EU Green DealWie Rüstungsunternehmen eine nachhaltige Zukunft unterwandern

Die EU-Kommission steht der Luftfahrt- und Verteidigungsindustrie mit Finanzierungszusagen und industriefreundlicher Politik zur Seite. Statt Emissionsreduzierung und Wandel im Sinne der Öffentlichkeit und des Klimas geht es vor allem darum, die europäische Wettbewerbsfähigkeit zu schützen. Wir veröffentlichen mehr als 200 Dokumente.

- Gabrielle Jeliazkov

2019 verkündete die EU-Kommission den Europäischen Green Deal, die europaweite Klimastrategie. Ein Jahr später beschloss das EU-Parlament das Programm für ein nachhaltiges Wirtschaften in Europa. Zu den Initiativen des Green Deal gehört das Maßnahmenpaket "Fit for 55", das Rechtsvorschriften und Initiativen in den Bereichen Klima, Energie und Verkehr umfasst. Sozusagen, die "europäische Industriestrategie", um die Wettbewerbsfähigkeit zu stärken und es der Industrie zu ermöglichen, den digitalen und grünen Wandel anzuführen und dabei "saubere, erschwingliche und sichere Energie" für Europa zu gewährleisten.

Die Dokumente die FragDenStaat durch Anfragen nach dem Informationsfreiheitsgesetz erhalten hat, enthüllen die Inhalte von Treffen der EU-Kommission und Vertreter*innen der Luft- und Raumfahrt und Verteidigungsindustrie von 2017 bis 2022. Sie geben einen Einblick in die Prioritäten der Kommission. In den Dokumenten geht es um Treffen mit Airbus, Leonardo, SAFRAN, Thales und Indra – einige der einflussreichsten europäischen Unternehmen aus der Luft- und Raumfahrt und Verteidigungsindustrie.

Die Unterlagen offenbaren, dass die EU-Kommission auf das Narrativ des "zweifachen grünen und digitalen Wandel" angewiesen ist, um weiterhin umweltverschmutzende und tödliche Industrien zu finanzieren und jegliche ernsthaften Pläne zur weltweiten Konsum- und Emissionsreduzierung zu vermeiden. Soll die Erderwärmung auf 1,5 Grad begrenzt werden, müssen auch Flugverkehr und Militärausgaben reduziert werden. Wiederholt zeigt sich, dass die Kommission es verweigert, die notwendigen Schritte dafür zu gehen. Stattdessen verbleibt ihr Fokus darauf Forschung- und Innovation (F&I) der Luftfahrt- und Rüstungsindustrie zu finanzieren und auf Konzepten wie dem der "disruptive Technologien".

Die Betonung wirtschaftlicher Sicherheit und ein übermäßiges Vertrauen auf Technologie als Lösung für Klima- und Umweltprobleme sowie die unkontrollierte Materialnachfrage treiben Europa in einen rücksichtslosen Rohstoffabbau auf der ganzen Welt. Der Fokus des Green Deal auf Extraktivismus und die Verflechtung von digitalem und grünem Wandel ist nicht neu. Bereits bei den Vorgängern von Horizon Europe, den Covid-19 Konjunkturprogrammen und anderen von der Kommission für Forschung und Innovation bereitgestellten Finanzierungen zeigte sich diese Tendenz.

Mittlerweile wächst auch der Fokus auf Rüstung, das schlägt sich auch in Institutionen und Haushalt nieder. Die Verteidigungs- und Sicherheitsagenda nahm lange nur eine Nebenrolle in der EU-Strategie ein und zielte vor allem auf die Umsetzung von Marktmechanismen zwischen den Mitgliedstaaten ab. Heute steigt die Zahl politischer Initiativen und öffentliche Gelder werden zunehmend für die Entwicklung und Beschaffung von Waffensystemen bereitgestellt. 2019 wurde die Generaldirektion Verteidigungsindustrie und Weltraum (GD DEFIS) ins Leben gerufen, 2021 kam der 8 Milliarden Euro schwere Europäischen Verteidigungsfonds (EDF) hinzu und im Rahmen der Europäischen Friedensfazilität werden, im EU-Haushalt von 2021 bis 2027, 5 Milliarden Euro für EU-Militäreinsätze und Waffenlieferungen an die Ukraine bereitgestellt.

Ein Überblick über die Dokumente zeigt:

  • die Aufrechterhaltung eines "Wettbewerbsvorteils" für europäische Unternehmen übertrumpft immer wieder die Dringlichkeit, Emissionen zu reduzieren;
  • die "Ökologisierung des Verkehr" konzentriert sich ausschließlich auf Forschung und Innovation und nicht auf konkrete Pläne zur Verringerung des Flugverkehrs oder der Luftfahrtproduktion und -infrastruktur.
  • die anhaltende Konzentration auf eine "grüne Cloud" und die Unterstützung des angeblichen digitalen Wandels vermengt auf schädliche Weise die digitale und die grüne Zukunft.

Finanzierungszusagen zugunsten der Industrie anstatt im öffentlichen Interesse oder des Klimas ziehen sich wie ein roter Faden durch die Dokumente. Die vorliegenden Unterlagen erfassenden Zeitraum bis 2022, aber auch danach hat die EU weiterhin substanzielle Verpflichtungen vermieden, die Produktion – und damit Emissionen – der Luft- und Raumfahrt und Verteidigungsindustrie zu reduzieren.  

Dies ist keine Überraschung, denn die Lobby der Luft-, Raumfahrt und Verteidigungsindustrie trifft sich regelmäßig mit Mitgliedern des Rates, der Kommission und des Europäischen Parlaments. Nur die Interessenvertreter*innen im Auftrag von Google trafen sich öfters mit EU-Beamt*innen als die Lobbyist*innen von Airbus. 2022 gab das Luft- und Raumfahrtunternehmen 1,25 Millionen Euro für Lobbyarbeit auf EU-Ebene aus und beauftragte umstrittene Beratungsunternehmen wie etwa Avisa Partners. Indra, ein weiteres Luft- und Raumfahrtunternehmen aus den freigegebenen Dokumenten, gab 2021 ebenfalls über 1 Million Euro für EU-Lobbyarbeit aus.

Addiert kamen die zehn größten europäischen Rüstungsunternehmen 2022 auf ein Budget von 4,7 Millionen Euro für ihre gemeinsame Lobby-Aktivitäten. Darin sind die Lobbyausgaben der Handelsverbände, Denkfabriken und Foren der Rüstungsindustrie nicht berücksichtigt.

Das Gesetz über kritische Rohstoffe

Laut Aktivist*innen hat sich der Green Deal und das Streben die Klimaziele zu erreichen, unter anderem in einen Selbstbedienungsladen für Unternehmen aus Rüstungs- und Luftfahrtindustrie verwandelt. Das  Gesetz über kritische Rohstoffe (Critical Raw Minerals Act - CRMA) ist eines der Beispiele. Trotz ihrer negativen Auswirkungen auf Umweltschutzvorgaben und der offensichtlichen Förderung unnachhaltigen Rohstoffabbaus, erfuhr die Richtlinie kaum politisch Widerstand. In der EU Umweltrichtlinie wird der Abbau von kritischen Mineralien zum "überragenden öffentlichen Interesse" erklärt, wodurch Bergbauunternehmen "die Wasserrahmen-, Habitat- und Vogelschutzrichtlinien umgehen dürfen", ohne dabei garantieren zu müssen, dass die abgebauten Rohstoffe für den grüne Wandel eingesetzt werden.

Eine Vorbereitungsnotiz der Generaldirektion Mobilität und Verkehr (GD Move) für ein Treffen mit Safran von 2022 verdeutlicht die Nutzung des Green Deal, um unnachhaltigen Rohstoffabbau zu fördern. In dem Papier werden die Forderungen des Europäischen Verband der Luftfahrt-, Raumfahrt- und Verteidigungsindustrie (ASD) an den CRMA aufgeführt. Dazu gehören:

  • Die Sicherstellung, dass Titan, nickel-basierter Superlegierungen (Bauteile für Hochtemperaturanwendungen) und Aluminium als strategische Mineralien eingestuft werden;
  • Gewährleistung gleicher Wettbewerbsbedingungen für kritische Rohstoffe als Beitrag zur strategischen Autonomie;   
  • Entwicklung eines europäischen System zur Erfassung kritischer Rohstoffe von der vorgelagerten Industrie (Bergbau) bis zur nachgelagerten Industrie (Hersteller) in der Luft- und Raumfahrt, der Verteidigung und anderen Sektoren, die diese Materialien verbrauchen.   

Die GD MOVE führt weiter aus, dass kritische Rohstoffe "wesentliche Voraussetzungen für die Entwicklung strategischer Sektoren wie Luft- und Raumfahrt und Verteidigung" sind. Seltene Erden seine beispielsweise unverzichtbar für ferngesteuerte Flugzeugsysteme und gelenkte Präzisionsmunition – Beryllium wird in Kampfjets und in den Lenksystemen von Raketen verwendet. Das CRMA – so erklärt die GD MOVE – würde diese kritischen Rohmineralien angesichts der strategischen Dimension ihrer Nutzung abdecken.

Anstatt die kritischen Rohstoffe zu priorisieren, die dafür verwendet werden können die Ziele des Green Deal in Bezug auf Erneuerbare Energien zu erreichen, wird der CRMA dazu missbraucht kritische Rohstoffe verfügbar zu machen, die Europas Luftfahrt- und Rüstungsindustrie für strategisch wichtig hält. Die europäische Praxis der Rohstoff- und Mineralienförderung in Ländern des Globalen Südens beruht häufig auf Neokolonialismus und extraktive Produktionsmodellen, den CRMA zusätzlich im Dienste des Verteidigungs- und Luftfahrtsektor zu stellen verstetigt global steigende Emissionen. Abgesehen von den verheerenden menschlichen Kosten von Krieg sind militärische Operationen und Kampfhandlungen enorm emissionsintensiv und schädlich für das Klima.

Der Mythos des zweifachen grünen und digitalen Wandels

In einer Reihe von Dokumenten konzentriert sich die Kommission immer wieder darauf, die Idee des "zweifachen grünen und digitalen Wandels" zu propagieren. Eine gängige, aber hoch problematische Formulierung, die Europas Spitzenpolitiker*innen seit Jahren verwenden. Dabei werden die beiden Wandlungsprozesse als gleichwertig betrachtet und der Eindruck erweckt die digitale Industrie würde in ihrer derzeitigen Form keine massiven Umweltverschmutzungen mit sich bringen. In dem Bericht "Blood on the Green Deal" stellt Corporate Observatory Europe fest, dass dieses Narrativ es auch anderen, noch problematischeren Wirtschaftszweigen – wie der Luft- und Raumfahrt und Verteidigungsindustrie – ermöglicht sich mit „einer Aura der Respektabilität“ zu umhüllen.

Eindeutige Priorität der Kommission ist europäischen Wettbewerbsfähigkeit im Sektor der Luft- und Raumfahrt und Verteidigungsindustrie aufrechtzuerhalten. Dies äußert sich im Fortsetzen oder Aufstocken von Finanzhilfen (insbesondere nach der Covid-19-Pandemie), dem Bereitstellen von F&I-Kapazitäten und industriefreundlicher Gesetzgebung. In einer Vorbereitungsnotiz für Generaldirektor Olivier Guersent, die von der Generaldirektion Wettbewerb (GD COMP) im Januar 2022 veröffentlicht wurde, erklärt die Kommission ausdrücklich, dass "die EU die größte Handels- und Investitionsmacht ist und eine offene Weltwirtschaft benötigt, um erfolgreich zu sein".

Zu keinem Zeitpunkt wird in den Dokumenten anerkannt, dass die Aufrechterhaltung der Wettbewerbsfähigkeit im Widerspruch steht zu der notwendigen Emissionsreduzierung durch eine Verringerung der Nachfrage und des Angebots von Luftfahrt- und Rüstungsprodukten, um das 1,5°C Ziel zu erreichen.

Der Bericht „Degrowth of Aviation: Reducing air travel in a just way“ von Stay Grounded aus dem Jahr 2019 erfasst den steigenden Beitrag des Luftfahrtsektors zu den Emissionen und zeigt Maßnahmen auf, die Regierungen unternehmen können, um Nachfrage und Emissionen im Luftverkehr zu reduzieren. Bereits vor den Covid-Konjunkturpaketen beliefen sich die jährlichen Haushaltsverluste in der Europäischen Union durch Subventionen für den Luftfahrtsektor auf 30 bis 40 Milliarden Euro.

Die als Lösungen vorgeschlagenen "disruptiven Technologien" sind entweder sehr theoretisch oder sind darauf ausgerichtet das aktuelle Produktionsniveau der Luft- und Raumfahrt und Verteidigungsindustrie beizubehalten. Wichtige Ressourcen, Zeit und Energie werden für Vorschläge wie etwa das Vahana-Flugzeug von Airbus verschwendet: "ein vollständig elektrisch betriebener, autonomer, senkrecht startender und landender Lufttaxi-Prototyp für einen Passagier". Im städtischen Nahverkehr soll das Vahana-Flugzeug Autos und Züge zu gleichen Kosten ersetzten.

Mit anderen Worten: Die Kommission finanziert die Erforschung und Entwicklung eines Flugzeugs, das jeweils nur eine*n einzigen Passagier*in befördern und nur für kurze Entfernungen eingesetzt werden könnte. Im Grunde ein völlig autonomer Privatjet für die Stadt.

Die von der Luftfahrt- und der Verteidigungsindustrie gesetzten F&I-Prioritäten sind Nebelkerzen, die von den offensichtlichen Lösungen ablenken, die Europa verfolgen sollte. Ein erfolgreicher grüner Wandel im Einklang mit einer Erderwärmung von maximal 1,5°C ist ohne einen Rückbau in der Luftfahrtindustrie nicht möglich. "Der Weg zur Klimaneutralität im Jahr 2050 ist in der Luftfahrt nicht offensichtlich", räumt selbst die Kommission diese Tatsache beinah ein und dennoch beharrt sie auf die Förderung „disruptiver Technologien“ anstatt Subventionen zu reduzieren, den Luftverkehr stärker zu regulieren und und gleichzeitig in den öffentlichen Hochgeschwindigkeitsverkehr auf dem Boden zu investieren.

Derzeit ist in allen Mitgliedstaaten kommerziell genutztes Kerosin von der Besteuerung befreit. In einer Notiz zur Vorbereitung eines Treffen der GD MOVE mit Safran im November 2022, stellt die Generaldirektion die Einführung einer Kerosinsteuer über einen Zeitraum von 10 Jahren vor. Dabei erklärt sie, wie durch die graduelle Umsetzung über 10 Jahre – während gleichzeitig der Flugverkehr wie angenommen weiter wächst – zu erwarten ist, dass „insgesamt die Frequenz auf den meisten EU-internen Flugrouten zum Ende der Übergangsphase immer noch größer wäre als zu Beginn der Einführung.“

Die Erklärung der Generaldirektion verdeutlicht es geht nicht darum den Luftverkehr zu reduzieren. Es soll bloß über den Zeitraum eines Jahrzehnts eine unwirksame Steuer eingeführt werden, bei der zudem reine Luftfrachtflüge ausgeschlossen sind. Dies steht im direkten Gegensatz zum Schienenverkehr, bei dem Reisende Mehrwert- und Energiesteuern zahlen müssen.     

Bis 2050 wird der Luftverkehr voraussichtlich 22 Prozent der weltweiten Emissionen erreichen und das Konzept des "ökologischen Fliegens" bleibt eine Illusion. Aufgrund des Gewichts von Batterien sind elektrische Passagier- oder Frachtmaschinen technisch nach wie vor unmöglich und die prognostizierten Effizienzgewinne beim Treibstoffverbrauch werden von den erwarteten Wachstumsraten bei Flugreisen und der Luftfracht übertroffen.

Der Ansatz, alternative Kraftstoffe zu fördern, der in der Kommunikation und den Dokumenten, unter den Prioritäten der EU immer wieder auftaucht, ist fehlgeleitet. Biokraftstoffe werden aus Rohstoffen wie Palmöl hergestellt. Biokraftstoffe als Lösung zu verwenden könnte die Abholzung von Regenwäldern massiv steigen lassen und zur Entwässerung von Torfböden führen. Das wiederum verursacht massive Kohlenstoffemissionen. Ganz zu schweigen von Landraub, anderen Menschenrechtsverletzungen und dem Verlust der Ernährungssouveränität von Gemeinschaften, die mit der Biokraftstoffproduktion einhergehen.

Synthetische Kraftstoffe aus Elektrizität sind zwar rein technisch machbar, aber in der Realität nur durch Überschüsse an erneuerbarer Energie möglich, wovon wir schlichtweg Jahrzehnte entfernt sind. Aktuell reichen erneuerbare Energien nicht für den herkömmlichen Verkehr, die Landwirtschaft und zum Heizen – an überschüssige Energie für die Luftfahrt ist nicht zu denken. Zudem ist der uneingeschränkter Ausbau der erneuerbaren Energien unvereinbar mit dem Erhalt biologischen Artenvielfalt und der Verhinderung neokolonialer Solar- und Windenergieprojekte auf dem Land indigener Gemeinschaften des Globalen Süden.

Auch der Rüstungssektor ist mit der Realität konfrontiert, dass eine zunehmende Militarisierung innerhalb der EU nicht vereinbar ist mit einem grünen Wandel und dem Ziel, die Erderwärmung auf 1,5°C zu begrenzen. Die weltweiten Militärausgaben steigen seit den 1990er Jahren und erreichten im Jahr 2021 ein Rekordvolumen von 2.000 Mrd. US-Dollar. Denkbare Kraftstoffalternativen für Transport und Ausrüstung – 75 Prozent des militärischen Energieverbrauchs – bringen die selben Probleme mit sich, wie alternative Kraftstoffe für den zivilen Luftfahrtsektor: Sie sind teuer, nicht verfügbar und nicht nachhaltig.

Der Wettbewerbsvorteil wird priorisiert

Laut der Kommission befindet sich die Luftfahrt ,"an einem Scheideweg zwischen internationaler Wettbewerbsfähigkeit und Umweltfragen". Priorisiert die EU weiterhin einen Wettbewerbsvorteil oder eine Führungsposition der Luftfahrtindustrie zu erhalten, wird sie nicht in der Lage sein, wirksame Emissionsreduzierungen umzusetzen.

Viele der von FragDenStaat befreiten Dokumente verdeutlichen, dass die Kommission die Wettbewerbsfähigkeit durch die Finanzierung von Forschung und Innovation aufrechterhalten will. Ihre Unterstützung für Unternehmen wie Airbus führt die Kommission zurück auf angebliche Investitionen und F&I-Engagement des Privatsektors. Doch die Unterlagen zeigen ein Kommission, die sich von sich aus darum sorgt, die Finanzierungslücke durch geringere Ausgaben im Privatsektor zu schließen. So finanziert die Kommission wiederholt selbst Forschung und Innovation im Privatsektor: Entweder um die Ausgaben des Privatsektors zu ergänzen oder um die F&I-Finanzierung auszugleichen, die die Unternehmen – insbesondere durch den Wirtschaftskontext nach der COVID-19-Pandemie – angeblich nicht mehr selbst leisten können.

In einem Vorbereitungsdokument für ein online Termin mit Interessenvertreter*innen der Luftfahrtindustrie im Juni 2020 wird die Notwendigkeit dargelegt, "aktuelle Forschungs- und Innovationsagenda für die Luftfahrt an den aktuellen wirtschaftlichen Kontext nach der COVID-Krise anzupassen und sie gleichzeitig als Hauptinstrument zur Überbrückung der Kluft zwischen der Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit der EU und der Erreichung von Umwelt-/Klimazielen beizubehalten". In weiteren Dokumenten, in denen die Maßnahmen zur Bewältigung der COVID-Krise dargelegt werden, verweist die Kommission immer wieder darauf, dass die Luftfahrtakteure zusätzliche Hilfe benötigen, um ihre Forschungsbasis zu erhalten.

Ein Informationsvermerk der Generaldirektion Wettbewerb (GD COMP) aus dem März 2022 schildert wie die Kommission Beihilfen für das Design verbesserter Produkte genehmigt. Obwohl die Richtlinien für staatliche Beihilfen für Klima, Umweltschutz und Energie (CEEAG) es Behörden verbieten, das Design und die Herstellung umweltfreundlicher Produkte zu fördern, nichtsdestotrotz legt die GD COMP fest, dass dies möglich ist, wenn es sich um eine "Forschungs- und Entwicklungstätigkeit" handelt – ein riesiges Schlupfloch in der Richtlinie.

In einer Vorbereitungsnotiz, für ein Treffen der Kommission mit Interessenvertreter*innen der Luftfahrtindustrie im Juni 2020, werden drei strategische Schwerpunkte für die Europäische Partnerschaft Clean Aviation (EPCA) vorgeschlagen – eine von 10 öffentlich-privaten Partnerschaften unter dem Singel Basic Act – zu der die EU beinah 10 Milliarden Euro an Finanzierung beiträgt für:

  • disruptive Technologien für ein Hybrid-Elektro-Regionalflugzeug;
  • disruptive Technologien für ein ultra-effizientes Kurz- und Mittelstreckenflugzeug; und
  • disruptive Technologien für Flugzeuge mit drop-in-Antrieben (einschließlich Wasserstoff).

Dokumente wie dieses veranschaulichen, wie die Kommission weiterhin das Erreichen der Klimaziele mit wettbewerbsfähiger Innovation und digitalen Fortschritt verknüpft. Auf den wirtschaftlichen Abschwung nach der COVID-Pandemie zu reagieren, indem disruptive Technologien priorisiert werden und das Wiederwachstum der Luftfahrtindustrie gefördert wird, ist jedoch eine kurzfristige Lösung. Als disruptive Technologien werden Innovationen bezeichnet, die den Markt erheblich verändern und in der Anfangsphase ihrer Entwicklung selten rentabel sind. Die Entscheidung der Kommission marktbeherrschenden Unternehmen bei der F&I zu unterstützen, läuft darauf hinaus, die Luft- und Raumfahrtindustrie dabei zu unterstützen wie gehabt weiterzumachen, anstatt schwierige Gespräche über die dringend notwendige Dezentralisierung und Reduzierung des Flugverkehrs zu führen.

In einer Notiz der Generaldirektion Forschung und Innovation (RTD) vom Mai 2020 für eine Telefonkonferenz mit Safran bekräftigt die Kommission, dass  sich die Luftfahrtindustrie ohne "massive finanzielle Unterstützung und entschiedenes politisches Engagement" unmöglich erholen kann.

Es heißt darin weiter, dass die derzeitige finanzielle Situation der Luftfahrtindustrie bedeute, "dass es für die Industrie unmöglich ist, die Finanzierung von F&I-Projekten im derzeitigen Tempo fortzusetzen" und "dass es notwendig ist, den Umfang der von Horizont Europa abgedeckten Innovationsprojekte über die saubere Luftfahrt hinaus auf alle Themen auszudehnen, die notwendig sind, um die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie zu erhalten und den Innovationsbedarf der gesamten Lieferkette zu decken (Digitalisierung, Automatisierung, Cybersicherheit, Sicherheit, industrielle Werkzeuge usw.)".

In einem aktuelleren Vermerk der GD COMP vom März 2022 stimmt die Kommission zu Gelder für Projekte bereitzustellen die Produkte verbessern. Nach den Leitlinien für staatliche Beihilfen in den Bereichen Klima, Umweltschutz und Energie (CEEAG) dürfen öffentliche Stellen die Entwicklung und Herstellung umweltfreundlicher Produkte nicht fördern. In diesem Fall legt die GD COMP fest, dass dies möglich ist, da es sich um eine "Forschungs- und Entwicklungstätigkeit" handelt - damit öffnet sie ein großes Schlupfloch in den Leitlinien.

Insgesamt skizzieren die an FragDenStaat herausgegebenen Dokumente den Fokus der Kommission auf industriegeführte Finanzierungen für wettbewerbsfähige, digitale Lösungen für Probleme, die in erster Linie auf schlechte Ressourcenverteilung und Profitstreben zurückzuführen sind.

Die Kommission verknüpft auch die Unterstützung von Rüstungsfinanzierung mit grünen Initiativen. In einer Vorbereitungsnotiz für den Technoday von Airbus im Jahr 2019 schreibt die Kommission, dass die Herausforderungen der Ökologisierung des Verkehrs durch die Raumfahrt und den Europäischen Verteidigungsfonds gemeistert werden können, indem "Synergien mit Horizon Europe unter der Führung von [Airbus]“ geschaffen werden.

Dieses Narrativ der Kommission erhöht die Legitimität von Rüstungsausgaben und ignoriert völlig, dass eine Verlagerung hin zu einer Priorisierung von Rückbau in der Luft- und Raumfahrt und Verteidigungsindustrie sowie ein gerechter Übergang für die Arbeitnehmer*innen in diesen Industrien erforderlich ist, um die Erwärmung auf 1,5°C zu begrenzen. Die GD MOVE fasste den Ansatz der Kommission zur Verringerung des Flugverkehrs in einem Briefing an Safran im Jahr 2022 mit den Worten zusammen: "Es besteht kein Zweifel – der Übergang zur Nachhaltigkeit ist die Lizenz für den Luftfahrtsektor zu wachsen. Es liegt sowohl in ihrem Interesse als auch in dem der Gesellschaft als Ganzes".

Entdecke die Dokumente:

Bei den meisten der an FragDenStaat freigegebenen Dokumente handelt es sich um Korrespondenzen mit Unternehmen der Luftfahrt- und der Verteidigungsindustrie oder Unterlagen zu Treffen mit Industrievertreter*innen, die sich mit spezifische EU-Finanzierungs- und Politikinitiativen beschäftigen. Dazu gehören Programme und Veranstaltungen wie z. B.:

  • Europäische Allianz für industrielle Daten, Edge und Cloud: umfasst Unternehmen, Vertreter der Mitgliedstaaten und einschlägige Experten, die an Edge- und Cloud-Technologien arbeiten. Sie erstellt Empfehlungen, Fahrpläne und Standards für das öffentliche Auftragswesen.
  • Clean Sky 2, Horizon Europe: 2014 ins Leben gerufenes, Nachfolge Projekt von Clean Sky und Teil des Forschungs- und Innovationsprogramms von Horizont 2020. War der wichtigste Beitrag zu den von ACARE gesetzten Zielen der Kommission für den Flightpath 2050. Setzt sich auch für den Erhalt der europäischen "Führungsrolle" in der Luftfahrt ein.
  • Clean Aviation (Clean Sky 3), Horizon Europe: Nachfolger von Clean Sky 1 und 2. Öffnete im März 2022 eine Aufforderung zur Einreichung von Vorschlägen für 735 Millionen Euro über einen Zeitraum von 36 Monaten für Wasserstoffflugzeuge, Hybrid-Elektroflugzeuge, Kurz- und Mittelstreckenflugzeuge, "transversale" Technologien sowie Koordinierung und Unterstützung.
  • Die Pariser Luftschau vom 11. bis 23. Juni 2019: Ausstellungen von Akteuren der Luftfahrt- und Telekommunikationsindustrie.
  • ReFuelEU Aviation: eine Initiative im Rahmen des EU-Pakets "Fit for 55" zur Steigerung des Angebot und der Nchfrage an nachhaltigen Flugkraftstoffen (SAF), mit der die Haupthindernisse von SAF - geringes Angebot und hohe Preise - beseitigt werden sollen.
  • Alliance for Zero-Emission Aviation (AZEA): eine freiwillige Initiative privater und öffentlicher Partner, deren Ziel es ist, wasserstoffbetriebene und elektrische Flugzeuge auf den Markt zu bringen.
  • Copernicus: die Erdbeobachtungskomponente des Weltraumprogramms der Europäischen Union. Es bietet Informationsdienste an, die sich auf satellitengestützte Erdbeobachtungsdaten und In-situ-Daten (außerhalb des Weltraums) stützen.

Die vollständige Liste der Dokumente gibt es hier.

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