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Dieses Dokument ist Teil der Anfrage „Anfrage Rechtsgutachten Raeumung Hambacher Forst

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3 sind und bereits deutliche Hinweise darauf geben, dass es sich bei den Baumhäusern im Hambacher Forst um bauliche Anlagen handeln dürfte (hierzu a.). a) Allgemeine Auslegungsgrundsätze Der Begriff „bauliche Anlage“ – dies ist bereits ein wichtiger Befund – ist von jeher in der Praxis und Rechtsprechung in allgemeiner Übereinstimmung weit und umfassend ausgelegt worden (so ausdrücklich etwa Dirnberger, in: Simon/Busse, BayBO, Art. 2, Stand: Juli 2014, Rn. 33a; sehr deutlich auch Mann, in: Große-Suchsdorf, Niedersächsische Bauordnung, 9. Aufl., § 2, Rn. 6). Vorliegend von besonderer Bedeutung ist zudem sich zu vergegenwärtigen, welchen Zweck die weite Legaldefinition der Landesbauordnung verfolgt. Hierzu hat das Oberverwaltungsge- richt für das Land Nordrhein-Westfalen ausgeführt, dass es letztlich Zweck des gesamten Bauordnungsrechts ist, umfassend die Anforderungen an alle Anlagen zu regeln und deren Durchsetzung zu gewährleisten, die geeignet sind, die mit der materiellen Baurechtsgesetzge- bung verfolgten Zwecke zu beeinflussen (vgl. OVG Münster, Urt. v. 10.02.1966 – VII A 421/65 –, NJW 1966, 1938). Dieses Bestreben, alles zu erfassen, was für die Zwecke des öf- fentlichen Baurechts bedeutsam sein kann, ist auch bei der Klärung offen gebliebener Zwei- felsfragen zu berücksichtigen Wenn eine bauliche Struktur daher ein Ausmaß annimmt, die das Bedürfnis nach (bewusst untechnisch) baurechtlicher Steuerung und Kontrolle aufweist, sprechen gewichtige Indizien dafür, den Anwendungsbereich des Bauordnungsrechts als er- öffnet anzusehen. Zudem ist bei der Prüfung, ob eine bestimmte Anlage als „bauliche Anlage“ einzuordnen ist, stets auch zu berücksichtigen, wie sie nach allgemeinem Sprachgebrauch, der Verkehrsauffas- sung und bei natürlicher Betrachtungsweise eingeordnet wird (so ausdrücklich BayOblG, Be- schl. v. 13.12.1985 – 3 Ob Owi 148/85 –, NVwZ 1988, 869; so auch Johlen, in: Gädtke u. a. BauO NRW, 13. Aufl., § 2, Rn. 27; gleichsam Hornmann, Hessische Bauordnung, 2. Aufl., § 2, Rn. 5 zur wortlautidentischen Regelung im hessischen Landesrecht).
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4 b) Anlagenbegriff Unzweifelhaft handelt es sich bei den im Hambacher Forst geschaffenen Strukturen (sämt- lich) um „Anlagen“ im Sinne des Bauordnungsrechts. Dies setzt nämlich „nur“ voraus, dass von Menschen – nicht von der „Natur“ oder Tieren – etwas „angelegt“, d. h. geschaffen wor- den sein muss. Eine – von der „Natur“ – geschaffene Höhle, die Geröllhalde eines Berges oder der von einem Wasserlauf geschaffene Graben ist deshalb keine Anlage. Auch das von einem Tier Geschaffene ist keine Anlage, z. B. ein von Bibern geschaffener Biberdamm zum Aufstauen eines Baches. Es muss etwas bewerkstelligt werden, das sich zu der Anlage mani- festiert und eine zweckgerichtete Funktion erfüllt (so auch Hahn, in: Boeddinghaus u. a., BauO NRW, § 2, Stand: Februar 2018, Rn. 5 m. w. N.). Hiernach sind die Strukturen im Hambacher Forst, die ihrem Erscheinungsbild nach sogar dem Wohnen von Menschen dienen dürften, unzweifelhaft unter den Anlagenbegriff der Bauordnung zu subsumieren. c) Herstellung aus Bauprodukten Die Anlagen im Hambacher Forst sind aus Bauprodukten hergestellt. Im Ausgangspunkt verdeutlicht auch dieser Teil der Legaldefinition nochmals, dass es sich bei den in Bezug genommenen Anlagen um das Ergebnis der künstlichen Bautätigkeit von Menschen handeln muss (vgl. OVG Koblenz, Urt. v. 15.06.2004 – 8 A 10646/04 –, juris Rn. 24). Der Begriff der Bauprodukte ist in § 2 Abs. 9 BauO NRW (zukünftig § 2 Abs. 11 BauO NRW n. F.) ebenfalls legaldefiniert. Nach § 2 Abs. 9 Nr. 1 BauO NRW sind Bauprodukte v. a. Baustoffe, Bauteile und Anlagen, die hergestellt werden, um dauerhaft in bauliche Anlagen eingebaut zu werden. Auch hierdurch werden keine hohen Anforderungen statuiert. Vielmehr soll verdeutlicht werden, dass nach wie vor Naturhöhlen oder Hecken keine baulichen Anla- gen darstellen können (vgl. Johlen, a. a. O., § 2, Rn. 31). Baustoffe sind natürliche oder künstliche, geformte oder ungeformte Stoffe, die zum Bauen verwendet werden können. Hierzu zählen etwa Holz, Kies, Sand, Kalk, Natursteine, Zement etc. Bauteile sind von Menschenhand hergestellte Teile, die in Bezug auf eine bauliche Anla- ge einen unselbstständigen Charakter haben, mögen sie bei einer anderer Verwendung auch selbstständig benutzbar sein, mit der Folge, dass der Gegenstand für sich allein eine bauliche
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5 Anlage sein kann (so VGH Mannheim, Urt. v. 25.11.1982 – 3 S 2138/82 –, juris Rn. 36). Bau- teile sind etwa unzweifelhaft Fenster, Türen, Balken, Treppensteine etc. (vgl. die Aufzählung bei Hahn, a. a. O., § 2, Stand: Mai 2015, Rn. 136). Nach der Legaldefinition des § 2 Abs. 9 BauO NRW müssen Baustoffe, Bauteile und Anlagen hergestellt werden, um in bauliche Anlagen dauerhaft eingebaut zu werden. Danach ist eine bestimmte Zweckbestimmung erforderlich. Ein Material, das objektiv geeignet ist, in bauliche Anlagen eingebaut zu werden, ist nicht wegen dieser Eignung allein schon Bauprodukt. Es reicht allerdings aus, wenn das Material zum Zweck des Einbaus hergestellt oder bearbeitet wird (vgl. VG Arnsberg, Urt. v. 07.04.2014 – 8 K 3545/12 –, juris Rn. 41). Wenn Holzbretter oder andere Materialien etwa zugeschnitten oder verarbeitet werden, um sodann zu einer Ge- bäudestruktur zusammengeführt zu werden, handelt es sich insoweit eindeutig um eine aus Bauprodukten hergestellte Anlage. d) Verbindung mit dem Erdboden Zum Begriff der baulichen Anlage nach § 2 Abs. 1 Satz 1 BauO NRW gehört schließlich, dass die Anlage „mit dem Erdboden verbunden“ ist. Diese Voraussetzung ist gekennzeichnet durch das Kriterium „überwiegend ortsfest“; dies bringt die Bauordnung in Satz 2 Variante 3 noch einmal deutlich zum Ausdruck (auf diesen gesetzestechnischen Zusammenhang weist ausdrücklich etwa Spannowsky, in: BeckOK BayBO, Art. 2, Stand: März 2018, Rn. 27 hin). Hieraus folgt bereits bei reiner Betrachtung der gesetzlichen Strukturen ein wichtiger Befund. Es sprechen danach gewichtige Gründe dafür anzunehmen, dass eine Anlage aus Bauproduk- ten, die überwiegend ortsfest genutzt wird, stets eine bauliche Anlage im Sinne des Bauord- nungsrechts darstellt. Die rechtliche Prüfung gelangt dabei zu dem Ergebnis, dass ganz überwiegende Gründe dafür sprechen, dass die gebäudeartigen Anlagen im Hambacher Forst über eine hinreichende Ver- bindung mit dem Erdboden verfügen. Es bestehen bereist Anhaltspunkte für eine unmittelbare Verbindung mit dem Erdboden im Rechtsinne (hierzu aa.). Jedenfalls ist in der Rechtspre- chung geklärt, dass auch eine bloß mittelbare Verbindung mit dem Erdboden ausreicht, um das Vorliegen einer baulichen Anlage anzunehmen (hierzu bb.). Auch vor dem Hintergrund der gesetzlichen Fiktion in § 2 Abs. 1 S. 2 Var. 3 BauO NRW sprechen ganz überwiegende
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6 Gründe für das Vorliegen einer baulichen Anlage im bauordnungsrechtlichen Sinn (hierzu cc.). aa) Anhaltspunkte für eine unmittelbare Bodenverbindung im rechtlichen Sinn Unzweifelhaft handelt es sich bei Objekten um bauliche Anlagen, wenn diese eine unmittel- bare Verbindung mit dem Erdboden aufweisen. Im bauordnungsrechtlichen Sinne liegt eine unmittelbare Verbindung mit dem Erdboden be- reits immer dann vor, wenn die Anlage im Erdboden befestigt ist oder mit ihm so verbunden ist, dass sich die Unbeweglichkeit von Grund und Boden darauf überträgt oder ihr doch infol- ge der ganzen Art, Länge, Höhe, Tiefe und Festigkeit usw. in ungeteiltem Zustand die Eigen- schaft der Unbeweglichkeit innewohnt. Im Regelfall wird diese Verbindung mit dem Erdbo- den durch feste Fundamente hergestellt. Die Eigenschaft der Unbeweglichkeit wird nicht dadurch aufgehoben, dass die Anlage nicht in den Boden gesenkt ist oder dass sie wieder weggeschafft werden kann. Verbindung mit dem Erdboden bedeutet, dass zwischen dem Erd- boden und dem Objekt eine verfestigte Beziehung besteht. Die Anlage muss nach den Um- ständen unbeweglich wie der Grund und Boden erscheinen. Hingegen kommt es gerade nicht auf die Unauflöslichkeit der Verbindung an (vgl. die Nachweise bei Hahn, a. a. O., Rn. 7). Bei Lektüre dieser Ausführungen und Betrachtung der Lichtbildaufnahmen des Camps im Hambacher Forst, sprechen bereits gute Gründe für eine Verbindung mit dem Erdboden. Die aufgenommenen Anlagen nehmen derartige Ausmaße ein, die es zumindest nicht als fernlie- gend erscheinen lassen, anzunehmen, dass sich – in den Worten des Schrifttums – die Unbe- weglichkeit des Grund und Bodens auf die Objekte überträgt. Selbst wenn man bei einer rein formalen Betrachtung bliebe und eine unmittelbare Verbin- dung mit Grund und Boden ablehnte, gilt es zu berücksichtigen, dass eine Anlage nach Auf- fassung der Judikatur bereits dann (unmittelbar) mit dem Erdboden verbunden ist, wenn sie in ihrer Gesamtheit nach ihrem Nutzungszweck zur Fortbewegung entweder nicht geeignet oder wenigstens dazu nicht bestimmt ist. Entscheidend ist dabei, dass sie wegen ihres natürlichen Gewichts unverrückbar auf dem Boden haftet und kraft ihrer eigenen Schwere im unzerlegten Zustand ohne Inanspruchnahme technischer Hilfsmittel nicht fortbewegt werden kann (vgl. VGH München, Urt. v. 26.09.1988 – 14 B 87.02669 –, BayVBl. 1989, 181). Eine Verbindung
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7 mit dem Erdboden braucht nicht durch besondere Verbindungsstoffe herbeigeführt zu sein (vgl. ausdrücklich OVG Münster, Urt. v. 26.01.1954 –, BRS 4, Nr. 106). Auf den Grad der Verbindung kommt es vor diesem Hintergrund nicht an. Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die sog. Baumhäuser im Hambacher Forst, würden sie unmittelbar auf dem Boden ruhen, un- zweifelhaft als bauliche Anlagen einzuordnen wären. Wie eingangs ausgeführt wurde, spielen bei der Auslegung des Begriffs der baulichen Anlage auch Gesichtspunkt der Verkehrsauffas- sung eine Rolle. Insoweit nutzen die Baumhäuser die praktisch die vorhandene Baumstruktur aus und stellen sich, bei unbefangener Betrachtung, als Fortsetzung der Bodennutzung dar. Die Bäume werden praktisch wie Stützpfeiler genutzt. Durch die großzügige, teilweise mehr- geschossige Gestaltung der Bauten ist zudem unzweifelhaft, dass diese nicht ohne technische Hilfsmittel bewegt werden könnten. bb) Mittelbare Verbindung zum Boden ausreichend Nach mittlerweile einhelliger Auffassung der Rechtsprechung genügt auch eine mittelbare Verbindung einer Anlage mit dem Erdboden (vgl. nur die umfassenden Nachweise bei OVG Hamburg, Urt. v. 31.05.2001 – 2 Bf 323/98 –, juris Rn. 31). Die Annahme, dass es sich bei den Anlagen im Hambacher Forst (spätestens) vor diesem Hintergrund um bauliche Anlagen handeln dürfte, wird deutlich, wenn man sich vergegenwärtigt, dass die Bauordnung keinrlei Einschränkungen dahingehend enthält, dass die Verbindung von Anlage und Boden ihrerseits nur durch künstliche Einrichtungen bewerkstelligt werden könnte. Nach der Verkehrsauffas- sung nutzen die Anlagen im Hambacher Forst die vorhandene Baumstruktur wie eine künstli- che Pfosten- oder Mastanlage aus. Es kann insoweit nicht auf den zufälligen Umstand an- kommen, dass ein „Bauherr“ auf einem Grundstück natürliche Gegebenheiten vorfindet, die es ihm ermöglichen, gar ein Gebäude im Sinne Bauordnung(!) oberhalb des Geländes „schwebend“ zu errichten. Hiermit könnte er ganze Komplexe einer Prüfung durch das gefah- renabwehrrechtliche Bauordnungsrecht entziehen. Gerade dies wollen die Legaldefinitionen der Bauordnungen indes verhindern. cc) Fiktive Verbindung mit dem Erdboden Die nach § 2 Abs. 1 Satz 1 BauO NRW erforderliche Verbindung mit dem Erdboden besteht gemäß § 2 Abs. 1 S. 2 Var. 3 BauO NRW schließlich dann, wenn die Anlage nach ihrem
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8 Verwendungszweck dazu bestimmt ist, überwiegend ortsfest benutzt zu werden. Es handelt sich um eine echte gesetzliche Fiktion, die zur Folge hat, dass die erfassten Anlagen vollum- fänglich den Vorschriften über bauliche Anlagen unterfallen. Es sollen Anlagen erfasst werden, die eine derart enge Beziehung zum Grund und Boden ha- ben, dass sie wie ortsfeste Anlagen behandelt werden. Hierbei wird auf die vom Verfügungs- berechtigten gewählte Funktion der Anlage abgestellt (vgl. Krebs u. a. , in: PdK-NRW, BauO NRW, § 2, Stand: März 2015, Anm. 1.2.3). Vergegenwärtigt man sich, dass der Gesetzgeber an dieser Stelle die besondere Verknüpfung und Gleichläufigkeit von Bodenverbindung und Ortsfestigkeit der Nutzung zum Ausdruck bringt, wird deutlich, dass auch hiernach bauliche Anlagen im Hambacher Forst errichtet wurden. Die augenscheinlich für dauerhafte Unter- bringung von Menschen geeigneten Gebäude sind voluminös, teilweise mehrgeschossig und augenscheinlich mehr oder weniger wetterfest. Würden sie auf den Boden aufgebracht, wür- den keine ernstlichen Zweifel bestehen, dass es sich um bauliche Anlagen handelt. Vor die- sem Hintergrund dürften die Anlagen exakt die hier verlangte „enge Beziehung“ zu Grund und Boden haben. Wertungsmäßig ist auch hier zu berücksichtigen, dass die Bäume eindeutig so genutzt werden, wie es Masten und Pfeiler würden. Der Zufall der natürlichen Baumstruk- tur an einer bestimmten Stelle kann im Ergebnis nicht über die Eröffnung des Anwendungs- bereichs des öffentlichen Baurechts entscheiden dürfen. Teilweise wird insoweit vom Erfor- dernis einer „verfestigten Beziehung zum Standort“ gesprochen (so etwa Hahn, a. a. O., Rn. 11). Diese dürfte bei den praktisch ortsgebundenen Bauten im Protestcamp unzweifelhaft sein. Auch zu den sog. fiktiven baulichen Anlagen wird im Übrigen darauf hingewiesen, dass der Grund ihrer Erfassung in der Erkenntnis liegt, dass die erfassten Anlagen die Rechtsgüter des Bauordnungsrechts in gleicher Weise berühren wie reguläre bauliche Anlagen (so ausdrück- lich Reichel/Schulte, Handbuch Bauordnungsrecht, 2009, Kap. 2, Rn. 80). Diese Berührung der letztlich gefahrenabwehrrechtlichen(!) Anliegen des Bauordnungsrechts kann bei den An- lagen im Hambacher Forst nicht zweifelhaft sein, wenn man sich vergegenwärtigt, dass dort Gebäudestrukturen angelegt wurden. Auch in diesem Zusammenhang wird insoweit das ein- gangs dargestellte Auslegungstopos bedeutsam, wonach das Bauordnungsrecht im Ergebnis erfasst, was es vor dem Hintergrund seiner Regelungsanliegen erfassen will und soll.
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9 Zudem ist darauf hinzuweisen, dass die Rechtsprechung die Tatbestandsvariante des § 2 Abs. 1 S. 2 Var. 3 BauO NRW sehr weit auslegt und im Zweifel zum Vorliegen einer baulichen Anlage gelangt. So ist (zu den gleichlautenden Vorschriften der Landesbauordnungen) seit langem anerkannt, dass etwa fest abgestellte Wohnwagen, die zu einem einheitlichen Zweck genutzt werden, unter den Anwendungsbereich der Vorschrift fallen und zwar auch dann, wenn der Wagen lediglich abgestützt ist (vgl. etwa OVG Münster, Urt. v. 28.06.1978 – VII A 2080/75 –, BRS 33, Nr. 155; OVG Koblenz, Urt. v. 31.01.1980 – 1 A 91/78 –, BRS 36, Nr. 74; VGH Mannheim, Urt. v. 02.11.1977 – III 1849/76 –, BRS 32, Nr. 185). Da es auf den Zweck ankommt, die der Nutzer der jeweiligen Anlage zuschreibt, hat das Oberverwaltungs- gericht für das Land Nordrhein-Westfalen zudem ausdrücklich darauf hingewiesen, dass Wohnwagen, die als Wochenendhausersatz gedacht sind, bauliche Anlagen darstellen (vgl. OVG Münster, Beschl. v. 18.01.2010 – 10 A 3069/08 –, zitiert bei Hahn, a. a. O., Rn. 11). Insoweit kommt der Widmung zur dauerhaften und regelmäßigen Nutzung an einem be- stimmten Ort eine ausschlaggebende Bedeutung zu. Eine solche Widmung dürfte auch für die Anlagen des Protestcamps im Hambacher Forst nicht von der Hand zu weisen sein. Insoweit kommt es nicht so sehr auf die technische Ausführung des Bauwerks an, sondern die ortsfeste Benutzung ausgehend vom Verwendungszweck (z. B. Wohnen). Sogar bei einem Verkaufs- wagen, der nur wenige Stunden pro Woche an einem bestimmten Platz steht, kann nach der Auffassung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen unter dem Ge- sichtspunkt des Fortsetzungszusammenhangs zwischen den einzelnen Fällen eine überwie- gend ortsfeste Benutzung angenommen werden (vgl. OVG Münster, Urt. v. 17.02.2009 – 10 A 793/07 –, juris Rn. 9). Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung, Kriterien und der Tatsache, dass § 2 Abs. 1 S. 2 Var. 3 BauO NRW auf weitere einschränkende Kriterien vollständig verzichtet, dürften die Anlagen im Hambacher Forst gleichsam in die Kategorie der „fiktiven“ baulichen Anlagen eingeordnet werden. Hiermit würde das volle Aufgaben- und Zuständigkeitsspektrum der Bauaufsichtsbehörden greifen.
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10 2. Urteil des VG München zum Das Verwaltungsgericht München hatte sich mit einem „Kunstwerk“ zu befassen, bei dem ein Wohnwagen in einen Kastanienbaum eingebracht wurde. Der Künstler taufte das Kunstwerk „Bel Etage“. Im Unterschied zu der Mehrzahl der auf den Lichtbildern aufgenommenen Baumhäuser im Hambacher Forst verfügte die „Bel Etage“ über eine Treppe als Verbindung mit dem Erdboden. Allerdings sind die Gründe des Beschlusses des Verwaltungsgerichts von besonderem Er- kenntniswert für die vorliegende Situation. Auf das Vorhandensein oder Fehlen einer Treppe stellt das Gericht in den Entscheidungsgründen ausdrücklich nicht ab (vgl. VG München, Be- schl. v. 19.04.2004 – M 8 S 04.1983 –, juris Rn. 26 Hervorhebungen nur hier): „Der streitgegenständliche, in der Krone der Kastanie installierte Wohnwagen ist eine bauliche Anlage und unterliegt der Bayerischen Bauordnung (Art. 1 Abs. 1 Satz 1, Art. 2 Abs. 1 Satz 1 BayBO). Ausreichend ist, dass die feste Verbindung mit dem Erdboden über Drittobjekte, wie etwa Baum und/oder Haltevorrichtun- gen, und unter Nutzung der Schwerkraft erfolgt. Nicht erforderlich ist insoweit, dass die Verbindung mit dem Erdboden eine dauerhafte im Sinne einer nicht mehr lösbaren ist. Weiterhin ist im Hinblick auf die Herstellung der Anlage aus Bau- produkten ausreichend, dass die Anlage, insbesondere der Wohnwagen aus Mate- rialien besteht, die zur Herstellung einer baulichen Anlage verwendet bzw. quasi umfunktioniert werden können.“ Das Gericht teilt ausdrücklich mit, dass die Verbindung mit dem Erdboden auch einzig über einen Baum erfolgen kann. Auch natürlich vorhandene Drittobjekte wie Bäume sind nach Auffassung des Gerichts eine hinreichende Verfestigung. Auf das Vorhandensein einer festen Treppe stellt das Gericht im Rahmen seiner Entscheidungsgründe ausdrücklich nicht ab. Diese Ausführungen des Gerichts lassen sich vollständig auf die vorhandenen Baumhäuser im Hambacher Forst übertragen. Auch dort erfolgt die Verbindung zum Erdboden über Drittob- jekte in Gestalt von Bäumen. Dies deckt sich mit der hier vertretenen Rechtsauffassung, wo- nach die Baumhäuser bauliche Anlagen im Sinne von § 2 Abs. 1 BauO NRW darstellen.
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11 3. Hinweise zum Schreiben des Ministeriums vom 16.06.2014 Im Schreiben des Ministeriums heißt es, dass „Barrikaden auf Waldwegen, ausgehobenen Gräben, Nagelbrettern und Baumhäusern“ keine baulichen Anlagen im Sinne von § 2 BauO NRW seien. Bildmaterial zu den genannten Barrikaden liegt hier nicht vor. Allerdings ist nicht ersichtlich, weshalb aus Bauprodukten hergestellte und auf dem Erdboden aufliegende „Barrikaden“ kei- ne baulichen Anlagen sein sollten. Zu den ausgehobenen Gräben ist zu sagen, dass Abgra- bungen gemäß § 2 Abs. 1 S. 3 Nr. 1 BauO NRW als bauliche Anlagen gelten. Hierzu gehören alle künstlichen Veränderungen der Geländeoberfläche wie Dämme, Halden, das Höherlegen von Flächen, Gruben, Gräben, Terrassierungen und das Einebnen von Gelände. Da auch sie Gefahren verursachen und verunstaltend wirken können, sollen sie im Wege der Fiktion wie bauliche Anlagen den Vorschriften der BauO NRW unterworfen sein. Die nicht näher be- schriebenen „Nagelbretter“ können hier nicht weiter eingeordnet werden. Abschließend sei auf § 2 Abs. 1 S. 3 Nr. 3 BauO NRW hingewiesen, wonach Camping- und Wochenendplätze als bauliche Anlagen gelten. Die Begriffsbestimmungen in § 1 der Verord- nung über Camping- und Wochenendplätze NRW (CW-VO) sind für die Auslegung des Ge- setzes nicht verbindlich oder ausschlaggebend, geben aber eine zutreffende Beschreibung des Begriffsinhalts (so Hahn, a. a. O., Rn. 26). Campingplätze sind gemäß § 1 Abs. 1 S. 1 CW- VO Plätze, die ständig oder wiederkehrend während bestimmter Zeiten des Jahres betrieben werden und die zum vorübergehenden Aufstellen und Bewohnen von Wohnwagen oder Zel- ten bestimmt sind. Nach der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nord- rhein-Westfalen liegt der ausdrückliche Sinn der Regelung des § 2 Abs. 1 S. 3 Nr. 3 BauO NRW darin, die genannten Plätze „als solche“ der baurechtlichen Beurteilung zu unterwer- fen, und zwar unabhängig davon, ob die einzelnen Wohnwagen oder Zelte bauliche Anlagen nach der allgemeinen Regelung von § 2 Abs. 1 S. 1 BauO NRW darstellen (vgl. OVG Müns- ter, Urt. v. 09.12.1994 – 10 A 1753/91 –, juris Rn. 21). Insoweit käme es nicht mehr auf die Frage an, ob Baumhäuser oder andere Strukturen für sich genommen bauliche Anlagen dar- stellen, weil die gesamte Szenerie für sich genommen unwiderleglich als bauliche Anlage eingestuft würde.
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12 II. Zur Durchsetzung baurechtlicher Verfügungen nach § 55 Abs. 2 VwVG NRW Mit der bauordnungsrechtlichen Generalklausel des § 61 Abs. 1 S. 2 BauO NRW steht den Bauaufsichtsbehörden ein besonders „scharfes Schwert“ des Einschreitens zur Verfügung. Dem Grunde nach genügt nämlich jeder Verstoß gegen Normen des öffentlichen Rechts, um eine bauordnungsrechtliche Standardmaßnahme zu verfügen. Werden bei der Nutzung einer baulichen Anlage (hierzu I.) derartige Verstöße festgestellt, kommt insbesondere die Untersa- gung ihrer Nutzung in Betracht. Im Hinblick auf die rechtsuntreue Nutzerstruktur im Hamba- cher Forst, scheint es plausibel, dass darüber hinaus und additiv, die Beseitigung der bauli- chen Anlagen verfügt werden kann. Dabei sollen zunächst einige grundsätzliche Hinweise zum bauaufsichtlichen Einschreiten gegeben werden, weil die vorliegenden Lichtbildaufnah- men den Eindruck von möglichen Verstößen (insbesondere) gegen das geltende Brandschutz- recht erwecken (hierzu 1.). Darüber hinaus soll dargestellt werden, welche Durchsetzungs- möglichkeiten den Bauordnungsbehörden in drängenden Gefahrfällen zur Seite stehen (hierzu 2.). 1. Grundsätzliche Hinweise zum Einschreiten nach § 61 Abs. 1 S. 2 BauO NRW Eine auf § 61 Abs. 1 S. 2 BauO NRW gestützte Nutzungsuntersagung umfasst zunächst das Gebot, die ausgeübte Nutzung einer baulichen Anlage einzustellen (vgl. Boeddinghaus u. a., BauO NRW, § 61, Stand: Mai 2015, Rn. 46). Insoweit wird darauf hingewiesen, dass die Nutzungsuntersagung insoweit ausschließlich einen „negativen Inhalt“ haben kann (so etwa Jäde, in: ders. u. a., Bauordnungsrecht Sachsen, § 80 SächsBO, Stand: Januar 2011, Rn. 164). Zugleich enthält die Nutzungsuntersagung das in die Zukunft wirkende Verbot, dieselbe Nut- zung wieder aufzunehmen (vgl. OVG Münster, Beschl. v. 18.01.2005 – 10 B 1565/04 –, juris Rn. 6 unter Hinweis auf OVG Münster, Urt. v. 27.04.1998 – 7 A 3818/96). Leisten Betroffene beim Vollzug einer bauaufsichtlichen Verfügung körperlichen Widerstand, kann die Polizei den Sonderordnungsbehörden bei der Ausübung unmittelbaren Zwangs unter den Vorausset- zungen des § 47 PolG NRW Vollzugshilfe leisten. Voraussetzung für ein bauaufsichtsrechtliches Einschreiten ist – dies wurde bereits erwähnt – ein Verstoß gegen Normen des öffentlichen Rechts im Zusammenhang mit der Nutzung einer baulichen Anlage. Nach dem Eindruck von vorliegenden Lichtbildaufnahmen, handelt es sich
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