Zum überarbeiteten Entwurf für eine Richtlinie über angemessene Mindestlöhne in der Europäischen Union

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Zum überarbeiteten Entwurf für eine Richtlinie über angemessene
Mindestlöhne in der Europäischen Union

 

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Zum überarbeiteten Entwurf für eine Richtlinie über angemessene Mindestlöhne in der
Europäischen Union

Aktenzeichen: PE 6 - 3000 - 059/21
Abschluss der Arbeit: 1. November 2021
Fachbereich: PE 6: Fachbereich Europa

 

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—. .— .

Inhalitsverzeichnis
1. Einleitung 4
2. Art. 5 des überarbeiteten Entwurfs für eine Richtlinie über

angemessene Mindestlöhne in der Europäischen Union 4
3. Bewertung des überarbeiteten Art. 5 Abs. 3 5

4. Zusammenfassung 8
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„a

. Einleitung

Der Fachbereich Europa ist um die Beantwortung der Frage ersucht worden, ob die vom
Auftraggeber mitgeteilte Fassung des Art. 5 Abs. 3 des überarbeiteten Entwurfs für eine Richtlinie
über angemessene Mindestlöhne in der Europäischen Union, die nach dessen Ansicht die
Verwendung von verbindlichen Kriterien in Form von festen prozentualen Teilen am jeweiligen
nationalen Median- oder Durchschnittslohn zur Beurteilung der Angemessenheit der
gesetzlichen Mindestlöhne vorschreibt, mit Art. 153 Abs. 5 AEUV vereinbar wäre.

DS

. Art. 5 des überarbeiteten Entwurfs für eine Richtlinie über angemessene Mindestlöhne in
der Europäischen Union
4

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Il!

3. Bewertung des überarbeiteten Art. 5 Abs. 3

Um die Vereinbarkeit des überarbeiteten Art. 5. Abs. 3 mit Art. 153 Abs. 5 AEUV beurteilen zu
können, bedarf es einer Gesamtschau des überarbeiteten Richtlinienentwurfs. u
5

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a . . —.—.,. —.—.—.—.

Regelung des AEUV

Art. 153 AKUV ist die zentrale Kompetenzgrundlage für die Sozialpolitik der Union und
insbesondere das Arbeitsrecht. Für die in Art. 153 Abs. 1lit. a bis i AEUV ausdrücklich
genannten Bereiche besitzt die Union eine Richtlinienkompetenz (vgl. Art. 153 Abs. 2 lit. b
AEUV) im Rahmen einer geteilten Zuständigkeit mit den Mitgliedstaaten (nach Art. 4 Abs. 2
lit. b) AEUV).? Dabei hat die Union das Subsidiaritätsprinzip und den Verhältnismäßigkeits-
grundsatz (Art. 5 Abs. 3, 4 EUV) zu beachten.

Art. 153 Abs. 1 lit. b AEUV benennt die Arbeitsbedingungen als Regelungsgegenstand mit dem
die Union die Tätigkeit der Mitgliedstaaten unterstützt und ergänzt. Was an dieser Stelle unter
diesem Begriff zu verstehen ist, ist nicht abschließend geklärt. Einigkeit besteht insoweit, dass
jedenfalls der Inhalt und die Begründung von Arbeitsverhältnissen von ihm erfasst sind und in
den Grenzen des Art. 153 Abs. 5 AEUV auch das Arbeitsentgelt dazu zählt.'° Der Generalanwalt
führte dazu aus, dass das Arbeitsentgelt „eine wesentliche Arbeitsbedingung darlstellt], vielleicht
sogar die wichtigste [...]“."'

Art. 153 Abs. 5 AEUV ist mit dem EuGH’? als Ausnahmevorschrift eng auszulegen und schließt
lediglich die Festlegung der Höhe des Arbeitsentgeltes aus, nicht jedoch sämtliche Regelungen,
die in einem wie auch immer gearteten Zusammenhang mit dem Arbeitsentgelt stehen.‘ Der
EuCH führte zu Art. 153 Abs. 5 AEUV aus. „dass diese Ausnahme so zu verstehen ist, dass sie
sich auf Maßnahmen wie eine Vereinheitlichung einzelner oder aller Bestandteile und/oder der
Höhe der Löhne und Gehälter oder die Einführung eines Mindestlohns bezieht, mit denen das
Unionsrecht unmittelbar in die Festsetzung der Arbeitsentgelte innerhalb der Union eingreifen
würde. Sie lässt sich jedoch nicht auf alle mit dem Arbeitsentgelt in irgendeinem Zusammenhang
stehenden Fragen erstrecken, ohne dass einige in Art. 153 Abs. 1 AEUV aufgeführte Bereiche
eines großen Teils ihrer Substanz beraubt würden [...].“* Auch zur gleichlautenden Vorgänger-
vorschrift urteilte er bereits, dass die Ausnahmevorschrift der Union „eine Gesetzgebungs-
zuständigkeit für die Festlegung eines Mindestlohns auf Gemeinschaftsebene versage“, aber einer

8 Rebhahn/Reiner, in: Schwarze, EU-Kommenter, 4. Auflage 2019. Art. 153 AEUV, Rn. 1.

Vgl. dazu auch Meyer, ZESAR 2020, 201 (205).

Langer, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, 7. Auflage 2015, Art. 153 AEUV
Rn. 20; Meyer, ZESAR 2020, 201 (205) und Maul-Sartori, in; Boecken/Düwel//Diller/Hanau. Gesarntes Ar-
beitsrecht, 1. Auflage 2016, Art. 153 AEUV, Rn. 23, subsumieren darüber hinaus das gesamte Arheitsver-
tragsrecht unter die Arbeitsbedingungen im Sinne des Art. 153 Abs. 1 lit b AEUV.

11 > rn 2 .
Schlussanträge des Generalanwalts in den verb. Rs. C-501/12 bis C-506/12, C-540/12 und C 541/12, Rn. a8

EuGH, Urt. v. 19 .06.2014, verb. Rs. G-501/12 bis C-506/12, C-540/12 und C-54 1/12 Rn. 33; EuGH. Urt V
- 3
10.06.2010. verb. Rs, C-395 /08 und ut /0 ’ Rn. 3 5; KuGl v Urt. . 15.04.2008 Rs. C-268/06 Rn. 3
7, 95 G-3% 8 zu A V DNS 26 ‘

Meyer, ZESAR 2020, 201 (205); Maul-Sartori, in: Boecken/Düwell/Diller/Hanan. Ges

1. Auflage 2016, Art. 153 AEUV, Rn. 24. amtes Arbeitsrecht,

14 RUC r
EuGH, Urt. v. 19.06.2014, verb. Rs. C-501/12 bis C-506/12, C-540/12 und C-541/12 Rn. 33
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„Einbeziehung von Materien wie Arbeitsentgelt und Versorgungsbezüge in den Begriff
‚Arbeitsbedingungen' [...] nicht entgegenstehe“.'

Die Regelung des Art. 153 Abs. 5 AEUV beschränkt aber jedenfalls dann die Richtlinienkom-
petenz der Union, soweit es um die unmittelbare Festsetzung der Höhe eines Mindestlohns
geht." Insoweit dürfte sie auch keine verbindlichen Kriterien vorgeben, etwa in Form eines
festen prozentualen Teils am jeweiligen nationalen Median- oder Durchschnittsichn. u

           

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Überarbeiteter Richtlinienentwurf

 

-
a

EuGH, Urt. v. 15.04.2008, Rs. C-268/06, Rn. 35.

-
=

Kocher, in: Pechstein/Nowak/Häde, Frankfurter Kommentar EUV/GRV/AEUV, 1. Auflage 2017, Art. 153 AEUV
Rn. 120; Gutachten des Juristischen Dienstes vom 9. März 2021. Rn. 60. 68. Ratsdoknr. 681 7124, VS-NfD u

je

Meyer, ZESAR 2020, 201 (205); Rebhahn/Reiner, in: Schwarze, EU-Kommentar, 4, Auflage 2019, Art. 153
AEUV. Rn. 64; 2.A. wohl Botsch/Hochscheidt, Soziale Sicherheit 8-9/2020, 296 (297, 299).
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>

Zusammenfassung

  

Eine solche Regelung ist nach hiesiger Auffassung mit Art. 153 Abs. 5 AEUV vereinbar, da keine
(relative) Festsetzung der Höhe des Arbeitsentgelts erfolgt. Die Mitgliedstaaten werden „ledig-
lich“ zur Verwendung von Richtwerten — wobei beispielhaft 60% des Bruttomedianlohns bzw.
50% des Bruttodurchschnittslohns genannt werden - zur Beurteilung der Angemessenheit eines
gesetzlichen Mindestlohns angehalten.

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