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Dieses Dokument ist Teil der Anfrage „Virtuelle Rekonstruktion von Stasi-Unterlagen: ITZ Bund

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BR

BETREFF
DATUM
ANLAGEN

Der Bundesbeauftragte für die Unterlagen
des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen
Deutschen Demokratischen Republik

Björn Deicke
BStU, 10106 Berlin Direktor

HAUSANSCHRIFT Karl-Liebknecht-Str. 31/33, 10178 Berlin
POSTANSCHRIFT 10106 Berlin

ITZ Bund INTERNET  Www.bstu.de

Der Direktor Z——

Dr. Alfred Kranstedt ”

ann auer Promenade 28 e.maL Direktor@bstu.bund.de

MEIN ZEICHEN

Elektronische Rekonstruktion von Schriftgut

05. Sep. 2017

Sehr geehrter Herr Dr. Kranstedt,

ich wende mich an Ihre Behörde mit der Bitte, eine eventuelle temporäre Übernahme der Pha-
se der Projektentwicklung bei einem anwendungsorientierten Forschungsprojekt zu prüfen.

Der Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen hat auf Initiative des Deutschen Bundestages
einen Forschungsauftrag an das Fraunhofer Institut für Produktionsanlagen und Konstrukti-
onstechnik (IPK) vergeben, um vom Staatssicherheitsdienst der DDR in seiner Auflösungs-
phase zerrissene Unterlagen computergestützt („virtuell“) zu rekonstruieren. Dem Auftrag-
nehmer ist es gelungen, eine Rekonstruktionssoftware zu entwickeln, die digitalisierte
Schnipsel anhand bestimmter Merkmale zusammensetzen kann; Mitarbeiterinnen und Mitar-
beiter meines Hauses unterstützen die Software. Dieses System ist allerdings für einen Mas-
senbetrieb noch nicht hinreichend entwickelt, insbesondere mangelt es an einem leistungsfä-
higen Scanner.

Der Deutsche Bundestag als Initiator hat großes Interesse an der Fortführung des Projekts und
hat, damit größere Mengen rekonstruiert werden können, dazu weitere Mittel bereitgestellt.
Gleichzeitig ist unsere Behörde an die sparsame Verwendung öffentlicher Mittel gebunden.
Der diesbezüglich involvierte Bundesrechnungshof steht zwar unserem Konzept (siehe Anla-
ge) der Fortführung des Projekts wohlwollend gegenüber, hat uns aber gebeten zu prüfen, ob
andere Bundesbehörden aufgrund verwandter fachlicher Aufgaben und mehr Expertise im
technischen Bereich ein solches Projekt federführend fortsetzen könnten.

Als zentraler Dienstleister des Bundes für andere Behörden bei IT-Innovationen möchte ich
Sie deshalb bitten zu prüfen, ob Sie sich die Durchführung des Projekts vorstellen könnten.
Den derzeitigen Verfahrensstand und die vorgesehenen nächsten Schritte können Sie der An-
lage entnehmen.
1

seıre2von2 Vorausgesetzt wäre dabei, dass Sie auf Basis einer Verwaltungsvereinbarung im Forschungs-
projekt die zerrissenen Unterlagen nach den datenschutzrechtlichen Bestimmungen des Stasi-
Unterlagen-Gesetzes behandeln und dabei durch Personal unseres Hauses assistiert würden.

Für Erläuterungen stehe ich gern zur Verfügung.

Mit freundlichen Grüßen

Auf

Björn Deicke
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Überblick zum Verfahren der virtuellen Rekonstruktion
zerrissener Unterlagen beim BStU

Das Pilotverfahren zur virtuellen Rekonstruktion zerrissener Stasi-Unterlagen wird seit 2007
durchgeführt. Es entstand auf Initiative des Deutschen Bundestages, um solche zerrissenen
Stasi-Unterlagen wieder zugänglich zu machen, die durch manuelle Verfahren gar nicht oder
erst zu einem späten Zeitpunkt wiederhergestellt werden könnten; d.h. man hoffte, dass der
Output der virtuellen größer sein würde als der der manuellen Rekonstruktion. Dazu erging
ein Forschungsauftrag an das Fraunhofer-Institut für Produktionsanlagen und Konstruktions-
technik (IPK) in Berlin zur Entwicklung eines IT-Systems, dessen Kernstück eine Software

zur Rekonstruktion digitaler Schnipselbilder darstellt.

Im Jahr 2013 konnte anhand der automatisierten Zusammensetzung digitaler Schnipselbilder
aus vier Säcken gezeigt werden, dass die Prozesskette der virtuellen Rekonstruktion prinzipi-
ell funktioniert. Die Rekonstruktionssoftware, der sog. „e-Puzzler“, ist imstande, digitalisierte
Schnipsel nach Merkmalen wie z. B. Risskante, Papierfarbe oder Schriftart zusammenzuset-
zen. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des BStU unterstützen die Software interaktiv beim
Rekonstruktionsprozess und führen eine Qualitätssicherung der Seiten durch. Innerhalb von
rund vier Jahren konnten so ca. 91.000 Seiten automatisiert rekonstruiert werden (zum Ver-
gleich: durch das manuelle Verfahren wurden 1,62 Mio. Blätter in 22 Jahren wiederherge-
stellt). Die Übergabe an das Archiv des BStU erfolgt in Form digitaler Daten sowie als Pa-

pierausdruck.

Im Pilotverfahren sollten zunächst zerrissene Unterlagen aus insgesamt 400 Säcken virtuell
rekonstruiert werden. Mit der derzeitigen Scantechnologie sieht sich das Fraunhofer IPK je-
doch nicht in der Lage, diese Menge in vertretbarer Zeit und mit den vorhandenen Mitteln zu
bewältigen. Der bisher genutzte Scanner erwies sich auch nach diversen Anpassungen als
nicht leistungsstark genug, um hunderttausende Schnipsel zu verarbeiten. Das derzeitige Sys-
tem ist also insofern für einen Massenbetrieb nicht ausreichend. Darüber hinaus ist der Auto-

matisierungsgrad der Software deutlich zu niedrig.

Durch die Etatisierung von zwei Mio. € machte der Deutsche Bundestag deutlich, dass das
Projekt fortgesetzt werden soll. Nach Vorlage einer Projektskizze durch das Fraunhofer IPK
erarbeitete der BStU einen Konzeptentwurf zur Weiterführung der virtuellen Rekonstruktion.
Der Entwurf enthält Berechnungen zu Leistungsfähigkeit und Output des vorgeschlagenen
Folgeprojekts sowie Kostenprognosen für BStU-eigenes Personal und Räume. Die Bearbei-
tung aller noch verbliebenen 15 500 Säcke in einem Massenverfahren wird in diesem Konzept
nicht angestrebt. Der BStU möchte nun die virtuelle Rekonstruktion als begleitendes Er-
schließungs- und Restaurierungsinstrument in den Regelabläufen im Archiv einsetzen. Das
überarbeitete Konzept wurde von einem technischen Sachverständigen begutachtet und vom
Beirat beim BStU befürwortet.
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Das Konzept sieht die Entwicklung eines Scansystem vor, das rund 50 Säcke pro Jahr rekon-
struieren könnte. Um die Leistungsfähigkeit dieses Systems fundiert einschätzen zu Können,
sollen zunächst in einer Testphase 160 Säcke rekonstruiert werden, d.h. rund 1% der Gesamt-
zahl aller Säcke mit zerrissenen Unterlagen. Zur Umsetzung des Projekts sind in den nächsten
Jahren verschiedene Prozessschritte notwendig, deren Durchführung in der Verantwortung
der projektbegleitenden Einrichtung liegt, insbesondere die Vertragsgestaltung mit dem
Fraunhofer IPK, die Abnahme von Meilensteinen und die Durchführung der Testphase ein-
schließlich Übergabe der rekonstruierten Seiten an den BStU.
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