PDV_382_Ausgabe1995_frIFG-Anfrage.pdf

Dieses Dokument ist Teil der Anfrage „Verwirklichung des Kindeswohlvorrangs bei bundespolizeilichen Maßnahmen

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Diese Vorschrift ist ausschließlich für den Dienst- gebrauch durch die Polizei bestimmt und urhe- berrechtlich geschützt. Nachdruck, auch aus- zugsweise, nur mit vorheriger Genehmigung des/der Innenministeriums/-senatsverwaltung des Bundes oder eines Landes. PDV 382 Ausgabe 1995 Bearbeitung von Jugendsachen Vereinnahmt Datum Beleg-Nr./ Lfd. Nr.
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Inhaltsverzeichnis Vorwort..............................................................................................................7 1 Allgemeines .................................................................................................9 2 Gefahrenabwehr.......................................................................................11 2.1 Aufgaben .........................................................................................................11 2.2 Gefährdung Minderjähriger .............................................................................11 2.3 Maßnahmen bei Gefährdung Minderjähriger ..................................................13 3 Ermittlungen im Strafverfahren..........................................................15 3.1 Strafrechtliche Verantwortlichkeit und Ermittlungsziel.....................................15 3.2 Allgemeine Verfahrensgrundsätze ..................................................................16 3.3 Vorladung ........................................................................................................18 3.4 Belehrung minderjähriger Tatverdächtiger ......................................................18 3.5 Belehrung minderjähriger Zeugen...................................................................19 3.6 Vernehmung....................................................................................................20 3.7 Gegenüberstellung ..........................................................................................24 4 Antrags- und Privatklagedelikte ........................................................25 4.1 Strafantrag.......................................................................................................25 4.2 Privatklage.......................................................................................................25 5 Ermittlungen im Bußgeldverfahren ..................................................27 5.1 Verantwortlichkeit von Kindern........................................................................27 5.2 Verantwortlichkeit von Jugendlichen ...............................................................27 5.3 Verfahren.........................................................................................................27 6 Freiheitsbeschränkung/Freiheitsentziehung ................................29 6.1 Freiheitsbeschränkung/Freiheitsentziehung bei Kindern ................................29 6.2 Freiheitsbeschränkung/Freiheitsentziehung bei Jugendlichen........................29 6.3 Freiheitsbeschränkung/Freiheitsentziehung an besonderen Orten.................29 6.4 Benachrichtigung.............................................................................................30 7 Körperliche Untersuchung und Spurensicherung am Körper ...................................................................................................31 7.1 Körperliche Untersuchung bei Minderjährigen ................................................31 7.2 Untersuchungsverweigerungsrecht.................................................................31 7.3 Spurensicherung .............................................................................................31 7.4 Benachrichtigung.............................................................................................31 8 Durchsuchung ..........................................................................................33 8.1 Grundsätzliches...............................................................................................33 8.2 Durchsuchung von Wohnungen ......................................................................33 8.3 Körperliche Durchsuchung ..............................................................................33 8.4 Benachrichtigung.............................................................................................33 5
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9 Erkennungsdienstliche Behandlung ............................................... 35 9.1 Erkennungsdienstliche Behandlung von Kindern ........................................... 35 9.2 Erkennungsdienstliche Behandlung von Jugendlichen .................................. 35 9.3 Durchführung.................................................................................................. 35 10 Unmittelbarer Zwang ...................................................................................... 37 11 Minderjährige als Vertrauensperson............................................................... 37 12 Minderjährige als Vermißte............................................................................. 37 13 Aufbewahrungsdauer von Unterlagen ............................................................ 37 Anlage Grundbegriffe aus dem Jugendhilfe- und Jugendkriminalrecht Anmerkung: Soweit Personen- und Funktionsbezeichnungen aus Gründen der Lesbarkeit nur in der männlichen Form verwendet werden, gelten sie gleichermaßen für Frauen. 6
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Vorwort Diese Polizeidienstvorschrift ist Grundlage für moderne polizeiliche Jugendarbeit, die auch neueste kriminologische Erkenntnisse berücksichtigt. Für die Polizei gilt besonders im Jugendbereich der Grundsatz: „Prävention geht vor Re- pression“. Deshalb arbeitet die Polizei auch im Rahmen jugendspezifischer Präventions- konzeptionen und -programme mit anderen (originär) zuständigen Stellen eng zusammen. Wichtig für die polizeiliche Jugendarbeit ist aber auch die Kenntnis der Besonderheiten des Jugendstrafrechts. Es ist innerhalb des Straf- und Strafverfahrensrechts ein Spezial- recht für Jugendliche und Heranwachsende mit eigenständigem Charakter. Um Besonderheiten gegenüber dem allgemeinen Strafrecht und insbesondere die vielfälti- gen Weichenstellungsmöglichkeiten weg vom Strafrecht und hin zum Jugendhilferecht hervorzuheben, wird deshalb auch häufig vom Jugendkriminalrecht gesprochen. In dem Wissen um biologische, psychische und soziale Entwicklungsprozesse junger Menschen und vor dem Hintergrund kriminologischer Erkenntnisse zur Jugendkriminalität bemüht sich das Jugendkriminalrecht flexibler, jugendgemäßer und damit angemessen auf Straftaten von Jugendlichen und Heranwachsenden zu reagieren. Die Besonderheiten beziehen sich vor allem auf die Rechtsfolgen der Tat, die Jugendgerichtsverfassung und das Jugendstrafverfahren sowie auf die Vollstreckung und den Vollzug jugendstrafrechtli- cher Sanktionen. In diesen Bereichen trifft das Jugendstrafrecht Regelungen, die erheblich von denen des allgemeinen Strafrechts abweichen. So gelten z. B. weder die Strafen (vgl. § 5 Jugendge- richtsgesetz -JGG-) noch die Strafrahmen (vgl. § 18 Abs. 1, S. 3 JGG) des Strafgesetzbu- ches (StGB). Ob ein Verhalten strafbar ist, richtet sich allerdings nach den allgemeinen Vorschriften des Strafgesetzbuches und des Nebenstrafrechts, z.B. des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG). Das Jugendstrafrecht knüpft an den Gedanken der notwendigen und angemessenen er- zieherischen Einwirkung zur Vermeidung künftiger Straffälligkeiten an. Während sich das Sanktionsspektrum des allgemeinen Strafrechts im wesentlichen auf Geld- und Freiheitsstrafe beschränkt, bietet das Jugendstrafrecht einen breit gefächerten Katalog von Reaktionsmöglichkeiten (§§ 5 ff. JGG). Sie reichen von den „Erziehungsmaß- regeln“, etwa der gemeinnützigen Arbeit, der Bestellung eines Betreuungshelfers, der Teil- nahme an einem sozialen Trainingskurs, dem Bemühen um einen Täter-Opfer-Ausgleich oder „Hilfe zur Erziehung“ durch Maßnahmen der Jugendhilfe und von den „Zuchtmitteln“1, der Verwarnung, bestimmten Auflagen und dem Jugendarrest, bis hin zur Jugendstrafe. Jugendstrafe „zur Erziehung“, deren Bemessung sich - auch bei Verhängung wegen Schwere der Schuld - nach der „erforderlichen erzieherischen Wirkung“ richtet und durch deren Vollzug der Verurteilte „erzogen“ werden soll, „künftig einen rechtschaffenen und verantwortungsbewußten Lebenswandel zu füh- ren“, lautet das Gesetzesziel der §§ 17 Abs. 2, 18 und 91 JGG. 1 Lt. Anlage 1 zum Einigungsvertrag vom 31.8.1990 (BGBl. II, 957, 958) wird der Begriff „Zuchtmittel“ in den neuen Ländern nicht verwendet. 7
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Dieses Prinzip lag bereits dem ersten Jugendgerichtsgesetz von 1923 zugrunde. Der Erziehungsaspekt ist auch Grundlage und Leitlinie des heutigen Jugendgerichtsgeset- zes. In dieser Orientierung liegt gleichzeitig der größte Kontrast zum allgemeinen Strafrecht. Der Erziehungsgedanke will strafrechtliche Orientierungen begrenzen und so zu einer der Entwicklung angemessenen Behandlung straffällig gewordener junger Menschen beitra- gen. Vergeltung, Sühne und Generalprävention haben keine Bedeutung. Ziel des Erzie- hungsaspekts im Jugendkriminalrecht ist ausschließlich die Verhinderung von künftigen strafrechtlichen Auffälligkeiten des Betreffenden (Individualprävention). Erziehung in diesem Sinne verlangt somit Beschränkung der Strafzwecke und -ziele, Zu- rückhaltung bei strafrechtlichen Zwangsmaßnahmen und Vermeidung schädlicher Eingriffe strafrechtlicher Sozialkontrolle in den Prozeß des Erwachsenwerdens. Es geht um Befähigung statt Strafe. 8
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1 Allgemeines 1.1 Jugendsachen im Sinne der Vorschrift sind - polizeiliche Vorgänge, an denen Minderjährige beteiligt sind - polizeiliche Ermittlungsvorgänge in Straf- und Bußgeldverfahren gegen Ju- gendliche und Heranwachsende Maßnahmen der Gefahrenabwehr gegen verheiratete Minderjährige sind keine Jugendsachen im Sinne dieser Vorschrift. 1.2 Mit der Bearbeitung von Jugendsachen sind besonders geschulte Polizeibe- amte (Jugendsachbearbeiter) zu beauftragen. Soweit solche nicht zur Verfü- gung stehen, sind andere geeignete Polizeibeamte einzusetzen. 1.3 Die Bearbeitung von Jugendsachen erfordert sowohl im präventiven als auch im repressiven Bereich eine ständige Kooperation der damit betrauten Polizei- beamten mit anderen Institutionen, die sich mit Jugendfragen befassen. 1.4 Kinder und Jugendliche sind Minderjährige. Kind ist, wer das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet hat. Jugendlicher ist, wer das 14., aber noch nicht das 18. Lebensjahr vollendet hat. 1.5 Heranwachsende sind Volljährige. Heranwachsender ist, wer das 18., aber noch nicht das 21. Lebensjahr voll- endet hat. 1.6 Gesetzlicher Vertreter (§ 1629 Bürgerliches Gesetzbuch -BGB-) ist jede Per- son, der nach dem BGB als Teil der elterlichen Sorge (§ 1626 BGB) das Recht der Personensorge (§ 1631 BGB) zusteht. Dies sind in der Regel die Eltern gemeinsam. Nach Scheidung oder bei Getrenntleben der Eltern wird die Personensorge durch das Familiengericht häufig einem Elternteil übertragen. Bei nichtehelichen Minderjährigen steht die Personensorge in der Regel der Mutter zu. Ruht die Personensorge eines Elternteils aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen, z.B. wegen schwerer Krankheit oder längerer Abwesenheit, nimmt in der Regel der andere Elternteil die Personensorge allein wahr. Ist einem Elternteil die Personensorge entzogen worden, nimmt der andere El- ternteil allein die Personensorge wahr, wenn das Vormundschaftsgericht kei- nen Vormund oder Pfleger bestellt hat. Sind Eltern nicht vorhanden oder steht keinem Elternteil die Personensorge zu, so bestellt das Vormundschaftsgericht einen Vormund (§ 1773 BGB). 9
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Ist für den Minderjährigen ein Vormund bestellt, ist dieser der gesetzliche Ver- treter (§ 1793 BGB). 1.7 Erziehungsberechtigter ist - jeder gesetzliche Vertreter in Angelegenheiten der Personensorge - jede sonstige Person über achtzehn Jahre, soweit sie aufgrund einer aus- drücklichen Vereinbarung mit Personensorgeberechtigten Aufgaben der Per- sonensorge wahrnimmt oder soweit sie den Minderjährigen im Rahmen der Ausbildung oder mit Zustimmung von Personensorgeberechtigten im Rah- men der Jugendhilfe betreut. 10
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2 Gefahrenabwehr 2.1 Aufgaben 2.1.1 Die Polizei hat im Rahmen ihrer Zuständigkeiten Gefahren abzuwehren, die Minderjährigen drohen oder von ihnen ausgehen. Auf die Wahrnehmung originärer Zuständigkeiten anderer Behörden soll hin- gewirkt werden. Die Grundsätze der Amtshilfe bleiben unberührt. 2.1.2 Die Pflicht zur Gefahrenabwehr besteht auch dann, wenn Minderjährige Betei- ligte eines polizeilichen Ermittlungsvorganges in Straf- oder Bußgeldverfahren sind. 2.2 Gefährdung Minderjähriger 2.2.1 Minderjährige sind gefährdet, wenn - aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte zu befürchten ist, daß sie Opfer einer rechtswidrigen Tat werden - sie passive Teilnehmer eines Ereignisses sind, durch das ihnen eine unmit- telbare Gefahr für ihr körperliches, geistiges oder seelisches Wohl droht, z.B. bei Unglücksfällen mit schwerem Personenschaden - sie Einflüssen ausgesetzt sind, die ihr körperliches, geistiges oder seelisches Wohl derart beeinträchtigen, daß sie in die Kriminalität abzugleiten drohen - sie vermißt sind 2.2.2 Minderjährige sind auch gefährdet, wenn sie sich an Orten aufhalten, an de- nen ihnen eine unmittelbare Gefahr für ihr körperliches, geistiges oder seeli- sches Wohl droht. Von einer solchen Gefährdung kann regelmäßig ausgegangen werden an Or- ten, an denen - Personen der Prostitution nachgehen - illegales Glücks- oder Falschspiel stattfindet - Betäubungs-, Rausch-, Arzneimittel oder sonstige Suchtstoffe illegal angebo- ten, illegal oder mißbräuchlich konsumiert oder mißbräuchlich verwendet werden - Personen Straftaten verabreden, vorbereiten oder verüben - sich erfahrungsgemäß Straftäter aufhalten Von einer solchen Gefährdung ist auszugehen - in Gaststätten, die als Nachtbar oder Nachtclub geführt werden, und in ver- gleichbaren Vergnügungsbetrieben 11
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- an Orten, an denen jugendgefährdende Schriften, Bilder- und Datenträger angeboten, überlassen oder sonst zugänglich gemacht werden - in öffentlichen Spielhallen oder ähnlichen, vorwiegend dem Spielbetrieb die- nenden Räumen 2.2.3 Unabhängig vom Aufenthaltsort liegt eine Gefährdung in der Regel vor, wenn - Kinder bei ihnen nicht bekannten Personen Mitfahrgelegenheit suchen oder bei diesen als Mitfahrer angetroffen werden - Jugendliche zu unüblichen Zeiten bei ihnen nicht bekannten Personen Mit- fahrgelegenheit suchen oder bei diesen als Mitfahrer angetroffen werden - Minderjährige unter Einfluß von Betäubungs-, Rausch-, Arzneimittel oder sonstigen Suchtstoffen oder in verwahrlostem Zustand angetroffen werden Anzeichen von Verwahrlosung sind insbesondere gegeben, wenn Minderjähri- ge - als Streuner oder wiederholt als Schulschwänzer oder wiederholt als Entwi- chene aus Einrichtungen der Jugendhilfe (Heimerziehung) bzw. aus sonsti- ger betreuter Wohnform angetroffen werden - der Prostitution nachgehen 2.2.4 Minderjährige sind auch dann gefährdet, wenn ihnen in der häuslichen Ge- meinschaft durch Vernachlässigung oder Mißbrauch der Personensorge eine unmittelbare Beeinträchtigung für ihr körperliches, geistiges oder seeli- sches Wohl droht. Dies ist regelmäßig der Fall bei - häufigen Familienstreitigkeiten mit tätlichen Auseinandersetzungen - Alkohol- oder Drogensucht der Erziehungsberechtigten - Erziehungsberechtigten, die - für den Minderjährigen erkennbar - wiederholt rechtswidrige Taten begehen - Erziehungsberechtigten, die zu rechtswidrigen Taten verleiten 2.2.5 Eine Gefährdung Minderjähriger kann vorliegen, wenn sie einer rechtswidri- gen Tat verdächtig sind. Eine Gefährdung Minderjähriger liegt in der Regel vor, wenn rechtswidrige Ta- ten - in Gruppen - wiederholt begangen werden. Eine Gefährdung Minderjähriger liegt stets vor, wenn rechtswidrige Taten ins- besondere 12
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- bandenmäßig - serienmäßig - mit intensiver Planung - mit besonderer Brutalität oder Grausamkeit begangen werden. 2.3 Maßnahmen bei Gefährdung Minderjähriger 2.3.1 Werden gefährdete Minderjährige angetroffen, sind sie, wenn nötig, - zum Verlassen des jugendgefährdenden Ortes anzuhalten - von Erziehungsberechtigten oder deren Beauftragten abholen zu lassen o- der, sofern dies nicht möglich ist, ihnen zu überstellen - in die Obhut des Jugendamtes zu bringen Gefährdete Minderjährige sind zu ihrem Schutz in die Obhut des Jugendam- tes zu bringen, wenn - Erziehungsberechtigte nicht erreichbar sind - Erziehungsberechtigte die Aufnahme in die häusliche Gemeinschaft ableh- nen - die Rückkehr in die häusliche Gemeinschaft nicht vertretbar erscheint - sie die Rückkehr in die häusliche Gemeinschaft aus ernsthaften Gründen glaubhaft ablehnen In den beiden letztgenannten Fällen ist ein Erziehungsberechtigter unverzüg- lich zu benachrichtigen. Kann das Jugendamt vorübergehend nicht erreicht werden, ist bis zur Über- stellung eine kind- bzw. jugendgerechte Unterbringung zu gewährleisten (Nrn. 6.1.2 und 6.2.2). 2.3.2 Kinder sollen einzeln, Jugendliche nicht zusammen mit Personen transpor- tiert werden, die das 21. Lebensjahr vollendet haben. Der Transport Minderjähriger nach Hause oder in die Obhut eines Berechtigten soll mit Zivilfahrzeugen und durch Polizeibeamte in ziviler Bekleidung erfolgen. 2.3.3 2 Werden gefährdete Minderjährige aufgegriffen, ist das Jugendamt in den Fäl- len zu unterrichten, in denen Maßnahmen des Jugendamtes zum Schutz Min- 2 derjähriger (§§ 42 und 43 des Kinder- und Jugendhilfegesetzes -KJHG-) er- forderlich erscheinen. Sozialgesetzbuch VIII, Kinder- und Jugendhilfegesetz (KJHG) i.d.F.v. 15.3.1996, BGBl. I, Seite 477 13
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