin die Klagefrist des § 74 Abs. 2, Abs. 1 VwGO gewahrt, da seine Klage binnen eines Monats nach Zustellung des Widerspruchsbescheides er- hoben worden ist. Der Zulässigkeit der Bescheidungsklage steht schließlich nicht deshalb ein fehlen- des Rechtsschutzinteresse entgegen, weil die Entscheidung über den Anspruch auf Zugang nach § 2 LTranspG einen rechtlich gebundenen Verwaltungsakt darstellt, sodass die Verpflichtungsklage nach § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO sich als ein weiter- reichender Rechtsschutz erwiese (vgl. hierzu W.-R. Schenke/R. P. Schenke, in: - 11 -