Bericht zur Menschenrechtslage in Afghanistan - Juli 2020 bis Juli 2021
Dieses Dokument ist Teil der Anfrage „Lageübersichten zu Afghanistan“
Ei ca n of. seh, (ı ed Pr ara BOTSCHAFT KABUL Kabul, den 11. August 202} Gz: POL 520.2! ' Vertasserin: EEE Berichi zur Menscherrechtslage in Afghanistan Berichtszeitraum: 21. Juli 2020 - 31. Juli 2021 Zusammenfassuns; In Afghanisian sind die Frrungsuschaften der verssugenen 20 Jahre im Bereich der Menschenrechte in Gelähr. Seit Sommer 2020 und, mehr noch, seit der Ankündigung des Abzugs der internationalen Truppen im Fröhjahr 2021 hat sich mit der Sicherheiislage insbesondere die Meuschenrechtsisge in Afghanistan zunehmend verschlechtert. im Berichtszeitraum sind insbesondere die Medien- und Presseireiheit ısassiv unter Druck, gar Beschuss, geraien. Obwohl sich Afghanistan mit einer progressiven Verfassung, nationalen Gesetzen und durch die Katifizierung einschtägiger internationaler Menschenrechiskonventioner zur Kinhsituag von Menschenrechtien formeli verpflichter hat, werden diese is der Praxis nicht durchgesetzt. Die Gründe dafür sind eine Mischung aus einer sich zunchrieid verschlechternden Sicherheitsiage, einem schwaekem Rechts- und Jusüzwesen, weit verbreiteter Korraption sowie dominierender gesellschaftlich traditioneli-konservativer Praktikeu im Alltag. Leiziere verhindern allzu oft, dass die Rechte von Frauen und Mädchen, obwohl durch den Staat formell garantiert, in der Praxis nicht ausreichend umgesetzt und geschützt werden. Vor dem Hintergrund der sich verschlechternden Menschenrechtslage ist die internativnale Gemeinscheit in Afghanisian „lauter“ geworden, verurteilt Mensebenrechtsverleizungen durch öffentliche Erklärungen und in den sozialen Medien, etwa über die UN-Mission in Afghanistan (UNAMA), die Deiegation der Europäischen Union oder ais Diplomatisches Korps, häufig unter Führung der USA. Sehwerpunkttliemenr: 1. Frauen, Frieden, Sicherheit Zivilgeseilschaftliche Hand!ungsspielräume und Meiüschenrechtsverleidigerinnen und - verteidiger Medien- und Pressefreineit Menschenrechtsinsiitutionen Rechte im Kontext von Vertreibung, Asyl und Migration Umsetzung: Menschenrechie und Entwicklungszusammenarbeit Rechtsstaatlichkeit, Versöhnungsprozesse und Sicherheitssektonreförrm Bekämpfung von Straflosigkeit Todesstrafe nunaupu on > Seite ! von 8
Ei ER [5 Li, AHEAD - 77 ag m 1. Die Agenda Frauen. Frieden. Sicherheit weiter fürdern Mit dem Abzug der internationalen Truppen und der sich verschlechternden Sicherheitslage droht die Agenda „Frauen, Frieden, Sicherbeii“ (IWS) in Afghanistan ins EHmterireffen zu geraten. Frauenrechtsorganisationen beklagen, dass im Zuge des Abzugs der Fokus auf militärischen Aspekten liege und menschliche Sicherheit sowie der Schutz vor Ziviisinuen und Zivilisten vernachlässigt werde, insbesondere Kernanliegen der FFS-Agenda. In Sicherheitsdiskursen fehle der Raum, insbesondere die Rolle von Frauen in der Sicheriseitsarchitektur zu thematisieren. UN Women bleibt engagiert, um die Themen der FFS-Agenda zu stärken. Obwohl sich Afghanistan in seiner Verfassung, seinen Gesetzen und durch den Beitritt zu internationalen Konventionen dazu bekannt hat, die Gleichberechtigung von Frauen zu achten und zu stärken, sind Frauen weiterhin unterrepräsentiert: in Regierung und Verwaltung, ob in Kabul oder in deu Provinzen, wie auch auf internationaler Ebeue bei den Friedensverkand!ungen in Doha. Im Parlament sind 69 weibliche Abgeordaete bei derzeit 249 Sitzen vertreten (verfassungsrechtlich ist eine Quote von 68 auf 250 Sitze verankert). Frauen in der Politik erfahren häufig Diskriminierung, Belästigung und Einschüchterung. Die Umsetzung des 2015 auf’ den Weg gebrachten Nationalen Aktiozsplans 2015-2022 zur Uinsetzung der VN- Sicherheitsratsresolution 1325 mit der Agenda „Frauen, Frieden, Sicherheit“ jäuft schleppend (aktuell Phase !1: 2019-2022). Gleichzeitig häufen sich Berichte von Nichtregierungsorganisationen (NROs) sowie Medien, dass Frauen, Jungen and Mädchen am meisten unter dem: Konflikt leiden. Laut dem jüngsteu UNAMA- Bericht machen Kinder ein Drittel der verwundeten und getöteten zivilen Opfer aus. Laut UNAMA sei Afghanistan das „tödlichste Land für Kinder“. In der ersten Jahreshälfte 2021 registriere UNAMA 5.183 getötete und verwundete zivile Opfer — 47 Prozent mehr als im Vergleichszeitraum im Vorjahr (höhere Zahlen in den Jahren: 2016-2018). Besonders hohe Opferzahlen wurden iin Mai und Juni 2021 registriert. Die größten Bedrohungen fir Zivilistinnen und Zivilisten gehen insbesondere von Kampfhandlunges zwischen den Konfliktparteien, improvisierten Sprengsätzen, Selbstmordanschlägen und komplexen Argrilien auf u.a, staatliche Einrichtungen sowie gezielte Tötungen aus. Zwei Drittel der Opfer werden Anti-Regierungskräften zugeschrieben: Laut UNAMA sind die Taliban für 39 Prozent der zivilen Opfer verantwortlich, der sog. „Islamische Staat - Provinz Khorasan“ (1S-PK) für 9 Prozent und sonstige Anti-Regierungskräfie für weitere 16 Prozent. Die afghanischen Sicherheitskräfte verschuldeten Jaut UNAMA ein Viertel der zivilen Opfer, ein Zehntel wurde im Kreuzfeuer verwundet oder getötet. Die Vereinten Nationen, internationale Organisationen, Regierungen und andere Akteurinnen und Akteure fordern ein Ende der Kampfhandlungen, gie Einkaltung kumanitärer Prinzipien und besseren Schutz der Zivilbevöikerung. In hoher Frequenz wird über das Leid der Frauen im Konflikt berichtet. Insbesondere aus von Taliban kontrollierien Gebieten dringen Berichte über die Missachtung der Rechte vor Frauen und Mädchen. Im Zuge des Konflikts erfahren immer mehr Frauen und Mädchen Gewait und sexuellen Missbrauch. Bei Gewalttaten gegen Frauen und Mädchen wird zudem von einer hohen Dunkelziffer ausgegangen. Frauen zeigen Gewalttaten oft nicht an, da sie Druck oder Bestrafung von Familie und Geselischait fürchten. Häufig werden Frauen, die sexualisierte Straftaten zur Anzeige bringen, unter dem Vorwurf des sogenannten Sitienverbrechens sogar selbst verhaftet. Weiterhin besteht auch die Praxis von „Jungfräulichkeitstests“ in ländlichen Gebieten. 2020 zählte die AIHRC über 100 Feminizide. Vielen Frauenmorde werder hänüg nicht sirafrechtlich verfolgt. Weiterhin sind Zwaugsheiraten und Verheiratung von Mädchen unter 15 Jahren insbesondere in ländlich? Regionen noch immer weit verbreitet. Gefährdet sind nicht nur progressive Frauen, die sich traditionellen Konventionen mit ihrem Lebensstil entziehen; viele sehen sich gezwungen, ihre Jobs aufzugeben, sich in die eigenen vier Wände temporär Seite2 von®
Ense ofen zurückzuziehen oder sogar verstecken zu müssen aus Angst vor den Taliban oder aufgrund des gesellschaftlichen Drucks durch pafriarchisch-konservativen Kräfle. Gleichzeitig häufen sich aus den von Taliban kontrollierten Gebieten Berichte über eine Barka-Pflicht für Frauen, geschlossene Mädchenschulen und Zwangsheiraten von jungen Mädchen mit Taliban-Kämpfern. 2. Zivilgesellschaftliche Handlıngsspielräume, auch online, schaffen und erhalten, die Arbeit von Menschenrechtsverteidigerinnen und -verteidipern unterstützen Die in den vergangener 20 Jahren gewachsene und von Deutschland mit geförderte, lebendige und gut vernetzte Zivilgesellschaft gerät im Verlauf des Konflikts zunehmend unter Druck. Die Arbeit von Menschenrechtsorganisationen leidet unter dem schrumpfenden Raum für die Zivilgesellschaft. Sorgen bereitet Vertreterinnen und Vertretern zivilgesellschaftlicher Organisationen das Szenario einer möglichen Machtbeteiligung der Taliban in der Zukunft. Es gibt sowohl zivilgeseilschaftliche als auch staatliche Menschenrechtsorganisationen, wie etwa. die unabhängige afghanische Menschenrechtskommission. Zivilgesellschaftliche Organisationen sehen sich weiterhin nicht nur mit administrativen Hürden, Ressourcerniangel ung Versuche staatlicher Einflussnahme konfrontiert, immer öfter werden sie von bewaffneten Gruppierungen (u.a. Taliban, IS- PK, kriminelle Netzwerke) in ihren Entfaltungsmöglichkeiten beschnitten, bedroht oder gar gezielt getötet. Besonders gefährdet sind Organisationen, die öffentlich gegen die Taliban Position beziehen oder in ihrer Lebensweise offensichtlich von der für Taliban oder den IS-PK vermeintlich korrekten Auslegung des Islam abweichen, wie cetwa Journalistinnen und Journalisten, Menschenrechtsverteidigerinnez und -verteidiger, aber zuch Konvertierte, Angehörige sexueller Minderheiten oder berufstätige Frauen. Dennoch bleiben viele Organisationen standfest und fordern im Xriedensprozess weiterkin mit Machdruck die Bewabrung der Errungenschaften im Bereich der iViienschen-, Frauen- und Bürgerrechte... Menschenrechtsverteidigerinnen und -verteidiger betonen, dass ein zävilgesellschaftliches und auf Verteidigung vor Menschenrschten ausgerichtetes Engagement in von '° Taliban kortrollierten Gebieten de-facto nicht möglich sei. Viele Menschenrechtsverteidigerinnen und -verteidiger fühlen sich und werden bedroht: Das Human Rights Defenders Committee (HRDC) berichtet von Drohanruien, -nachrickten (SMS), -schreiben und sogar Morddrohungen. Im Juli 2021 gab die Organisation bekannt, Nachrichten von 650 Menschenrechisverteidigerinnen und -verteidigern erhalien zu haben, die umr ihre Sicherheit fürchteten. Viele von ihnen flüchten nach Kabul und kommen dort temporär in Schutzhäusern unter. Rufe nach einer „Sicherheitszone“ im Ausland, in der Menschenrechtsorganisationen vorübergehend Schutz finden können, werden lauter und erfahren prominente Unterstützung wie etwa von Shaharzad Akbar, der Vorsitzenden der Nationalen Menschenrechtskommission. Weiterhin setzen die Folgen der Covid-19-Pardemie zahlreiche Organisationen unter Druck, die bereits vor der Krise unter finanzielien Problemen zu leiden hatten; zugleich wurden Aktivitäten, wo möglich, in den Online-Bereich verlegt. Letzteres motiviert offenbar Vertreterinnen und Vertreter von zivilgesellschaftlichen Organisationen in der sich derzeit verschlechternden Sicherheitslage, ihre Arbeit fortzusetzen. Denn in der Pandemie hätten viele Organisationen gelernt, auf Distanz und virtuell zu arbeiten - eine Chance, denn so könnten sie ihre Arbeit weiterhin leisten, selbst wenn Mitarbeitende aus Sicherheitsgründen temporär in einer anderen Stadt, Provinz oder im Ausland Schutz befänden. 3. Für Medien- und Meinungstreiheit eiutreten Seite3 von8
Eidaf, forte Zwar garantiert die Verfassung Ifedienfreiheit (Art. 34) und Afghanistan zeichnet sich durch eine diverse und breite Medienlandschaft aus (über 300 Medienhäuser), aber diese ist gefährdet, denn Medienschaffende und Medienhäuser geraten zunehmend in Bedrängnis im Verlauf des sich zuspitzenden Konflikts. Reporter ohne Grenzen (ROG) stuft Afghanistan auf Platz 122 von 180 in seiner Rangliste der Pressefreiheit 2021 ein. Das Afghanistan Journalists Safety Committee dokumentierte für 2020 insgesamt 132 Übergriffe auf Journelistinsen und Jouraalisien, davon 44 Prozent - insbesondere die tödlichen Angriffe - durch Taliban und den sogenannten „islamischen Staat - Provinz Khorasan“ (iSPK.). Nach Angaben der „Nai Support Open Media in Afghanistan“ wurden 2021 bereits 39 Jonrnalistieeen und Fournalisten sowie edienmitarbeitende gezieit getätet, verletzt oder verschieppt. Im Juni 2021 forderte ROG den Internationalen Strafgerichtshof auf, die gezielten Tötungen von Journalisiinnen und ‚Journalisten in Afghanistan zu untersuchen, die Art. 15 des Römischen Statuts des IStGH zufolge als Kriegsverbrechen eingestuft werden könnten. Laut dem Zentrum für den Schutz von Journalisünnen in Afghanistan (CPAWJ) seien 2021 mindestens drei Journalistinnen ermordei worden: Mursal Wahidi, Sadia Saat und Shahnaz Roafi. Im Dezember 2020 wurde die prominente Journalistin Malala Maiwand erschossen. Weiterhin wurde im Juli 2021 Reuters-Fotograf Danish Siddiqui im Kreuzfeuer bei Känipfen zwischen den Taliban und Regierungskräften getötet. Medienschaffende berichten von Morddrohungen gegen ihre Arbeitgeber, ihre Familien und sie selbst und dass ihre Namen auf Todeslisten stehen. Ziel solcher Drohungen ist, die freie Presse einzuschüchtern und mundtot zu maclien. Ilinter den Drohungen stehen - mal mehr oder weniger offen - die Taliban oder der sogenannte „Islamische Staat — Provinz Khorasan“. Die Foigen sind einschneidend für die Medien in Afghanistan: Neben Selbstzensur tauchen vicle Medienschaffende (ganz oder temporär) ab oder geben sogar ihre Jobs auf, denn wer weitermacht, befindet sich in Gefahr. Staatliche Anstrengungen zum Schufz der Betroffenen, wie die gemeinsamen K.ommissionen zum Schutz von Journalistinnen und Journalisten sowie Menschenrechtsverteidigerinnen und -verteidigern, gelten als wenig effektiv. Dabei steigt der Bedarf an Schutzangeboien: Zahlreiche Journalistinnen und Journalisten finden temporär Sicherkeit in Schutzbäusern, v.a. in Kabul, oder versuchen, temporäre Schutzaufenthalte im Ausland zu organisieren. Während sich die Sicherheitslage weiter verschlechtert, arbeiten Medienhäuser, die ohnehin oft schon mit Finanzierungsproblemen zu kämpfen haben, mit Hochdruck daran, Büros im Ausland zu eröffnen, v.a. in Taschkent, damit Mitarbeitende von dort arbeiten können und als Rückfalloption, falls in Afghanistan die Schließung droht. ROG bezeichnete die Taliban als „größten Feinde der Fressefreiheit weltweit“ und warf den afghanischen Behörden gleichzeitig vor, sich nicht gezielt für den Schutz von Medienschaffenden und für die Pressefreiheit einzusetzen. Laut der Organisation „Nai Support Open Media in Afghanistan“ genen die Taliban gezielt gegen Medien vor: In zahlreichen Provinzen überficlen, plünderten und schlossen sie letztlich Medienhäuser, v.a. Radioprogramme, wenn sie diese nicht für eigene Zwecke umfunktionierten. Zusätzlich sehen sich Medienschaffende mit Propagsnda uns Psischnachrichten konfrontiert. Während die Taliban gezielt und strategisch Medien für ihre Kriegsführung einsetzen, investiert auch die Regierung mehr in strategische Kommunikation. Zugleich bedrängt sie die Medien, positiv über das Militärgeschehen und die Republikseite zu berichten. So kritisiert die Regierung zunehmend die Medien, wenn diese über große Verluste auf Republik-Seite berichten und nicht von „Märtyrern“ bei Verlusten der Regierungskräfte (ANDSF) spricht. Seite 4 von
E:sbln en fe FR VS NED Var 4. Internationale Instrumente, Gremien und _ Überwachungser ane sowie __natioaale Menschenrechisinstitutionen stärken Als Hüterin der Idienschenrechte und Anwältin für die Schwächsten in der Gesellschaft hat sich die Nationale Menschenrecktskommission etabliert (Afghanistan Independent Human Rights Commission, AIHRC). Bis Ende 2020 war Afghanistan gewähltes, obgleich eher passives, Mitglied des Messchenrechisrat der Vereinten Nationen. Im Dezember 2020 wurde per Präsidialdekret unter Leitung des Vize-präsidenien eine Gemeinsame Kommission zum Schutz von Menschenrechtsverteidigerinnen und --verteidiger geschaffen. AIHRC sowie Menschenrechtsverteidgerinnen und -verteidiger sind ebenfalls Mitglieder. Stimmen aus der Zivilgeseilschaft beklagen jedoch, dass bisher noch keine konkreten Fortschritte bei der Schaffung eines wirksamen Schutzmechanismus unternommen wurden. Zivilgesellschaflliche Organisationen. wiesen Sommer 2021 wiederholt auf gravierende Menschenrechtsverletzungen in Afghanistar hin und forderten lautstark eine Untersuchung der Geschehnisse (‚fact finding mission“) sowie eine Sondersitzung des Menschenrechtsrats in Genf zur Aufklärung der Vorfälle. Insbesondere den Taliban wurden Kriegsverbrechen vorgeworfen. 5. Für Rechte von Migrantinnen und Migranten, Asylsuchenden und Gefiüchteien eintreten In Afghanistan sehen sich immer mehr Menschen zur Fiucht gezwungen, Die Hauptgründe dafür sind die sich verschärfenden Kämpfe in den Provinzen, aber zunehmend auch in Provinzhaupfstädten, von denen einige bereits von den Taliban eingenommen wurden, sowie die wirtschaftlichen Folgen der Dürre und Wasserkrise sowie der Covid-19-Pandemie. Mit einer sich verschlechternden Sicherheitslage wächst die Zahl der Aufnahmebegehren gegenüber ausländischen Vertretungen zudem stark an. Die Zahl der Binnenvertricbenen schätzt das Flüchtlingshilfswerk UNHCR im Sommer 2021 auf über 3,5 Mio. Menschen. UNHCR zufolge verlassen immer mehr Familien ihr Zuhause, weil sie sich aufgrund der Kämpie in den Provinzen, aber auch der gefühlten Bedrohung vor den Taliban (TLB) und anderen Gruppen, von improvisiertez Sprengsätzen (sog. improvised explosive devices, die oft an Hauptstraßen platziert werden) und gezielten Angriffen nicht länger sicher fühlen. Immer mehr Menschen flüchten aus den Provinzen in urbane Zeutren, v.a. nach Kabul und in große Provinzhauptstädte, da sie keine andere Wahl sehen, oft auch getrieben vom Mangel an wirtschaftlichen und Zukunfisperspektiven. In und um Kabul zählt IOM bereits 54 informelle Siedlungen und zeigt sich besorgt über die oft unsicheren und prekären sanitären Zustände. Obwohl Binnenvertriebene zu den vulnerabelsten Gruppen gehören, hinkt die Unterstützung dem akuten Bedarf hinterher. Dringend benötigt werden laut UNHCR Notunterkünfte, Essen, Zugang zu sauberem Trinkwasser und Sanitäranlangen, Gesundheitsversorgung und monetäre Hilfsleistungen („cash assistance“). UNHCR beziffert den humanitären Bedarf für Binnenvertriebene in Afghanistan und afghanische Geilüchtete in Iran und Pakistan auf 337 Wiio. US-Lollar. UNHCR ist selbst offenbar unterfinanziert; Hillsarıfrule im Sommer 2021 deckten gerade einmal 43 Prozent des Bedarfs ab. Zudem steigt bei Hilfsorganisationen die Sorge, dass gerade junge Menschen, die dauerhaft in Übergangslagern ohne Unterstützung und Bildung ausharren, vernachlässigt und ohne Perspektive, Radikalisierungstendenzen ausgesetzt sein könnten. Dabei machen Kinder und Jugendliche zwei Drittel der Bevölkerung aus. Seite 5 von8
Iran, Pakistan, Türkei und LU-Siaaten wie Deutschland halten an Mickführungen (est. Aufgrund der Covid-19-Pandemie setzte Deutschland Rückführungen zeitweise aus. Aus dem Iran kehrten 202] bis Ende Juli knapp 680.009 Menschen, freiwillig wie unfreiwillig, zurück nach Afghanistan. Grenzüberschreitendar Menschennandei sowie wirtschaftliche und sexuelle Ausbeutung von Afsbanen ira Ausland findet vor allem in den Nachbarländern Iran und Pakistan stait. Der Kampf gegen Menschenhandel genießt jedoch angesichts zahlreicher offenbar drängenderer politischer Prioritäten keine Aufmerksarnkeit. innerhalb Afghanistans werden insbesondere Minderheiten und Binnenvertriebene zu Opfern der Schuldkncchtschaft. 6. Die Umsetzung der Mensehenreekie durch entwicklungspolitische Zusammenarbeit fördern Die Wahrung universeller Menschenrechte, insbesondere von Frauen. Kindern und Minderheiten, die effektiven Bemühungen im Bereich der Korruptionsbekänmpfung und die Einhaltung demokratischer uud rechtstaatlicher Mindeststandards in vielen weiteren Bereichen durch alle künftigen politischen Akteure in Afghanisian bilden eine Grundvorsussetzung für die eniwicklungspelitische Zusauimerarbeit. Ein Dialog dazu auch mit den Taliban wird angezeigt sein, sollte sich eine Regierungsbeteiligung der Gruppierung abzeichnen. Die Arbeitskedingunger für afgharische und internationale NROs haben sich in jüngster Vergangenheit eher verschlecktert. Verznehrt berichten Organisationen über die Behinderung ihrer Arbeit, oft durch die Verschleppung bürokratischer Prozesse bei Fragen der Registrierung, Besteuerung etc. Die Überarbeitung der teilweise veralteien, aber insgesamt recht liberalen NRO-Gesetzgebuug nahm im Semmer 2029 eine Wende zum Negativen, als eine durch das zuständige Wirtschaftsministerium zirkulierte und bereits signifikante Einschränkungen enthaltende Entwurfsfassung durch das Kabinett um weitere höchst kritische Paragraphen ergänzt wurde, die etwa Eingriffe in die Personal- und Finanzentscheiduugen der NROs erlaubt hätten. Auf Druck der Geber und unter Koordination des professionell agierenden Dachverbands der in der humanitären Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit aktiven afghanischen NROs (Agency Coordinating Body for Afghan Relief and Development/ACBAR) wurde der Entwurf angepasst, enthielt aber weiterhin kritische Passagen. Im Juli 2021 kündigte die Regierung eine Lockerung an, damit NROs weiterhin ihre Arbeit im Land leisten können. So hob die Regierung ein Verbot auf, dass NROs zuvor gezwungen hatte, sogenannte Memorandum of Understarding abzuschließen. Nunmehr müssen NROs einem Code of Conduct in einar Frist von sechs Monaten zustimmen. 7. Rechtsstaatlichkeit, Versöhnungsprozesse_znd_ Sicherhgitssektorrsiorm im Montext_von Krisenprävention, Konfiktbeywältisune und Friedonsförderung als einen wichüigen Reitrar zum Schutz von Measchenrechten förderte Im Polizeisektor sind Frauen weiterhia unierrepräsestiert. Aktuell arbeiten in der Afghan National Police (ANP) knapp über 3.600 Polizistinnen, was ca. 3 Prozent der Belegschaft entspricht. Das Innenminisierium bemüht sich um die Einstellung von mehr Polizistinnen und verabschiedete Ende 2020 einen entsprechenden Aktionsplan. Dennoch gibt es weiterhin zahlreiche Berichte über den sexuellen Missbrauch von Frauen durch Kollegen und durch Vorgesetzte in der afghanischen Polizei. Im Sommer 2021 soll die Untersuchung und Ahndung dieser sogenannten „gross violation of human rights“ (GVHR), die innerhalb der Polizei stattgefunden haben sollen, mit der Auszakluug von Gehältern und respektive internationale Beiträgen zur Finanzierung der afghanischen Polizei Seite 6 von
verknüpft werden. Damit wäre ein Hebel gegenüber den zuständigen afghanischen Behörden vorhanden, um die Durchsetzung von Menschenrechten in allen Bereichen zu gewährleisten. Zur Vorbeugung und Aufarbeitung von GVHR-Vorwürfen gegenüber der afghanischen Polizei durch Bürgerinnen und Bürger soll ebenfalls im Sommer 2021, mit Unterstützung der Vereinten Nationen, eine Beratungsstelle beim afghanischen Inaenministerium geschaffen werden. 8. Straflosigkeit bekämpfen Verwaltung und Justiz sind trotz Kortschritten nur eingeschränkt wirkmächtig, insbesondere im ländlichen Raum, in dem der Islamvorbehalt in der Verfassung und tradierte Moralvorstellungen mit den in der Verfassung festgeschriebenen Grundsätze ratifizierter internationaler Abkommen kollidieren. Sofern überhaupt reguliert, werden rechtsstaatiiche Prinzipien nicht konsequent angewandt. Ermittlungen als auch Entscheidungen nach rechtsstaatlichen Grundsätzen werden verhindert oder beeinträchtigt aufgrund von Einflussnahme durch Verfahrensbeteiligte oder Unbeteiligte, Zahlung von Bestechungsgeldern oder Rechtsbeugung. Menschen in Machtpositionen können sich zudem oft der strafrechtlichen Verfolgung . entziehen. Zudem mangelt es an einer systematischen Strafverfolgungspraxis. In der Justiz sind Örzuer noch immer unterrepräsentiert und stellen beispielsweise nur etwa 15 Prozent der Richterschaft. Unabhängig von der Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen, sozialen oder religiösen Gruppe hat die Mehrheit der Bevölkerung kaum Vertrauen in die afghanischen Sicherheitskräfte und die Justiz. Vor allem die nationale Polizei (ANP) wird häufig als korrupt und zum Teil auch gefährlich wahrgenommen. Oft wird ihre Hilfe auch in Notfä'ten nicht in Anspruch genommen. \ ielerorts werden Einheiten der ANP an der Seite der afghanischen Armee (ANA) als paramilitärische Einheit im Kampf gegen Terrorismus eingesetzt. Deswegen können diese ihren zivilpolizeilichen Aufgaben dann nicht oder nur sehr eingeschränkt nachkommen. Polizeiliche Anzeigen werden zwar aufgenommen, aber oft nicht systernatisch weiterverfolgt. Es gibt kein zentrales Strairegister in Afghanistan. Oft bleiben Fragen zu Haftbefehlen gegen Einzelpersonen von afghanischer Seite gar nicht oder nur unzureichend beantwortet. In Art. 24 des Strafgesetzbuchs von 2017 ist ein Doppelbestrafungsverbot verankert und wird nach Kenntnis des Auswärtigen Amts offenbar auch eingehalten. Im Vorfeld der Friedensverhandlungen in Doha wurden als Teil eines Gefangenenaustausches im Sommer 2020 rund 5.009 inhaftierte Taliban freigelassen. 9. Weltweit gegen die Todesstrafe eintreten Für besonders schwerwiegende Verbrechen sieht das Strafgesetzbuch die Todesstrafe vor, darunter u.a. Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Mord und Vergewaltigung. Nach 15 Jahren endete 2016 ein informelles Moratorium. Amnesty International geht davon aus, dass zuletzt 2018 eine Hinrichtung erfolgte. Offizielle Zahlen zu etwa Angeklagten, Verurteilten, Vollstreckungen und Begnadigungen werden nicht veröffentlicht. 156 zum Tode verurteilte Gefangene wurden vor Beginn der Friedensverhandlungen freigelassen. Infolge von Anschlägen oder Auseinandersetzungen mit besonders hohen Opferzahlen kommt es immer wieder zu Forderungen nach Vollstreckung der Todesstrafe, so erst im Mai 2021 wieder durch den Ersten Vizepräsidenten. Zwar äußerte sich Präsident Ghani zwischenzeitlich positiv zu einem möglichen Moratorium zur Todesstrafe, jedoch kommen Seite 7 von 8
F le oh kr FD 150.21 Gesetzesvorhaben, die die Umwandlung der Todesstrafe in eine lebenslange Freiheitsstrafe vorsehen, nicht weiter voran. Seite 8 von 8