Drucksache 19/853

Dieses Dokument ist Teil der Anfrage „Was bringt ein Verbot von cannabis? Es ändert ja nix am Konsum

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Deutscher Bundestag                                                                     Drucksache   19/853 19. Wahlperiode                                                                                       21.02.2018 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Kirsten Kappert-Gonther, Dr. Bettina Hoffmann, Maria Klein-Schmeink, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Drucksache 19/658 – Auswirkungen der Cannabisprohibition auf den Gesundheitsschutz Vorbemerkung der Fragesteller Cannabis ist die am häufigsten konsumierte illegale Droge (REITOX-Bericht 2017). Die Zwölfmonatsprävalenz des Cannabiskonsums von 18- bis 59-Jähri­ gen ist auf gleichbleibend hohem Niveau mit leichtem Anstieg in den letzten Jahren (Epidemiologischer Suchtsurvey 2015). Das heißt, die Prohibition ver­ fehlt nachweislich das Ziel einer Senkung des Gebrauchs. Stattdessen fördert das Verbot die organisierte Kriminalität (OK), wie das Bundeslagebild Organi­ sierte Kriminalität 2015 des Bundeskriminalamts (BKA) dokumentiert. Bei den festgestellten deutsch-dominierten OK-Gruppierungen überwogen mit 44,4 Prozent deutlich die Verfahren im Bereich des Rauschgifthandels und -schmuggels. Dabei handelten die Gruppierungen in mehr als 30 Prozent der gemeldeten Verfahren mit Cannabis. Zudem zeigt das Bundeslagebild Rausch­ giftkriminalität einen kontinuierlichen Anstieg der Handelsdelikte. Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat bereits mit dem Entwurf eines Cannabiskontrollgesetzes (Bundestagsdrucksache 18/4204) ausgeführt, wie Ge­ sundheits- und Jugendschutz ermöglicht werden könnten. Auf einem strikt re­ gulierten legalen Markt könnte dem Schutz von Minderjährigen besser Rech­ nung getragen werden als bisher, da erst mit einem solchen Markt eine kontrol­ lierte Abgabe, ausschließlich an Erwachsene, wirksam überwacht würde. Zu­ dem könnte der Verbraucherschutz durch eine verlässliche Prüfung und Einhal­ tung von Wirkstoffgehalt und Reinheit der Produkte umgesetzt werden. Ein zu­ sätzliches Gesundheitsrisiko durch Beimischungen wie Blei oder Haarspray wäre dadurch ausgeschlossen. Vorbemerkung der Bundesregierung Wie bereits in der Vorbemerkung der Bundesregierung zu der Kleinen Anfrage der Fraktion der FDP „Kontrollierte Abgabe von Cannabis“ (Bundestagsdrucksa­ che 19/310) ausgeführt, lehnt die Bundesregierung aus Gründen des Gesundheits­ schutzes der Bevölkerung eine Legalisierung der Verwendung von Cannabis zu Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums für Gesundheit vom 20. Februar 2018 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext.
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Drucksache 19/853                                       –2–                Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode Genusszwecken ab. Die Gesundheitsgefahren des Cannabismissbrauchs insbe­ sondere bei Jugendlichen und Heranwachsenden sind medizinisch erwiesen. Die Entwicklung einer Cannabisabhängigkeit ist keine Seltenheit, das Risiko für psy­ chische Störungen, wie etwa Depressionen, Angsterkrankungen und Psychosen erhöht sich. Dies bestätigen auch neuere Studien wie die kürzlich veröffentlichte Studie „Cannabis: Potential und Risiken. Eine wissenschaftliche Analyse (CaPRis)“, die den aktuellen Forschungsstand zum Thema Cannabis zusammen­ fasst. Die bestehenden Verbotsregelungen des Betäubungsmittelrechts sind in die von der Bundesregierung verfolgten ausgewogenen Drogenpolitik eingebettet, die auf Prävention, Beratung und Behandlung, Hilfen zum Ausstieg, Maßnahmen zur Schadensreduzierung sowie Bekämpfung der Drogenkriminalität basiert. Für die generalpräventive Wirkung der Strafandrohungen des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG) spricht der hohe Anteil von Personen, die niemals illegale Drogen kon­ sumieren. Auch bei der Aufnahme neuer psychoaktiver Stoffe in die Anlagen zum BtMG hat sich gezeigt, dass die Verbreitung und Verfügbarkeit der jeweiligen Stoffe in Folge der Unterstellung unter das BtMG zurückging. Alle Elemente die­ ses ganzheitlichen Ansatzes dienen gemeinsam dem Ziel, den Konsum illegaler Drogen auf ein möglichst niedriges Niveau zu reduzieren. Rauschgiftkriminalität ist aufgrund der hohen Gewinnmargen ein wesentliches Aktionsfeld der organisierten Kriminalität. Kriminelle Gruppierungen handeln dabei häufig mit verschiedenen illegalen Substanzen. Der Wegfall einer illegalen Substanz würde daher nicht zu einer spürbaren Reduzierung der organisierten Rauschgiftkriminalität führen, sondern allenfalls zu einer Verlagerung der krimi­ nellen Aktivitäten auf den Handel mit anderen illegalen Substanzen. Es ist sogar davon auszugehen, dass bei einer Cannabislegalisierung die organisierte Krimi­ nalität die von der Legalisierung ausgenommene Gruppe der Kinder und Jugend­ lichen besonders in den Blick nehmen könnte. 1.  Wie kann, nach Auffassung der Bundesregierung, im Rahmen des geltenden Betäubungsmittelgesetzes (BtMG) ein wirksamer Gesundheits- und Jugend­ schutz für Cannabiskonsumentinnen und -konsumenten sichergestellt wer­ den, und welche konkreten Initiativen hat die Bundesregierung mit dem „umfassenden Maßnahmenpaket“, das von der Drogenbeauftragten der Bun­ desregierung am 18. August 2017 angekündigt wurde, geplant? Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung hat in ihrer Pressekonferenz zur Vorstellung des Drogen- und Suchtberichts 2017 mit Blick auf die 19. Legisla­ turperiode festgestellt, dass es aus ihrer Sicht eines umfassenden Maßnahmenpa­ ketes zum Cannabiskonsum bedürfe. Sie hat ihren Wunsch geäußert, dass sich der Bund der Cannabisprävention verstärkt annehme und der Haushaltsausschuss dafür in den kommenden Jahren die erforderlichen Gelder zur Verfügung stelle. Es obliegt dem Deutschen Bundestag, darüber zu entscheiden. Die Bundesregierung führt bereits vielfältige Maßnahmen zur Cannabispräven­ tion durch. Zentraler Akteur in diesem Bereich ist die Bundeszentrale für gesund­ heitliche Aufklärung (BZgA). Der Fokus der Cannabisprävention der BZgA liegt auf der Bereitstellung von Informationen und Präventionsangeboten im BZgA- Portal „drugcom.de“. Das Portal richtet sich an allgemein Interessierte, an Multi­ plikatorinnen und Multiplikatoren sowie auch an Jugendliche und junge Erwach­ sene. Es bietet u. a. aktuelle, wissenschaftlich fundierte Informationen zu den Wirkungen und Risiken des Cannabiskonsums sowie interaktive Module (Wis­ senstests, Selbsttests etc.), die zur Selbstreflexion anregen. Die Cannabiskonsum­
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Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode                  –3–                            Drucksache 19/853 reduzierung wird mit einem mehrfach auf Wirksamkeit positiv evaluierten On­ line-Verhaltensänderungsprogramm („Quit the Shit“), das in Kooperation mit re­ gionalen/kommunalen Partnern angeboten wird, gefördert und begleitet. Zu der generalpräventiven Wirkung der im BtMG festgesetzten Strafandrohun­ gen, die dem Gesundheits- und Jugendschutz dienen sollen, wird auf die Ausfüh­ rungen in der Vorbemerkung der Bundesregierung verwiesen. § 29a Absatz 1 Nummer 1 und § 30 Absatz 1 Nummer 2 BtMG sehen zum besonderen Schutz von Kindern und Jugendlichen Verbrechenstatbestände für die Abgabe von Be­ täubungsmitteln an Minderjährige vor. 2.  Wie kommt die Bundesregierung zu der Auffassung, dass die Strafandro­ hung eine präventive Wirkung in Bezug auf die Verbreitung des Can­ nabiskonsums und die Verfügbarkeit von Cannabis zu Freizeitzwecken habe (vgl. Bundestagsdrucksache 19/310), und welche wissenschaftlichen Belege gibt es dafür? Die Bundesregierung geht davon aus, dass Strafandrohungen präventive Wirkun­ gen entfalten und so strafbewährtes Verhalten signifikant reduziert wird. 3.  Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung über die Auswirkungen der verschiedenen Wirkstoffe von Cannabis vor, insbesondere über Wech­ selwirkungen von THC (Tetrahydrocannabinol) und CBD (Cannabidiol), und wie kann im Rahmen des geltenden BtMG die Erforschung der Wirk­ mechanismen vorangetrieben werden? Die Cannabispflanze enthält einige hundert verschiedene Stoffe. Als Wirkstoffe im arzneimittelrechtlichen Sinne werden derzeit Delta-9-Tetrahydrocannabinol und CBD bezeichnet. THC ist als Reinstoff – wie auch Cannabis – ein Betäu­ bungsmittel. THC ist in Form von Dronabinol zur medizinischen Anwendung verschreibungsfähig. CBD ist als Reinstoff kein Betäubungsmittel. THC und ® CBD finden sich auch im Fertigarzneimittel Sativex (einem Gemisch von zwei Cannabisextrakten, die auf THC bzw. CBD standardisiert sind) sowie in ver­ schreibungsfähigen Cannabisextrakten und Cannabisblüten. Der aktuelle Sach­ stand zur medizinischen Forschung mit Cannabisarzneimitteln wurde kürzlich als Ergebnisbericht der Studie CaPRis veröffentlicht. Inwieweit und in welchem Ausmaß sich THC und CBD in ihrer jeweiligen Wirkung gegenseitig beeinflus­ sen, ist noch nicht systematisch erforscht. Zu Wechselwirkungen mit anderen Arzneimitteln und zu sonstigen Wechselwirkungen wird auf Abschnitt 4.5 der ® öffentlich zugänglichen Fachinformation von Sativex verwiesen. Der Erfor­ schung der Wirkmechanismen stehen – wie für alle anderen Betäubungsmittel und Wirkstoffe auch – die betäubungsmittelrechtlichen Regelungen nicht entge­ gen. 4.  Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass durch den demnächst geneh­ migten Anbau von medizinischem Cannabis gewährleistet werden kann, dass das in möglichen Modellprojekten zur Verfügung gestellte Cannabis von pharmakologischer definierter und hochwertiger Qualität ist und dass mit diesem hochwertigen Cannabis verhindert werden kann, dass sich Pati­ entinnen und Patienten, die aus medizinischen Gründen Cannabis konsumie­ ren, durch verunreinigtes Cannabis vom Schwarzmarkt oder Cannabis mit unklarem Wirkstoffgehalt gesundheitlich erheblich gefährden?
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Drucksache 19/853                                          –4–                 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung daraus für die Can­ nabisherstellung zu nicht medizinischen Zwecken? Das Einheits-Übereinkommen von 1961 über Suchtstoffe zum Schutz der Ge­ sundheit der Menschen die Verwendung von Suchtstoffen beschränkt auf aus­ schließlich medizinische und wissenschaftliche Zwecke (Bundestagsdrucksa­ che 19/310 S. 2). Die Bundesrepublik Deutschland hat dieses Übereinkommen ratifiziert und ist an die darin enthaltenen völkerrechtlichen Verpflichtungen ge­ bunden. Patientinnen und Patienten erhalten Cannabisarzneimittel in der vorge­ schriebenen Qualität auf ärztliche Verordnung in der Apotheke ausschließlich zur medizinischen Anwendung. 5.   a) Wie begründet die Bundesregierung ihre Auffassung, dass Modellpro­ jekte zur regulierten Abgabe von Cannabis zu Freizeitkonsumzwecken nicht zur Verhinderung des Missbrauchs von Betäubungsmitteln sowie zur Verhinderung der Entstehung oder Erhaltung einer Betäubungsmittel­ abhängigkeit geeignet sind (vgl. Bundestagsdrucksache 19/310), und wel­ che wissenschaftlichen Belege hat die Bundesregierung für diese Behaup­ tung? b) Widerspricht die Bundesregierung damit der Auffassung des Amtes für Gesundheit der Stadt Münster, wonach diese Modellprojekte gerade zur Verhinderung des Missbrauchs von Betäubungsmitteln sowie zur Verhin­ derung der Entstehung oder Erhaltung einer Betäubungsmittelabhängig­ keit geeignet sind (www.stadt-muenster.de/fileadmin/user_upload/stadt- muenster/53_gesundheit/pdf/projektbeschreibung-cannabis.pdf, abgeru­ fen am 26. Januar 2018)? Die Fragen 5a und 5b werden gemeinsam beantwortet. Cannabis ist ein Betäubungsmittel. Zweck des BtMG ist es u. a. die notwendige medizinische Versorgung der Bevölkerung mit Betäubungsmitteln sicherzustel­ len, daneben aber den Missbrauch von Betäubungsmitteln sowie das Entstehen oder Erhalten einer Betäubungsmittelabhängigkeit soweit wie möglich auszu­ schließen. Die Abgabe eines Betäubungsmittels – hier Cannabis – zu Genuss-/ Rauschzwecken ist mit dem Schutzzweck des Gesetzes nicht vereinbar. Der Gesetzgeber hat mit der Einstufung von Cannabis als Betäubungsmittel, die im Übrigen im Einklang mit den relevanten Drogenkonventionen der Vereinten Nationen steht, den Rahmen für die Verkehrsfähigkeit von Cannabis festgelegt. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) hat die ge­ setzlichen Vorgaben des BtMG bei der Bescheidung von Anträgen auf Erteilung von Erlaubnissen zur Abgabe von Cannabis zum Genuss-/Rauschkonsum zu be­ rücksichtigen. Dies gilt auch für Anträge auf Modellprojekte, die auf eine Abgabe von Cannabis zu – nichtmedizinischen – Genuss-/Rauschzwecken gerichtet sind. Sie würden gegen den auch völkerrechtlich determinierten Schutzzweck des BtMG verstoßen, was eine Erlaubniserteilung ausschließt. 6.   Mit welcher Begründung und gestützt durch welche wissenschaftlichen Be­ lege vertritt die Bundesregierung die in der oben genannten Antwort auf die Kleine Anfrage geäußerte Auffassung, dass Alkohol wesentlich als „Genuss­ mittel“, Cannabis hingegen „typischerweise zur Erzielung einer berauschen­ den Wirkung" konsumiert werde? Die Aussagen, dass alkoholhaltige Substanzen als Lebens- und Genussmittel die­ nen, beim Konsum von Cannabisprodukten hingegen typischerweise die Erzie­ lung einer berauschenden Wirkung im Vordergrund steht, sind Bestandteil eines
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Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode                         –5–                                     Drucksache 19/853 Zitats aus dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 9. März 1994 (Az.: 2 BvL 43/92, BVerfGE 90, 145, 197). Aus Sicht der Bundesregierung kann der Vergleich zwischen den Substanzen, hier Cannabis und Alkohol, auf vielen Ebenen wie z. B. der kulturellen Einbin­ dung, den Motiven des Konsums, der Wirkung der Substanz oder den negativen Folgen von Abhängigkeit/Missbrauch, der Morbidität und der Mortalität erfol­ gen. Bezüglich der Prävalenz von Abhängigkeit und Missbrauch weisen Schät­ zungen auf relative und absolute höhere Werte bei Alkohol im Vergleich zu Can­ nabis hin. Die Unterschiede beruhen in erster Linie auf der Verbreitung des Kon­ sums und seiner gesellschaftlichen Akzeptanz/Ächtung. Die Bundesregierung kennt die Risiken des Alkoholkonsums. Aus diesem Grund hat sie zahlreiche Maßnahmen zur Risikominimierung und verschiedene Präven­ tionsansätze gesetzt. 7.   Welche Prävalenzraten gibt es nach den Erkenntnissen der Bundesregierung in der deutschen Allgemeinbevölkerung jeweils nach DSM-IV-Kriterien (DSM-IV – Diagnostische und statistische Manuals psychischer Störungen) für Cannabismissbrauch, Cannabisabhängigkeit, Alkoholmissbrauch, Alko­ holabhängigkeit und Nikotinabhängigkeit, und wie kommt sie vor diesem Hintergrund zu der Behauptung, die berauschende Wirkung von Alkohol werde „durch soziale Kontrolle überwiegend vermieden“ (vgl. Bundestags­ drucksache 19/310)? Mit dem Epidemiologischen Suchtsurvey (ESA) wird seit den 1980er Jahren in regelmäßigen Zeitabständen der Konsum von Alkohol, Tabak, illegalen Drogen sowie Medikamenten in der Allgemeinbevölkerung Deutschlands erfasst. Im Vordergrund steht dabei die Beobachtung von Trends des Substanzkonsums und seiner Folgen. Nicht in jedem ESA werden diagnostische Daten zu Missbrauch und Abhängigkeit entsprechend den Kriterien des DSM erhoben, die aktuellsten Daten liegen aus dem Jahr 2012 vor. Im ESA 2015 wurden diesbezügliche Infor­ mationen nicht erhoben. Basierend auf einer bevölkerungsrepräsentativen Stich­ probe in der Altersgruppe der 18- bis 64-Jährigen wurden für da Jahr 2012 fol­ gende Ergebnisse für die deutsche Allgemeinbevölkerung berichtet: Alkoholmissbrauch (Definition nach DSM IV)                                                3,1 Prozent (1,61 Millionen) Alkoholabhängigkeit (Definition nach DSM IV)                                              3,4 Prozent (1,77 Millionen) Nikotinabhängigkeit (Definition nach DSM IV)                                             10,8 Prozent (5,58 Millionen) Hochrechnungen gibt es nur für Missbrauchs- oder Abhängigkeitsdiagnosen von illegalen Drogen insgesamt (u. a. Cannabis, Kokain, Amphetaminen), aber nicht einzeln für Cannabis. Die im Folgenden genannten Hochrechnungen basieren auf 51 743 922 Personen im Alter zwischen 18 und 64 Jahren (Stichtag 31. 12. 2011, Statistisches Bundesamt). Illegale Drogen: Missbrauch (Definition nach DSM IV)                                      0,5 Prozent (283 000) Illegale Drogen: Abhängigkeit (Definition nach DSM IV)                                    0,6 Prozent (319 000) Quelle:https://www.esa-survey.de/fileadmin/user_upload/Literatur/Zeitschriften/Pabst_et_al_2013_ESA2012-Substanzkonsum.pdf Pabst, A., Kraus, L., Gomes de Matos, E., Piontek, D. (2013). Substanzkonsum und substanzbezogene Störungen in Deutschland im Jahr 2012. Sucht, 59(6), 321-331. Die Aussage zur berauschenden Wirkung von Alkohol, „seine berauschende Wir­ kung ist allgemein bekannt und wird durch soziale Kontakte überwiegend ver­ mieden“. ist als Zitat aus dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 9. März 1994 (Az.: 2 BvL 43/92, BVerfGE 90, 145, 197) entnommen.
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Drucksache 19/853                                         –6–                   Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode 8.   Stimmt die Bundesregierung den Aussagen der CaPRis-Studie 2017 („Cannabis: Potential und Risiko. Eine wissenschaftliche Analyse“, www. bundesgesundheitsministerium.de/service/publikationen/drogen-und-sucht/ details.html?bmg[pubid]=3104, abgerufen am 26. Januar 2018) zu, dass nicht jeglicher, insbesondere gelegentlicher Cannabisgebrauch, sondern vor­ rangig biografisch früher, hochdosierter, langjähriger und regelmäßiger Can­ nabisgebrauch das Risiko für unterschiedliche Störungen der Gesundheit und der altersgerechten Entwicklung erhöht? Die CaPRis-Studie gibt den aktuellen wissenschaftlichen Forschungsstand zum Thema Cannabis wieder. Es wird ein detailreiches Bild unterschiedlich ausge­ prägter Risiken für akuten und chronischen Cannabis-Konsum im Bereich der Somatik, Kognition, Abhängigkeitsentwicklung, psychischer Störungen (Angst­ störungen, Depressionen und Suizidalität, bipolare Störungen, Psychosen) sowie der sozialen Folgen (z. B. Bildungschancen, Fahrtüchtigkeit) aufgezeigt. Beson­ dere Risiken liegen im frühen Konsumbeginn in der Adoleszenz, intensiven Ge­ brauchsmustern sowie dem Co-Konsum von Tabak. Aufgezeigt werden auch die besonderen Risiken der synthetischen Cannabinoide. Zusammenfassend belegen die evidenzbasierten Fakten ein erhöhtes Risiko für negative psychische, organi­ sche und soziale Konsequenzen im Zusammenhang mit dem Gebrauch von Can­ nabis zu Rauschzwecken. 9.   Wie spiegelt sich der Umstand, dass keine Todesfolge aufgrund von Can­ nabiskonsum bekannt ist (Bundestagsdrucksache 19/310), in der Gefähr­ dungseinschätzung von Cannabis der Bundesregierung wieder? Zu den Gesundheitsgefahren des Cannabiskonsums zu Genuss-/Rauschzwecken wird auf die Ausführungen in der Vorbemerkung der Bundesregierung verwiesen. Eine beträchtliche Zahl von Personen leidet wegen eines problematischen Ge­ brauchs von Cannabis an gesundheitlichen Folgen, die sie veranlassen, die ambu­ lanten und stationären Einrichtungen des Suchthilfesystems in Deutschland auf­ zusuchen. Aus Sicht der Bundesregierung ist es deshalb gesundheits- und drogen­ politisch geboten, eine insbesondere aus Gründen des Gesundheitsschutzes erfor­ derliche Gefährdungseinschätzung und betäubungsmittelrechtliche Unterstellung einer wissenschaftlich erwiesenermaßen in erheblichem Ausmaß psychoaktiven Substanz, die mit einem hohem Missbrauchsgeschehen einhergeht, vorzunehmen. 10.   Was versteht die Bundesregierung unter „Potential“, das in der vom Bundes­ ministerium für Gesundheit in Auftrag gegebenen CaPRis-Studie untersucht werden sollte, und wieso wird lediglich das „Risiko“ ausführlich dargestellt (außer für die medizinische Anwendung), obwohl in der Ausschreibung (Öffentliche Bekanntmachung vom Juli 2015, www.dlr.de/pt/Portaldata/45/ Resources/a_dokumente/gesundheitsforschung/Bekanntmachung_Cannabis.pdf, abgerufen am 26. Januar 2018) ausdrücklich die „besondere Berücksichti­ gung von Konsumfrequenz und -motiven, dem Konsumsetting und der sozi­ alpsychologischen Funktionalität des Konsums“ untersucht werden sollte? In der CaPRis-Studie wird das Potential von Cannabis als Einschätzung des the­ rapeutischen und medizinischen Nutzens beschrieben. Im Ergebnis wird genannt, bei welchen Indikationen Cannabis im Rahmen einer medizinischen Behandlung wirksam sein kann. Ziel dieser Studie ist die unvoreingenommene, objektive und wissenschaftliche Bewertung der Risiken und Potentiale von Cannabis und me­ dizinischen Cannabinoiden anhand der besten verfügbaren Evidenz und unter Verwendung einer transparenten und strikten Methodik. Durch systematische Li­ teraturrecherchen, standardisierte Bewertungs- und Analyse-Instrumente sowie strukturierte Ergebnisdarstellungen und -bewertungen wurde nicht nur das Bias-
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Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode                    –7–                              Drucksache 19/853 Risiko in allen Analyseschritten optimiert, sondern die Studie ermöglicht dem Leser eine vollständige Nachvollziehbarkeit der Ergebnisse – von den Rohwerten bis zur Schlussfolgerung. Ein wissenschaftliches und medizinisches Experten- Komitee, in dem die Fachexpertise der Grundlagenforschung des endocannabi­ noiden Systems ebenso repräsentiert ist wie die psychiatrische, internistische oder immunologische Grundlagenforschung, diente der Studie in beratender und gut­ achtender Form, sodass jedes Kapitel vor Fertigstellung einer inhaltlichen Vali­ dierung durch Fachexperten unterzogen wurde. Die in der öffentlichen Bekannt­ machung aufgeführte „Berücksichtigung von Konsumfrequenz und -motivation, dem Konsumsetting und der sozialpsychologischen Funktionalität des Konsums“ spiegelt sich u. a. in separaten Kapiteln des Abschlussberichts zu diesen Themen wider. Der Abschlussbericht soll in ca. drei Monaten in einem wissenschaftlichen Verlag veröffentlicht werden. 11.   Wieso werden im Drogen- und Suchtbericht der Bundesregierung von Juli 2017 lediglich die medizinischen Kosten aufgrund schädlichen Can­ nabiskonsums als volkswirtschaftliche Folgen beziffert, diese aber nicht den durch Repression und Strafverfolgung verursachten Kosten gegenüberge­ stellt? Verlässliche Daten zu den durch die Strafverfolgung von Cannabisdelikten ver­ ursachten Kosten liegen der Bundesregierung nicht vor. Auf die Antwort zu Fra- ge 12 wird verwiesen. 12.   a) Warum hat die Bundesregierung von einer Fortschreibung der 2010 ver­ öffentlichten Studie „Schätzung der Ausgaben der öffentlichen Hand durch den Konsum illegaler Drogen in Deutschland“ bisher abgesehen, obwohl die dort bezifferten Ausgaben von 5,2 bis 6,1 Mrd. Euro laut REITOX-Bericht 2017 als „konservative Schätzung“ bezeichnet werden und sowohl die öffentliche Berichterstattung (www.berliner-zeitung. de/politik/soviel-kosten-illegale-drogen-den-staat-23948766, abgerufen am 26. Januar 2018) und die Bundesregierung selbst auf diese veralteten Zahlen zurückgreifen (vgl. Bundestagsdrucksache 18/8150)? b) Ist eine Aktualisierung der Studie beabsichtigt? Wenn nein, warum nicht? Die 2010 von Mostardt et al. veröffentlichte Studie wurde im Auftrag des Bun­ desministeriums für Gesundheit gemeinsam vom Institut für Therapieforschung (IFT) in München und dem Lehrstuhl für Medizinmanagement der Universität Duisburg-Essen durchgeführt. Es wurde bereits 2010 darauf hingewiesen, dass „ein allgemeines Problem bei der Datenerhebung, vor allem auf Ebene der Ge­ bietskörperschaften, darin bestand, dass bei den gekennzeichneten Ausgaben häu­ fig keine Differenzierung zwischen legalen und illegalen Drogen vorgenommen wurde. Dies basiert auf der Entscheidung, Sucht in Deutschland auf politischer Ebene als Gesamtphänomen und nicht getrennt nach Substanzen zu betrachten. Somit musste der jeweilige Anteil illegaler Drogen an den Ausgaben häufig ge­ schätzt werden“ (Mostardt et al. 2010). An dieser grundsätzlichen Situation, die maßgeblich zu der Einschätzung geführt hat, dass es sich um konservative Ergeb­ nisse handelt, hat sich seit 2010 nichts geändert. Von einer Fortschreibung der Studie wurde abgesehen, da keine Hinweise darauf existieren, dass sich in den vergangenen Jahren grundsätzliche Verschiebungen oder Veränderungen bei den identifizierten Ausgaben sowie den Prävalenzen des Cannabiskonsums ergeben haben.
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