aa-auskunft

Dieses Dokument ist Teil der Anfrage „Aktueller Lagebericht Afghanistan des Auswärtigen Amts

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a nasnhwär      zter die ——VS NurfürdenDienstg           e b ra u ch — —— —   F a s s u ng  n ic h  a t   ls 11                               ‚V S   e in g e s t u f t , Fahnenflucht und unerlaubtes Wegbleiben vom Arbeitsplatz im Militär- und Polizeibereich sind nach Artikel 10 von Annex 1 des afghanischen Militärstrafgesetzbuches nur für Offiziere und erst ab einem Fernbleiben von über einem Jahr strafbar; für einfache Soldaten hat eine Fahnenflucht keine strafrechtlichen Konsequenzen. Aufgrund der sehr hohen „attrition rate“ werden etwaige „Fahnenflüchtige“ im Falle einer Rückkehr häufig wieder von den ANDSF aufgenommen. 1.7 Handlungen gegen Kinder Das Recht auf Bildung ist in der Verfassung verankert und seit 2008 durch eine gesetzliche Schulpflicht für Kinder bis etwa zwölf Jahren unterlegt. Tatsächlich werden mittlerweile rund zwei Drittel aller Kinder eingeschult. Von den mehr als neun Millionen Schulkindern sind laut Angaben des Bildungsministeriums mehr als 3,5 Millionen (ca. 39 %) Mädchen. Ihr Anteil nimmt jedoch mit fortschreitender Klassenstufe ab und fällt in Gebieten außerhalb der Regierungskontrolle drastisch, laut Human Rights Watch auf insgesamt nur knapp über 20 %. Während der ersten Phase der Covid-19-Pandemie blieben Bildungseinrichtungen, je nach Schulform, für fünf bis sechs Monate geschlossen. Digitale Bildungsangebote        erreichten nnur einen Bruchteil der Lernenden. Kinder werden weiterhin Opfer des bewaffneten Konflikts. 2020 dokumentierte die VN 760 getötete    und    1.859   verletzte   Kinder,   30%   aller    zivilen   Opfer.    Dabei      stellen Kampfmittelrückstände der vergangenen 42 Jahre eine besondere Bedrohung für Kinder dar, die 80 % der Opfer dieser explosiven Rückstände ausmachen. 2020 wurden in 62 Fällen Schulen oder Lehrkräfte bedroht, angegriffen oder Opfer von Kampfhandlungen. Mindestens 258 Schulen mussten aufgrund der Sicherheitslage (temporär) schließen. Das Problem der Rekrutierung Minderjähriger, einschließlich Zwangsrekrutierung, durch regierungsfeindliche Gruppen, Milizen Esch: weiter fort. Für 2020 ist die Rekrutierung von insgesamt 196 Jungen belegt, davon 172 durch die Taliban, die Kinder u. a. für Selbstmordattentate einsetzen. Weitere 17 Vorfälle gingen auf das    Konto     der  staatlichen   Sicherheitskräfte. Die     afghanische    Regierung       ergreift Gegenmaßnahmen, wie die neue Kinderschutzstrategie des Innenministeriums, verabschiedet im    November     2020.  Die   staatlichen  Rekrutierungsmechanismen       sind   aber    weiterhin fehleranfällig und einzelne Kommandeure setzten sich offenbar über die Altersvorgaben hinweg. Zwangsverheiratungen auch von Kindern unter dem gesetzlichen Mindestalter der Ehefähigkeit — 18 Jahre für Männer, 16 für Frauen (mit Zustimmung des Vaters 15 Jahre) — sind weit verbreitet und eine sozial akzeptierte Bewältigungsstrategie in einer wirtschaftlichen Notlage, welche in Folge der Covid-19-Pandemie weiter zunehmen. Etwa ein Drittel der Frauen und Mädchen heiraten vor dem 18. Geburtstag, ein weiteres Drittel kurz danach. Die offizielle Festsetzung des Beginns der Volljährigkeit auf den 18. Geburtstag für beide Geschlechter ist umstritten. Konservativ-religiöse Kreise blockieren aus diesem Grund die parlamentarische Bestätigung des 2019 per Präsidialdekret erlassenen Kinderschutzgesetzes. Der sexuelle Missbrauch von Kindern und Jugendlichen bleibt ein grassierendes Problem, das aufgrund     der  gesellschaftlichen  Befindlichkeiten   allerdings  kaum    angezeigt wird. Geschlechtsverkehr mit Minderjährigen ist durch das afghanische Gesetz unter Strafe gestellt, die strafrechtliche Verfolgung scheint aber nur in Einzelfällen und oftmals erst auf Druck der internationalen Gemeinschaft zu erfolgen. Neben Übergriffen im familiären und persönlichen Umfeld - zuletzt sorgten Missbrauchsfälle in Schulen in der Provinz Logar und im nationalen Fußballverband für Empörung - florieren auch Kinderhandel und Prostitution. Die kulturell © Auswärtiges Amt 2021 — Nicht zur Veröffentlichung bestimmt — Nachdruck verboten
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„aschwärzief — VS Nurfürden-Dienstgebrauch—                  BR ung nicht als 12                            vs eingestuft, teilweise tolerierte Form der Kinderprostitution des Bacha Bazi (sog. „Tanzjungen“, auch „Knabenspiel“) wurde 2018 erstmalig explizit unter Strafe gestellt. Opfer wenden sich jedoch in denseltenstenFällenandieSicherhecitckrc?                       EEE \issbrauchte Jungen und ihre Familien werden zudem oft von ihrer sozialen Umgebung ausgeschlossen und stigmatisiert. Das Arbeitsgesetz verbietet Kinderarbeit für Jugendliche unter 15 Jahren. Laut einem VN- Bericht müssen dennoch 30% der Kinder zwischen fünf und 16 Jahren Arbeit leisten, teilweise in gefährlichen Sektoren wie dem Bergbau oder der Ziegelherstellung. Durch die wirtschaftlichen Auswirkungen der Covid-19-Pandemie und die langen Schulschließungen dürfte dieser Anteil weiter gestiegen sein, weil noch mehr Familien auf die Einkünfte angewiesen sind und Bildungslaufbahnen unterbrochen wurden. Straßenkinder gehören zu den am wenigsten geschützten Gruppen und sind jeglicher Form von Missbrauch ausgesetzt. 1.8 Geschlechtsspezifische Verfolgung Afghanistan verpflichtet sich in seiner Verfassung, seinen Gesetzen und durch den Beitritt zu internationalen Konventionen, die Gleichberechtigung von Frauen zu achten und zu stärken. In der Praxis werden Frauenrechte jedoch oftmals nur eingeschränkt verwirklicht und entsprechende staatliche Vorgaben sehr schleppend umgesetzt. Dies gilt auch für den im Juni 2015 auf den Weg gebrachten Nationalen Aktionsplan 2015 - 2022 für die Umsetzung der VN-Sicherheitsratsresolution 1325 mit der Agenda „Frauen, Frieden, Sicherheit“, der sich inzwischen in Phase II (2019 - 2022) der Umsetzung befindet. Selbst staatliche Akteure aller drei Gewalten sind aufgrund tradierter Wertevorstellungen häufig nicht gewillt, Frauenrechte zu schützen. Das Personenstandsgesetz enthält diskriminierende Vorschriften für Frauen, insbesondere in Bezug auf Heirat, Sorgerecht, Erbschaft und Bewegungsfreiheit. Die politische Partizipation von Frauen ist ebenfalls rechtlich verankert, aber unzulänglich realisiert. Die Hälfte der 34 durch den Präsidenten zu vergebenen Sitze im Oberhaus (Meshrano Jirga) sind laut Verfassung für Senatorinnen reserviert, d. h. knapp 17% der insgesamt    102    Sitze. Im   Unterhaus   (Wolesi    Jirga) sind  68  der  249   Sitze  für Parlamentarierinnen vorgesehen; derzeit wird die Quote mit 67 Frauen leicht unterschritten. Präsidialdekrete, die für die Provinzen die Ernennung von mindestens einer stellvertretenden Gouverneurin und eine Frauenquote von mind. 25 % in den Provinzräten vorsehen, sind nicht flächendeckend umgesetzt. Frauen besetzen immerhin fast die Hälfte der Sitze in den Entwicklungsräten der Provinzen (provincial development councils). Die grundsätzliche Akzeptanz der Berufstätigkeit von Frauen variiert je nach Region und ethnischer   bzw.    Stammeszugehörigkeit    und   liegt  den Umfrageergebnissen   der   Asia Foundation 2019 im Landesdurchschnitt bei 76%. Eine Umfrage unter Beteiligung von UN Women kam dahingegen zu dem Schluss, dass nur 15% der Männer es befürworten, dass verheiratete Frauen einer Beschäftigung nachgehen. 2018 gab es landesweit etwa 70.000 Lehrerinnen, das entspricht etwa einem Drittel aller Lehrkräfte. Insgesamt sind 25% aller Stellen im öffentlichen Dienst mit Frauen besetzt. Auch im Justiz- und Polizeisektor sind Frauen weiterhin unterrepräsentiert und stellen beispielsweise nur etwa 15 % der Richterschaft. Aktuell sind in der Afghan National Police (ANP) etwas mehr als 3.600 Polizistinnen, was ca. 3% entspricht. Das Innenministerium bemüht sich um die Einstellung von mehr Polizistinnen, ein entsprechender Aktionsplan wurde Ende 2020 verabschiedet. Es gibt jedoch weiterhin zahlreiche Berichte über den sexuellen Missbrauch von Frauen in der afghanischen Polizei, durch Kollegen und durch Vorgesetzte. © Auswärtiges Amt 2021 — Nicht zur Veröffentlichung bestimmt — Nachdruck verboten
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in g e s c hw  ä r z t e r Fass  u n g  n i c h t  a l s —VS       NurfürdenDienstgebrauch—————              VS eingestuft 13 Sexualisierte und geschlechtsspezifische Gewalt ist unabhängig von der Ethnie weit verbreitet. UN Women geht davon aus, dass 87 % der afghanischen Frauen in ihrem Leben mindestens eine Form von häuslicher Gewalt erfahren. Gewalttaten gegen Frauen und Mädchen finden zu über 95 % innerhalb der Familienstrukturen statt. Für die ersten zehn Monate des Jahres 2020 dokumentierte die AIHRC 281 schwere Gewalttaten gegen Frauen, darunter Vergewaltigungen, Entführungen und 167 Morde, bei denen es sich wiederum hauptsächlich um sog. „Ehrenmorde“ gehandelt haben soll. Nur in 123 dieser Fälle wurden Verdächtige verhaftet, während die Mehrheit der mutmaßlichen Täter nicht belangt wurde. Zwangsheirat und Verheiratung von Mädchen unter 15 Jahren sind insbesondere in ländlichen   Regionen    noch   weit   verbreitet. Das  afghanische  Zivilrecht   erlaubt     eine Eheschließung für Mädchen ab 16 Jahren, mit Einverständnis des Vaters oder eines Gerichts ab 15 Jahren. Einem UNICEF-Bericht zur Situation der Kinder in Afghanistan zufolge ist eines von drei Mädchen unter 18 Jahren verheiratet, in 42% der Familien kommt es zu Kinderehen. In der Tradition des Paschtunwali (paschtunischer Ehrenkodex) werden Frauen der Familie des Geschädigten als Objekt der Streitbeilegung („baad“ und „ba ‘adal“) angeboten. Diese Praxis ist rechtlich verboten und wird zum Teil auch strafrechtlich verfolgt; insbesondere in traditionell paschtunischen Gebieten wird sie jedoch weiterhin praktiziert. Insgesamt wird das Gesetz zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen nur unzureichend umgesetzt. Viele Gewaltfälle gelangen nicht vor Gericht, sondern werden durch Mediation oder Verweis auf traditionelle Streitbeilegungsformen (Schuren und Jirgas) verhandelt. Traditionelle Streitbeilegung führt oft dazu, dass Frauen ihre Rechte sowohl im Strafrecht als auch im zivilrechtlichen Bereich wie z. B. im Erbrecht nicht gesetzeskonform zugesprochen werden. Beispielsweise werden viele Frauen in Fällen häuslicher Gewalt darauf verwiesen, zu ihrem Ehemann zurückzukehren, um Ehre und Frieden in der Familie zu erhalten. Häufig werden Frauen, die eine sexualisierte Straftat zur Anzeige bringen, unter dem Vorwurf sog. Sittenverbrechen, insbesondere dem außerehelichen Geschlechtsverkehr („Zina“), sogar selbst verhaftet, obwohl das Strafgesetzbuch von 2018 eigentlich zwischen erzwungenem und einvernehmlichem außerehelichen Geschlechtsverkehr unterscheidet. Bei einvernehmlichen außerehelichen Beziehungen wird die Frau zur „Ehrenrettung“ teilweise durch die eigene Familie angezeigt. Auch Männer werden für „Zina“-Anschuldigungen strafrechtlich verfolgt und inhaftiert. Zum Teil ergehen auch Morddrohungen der Familien gegen beide Partner. Menschenrechtsorganisationen kritisieren die gesetzlich abgeschafften, in der Praxis aber gerade mit „Zina“-Anklagen oft einhergehenden erzwungenen „Jungfräulichkeitstests“. Opfer von    häuslicher    Gewalt,    Vergewaltigungen      oder   Zwangsehen     sind    meist       auf Schutzmöglichkeiten außerhalb der Familie angewiesen, da diese oft (mit-Jursächlich für die Notlage ist. In den großen Städten existieren Frauenhäuser, deren Angebot oft in Anspruch genommen wird, für Frauen aus ländlichen Gebieten allerdings kaum zu erreichen ist. Frauenhäuser sind gesellschaftlich zudem höchst umstritten, da immer wieder Gerüchte gestreut werden, sie seien Orte für „unmoralische Handlungen“. „Von-zu-Hause-Weglaufen“, obwohl selbst kein Straftatbestand, wird außerdem teilweise als Versuch der „Zina“ gewertet. Das Schicksal von Frauen, die nicht zu ihren Familien zurückkehren können, ist häufig perspektivlos, da für Frauen ein alleinstehendes, selbstbestimmtes Leben kaum möglich ist. Die Geburtsfamilien fühlen sich nach der Heirat aber teilweise nicht mehr zuständig, beziehungsweise wollen sich nicht in die Angelegenheiten der Familie des Ehemannes einmischen. Frauen können sich, abgesehen von urbanen Zentren wie z. B. Kabul oder Herat, grundsätzlich nicht ohne einen männlichen Begleiter in der Öffentlichkeit bewegen. Selbst die Einhaltung strenger Kleidungsnormen schützt sie nicht vor Belästigung. © Auswärtiges Amt 2021 — Nicht zur Veröffentlichung bestimmt — Nachdruck verboten
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— VS - Nurfürden-Dienstgebrauch— 14 Die Möglichkeiten der Familienplanung werden nur von etwa einem Fünftel der Frauen genutzt, überwiegend in den Städten und gebildetere Schichten. Viele Frauen gebären bereits in sehr jungem Alter (vgl. IV 1.3. zur Müttersterblichkeit). Situation für Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transsexuelle/Transgender und Intersexuelle Menschen (LGBTD Die afghanische Verfassung kennt kein Verbot der Diskriminierung von LGBTI-Personen. Das Strafgesetzbuch von 2018 kriminalisiert im Gegenteil Sexualpraktiken, die üblicherweise mit männlicher Homosexualität in Verbindung gebracht werden und sanktioniert diese teilweise mit mehrjährigen Haftstrafen. Dass kein Fall einer strafrechtlichen Verfolgung bekannt ist, könnte an der vollkommenen Tabuisierung liegen. Es wird von Vergewaltigungen homosexueller Männer durch die Polizei berichtet. Die Betroffenen haben zudem kaum Zugang     zum   Gesundheitssystem     und   müssen    bei  „Entdeckung“     den   Verlust  ihres Arbeitsplatzes und soziale Ausgrenzung bis hin zu gewalttätigen Übergriffen fürchten. Die gesellschaftliche Ausgrenzung der Betroffenen wird durch eine weitverbreitete Auslegung des islamischen Rechts verschärft, nach denen ihnen die Todesstrafe droht. Unter der dominierenden Auslegung des islamischen Rechts ist bereits die Annäherung des äußeren Erscheinungsbilds an das andere Geschlecht, etwa durch Kleidung, verboten. Dennoch gibt es die sog. „Bacha Push“, junge Mädchen, die sich als Jungen ausgeben, um eine bestimmte Bildung genießen zu können, alleine außer Haus zu gehen oder Geld für die sohn- oder vaterlose Familie zu verdienen. Dies ist in der Regel keine transsexuelle, sondern eine indirekt aufgrund gesellschaftlicher Zwänge bedingte Lebensweise. Bei Entdeckung droht dennoch Verfolgung durch konservative oder religiöse Kreise, da ein Mädchen bestimmte Geschlechtergrenzen überschritten und sich in Männerkreisen bewegt habe. In durch die Taliban kontrollierten Gebieten existiert ein informelles Justizsystem auf Grundlage einer strikten Auslegung islamischen Rechts, nach dem Strafen bis hin zur Auspeitschung oder Steinigung verhängt werden können. UNAMA dokumentierte 2019 vier Fälle von Menschenrechtsverletzungen gegen Zivilistinnen, denen die Taliban Ehebruch oder eine „unmoralische Beziehung“ vorwarfen. In einem Fall wurde die Frau im November 2019 in der Provinz Faryab hingerichtet, drei Fälle führten zu Auspeitschungen. 1.9 Exilpolitische Aktivitäten Eine   Diskriminierung    oder   Strafverfolgung   aufgrund   exilpolitischer   Aktivitäten nach Rückkehr aus dem Ausland ist nicht bekannt. Staatspräsident Ghani selbst verbrachte die Zeit der   Bürgerkriege   und   der  Taliban-Herrschaft    in  den   1990er   Jahren  weitgehend    im pakistanischen und US-amerikanischen Exil. 2. Repressionen Dritter Bedrohungslage      für  ANDSF,      Amtsträger,    lokale   Mitarbeiter    und   Personen    des öffentlichen Lebens Angehörige der     afghanischen    Sicherheitskräfte   und  der  afghanischen    Regierung   sind weiterhin prioritäre Ziele der Aufständischen. Seit dem Abkommen zwischen den USA und den Taliban vom 29. Februar 2020 sind keine signifikanten Angriffe mehr durch Taliban auf internationale Kräfte erfolgt, dafür kam es zu verstärkten Kampfhandlungen mit den ANDSF. Die Angriffe der Taliban sind im Winter kaum zurückgegangen, sondern haben sich auf einem durchgehend hohen Niveau bewegt. Im ersten Quartal 2021 waren die Verluste der © Auswärtiges Amt 2021 — Nicht zur Veröffentlichung bestimmt — Nachdruck verboten
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in geschwärzter — VS NurfürdenDienstgebraueh                       —       Fassung nicht als 15                               VS eingestuft ANDSF wesentlich höher als im Vorjahreszeitraum, insbesondere auch durch einen Anstieg sogenannter „Innentäter“-Angriffe um 82%. Im Nachgang an das mit den USA ausgehandelte Abzugsdatum 30. April 2021 ist es in den Provinzen zu einem weiteren Gewaltanstieg und erhöhtem Druck der Taliban auf die ANDSF gekommen. ISKP ist weiterhin in Afghanistan aktiv, zwar geschwächt, aber weiterhin in der Lage, komplexe Anschläge! mit hohen Opferzahlen unter der Zivilgesellschaft durchzuführen. Gegen Polizei- und Militärfahrzeuge werden besonders in Kabul Anschläge mit magnetischen improvisierten Sprengvorrichtungen (magnetic improvised explosive device, MIED) verübt. Landesweit     sind   insbesondere      Einrichtungen     der   Sicherheitskräfte    sowie    polizeiliche Kontrollpunkte Ziele von Angriffen. Angehörige der ANDSF, insbesondere der mittleren und oberen Offiziersränge, sind häufig Opfer gezielter Tötungen, auch außerhalb ihrer Dienstzeit. Afghanische Regierungsmitarbeitende und sonstige Amtsträgerinnen und -träger stehen ebenfalls im Fokus der Aufständischen und sonstiger krimineller Organisationen. Diese gezielten Tötungen haben im Laufe des Jahres 2020 zugenommen, insbesondere seit Herbst 2020.     Dabei kommt      es den Angreifern nicht           darauf an,    ausschließlich hochrangige Regierungsmitarbeiter       zu    treffen.    Afghanische      Mitarbeitende     von    nationalen     und internationalen Hilfsorganisationen sind ebenfalls Ziel von Anschlägen regierungsfeindlicher Gruppen. In der zweiten Jahreshälfte 2020 nahmen insbesondere die gezielten Tötungen von Personen des öffentlichen     Lebens     (Journalistinnen    und Journalisten,     Menschenrechtlerinnen        und Menschenrechtler usw.) zu, die offen für ein modernes und liberales Afghanistan einstehen. Es ist davon auszugehen, dass insbesondere die Taliban angefeindete Personen aus diesem Kreis grundsätzlich im ganzen Land aufspüren und verfolgen können. Bedrohungslage für afghanische Zivilistinnen und Zivilisten Eine Bedrohung für Leib und Leben von Zivilistinnen und Zivilisten geht insbesondere von Kampfhandlungen          zwischen      den      Konfliktparteien,     improvisierten      Sprengkörpern, Selbstmordanschlägen und komplexen Angriffen auf staatliche Einrichtungen sowie gezielten Tötungen aus. 2020 gab es in Afghanistan nach UNAMA-Angaben 8.820 zivile Opfer, ein Rückgang um 15 % im Vergleich zu 2019, davon 5.785 Verletzte und 3.035 Tote. 2020 waren etwa 13 % der zivilen Opfer Frauen und 30 % Kinder. Der Rückgang in den Gesamtzahlen wird von den VN auf einen Rückgang der komplexen Angriffe durch die Taliban in Stadtzentren zurückgeführt, während gleichzeitig mehr Zivilistinnen  und    Zivilisten    gezielten Tötungen       sowie    dem    vermehrten     Einsatz   von improvisierten Sprengkörpern der Taliban und Luftschlägen der ANDSF zum Opfer fielen. Auch     2021  kamen     mehrere      Großanschläge     hinzu,    insbesondere     auf die    schiitische Bevölkerung in Kabul. Während die Regierungsgegner laut UNAMA 2020 weiterhin mit 62 % für die meisten zivilen Opfer verantwortlich waren (45 % zu Lasten der Taliban; 8 % zu Lasten des ISKP, 9 % zu Lasten unbestimmter regierungsfeindlicher Gruppen), wurden 22 % den ANDSF, 1 % ! Als komplexe Angriffe werden Anschläge bezeichnet, die von einer Gruppe von Tätern mit mindestens zwei verschiedenen Waffentypen (z.B. improvisierte Sprengkörper und Schusswaffen) verübt werden. © Auswärtiges Amt 2021 — Nicht zur Veröffentlichung bestimmt — Nachdruck verboten
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: ier AIRrz .       .                             . \ ar rücht als —    YSTNurfürdenDienstgebrauch           —            Fis .in   gestuft internationalen Kräften, sowie 2 % weiteren regierungsfreundlichen Gruppen zugeordnet. 13 % fielen nicht zuzuordnendem Kreuzfeuer zwischen den verschiedenen Gruppen zum Opfer. Die letzten Jahre haben gezeigt, dass die Taliban zivile Opfer zwar in Stellungnahmen ablehnen, sie aber offenkundig mindestens billigend in Kauf nehmen. Anschläge des ISKP richten sich immer wieder auch direkt gegen Zivilistinnen und Zivilisten. Einer erhöhten Gefährdung sind zudem diejenigen ausgesetzt, die öffentlich gegen die Taliban Position beziehen,       wie     zum     Beispiel      Journalistinnen     und   Journalisten      sowie Menschenrechtsverteidigerinnen und -verteidigern, oder die in ihrer Lebensweise erkennbar von ihrer islamistischen Ideologie abweichen, wie zum Beispiel konvertierte Personen, Angehörige sexueller Minderheiten oder berufstätige Frauen. 3. Ausweichmöglichkeiten Da    abgesehen    von  temporären   Straßensperren    und   akuten  Kampfhandlungen     keine dauerhaften Bewegungsbeschränkungen bestehen, ist es grundsätzlich möglich, in die größeren Städte auszuweichen. Während Afghaninnen und Afghanen sich formell im Land frei bewegen und niederlassen dürfen, sprechen allerdings teilweise Sicherheitsbedenken gegen eine Reise, gerade auf dem Landweg. Dazu beigetragen hat ein Anstieg der Zahl illegaler Kontrollpunkte und von Überfällen auf Überlandstraßen, insbesondere durch die Taliban, die inzwischen auf zahlreichen Überlandstraßen Kontrollpunkte haben. Auch in Kabul kam es im letzten Jahr wiederholt zu gezielten Tötungen. Dem Auswärtigen Amt sind zahlreiche Menschenrechtsverteidigerinnen und -verteidiger sowie Journalistinnen und Journalisten bekannt, die im letzten Jahr in Schutzhäusern, Büros oder Privatwohnungen in Kabul temporären Unterschlupf fanden. Betroffene verlassen teilweise für Wochen und Monate kaum den jeweiligen Unterschlupf. Die realen Ausweichmöglichkeiten für diskriminierte, bedrohte oder verfolgte Personen hängen zudem maßgeblich vom Grad ihrer sozialen Verwurzelung, ihrer Ethnie und vor allem ihren   finanziellen   Möglichkeiten  ab.    Die  sozialen  Netzwerke   vor  Ort    und  deren Auffangmöglichkeiten sind für den Aufbau einer Existenz und die Sicherheit am neuen Aufenthaltsort entscheidend. Für eine Unterstützung seitens der Familie spielt es auch eine Rolle, welche politische und religiöse Überzeugung den jeweiligen Heimatort dominiert. Für   Frauen   ist  es  kaum   möglich,   ohne   familiäre  Einbindung  in  andere    Regionen auszuweichen. Durch die hohe soziale Kontrolle ist gerade im ländlichen Raum keine, in den Städten kaum Anonymität zu erwarten. Auch in größeren Städten erfolgt in der Regel eine Ansiedlung innerhalb von ethnisch geprägten Netzwerken und Wohnbezirken. Die Absorptionsfähigkeit der Ausweichmöglichkeiten, vor allem im Umfeld größerer Städte, ist durch die hohe Zahl der Binnenvertriebenen und Rückkehrer bereits stark beansprucht. Dies schlägt sich sowohl im Anstieg der Lebenshaltungskosten als auch im erschwerten Zugang zum Arbeitsmarkt nieder. Die Auswirkungen des anhaltenden Konflikts und der Covid-19-Pandemie haben die Lage weiter verschärft. Auch aufgrund ungeklärter Landrechte geraten Bewohnerinnen und Bewohner informeller Siedlungen in Konflikt mit Landbesitzern und Behörden. Gut vernetzte, bekannte Persönlichkeiten können mit Hilfe nationaler Organisationen wie dem Afghanistan Journalists Safety Committee oder internationalen Unterstützern teilweise ins benachbarte oder weiter entfernte Ausland ausweichen; besonders Indien, Usbekistan und die Türkei werden in diesem Zusammenhang genannt. Die überwiegende Mehrheit der in den © Auswärtiges Amt 2021 — Nicht zur Veröffentlichung bestimmt — Nachdruck verboten
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in geschwärzter —             YS—Nur-für-den-Dienstgebrauch—————            Fassung nicht als 7                              ‚VS eingestuft vergangenen     Jahrzehnten    geflohenen   Afghaninnen     und   Afghanen   lebt   aber  in  den Nachbarländern Iran und Pakistan, die aktuell laut UNHCR etwa 3,5 bis 4 bzw. etwa 2,5 Millionen   Afghaninnen      und   Afghanen    mit   mehr   oder   weniger   gesichertem    Status beherbergen. Trotz Bestrebungen beider Länder, mittelfristig die Rückkehr der Afghaninnen und Afghanen zu erwirken, wurden im Berichtszeitraum in Pakistan weitere Maßnahmen ergriffen, um den Schutz und die Lebensbedingungen für 1,4 Millionen afghanische Flüchtlinge zu verbessern. Durch die im April 2021 begonnene Ausgabe elektronischer Identitätsnachweise soll dort der Zugang zu staatliche Unterstützung und privatwirtschaftlichen Dienstleistungen erleichtert werden. Daneben gibt es Hinweise auf systematische, zwangsweise Rückführungen und mitunter tödliche Misshandlung irregulärer afghanischer Migrantinnen und Migranten durch iranische Sicherheitskräfte. Etwa 1,5 bis 2 Millionen Afghaninnen und Afghanen im Iran haben keinen Aufenthaltsstatus.   Ein  im November 2020         eingebrachter, bisher nicht    verabschiedeter Gesetzesvorschlag würde die Situation irregulär im Iran lebender Afghaninnen und Afghanen, beispielsweise    durch    lange     Gefängnisstrafen   für   Aufenthaltsrechtsverstöße,    weiter verschärfen. Auch die schlechte Wirtschaftslage des Iran bewegt viele Afghaninnen und Afghanen zur freiwilligen Rückkehr in ihr Heimatland (lt.             IOM   2020 etwa 859.000 Rückkehrende, davon       324.779 unfreiwillig,     und  2021   bis 22. April    bereits  345.366 Rückkehrende). IH. Menschenrechtslage 1. Schutz der Menschenrechte in der Verfassung Die Menschenrechte haben in Afghanistan eine klare gesetzliche Grundlage. Die 2004 verab- schiedete Verfassung enthält einen umfassenden Grundrechtekatalog. Die Regierung ist jedoch nicht in der Lage, die Menschenrechte vollumfänglich zu gewährleisten. Afghanistan hat die folgenden Menschenrechtsabkommen ratifiziert: -  Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (01.04.1987) und Fakultativprotokoll zur Antifolterkonvention (17.04.2018)                  " -  Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte (24.01.1983) -  Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (05.03.2003) -  Internationales Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung (06.07.1983) -  Internationaler  Pakt    über    die wirtschaftlichen,  sozialen   und   kulturellen  Rechte (24.01.1983) -  Übereinkommen über die Rechte des Kindes (28.03.1994); Fakultativprotokoll betreffend die    Beteiligung     von      Kinden     an    bewaffneten    Konflikten      (24.09.2003); Fakultativprotokoll betreffend den Verkauf von Kindern, die Kinderprostitution und die Kinderpornographie (19.09.2002) -  Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (18.09.2012); Fakultativprotokoll zum Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (18.09.2012) Bisher hat Afghanistan folgende Menschenrechtsabkommen nicht ratifiziert: © Auswärtiges Amt 2021 — Nicht zur Veröffentlichung bestimmt — Nachdruck verboter
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Srzie eiyprrt T any m‘          icht alals niprht —VS Nurfür.den-Dienstgebrauch-                Pas ingestuft, 18                           N -   Fakultativprotokoll zum Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte -   Zweite Fakultativprotokoll zum Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte zur Abschaffung der Todesstrafe -   Übereinkommen zum Schutz aller Personen vor dem Verschwindenlassen -   Fakultativprotokoll zum Übereinkommen zur Beseitigung jeder                   Form     von Diskriminierung der Frau -   Fakultativprotokoll zum Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte -   Fakultativprotokoll zum Übereinkommen über die Rechte des Kindes Im Universal Periodic Review-Verfahren (UPR) des VN-Menschenrechtsrates im Januar 2019 akzeptierte Afghanistan 235 der 258 Empfehlungen und nahm die übrigen zur Kenntnis. Letztere bezogen sich v. a. auf ein Moratorium zur Todesstrafe, die Abschaffung der Todesstrafe, Umwandlung der Todesstrafe für Personen unter 18 Jahre und den Beitritt zu den relevanten internationalen Menschenrechtsabkommen sowie Nichtdiskriminierung und Schutz gleichgeschlechtlicher Paare. Nach Art. 3 der Verfassung darf kein Gesetz des Landes gegen die Lehren und Vorschriften der „Religion des Islams“ verstoßen. Die von Afghanistan ratifizierten internationalen Verträge und Konventionen wie auch die nationalen Gesetze stehen damit unter Islam- Vorbehalt. Ungeklärt ist bislang die Normenhierarchie. Diese Unklarheit und das Fehlen einer Autoritätsinstanz   zur   landesweiten   einheitlichen Interpretation der  Verfassung    führen teilweise zur willkürlichen Rechtsanwendung. Afghanistan wurde 2017 erstmals zum Mitglied des Menschenrechtsrats der Vereinten Nationen für den Zeitraum 1. Januar 2018 — 31. Dezember 2020 gewählt. 2. Folter Trotz   Fortschritten in der Durchsetzung eines gesetzlichen und verfassungsrechtlichen Folterverbots sind Folter und andere Misshandlungen in afghanischen Haftanstalten weiterhin verbreitet. Mehr als 30 % der für einen gemeinsamen Bericht von UNAMA und OHCRC interviewten Insassen, die im Zusammenhang mit Terrorismusvorwürfen inhaftiert waren, berichteten   nach     Einschätzung    dieser   Organisationen   glaubhaft  von    Folter   und Misshandlungen. Die Darstellungen der VN werden seitens der Regierung Afghanistans regelmäßig bestritten. Die Schutzmaßnahmen staatlicher Stellen gegen Folter werden von den VN als sehr schwach und   unzureichend bewertet.     Beispielsweise erhalten Inhaftierte nur     selten den ihnen zustehenden Rechtsbeistand, dürfen zu Beginn ihrer Inhaftierung oftmals ihre Familien nicht kontaktieren und werden nicht über ihre Rechte informiert. Ein weiteres zentrales Problem ist, dass afghanische Richterinnen und Richter sich bei Verurteilungen fast ausschließlich auf Geständnisse der Angeklagten stützen. Das Geständnis als „Beweismittel“ erlangt so überdurchschnittliche Bedeutung und erhöht somit den Druck auf NDS und Polizei, ein solches zu erreichen. Das Büro des Generalstaatsanwalts verfügt über eine eigene Anti-Folter-Kommission. Mit dem Anti-Folter-Gesetz wurde zudem eine hochrangige Anti-Folter-Kommission etabliert, die durch die staatliche AIHRC geleitet wird. Bisher verfügt Afghanistan aber über keinen Anti- Folter-Mechanismus, der den Kriterien des Zusatzprotokolls zur Verhinderung von Folter und anderer grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung und Strafe (OPCAT) entspricht. Diese existierenden Institutionen zeigten sich bisher weder beim NDS noch bei der © Auswärtiges Amt 2021 — Nicht zur Veröffentlichung bestimmt — Nachdruck verboten
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Swärzier — VS     Nur-für-den-Dienstgebrauch— — 19                        ‚VS eingestuft, afghanischen Polizei als durchsetzungsfähig. Eine Aufklärung und Sanktionierung groben Fehlverhaltens durch Mitarbeitende der Sicherheitsbehörden erfolgt laut UNAMA nur selten. 3. Todesstrafe Die Todesstrafe ist in der Verfassung und im Strafgesetzbuch für besonders schwerwiegende Delikte vorgesehen. Das Strafrecht sieht für Völkermord, Mord, Gruppenvergewaltigung von Frauen und Gruppenvergewaltigung von Männern mit Todesfolge sowie Verbrechen, die die Unabhängigkeit oder territoriale Integrität Afghanistans gefährden, die Todesstrafe vor. Unter dem Einfluss der Scharia droht sie allerdings auch bei anderen „Delikten“ (z. B. Blasphemie, Apostasie und Ehebruch). Die Todesstrafe muss vom Obersten Gericht bestätigt werden und kann nur mit Zustimmung des Präsidenten durch Erhängen vollstreckt werden. Zuletzt wurden .2018 drei Menschen wegen Entführung und Mordes hingerichtet. 2020 wurden laut Amnesty International mindestens vier weitere Angeklagte für Entführung und Mord zum Tode verurteilt, die Zahl der insgesamt zum Tode Verurteilten soll damit auf über 900 gestiegen sein. Offizielle Zahlen dazu werden aber nicht veröffentlicht. 2020 wurden u. a. mangels Zustimmung des Präsidenten zum zweiten Jahr in Folge keine Todesurteile vollstreckt.  156   zum Tode     verurteilte   Gefangene  wurden  außerdem     vor  Beginn   der Friedensverhandlungen freigelassen. Im Nachgang zu Anschlägen oder Auseinandersetzungen mit besonders hohen Opferzahlen kommt      es   gelegentlich    zur   politischen   Ankündigung,    Todesurteile    gegen    die Verantwortlichen     zu  vollstrecken;   so   erst im  Mai  2021   wieder    durch  den   Ersten Vizepräsidenten. Solche Forderungen entsprechen dem Gerechtigkeitsgefühl weiter Teile der Bevölkerung, wurden bisher aber nicht in die Tat umgesetzt. Obwohl Präsident Ghani sich zwischenzeitlich positiv zu einem möglichen Moratorium zur Todesstrafe geäußert hat, sind Gesetzesvorhaben, die die Umwandlung der Todesstrafe in eine lebenslange Freiheitsstrafe vorsehen, nicht weiter vorangekommen. 4. Sonstige menschenrechtswidrige Handlungen Auch 2020 wurden Fälle bekannt, in denen nicht-staatliche Gruppen, darunter auch Taliban, die Abwesenheit oder das mangelnde Vertrauen in staatliche Justizstrukturen nutzen, um eine eigene, illegale „parallele“ Rechtsprechung durchzusetzen. Bei den Strafen handelte es sich um Exekutionen, Amputationen und Schläge, die eigenmächtig vollzogen werden. Aufgrund der   schlechten   Informationslage    in   Gebieten, die  von  regierungsfeindlichen    Kräften kontrolliert werden, wird von einer nicht bekannten Dunkelziffer derartiger außergerichtlicher Verfahren ausgegangen. Der Großteil der Fälle wird den Taliban zugeschrieben. Vereinzelte Fälle werden jedoch auch durch den ISKP oder andere Gruppierungen verübt. Die Haftbedingungen in Afghanistan entsprechen nicht den internationalen Standards. Es gibt Berichte über Misshandlungen in Gefängnissen (vgl. I. 5 und III. 2.). Zudem werden Verdächtige oft lange über die gesetzliche Frist von 72 Stunden hinaus festgehalten, ohne Staatsanwältinnen oder -anwälten bzw. Richterinnen oder Richtern vorgeführt zu werden und erhalten nur selten rechtlichen Beistand durch Strafverteidigerinnen oder -verteidiger. Berichten von Menschenrechtsorganisationen zufolge sind mehr als die Hälfte der weiblichen Insassen für „moralische Vergehen“ verurteilt, dadurch stigmatisiert und besonders von Übergriffen betroffen (vgl. II. 1.8.). Ab einem Alter von fünf Jahren ist es möglich, die Kinder einer Insassin mit ihrer Zustimmung in ein Heim zu transferieren. Allerdings gibt es nicht © Auswärtiges Amt 2021 — Nicht zur Veröffentlichung bestimmt — Nachdruck verboten
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- D  i                    o n       F  x a s suun gn n i i c c h h t a t l s -—Y— S - N u r f ü r d e n    j e n s tg e b r a u ch Ä     20 genügend dieser Einrichtungen, sodass Kinder häufig auch über das fünfte Lebensjahr hinaus bei ihren Müttern im Gefängnis bleiben. 5. Lage ausländischer Flüchtlinge UNHCR zufolge hielten sich 2020 weiterhin etwa 72.000 ausländische Flüchtlinge in Afghanistan auf. Dabei handelt es sich hauptsächlich um im Jahr 2014 aus der pakistanischen Grenzregion Waziristan geflüchtete Pakistanerinnen und Pakistanern, die sich primär in Grenznähe in Khost niedergelassen haben. Da ein seit 2013 ausstehendes afghanisches Asylgesetz auch 2020 nicht finalisiert wurde, sind sie für einen rechtlichen Status weiterhin auf UNHCR und für ihre Versorgung weitgehend auf humanitäre Hilfe angewiesen. 2020 flohen laut UN-OCHA mehr als 397.000 Menschen aufgrund des Konflikts innerhalb Afghanistans aus ihrer Heimatregion. Vor allem der Nord-Osten (142.870), Norden (80.543) und Süden (70.534) waren betroffen. Im ersten Quartal 2021 verließen erneut mehr als 92.000 Afghaninnen und Afghanen ihre Heimatorte, um sich vor Kämpfen in Sicherheit zu bringen. Mehr als 100.000 Menschen waren 2020 zudem von Extremwetterereignissen betroffen, die aufgrund des Klimawandels immer häufiger auftreten und für die das Land kaum gewappnet ist. Insgesamt wird die Zahl der Binnenvertriebenen auf über 3 Millionen geschätzt. Die überwiegende Mehrheit davon (86%) wird. auf absehbare Zeit nicht in ihre Herkunftsorte zurückkehren können oder wollen. Die Mehrheit der Binnenflüchtlinge lebt, ähnlich wie Rückkehrende aus Pakistan und Iran, in Flüchtlingslagern bzw. informellen Siedlungen, angemieteten Unterkünften oder bei Gastfamilien, unter prekären Bedingungen. Der Zugang zu Gesundheitsversorgung, Bildung und wirtschaftlicher Teilhabe ist stark eingeschränkt. Im laufenden Jahr werden etwa eine halbe Million Binnenvertriebene auf humanitäre Hilfe angewiesen     sein.    Der     hohe   Konkurrenzdruck             zwischen       ansässiger    Bevölkerung, Rückkehrenden und Binnenvertriebenen führt oft zu Konflikten. IV. Rückkehrfragen 1. Situation für Rückkehrende Afghanistan ist nach wie vor eines der ärmsten Länder der Welt und wurde von den wirtschaftlichen Auswirkungen der Covid-19-Pandemie schwer getroffen. Laut Weltbank schrumpfte das afghanische BIP 2020 um 1,9 %, wobei ein Einbruch um 4,2 bzw. 4,8 % im Industrie- bzw. Dienstleistungssektor durch ein u. a. witterungsbedingtes Wachstum in der Landwirtschaft um 5,3% abgefedert wurde. Die Armutsrate in den Städten war bis zum Zeitraum 2019-20 bereits auf mehr als 45 % angewachsen und dürfte im Verlauf des letzten Jahres weiter angestiegen sein. Zudem stiegen die Lebensmittelpreise 2020 im Vergleich zum Vorjahr um durchschnittlich 10 %. Angesichts    eines   rapiden    Bevölkerungswachstums             von rund       23   %   im    Jahr  (d.   h. Verdoppelung      der   Bevölkerung       innerhalb     einer       Generation)      wäre    ein   konstantes Wirtschaftswachstum nötig, um den jährlich etwa 500.000 Personen, die in den Arbeitsmarkt einsteigen, eine Perspektive zu bieten. Laut ILO lag die Arbeitslosenquote 2020 offiziell zwar „nur“ bei   11,7 %, laut der afghanischen Statistikbehörde verfügen jedoch 40 % der Bevölkerung über kein formales Beschäftigungsverhältnis oder sind unterbeschäftigt. © Auswärtiges Amt 2021 — Nicht zur Veröffentlichung bestimmt — Nachdruck verboten
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