051519_Kabinett_Modernisierung_Strafverfahren1

Dieses Dokument ist Teil der Anfrage „Verschleierungsverbot

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Eckpunkte zur Modernisierung des Strafverfahrens Mai 2019
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-2- 1. Bündelung der Nebenklagevertretung Die Bündelung der Nebenklagevertretung soll zum einen die wirksame und nachhaltige Wahrnehmung der Opferinteressen in der Hauptverhandlung ermöglichen. Zum anderen sollen Verfahrensverzögerungen vermieden und die „Waffengleichheit“ als konstituieren- des Element einer fairen Verfahrensführung sichergestellt werden. Die Regelungsziele sollen durch die Änderung der Vorschriften zur Bestellung eines Bei- stands bzw. über die Prozesskostenhilfe gemäß § 397a der Strafprozessordnung (StPO) erreicht werden. Inhalt der Regelung: 1.  Das Gericht soll nach der Neuregelung mehreren Nebenklägern, die gleichgerichte- te Interessen verfolgen, nur einen Nebenklagevertreter (Mehrfachvertretung) bei- ordnen können. 2.  Bei seiner Ermessensentscheidung bildet das Gericht Gruppen von Nebenklägern anhand einer Abwägung zwischen den Verfahrensrechten des Angeklagten einer- seits und der Nebenklage andererseits bei Berücksichtigung verschiedener Interes- sen und von Verfahrensdauer und -effizienz. Gleichgerichtete Interessen sollen da- bei in der Regel in den Fällen des § 395 Absatz 2 Nummer 1 StPO (Kinder, Eltern, Geschwister, Ehegatten und Lebenspartner einer getöteten Person) anzunehmen sein. In der Gesetzesbegründung soll klargestellt werden, dass die Aufzählung nicht abschließend ist und gleichgerichtete Interessen auch bei den Angehörigen mehre- rer Opfer von Terroranschlägen oder Großschadenereignissen gegeben sein können. 3.  Die Neufassung soll auch eine Regelung zur Kostentragung enthalten. Es soll si- chergestellt werden, dass der Angeklagte im Fall seiner Verurteilung die Kosten zu tragen hat, die durch die Tätigkeit eines Nebenklägervertreters entstanden sind, der im weiteren Verlauf nicht als Gruppenvertreter in der Hauptverhandlung beigeordnet worden ist. Die vorgeschlagene Neuregelung wird zu einer fiskalischen Entlastung der Länder führen, da die Anzahl der Beiordnungen sinken wird. Zudem greift sie schonend in die bisherigen Rechte des Nebenklägers ein und belässt ihm die Möglichkeit, zusätzlich einen Individu- albeistand seines Vertrauens auf eigene Kosten zu beauftragen. Weitere Einschränkun- gen der Nebenklagebefugnisse erscheinen aus diesem Grund nicht erforderlich. Änderungsbedarf: Neu zu schaffender § 397b StPO („Mehrfachvertretung“).
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-3- 2. Ausweitung der Nebenklageberechtigung auf alle Vergewaltigungstatbestände Die Beiordnung eines Opferanwalts ist insbesondere in sämtlichen Vergewaltigungsfällen sachgerecht, und zwar auch, wenn keine Gewalt angewendet und auch nicht mit Gewalt gedroht wird, sondern ein Handeln gegen den erkennbaren Willen vorliegt. Inhalt der Regelung: Es soll Opfern von Straftaten nach dem durch die letzte Reform des Sexualstrafrechts deutlich erweiterten und neu gefassten § 177 des Strafgesetzbuches (StGB) auch dann ermöglicht werden, einen Opferanwalt nach § 397a Absatz 1 Nummer 1 StPO beigeord- net zu bekommen, wenn nur ein Vergehen vorliegt, jedoch die Voraussetzungen eines Regelbeispiels für einen besonders schweren Fall (§ 177 Absatz 6 StGB) erfüllt sind. Die Bestellung des Opferanwalts entspricht in dieser Fallvariante der alten Rechtslage, in der auch Opfern des – nunmehr aufgehobenen und in § 177 StGB integrierten – § 179 StGB ein Opferanwalt nach § 397a StPO beigeordnet werden konnte. Hierdurch soll zu- gleich einem Anliegen des Bundesrates Rechnung getragen werden (vgl. Stellungnahme des Bundesrates und Gegenäußerung der Bundesregierung zu dem Entwurf eines Ge- setzes zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/680 im Strafverfahren sowie zur Anpas- sung datenschutzrechtlicher Bestimmungen an die Verordnung (EU) 2016/679, Bundes- tagsdrucksache 19/5554). Änderungsbedarf: Änderung des § 397a Absatz 1 Nummer 1 StPO.
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-4- 3. Vereinfachung des Befangenheitsrechts Die Möglichkeiten, Hauptverhandlungen durch – statistisch gesehen – in aller Regel un- begründete Befangenheitsanträge zu obstruieren, sollen verringert werden. Inhalt der Regelung: 1.  Der bisher geltende, aber mit diversen Ausnahmen versehene Grundsatz der War- tepflicht bei Stellung eines zulässigen Befangenheitsantrags, wonach lediglich un- aufschiebbare und im Übrigen keine Verfahrenshandlungen mehr vom abgelehnten Richter vorgenommen werden dürfen, soll abgeschafft werden. 2.  Stattdessen soll für vor oder nach Beginn der Hauptverhandlung gestellte Ableh- nungsgesuche eine Fristenregelung eingeführt werden. Danach soll über Befangen- heitsgesuche in der Regel innerhalb einer Frist von zwei Wochen oder aber (falls dieser nach Fristablauf liegt) bis zum Beginn des übernächsten Verhandlungstages entschieden werden. 3.  Als absolut spätester Zeitpunkt für die Entscheidung soll der Zeitpunkt vor der Ur- teilsverkündung bestimmt werden. 4.  Innerhalb dieser Grenzen soll der abgelehnte Richter an der Hauptverhandlung mit- wirken dürfen. 5.  Beibehalten werden soll der Grundsatz der Wartefrist hingegen mit Blick auf Ent- scheidungen, die auch außerhalb der Hauptverhandlung ergehen können (§ 29 Ab- satz 2 Satz 3 StPO). 6.  Befangenheitsanträge, deren Gründe bis zur Mitteilung über die Besetzung bereits bekannt geworden sind, müssen – gegebenenfalls gemeinsam mit der Besetzungs- rüge (vgl. Eckpunkt 5) – innerhalb einer Woche ab Zustellung der Besetzungsmittei- lung gestellt werden; anderenfalls präkludieren sie. In der Gesetzesbegründung soll zudem klargestellt werden, dass Unterbrechungsersu- chen zum Zwecke der Antragsprüfung schon nach geltender Rechtslage im Rahmen der Sachleitungsbefugnis des Vorsitzenden unterbunden werden können. Ein Regelungsbe- darf besteht insoweit nicht. Änderungsbedarf: Neufassung des § 29 StPO.
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-5- 4. Vereinfachung des Beweisantragsrechts Um missbräuchlich gestellte Beweisanträge leichter ablehnen zu können, sollen die Vo- raussetzungen für die Annahme der Verschleppungsabsicht abgesenkt werden. Inhalt der Regelung: 1.   Der gesetzliche Ablehnungsgrund der Verschleppungsabsicht gemäß § 244 Absatz 3 Satz 2 Variante 6 StPO soll in der Weise präzisiert werden, dass er in objektiver Hinsicht nicht mehr die Eignung der verlangten Beweisaufnahme zu einer „wesentli- chen“ Verzögerung des Verfahrens verlangt. Das Erfordernis der „wesentlichen“ o- der „erheblichen“ Verzögerung hat bislang maßgeblich dazu beigetragen, dass der Ablehnungsgrund der Verschleppungsabsicht in der juristischen Praxis lediglich ein Schattendasein fristet. 2.   In § 244 StPO soll klargestellt werden, dass die Frage, ob ein Beweisantrag nur der Prozessverschleppung dient, der Würdigung des Instanzgerichts obliegt. Somit wird deutlich, dass das Tatgericht (und nicht das Revisionsgericht) den Ablehnungsgrund der Verschleppungsabsicht selbst zu würdigen hat, was sich auf die Begründungs- anforderungen auswirkt. 3.   Im Übrigen soll gesetzlich klargestellt werden, dass es einer Ablehnung nicht entge- gensteht, wenn neben der Verzögerung weitere verfahrensfremde Zwecke verfolgt werden, etwa politische Propaganda, die Diskreditierung Dritter oder eine Nötigung des Gerichts. 4.   Die Anforderungen an das Vorliegen eines Beweisantrags, der – im Gegensatz zu einem Beweisermittlungsantrag – nur unter den strengen Voraussetzungen von § 244 Absatz 3 und 4, § 245 Absatz 2 StPO abgelehnt werden darf, sollen gesetz- lich definiert und präzisiert werden. Bislang enthält die StPO hierzu nur rudimentäre Bestimmungen, und auch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes bietet hier kein vollständig einheitliches Bild. Bei der Legaldefinition soll deshalb das bislang richterrechtlich determinierte Erfordernis der Konnexität von Beweistatsache und Beweismittel im Gesetz verankert werden. In der Gesetzesbegründung soll zudem klargestellt werden, dass Sinn und Zweck des § 244 Absatz 6 StPO eine erneute Fristsetzung nur bei solchen Beweisanträgen erfordert, die sich aus der Beweisaufnahme nach Wiedereintritt ergeben. Änderungsbedarf: Änderung des § 244 Absatz 3 StPO.
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-6- 5. Vorabentscheidungsverfahren für Besetzungsrügen Besetzungsrügen sollen künftig vor oder zu Beginn einer Hauptverhandlung abschließend durch ein höheres Gericht beschieden und auf diese Weise der Revision entzogen wer- den. Inhalt der Regelung: 1.  Für Strafverfahren im ersten Rechtszug vor den Land- und Oberlandesgerichten soll für Besetzungsrügen eine Frist von einer Woche ab der Zustellung der Beset- zungsmitteilung gelten, die auch bereits mehrere Wochen vor dem Beginn der Hauptverhandlung erfolgen kann. 2.  Wird die Besetzungsrüge fristgerecht erhoben, soll zunächst das Ausgangsgericht über den Einwand vorschriftswidriger Besetzung entscheiden. 3.  Im Fall der Nichtabhilfe soll in landgerichtlichen Verfahren das Oberlandesgericht und in oberlandesgerichtlichen Verfahren der Bundesgerichtshof über die Beset- zungsrüge entscheiden. 4.  Diese Entscheidung soll abschließend sein. Die Revision kann darauf nicht mehr gestützt werden. 5.  Wird die Besetzung innerhalb der Frist nicht angegriffen, präkludiert das Rügerecht. Die Rüge kann dann ebenfalls nicht mehr mit der Revision erhoben werden. 6.  Kann das Gericht die Besetzung – etwa aus organisatorischen Gründen – erst zu Beginn der Hauptverhandlung mitteilen, verbleibt es im Ausgangspunkt bei der bis- herigen Regelung: Das Gericht kann auf Antrag die Hauptverhandlung unterbrechen (§ 222a Absatz 2 StPO). Auch in diesem Fall soll die einwöchige Rügefrist gelten. 7.  Wird die Besetzung sodann fristgerecht gerügt, entscheidet die nächste Instanz – gegebenenfalls parallel zur laufenden Hauptverhandlung – über den Besetzungs- einwand abschließend. Die geplante Neuregelung versetzt den Vorsitzenden durch die Wahl des Zeitpunkts der Besetzungsmitteilung in die Lage, etwaige Besetzungsrügen schon (deutlich) vor Beginn der Hauptverhandlung abschließend klären zu lassen. Die Überprüfung des Rechts auf den gesetzlichen Richter wird dadurch der revisionsrechtlichen Kontrolle weitestgehend entzogen. Änderungsbedarf: Änderung der §§ 222b, 338 Absatz 1 StPO.
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-7- 6. Harmonisierung der Unterbrechungsfristen mit Mutterschutz und Elternzeit Zur Stärkung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf einerseits sowie zur Verhinderung des „Platzens“ von Prozessen andererseits sollen die Fristen zur Unterbrechung der Hauptverhandlung mit den Schutzfristen des vor- und nachgeburtlichen Mutterschutzes harmonisiert werden. Damit soll zugleich ein Beschluss der Konferenz der Justizministe- rinnen und Justizminister vom 9. November 2017 umgesetzt werden. Inhalt der Regelung: 1.  Eingeführt werden soll eine Hemmung des Laufes der Unterbrechungsfristen gemäß § 229 Absatz 1 und 2 StPO für die Dauer des nachgeburtlichen sowie des (in An- spruch genommenen) vorgeburtlichen Mutterschutzes. 2.  Hemmungsbeginn soll bei Inanspruchnahme des nachgeburtlichen Mutterschutzes der voraussichtliche Tag der Entbindung sein, wobei die Dauer der Hemmung bei späterer Entbindung um die Zeit zwischen voraussichtlichem und tatsächlichem Termin verlängert wird. 3.  Wird auch vorgeburtlicher Mutterschutz in Anspruch genommen, soll die Hemmung mit dessen Beginn einsetzen. 4.  Die (gehemmten) Unterbrechungsfristen sollen dann – parallel zu § 229 Absatz 3 StPO – frühestens zehn Tage nach Ablauf der Hemmung enden. 5.  Über die Einführung von Hemmungstatbeständen bei Mutterschutz hinaus sollen weitere neue Gründe für eine maximal zweimonatige Unterbrechung der Hauptver- handlung – zum Beispiel für insbesondere von Vätern in Anspruch genommene kür- zere Elternzeiten – im Gesetz verankert werden. Änderungsbedarf: Anpassung des § 229 StPO.
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-8- 7. Erweiterung der DNA-Analyse Um Anhaltspunkte für das Aussehen eines unbekannten Spurenlegers zu gewinnen, soll durch Änderung von § 81e Absatz 2 StPO ermöglicht werden, dass auch an aufgefunde- nem, sichergestelltem und beschlagnahmtem Material molekulargenetische Untersuchun- gen vorgenommen werden können, die die Bestimmung der Haar-, Augen und Hautfarbe sowie des Alters des Spurenlegers mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit ermöglichen. Inhalt der Regelung: Dem § 81e Absatz 2 StPO soll ein Satz angefügt werden, der molekulargenetische Un- tersuchungen an aufgefundenem, sichergestelltem oder beschlagnahmtem Material auch hinsichtlich der wahrscheinlichen Haar-, Augen und Hautfarbe sowie des Alters des Spurenlegers erlaubt. Änderungsbedarf: Änderung des § 81e Absatz 2 StPO.
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-9- 8. Bekämpfung des Einbruchdiebstahls Bei Verdacht insbesondere eines serienmäßig begangenen Einbruchdiebstahls in eine dauerhaft genutzte Privatwohnung (§ 244 Absatz 4 StGB) soll den Ermittlungsbehörden die Überwachung und Aufzeichnung der Telekommunikation ermöglicht werden (TKÜ- Befugnis). Inhalt der Regelung: Der Katalog des § 100a Absatz 2 StPO soll um den Einbruchdiebstahl in eine dauerhaft genutzte Privatwohnung (§ 244 Absatz 4 StGB) erweitert werden. In der Gesetzesbegründung wird klargestellt, dass die Anordnung einer TKÜ-Maßnahme in diesen Fällen voraussetzt, dass die Tat auch im Einzelfall schwer wiegt und die Erfor- schung des Sachverhalts auf andere Weise wesentlich erschwert oder aussichtslos wäre. Es wird dabei herausgestellt werden, dass dies insbesondere bei serienmäßiger Bege- hung der Fall sein kann, und dass eine Einzeltat, bei der nichts Wertvolles gestohlen wur- de und die Privatsphäre der Geschädigten nicht intensiv beeinträchtigt wurde, eher nicht „im Einzelfall schwer wiegt“. Die Regelung soll zunächst auf fünf Jahre befristet sein und evaluiert werden. Änderungsbedarf: Änderung des § 100a Absatz 2 Nummer 1 Buchstabe j StPO.
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- 10 - 9. Qualitätsstandards für Gerichtsdolmetscher Die Standards für die Beeidigung von Gerichtsdolmetschern sind in den Ländern sehr un- terschiedlich ausgestaltet. Die Anforderungen sowohl für die persönlichen als auch für die fachlichen Voraussetzungen unterscheiden sich erheblich. Die einheitlichen Standards müssen festgelegt werden. Dabei könnten hohe Standards durch ein auf Grund der kon- kurrierenden Gesetzgebung des Bundes neu zu erlassendes Gerichtsdolmetschergesetz festgelegt werden. Eine Abweichung der Länder von diesem Standard wäre dann nicht mehr möglich. Inhalt der Regelung: 1.  Die Pflichten, denen ein Gerichtsdolmetscher nachkommen muss, namentlich die gewissenhafte und unparteiische Ausführung der Tätigkeit und Verschwiegenheit, sollen gesetzlich festgelegt werden. 2.  Es soll ein bundeseinheitliches, öffentliches Verzeichnis aller beeidigten Dolmet- scher geschaffen werden. 3.  Die Zuständigkeit für die öffentliche Bestellung und allgemeine Beeidigung der Dol- metscher und Übersetzer sowie deren persönlichen Voraussetzungen sollen festge- legt werden. 4.  Schließlich sollen fachliche Standards im Sinne des Beschlusses der Kultusminis- terkonferenz vom 12. März 2004 über die Richtlinie zur Durchführung und Anerken- nung von Prüfungen für Übersetzer/innen, Dolmetscher/innen und Gebärdendol- metscher/innen normiert werden. Änderungsbedarf: Änderung des § 189 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) sowie Schaffung eines Gerichtsdolmetschergesetzes, in dem die Voraussetzungen für die Beei- digung, die persönliche und fachliche Eignung der Dolmetscher geregelt werden.
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