EU-Handbuch 15. Auflage, 2020

Dieses Dokument ist Teil der Anfrage „EU-Handbuch - Entscheidungsprozesse, Koordinierung und Verfahren

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2 ARBEITSWEISE DER EU                   19 Zu den Zuständigkeiten innerhalb der Bundesregierung für die einzelnen Ratsformationen siehe Anlage 8.3. Die Ratsformationen „Allgemeine Angelegenheiten“, „Auswärtige Angelegen- heiten“, „Wirtschaft und Finanzen“ und „Landwirtschaft“ treten in der Regel monatlich zusammen, die übrigen Ratsformationen regulär etwa ein bis zwei Mal pro Präsidentschaft (d. h. pro Halbjahr). Die Ratstagungen finden in Brüssel statt, mit Ausnahme der Monate April, Juni und Oktober, in denen der Rat in Luxemburg tagt. Im Rahmen dieser Ratstagungen können informelle Arbeitsmittag- oder Arbeitsabendessen stattfinden. Das Thema für das Essen wird im Vorfeld bekannt gegeben, und die/der Ratsvorsitzende gibt ein kurzes Briefing zum aktuellen Stand der Diskussion, sofern dieser Punkt auf der formellen Tages- ordnung des Rates steht. Von Seiten des Vorsitzes nehmen in der Regel fol- gende Personen teil (normalerweise max. 3 Plätze): der Ratsvorsitz, die/der AStV-Vorsitzende und die/der nationale Delegierte. Im Rahmen der Möglich- keiten wird auch gedolmetscht, allerdings aus Platzgründen in weit weniger Sprachen als bei formellen Tagungsordnungspunkten. Unabhängig davon finden – üblicherweise pro Ratsformation einmal während jeder Ratspräsidentschaft – im Land des Ratsvorsitzes informelle Minister­ treffen statt. Informelle Räte werden üblicherweise zum möglichst offenen, allgemeinen Austausch insbesondere über die künftige strategische Ausrichtung des Rates, die Beratung von Kern- und Zukunftsthemen sowie zur Vorbereitung der Debatten zu schwierigen Dossiers beim nächsten formellen Rat genutzt. Aufgrund seines informellen Charakters erfolgt die Diskussion nicht auf Grundlage von Ratsdokumenten und der informelle Rat kann grundsätzlich auch keine formellen Beschlüsse oder Entscheidungen treffen. Die Ergebnisse können jedoch bei einer nachfolgenden formellen Sitzung beschlossen werden. Die Organisation und Durchführung der informellen Räte fällt in die alleinige Verantwortung der Mitgliedstaaten. Der Rat wird von rund 20 Ausschüssen und 145 Arbeitsgruppen15 unterstützt, wobei der Ausschuss der Ständigen Vertreter (AStV) das zentrale Vorbereitungs- 15 Die Vorbereitungsgremien des Rates werden in einem regelmäßig aktualisierten Verzeichnis des Generalsekretariats des Rates aufgelistet (zuletzt: Ratsdokument 10308/19 vom 11. Juli 2019) und sind den zehn Ratsformationen zugeordnet.
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20           2 ARBEITSWEISE DER EU gremium darstellt. Das Generalsekretariat des Rates bereitet die Sitzungen des Rates vor und unterstützt die Arbeit des AStV und der Ratsarbeitgruppen. Besondere Bedeutung kommt dabei dem Juristischen Dienst des Rates (JD Rat) zu (Näheres in Abschnitt 3). Bei den Ratstagungen findet eine Verdolmetschung in alle und aus allen Unionssprachen statt (Vollsprachenregime). Bei informellen Ministertreffen besteht die Bundesregierung darauf, dass volles aktives und passives Dolmet- schen der deutschen Sprache angeboten wird. Im AStV herrscht eine Dreispra- chenpraxis (Englisch, Französisch, Deutsch). In den Ratsarbeitsgruppen ist die Praxis unterschiedlich (siehe hierzu auch Abschnitt 7.1.2). Einzelheiten zur Arbeitsweise des Rates und seiner Vorbereitungsgremien sind in der Geschäftsordnung des Rates (GO-Rat) geregelt. In einem Leitfaden des Ratssekretariats zur GO-Rat16 finden sich weitere nützliche Hinweise. 2.1.3 Europäische Kommission Die Europäische Kommission (KOM) besteht nach einem Beschluss des Euro- päischen Rates aus dem Jahr 2013, der 2019 bekräftigt wurde17, aus einem Mit- glied pro Mitgliedstaat, derzeit also aus 27 Mitgliedern.18 Die Kommissions- mitglieder sind unabhängig und sollen keine nationalen Interessen, sondern die Interessen der EU als Ganzes vertreten. Die Amtszeit der Kommission beträgt fünf Jahre. Seit dem Vertrag von Lissabon hat der Europäische Rat bei der Nominierung des/der Kommissionspräsidenten/Kommissionspräsidentin mit qualifizierter Mehrheit das Ergebnis der Wahlen zum Europäischen Parlament zu berück- sichtigen (Art. 17 Abs. 7 EUV). Das Europäische Parlament wählt den/die vom Europäischen Rat vorgeschlagene/n Kandidaten/Kandidatin mit qualifizierter Mehrheit; andernfalls muss der Europäische Rat dem Europäischen Parlament eine/n neue/n Kandidaten/Kandidatin vorschlagen. 16 Erläuterungen zur Geschäftsordnung des Rates, Stand: März 2016, abrufbar unter: https://www.consilium.europa.eu/de/documents-publications/publications/council- rules-procedure-comments/. 17 Beschluss des Europäischen Rates vom 22. Mai 2013, ABl. L 165 vom 18. Juni 2013, S. 98. 18 Dieser Beschluss, der die im Lissabon-Vertrag eigentlich vorgesehene Verkleinerung der Kommission (Artikel 17 Abs. 5 EUV) abändert, wurde durch den Europäischen Rat am 20. Juni 2019 überprüft und unverändert beibehalten.
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2 ARBEITSWEISE DER EU              21 Im weiteren Verfahren schlagen die Regierungen der Mitgliedstaaten jeweils eine/n Kommissarskandidaten/-kandidatin aus ihrem Land vor. Der Rat nimmt im Einvernehmen mit der/dem designierten KOM-Präsidentin/Prä- sidenten eine Liste der designierten KOM-Mitglieder an. Diesen teilt der/die Kommissionspräsident/in nach eigenem Ermessen einen Aufgabenbereich zu, dessen Zuschnitt später auch wieder verändert werden kann (Etwas anderes gilt nur für das Amt des/der Hohen Vertreters/Vertreterin für Außen- und Sicherheitspolitik, der/die gleichzeitig Vizepräsident/in der Kommission ist.). Anschließend überprüft das Europäische Parlament die Eignung der Kandi- daten/Kandidatinnen für das Amt: durch Prüfung der finanziellen Integrität durch den Rechtsausschuss des Europäischen Parlaments und anschließend in parlamentarischen Anhörungen vor den zuständigen Ausschüssen des Euro- päischen Parlaments. Erhält der/die Kandidat/in nicht die erforderliche Mehr- heit, muss der Europäische Rat eine/n neue/n Kandidaten/Kandidatin vor- schlagen. Nach erfolgreichem Abschluss der Anhörungen stimmt das Plenum des Europäischen Parlaments über die Kommission als Ganzes ab (Annahme oder Ablehnung). Nach Zustimmung des Europäischen Parlaments wird die Kommission vom Europäischen Rat mit qualifizierter Mehrheit ernannt (auch im schriftlichen Verfahren möglich). Danach tritt die Kommission ihr Amt an, in der Regel zum 1. eines Monats. Im Falle einer späteren wesentlichen Änderung der Aufgabenverteilung innerhalb der Kommission müssen sich die betroffenen Kommissionsmit- glieder nach einer (weiteren) regulären Anhörung und anschließenden Plenar­ abstimmung unterziehen. Arbeitsorganisation innerhalb der Kommission Seit der Juncker-Kommission (2014 – 2019) kommt der Vizepräsidenten- funktion ein besonderer Stellenwert zu. In der von der Leyen-Kommission (Amtsantritt 01. Dezember 2019) gibt es acht Vizepräsidenten (einschließlich des Hohen Vertreters der Union für Außen- und Sicherheitspolitik). Diese sollen die Arbeit an den großen übergreifenden, politisch prioritären Themen leiten und koordinieren. Die Koordinierung findet insbesondere über die mit der von der Leyen-Kommission neu eingesetzten Kommissarsgruppen statt.
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22         2 ARBEITSWEISE DER EU Diese decken die politischen Prioritäten der Kommission ab und werden von einem/r Vizepräsident/in geleitet. Jedes Mitglied der Kommission ist dabei einer Kommissarsgruppe zugeordnet.19 Den drei exekutiven Vizepräsidenten untersteht zugleich jeweils eine Generaldirektion. Aufgrund ihrer Verantwor- tung für die inhaltlich prioritären Ziele der Kommission haben sie zudem besonderes politisches Gewicht. Den übrigen Vizepräsidenten ist – bis auf Ausnahmen – keine eigene Generaldirektion zugewiesen.20 Ihre Aufgabe ist in erster Linie die Leitung von Projektteams, in denen klar definierte vorrangige Projekte verfolgt werden und die Arbeit mehrerer Kommissare/Kommissarin- nen gesteuert und koordiniert wird. Die Projektteams sind nicht statisch und können je nach Bedarf in der Zusammensetzung angepasst werden. Ziel ist eine frühzeitige und enge Abstimmung von Vorhaben. Für den Arbeitsalltag innerhalb der Kommission bedeutet dies, dass ein/e ein- zelne/r Kommissar/in bzw. eine Generaldirektion (GD)21 nicht mehr so unab- hängig wie früher eigene Projekte initiieren kann. Stattdessen muss bereits zu einem sehr frühen Stadium das Einverständnis des/der zuständigen Vizeprä- sidenten/Vizepräsidentin eingeholt werden, um ein bestimmtes Projekt über- haupt vorantreiben zu dürfen. Auch das Einbringen neuer Initiativen in das Arbeitsprogramm der Kommission ist nur möglich, wenn diese Initiativen gut und überzeugend begründet sind und von dem/der jeweils zuständigen Vizepräsidenten/Vizepräsidentin unterstützt werden. Durch das erforderliche Zusammenspiel der drei exekutiven Vizepräsidenten mit den übrigen Vize- präsidenten und Kommissionsmitgliedern ist das hierarchische Geflecht in der von der Leyen-Kommission nun noch komplexer. Im Verhältnis zu den Generaldirektionen haben die zuständigen Kommis- sionsmitglieder ein Weisungsrecht. Der/die jeweilige Generaldirektor/in ist gegenüber dem zuständigen Kommissionsmitglied und dem Kommissions­ kollegium rechenschaftspflichtig. Die einzelnen Kommissionsmitglieder werden bei ihrer Arbeit durch „Kabinette“ genannte eigene Mitarbeiterstäbe unterstützt. 19 Kommissarin Kyriakides und Kommissarin Gabriel sind aufgrund ihres Portfolio­ zuschnitts Mitglied von je zwei Kommissarsgruppen. 20 Ausnahmen: Der Hohe Vertreter für Außen- und Sicherheitspolitik (Josep Borrell) steht dem Europäischen Auswärtigen Dienst (EAD) vor, die Vizepräsidentin für Demokratie und Demographie (Dubravka Suica) der GD Kommunikation. 21 Eine Übersicht über alle Generaldirektionen, Dienststellen und Exekutivagenturen der Kommission findet sich in Anlage 8.5.
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2 ARBEITSWEISE DER EU                     23 Die Kommission hat das Initiativrecht für die Rechtsetzung auf EU-Ebene. Sie beschließt nach dem Kollegialprinzip, d. h. Beschlüsse werden gemeinsam vom sog. Kollegium aller Kommissare/Kommissarinnen gefasst. Das Kollegium kommt in der Regel einmal wöchentlich zusammen (jeden Mittwochmorgen in Brüssel bzw. am Dienstag in Straßburg während der Plenarsitzungen des Europäischen Parlaments). Die Sitzungsberichte werden online auf der Website des Registers der Kommissionsdokumente veröffentlicht. Beschlüsse können daneben auch im schriftlichen Verfahren gefasst werden. Näheres regelt die Geschäftsordnung der Kommission. Zur Vorbereitung der Kollegiumssitzungen gibt es verschiedene Runden, vor allem: • das wöchentliche, „Hebdo“ genannte Treffen der Kabinettchefs der Kommis- sionsmitglieder, • das Treffen der Gruppe für interinstitutionelle Beziehungen (GRI), wahrge- nommen in der Regel durch die stellvertretenden Kabinettchefs und • das in der von der Leyen-Kommission neu eingeführte Treffen der Gruppe für externe Koordinierung (EXCO). Arbeitsprogramm der Kommission Im Herbst jeden Jahres veröffentlicht die Kommission ihr Arbeitsprogramm mit den Schwerpunkten ihrer Arbeit für das folgende Jahr.22 In der Interinstitutio- nellen Vereinbarung über bessere Rechtsetzung zwischen Rat, Kommission und Europäischem Parlament 2016 (siehe dazu Abschnitt 2.1.5) wurde eine inten- sivere Zusammenarbeit von Kommission, Rat und Europäischem Parlament vereinbart. Damit wollte der Rat eine Behandlung auf Augenhöhe mit dem Europäischen Parlament sicherstellen, das durch die Kommission bereits seit Längerem zu einem frühen Zeitpunkt in ihre Programmplanung einbezogen wird. Konkret umfasst die engere Zusammenarbeit u. a. die folgenden Schritte23: 22 Das aktuelle Arbeitsprogramm und die Arbeitsprogramme der vergangenen Jahre (seit 2007) können unter folgendem Link abgerufen werden: http://ec.europa.eu/atwork/key-documents/index_de.htm. 23 Vgl. Art. 17 Abs. 1 Satz 5 EUV: „[Die Kommission] leitet die jährliche und die mehrjährige Programmplanung der Union mit dem Ziel ein, interinstitutionelle Vereinbarungen zu erreichen.“
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24           2 ARBEITSWEISE DER EU • Frühzeitiger bilateraler Austausch über die wichtigsten Arbeitsschwerpunkte, noch vor Veröffentlichung des sog. „Letter of Intent“ der Kommission (übli- cherweise zusammen mit der sog. „Rede zur Lage der Union“ – „State of the Union“ – der/des Kommisionspräsidentin/Kommissionspräsidenten vor dem Europäischen Parlament im Herbst jeden Jahres). • Austausch von Rat (im Rat für Allgemeine Angelegenheiten) und Europä­ ischem Parlament mit der Kommission auf Grundlage des Letter of Intent im Anschluss an die Rede zur Lage der Union, aber noch vor der Annahme des Kommissionsarbeitsprogramms. • Trilateraler Austausch nach Annahme des jährlichen Kommissions­ arbeitsprogramms und Annahme einer gemeinsamen Erklärung von Rat, Kommission und Europäischem Parlament über gemeinsame Prioritäten für das Folgejahr (hierzu dann mehrere hochrangige Follow-up-Treffen während des betreffenden Jahres). Nach Vorlage des Kommissions-Arbeitsprogramms erarbeitet das AA eine ressortabgestimmte Stellungnahme der Bundesregierung, welche an die Kommission und auch an den Deutschen Bundestag übersandt wird. 2.1.4 Europäisches Parlament Das Europäische Parlament (EP) hat in den vergangenen Jahrzehnten konti- nuierlich an Einfluss gewonnen. Seit Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon im Jahr 2009 entscheidet das Parlament als gleichberechtigter Mitgesetzgeber neben dem Rat im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren über den Großteil der europäischen Gesetzgebung. 704 Europaabgeordnete aus 27 Mitgliedstaaten24 zuzüglich des Präsidenten/der Präsidentin, also insgesamt 705 Abgeordnete, werden für eine Mandatszeit von 24 Nach Beschluss des Europäischen Rates vom 29. Juni 2018 wurden die Sitze im Europä­ ischen Parlament nach dem Brexit verringert und umverteilt. Im Zuge der neuen Zusam- mensetzung wurde die Größe des Europäischen Parlaments von 751 auf 705 Mitglieder verringert. Von den 73 durch den Brexit frei gewordenen Sitzen wurden 27 neu verteilt, um dem Grundsatz der degressiven Proportionalität stärker Rechnung zu tragen. Die 27 Sitze werden an Frankreich (+5), Spanien (+5), Italien (+3), die Niederlande (+3), Irland (+2), Schweden (+1), Österreich (+1), Dänemark (+1), Finnland (+1), die Slowakei (+1), Kroatien (+1), Estland (+1), Polen (+1) und Rumänien (+1) verteilt. Kein Mitgliedstaat verliert Sitze.
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2 ARBEITSWEISE DER EU                25 fünf Jahren gewählt. Die Volksvertretung setzt sich derzeit aus sieben Fraktio- nen zusammen (siehe Anlage 8.6). Hinweise zur deutschen Ratspräsidentschaft Zusammenarbeit mit dem Europäischen Parlament Der Erfolg eines Ratsvorsitzes hängt maßgeblich auch von einer guten Zusammenarbeit mit dem Europäischen Parlament ab. Kontaktaufbau und -pflege mit den wichtigen Akteuren im Europäischen Parlament im Vorfeld der Ratspräsidentschaft sind dafür unerlässlich. Der Ratsvorsitz hat deshalb regelmäßige Termine mit und im Europäischen Parlament. Im Monat vor der Präsidentschaft besucht die Konferenz der Präsidentin- nen und Präsidenten das kommende Vorsitzland, in der Regel für Treffen mit der gesamten Regierung, dem/der Parlamentspräsidenten/-präsidentin sowie dem Staatsoberhaupt. Der/die Regierungschef/in des Vorsitzlandes stellt zu Beginn des Vor- sitzes im Plenum des Europäischen Parlaments ihre Prioritäten vor und zieht dort nach Ende des Vorsitzes Bilanz. Zu beiden Auftritten findet eine Debatte statt. Im Weiteren bestimmt jeder Vorsitz ein oder mehrere Regierungsmitglieder25, die für die Beziehungen zum EP zuständig sind. Deren Aufgaben bestehen insbesondere darin, den Rat bei Plenartagungen zu vertreten, etwa Erklä- rungen im Namen des Rates abzugeben, und mit dem Parlamentspräsiden- ten im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren angenommene Rechtsakte zu unterzeichnen. Das bzw. die für die Beziehungen mit dem Europäischen Parlament zustän- dige/n Regierungsmitglied/er des Vorsitzlandes trifft des Weiteren mit der Konferenz der Vorsitzenden aller ständigen und nichtständigen Ausschüsse (Conference of Committee Chairs – CCC) zu einem inhaltlichen Austausch zusammen. 25 In der deutschen Ratspräsidentschaft im 2. Halbjahr 2020 wird es der Europastaats­ minister im Auswärtigen Amt sein.
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26         2 ARBEITSWEISE DER EU Die inhaltlich zuständigen Regierungsmitglieder stellen die Prioritäten des Ratsvorsitzes vor den Ausschüssen des Europäischen Parlaments vor26 mit anschließender Aussprache. Nach Ende des Vorsitzes kann das zuständige Regierungsmitglied anlassbezogen und fakultativ für eine Bilanz des Vor- sitzes in den Ausschuss kommen. Gelegentlich und anlassbezogen werden Regierungsmitglieder während des Vorsitz-Halbjahres in einen Ausschuss zur Aussprache zu einem bestimmten Thema eingeladen. Die Sitzordnung im Plenum erfolgt aufgeteilt nach Fraktionen. Dem Rat und der Kommission ist jeweils ein Segment auf der äußerst linken und rechten Seite (vom Präsidium aus) zugewiesen. Der Ratsvorsitz spricht in der Regel von Platz Nummer 2 (siehe Anlage 8.32). Ausschüsse Die fachliche Arbeit der Abgeordneten findet in insgesamt 22 ständigen Ausschüssen statt (siehe Anlage 8.7). Daneben können nichtständige Unter­ suchungs- und Sonderausschüsse eingesetzt werden. Ein Untersuchungsausschuss kann nach Art. 226 AEUV zur Prüfung von behaupteten Verstößen gegen das Unionsrecht oder Missständen bei der Anwendung desselben eingesetzt werden. Die Untersuchung kann auch die Organe oder Institutionen der EU oder Behörden eines Mitgliedstaates betref- fen. Der Ausschuss hat das Recht, Dokumente anzufordern oder Personen aufzufordern, als Zeugen auszusagen. Die betroffenen Mitgliedstaaten oder EU-Organe bestimmen, wen sie dazu ermächtigen, vor dem Ausschuss zu erscheinen. Eine Kooperation kann aus Gründen der Geheimhaltung oder der öffentlichen oder nationalen Sicherheit verweigert werden.27 Die Ressorts der Bundesregierung haben ein gemeinsames Vorgehen beim Umgang mit Anfragen von Untersuchungsausschüssen des Europäischen Parlaments vereinbart. Danach wird die Arbeit eines Ausschusses im Sinne 26 Dies gilt mit Ausnahme der folgenden Ausschüsse: Sicherheit und Verteidigung (SEDE), Menschenrechte (DROI), Haushalt (BUDG), Haushaltskontrolle (CONT) und Petitionen (PETI). 27 Einzelheiten sind geregelt im Beschluss des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission über Einzelheiten der Ausübung des Untersuchungsrechts des Europäischen Parlaments vom 19. April 1995, ABl. L 113 vom 19. Mai 1995, S. 2.
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2 ARBEITSWEISE DER EU                  27 einer loyalen Zusammenarbeit mit den EU-Institutionen grundsätzlich unter- stützt. Anfragen des Europäischen Parlaments auf Mitwirkung im Ausschuss werden durch das zuständige Fachressort in eigener Verantwortung geprüft und das AA sowie ggf. fachlich betroffene Ressorts informiert. Ein Sonderausschuss, der nach Art. 197 der Geschäftsordnung des Europä­ ischen Parlaments eingesetzt werden kann, befasst sich mit Belangen, die über den Rahmen des Untersuchungsrechts hinausgehen, und behandelt beispiels- weise breiter gefasste Themen, die auch Länder außerhalb der EU betreffen können. Ziel ist oft, Vorschläge möglicher zukünftiger Gesetzesmaßnahmen zu formulieren. Ein Sonderausschuss verfügt über keine formalen Unter- suchungsbefugnisse und ist in noch höherem Maße als ein Untersuchungs- ausschuss an den Kooperationswillen von Regierungen und Einzelpersonen gebunden. Wichtige Kompetenzen des Europäischen Parlaments • Legislativbefugnisse: Im Regelfall verabschiedet das Parlament auf einer Stufe mit dem Rat europäische Rechtsakte (Zum Prozess der Willensbildung im Europäischen Parlament siehe Abschnitt 2.5.). • Haushaltsbefugnisse: Als zweite Haushaltsbehörde ist das Parlament dem Rat im jährlichen Haushaltsverfahren gleichgestellt. • Kontrollrechte: Das Europäische Parlament spielt eine zentrale Rolle bei der Bestellung der neuen Europäischen Kommission (siehe Abschnitt 2.1.3). Darüber hinaus kann das Europäische Parlament der Kommission das Miss­trauen aussprechen und sie zum Rücktritt zwingen (Art. 17 Abs. 8 EUV). Es muss zudem wesentlichen Änderungen der Aufgabenverteilung inner- halb der Kommission zustimmen. Das Europäische Parlament kann par- lamentarische Anfragen an Rat und Kommission stellen. Diese sind zur Beantwortung verpflichtet. Die nichtständigen Untersuchungs- und Son- derausschüsse sind ebenfalls ein wesentlicher Teil des Untersuchungs- und Kontrollinstrumentariums des Europäischen Parlaments.28 28 Hinsichtlich der Quoren für die jeweiligen Kontrollinstrumente unterscheidet das Euro- päische Parlament in der neuesten Fassung seiner Geschäftsordnung vom 16. Januar 2017 im neuen Art. 168a zwischen der „niedrigen Schwelle“ (fünf Prozent aller Abgeordneten oder eine gesamte Fraktion), der „mittleren Schwelle“ (zehn Prozent aller Abgeordneten) und der „hohen Schwelle“ (20 Prozent aller Abgeordneten).
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28           2 ARBEITSWEISE DER EU • Klage beim Europäischen Gerichtshof: Gegen die Verletzung seiner Rechte durch ein anderes Organ kann sich das Parlament durch Klage beim Gerichtshof wehren. Wichtige Akteure im Parlament • Der/die Berichterstatter/in erstellt für den federführenden Ausschuss einen Berichtsentwurf und begleitet die Arbeiten an dem Rechtsakt über den gesamten Verfahrensprozess hinweg (u. a. aktive Rolle in den Trilog- verhandlungen). Die anderen Fraktionen benennen jeweils ihre Schatten- berichterstatter/innen, die den Standpunkt ihrer Fraktionen zum Dossier u. a. in Form von Änderungsanträgen darlegen. Berichterstatter/innen und Schattenberichterstatter/innen haben eine wichtige Steuerungsfunktion: Sie formulieren beispielsweise Kompromissänderungsanträge, die für die Abstimmung Änderungsanträge bündeln, und sie nehmen an den Trilog­ sitzungen teil. • Die Koordinatoren/Koordinatorinnen verfolgen als Sprecher/innen ihrer Fraktion die Gesetzgebung und allgemeinen Entwicklungen in ihrem Aus- schuss. In Koordinatoren-Sitzungen bereiten sie Entscheidungen des Aus- schusses vor (z. B. Zuteilung der Berichte und Stellungahmen an die Fraktio- nen, Ernennung von Berichterstattern/Berichterstatterinnen, Durchführung von Anhörungen von Ausschussdelegationen). Darüber hinaus ernennen sie für ihre Fraktionen die Schattenberichterstatter/innen. • Der/die Ausschussvorsitzende leitet u. a. die Sitzungen des Ausschusses, der Koordinatoren sowie die Trilogverhandlungen, soweit letztere im Europä­ ischen Parlament stattfinden. • Die Konferenz der Präsidenten setzt sich aus Parlamentspräsident/in sowie den Fraktionsvorsitzenden zusammen. Sie ist das zuständige Organ für die allgemeine politische Leitung des Parlaments. Sie organisiert die parla- mentarische Arbeit und entscheidet u. a. über die Tagesordnung der Plenar- tagungen. • Fraktionsvorsitzende steuern für ihre Fraktionen den Meinungsbildungs- und Gesetzgebungsprozess und stehen in engem Austausch mit den relevan-
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