Urteil VG Düsseldorf 29 K 4407/20

Dieses Dokument ist Teil der Anfrage „Unterlagen Treffen Uniper E.ON

/ 28
PDF herunterladen
11 Die Kammer muss hierbei nicht entscheiden, ob der nicht bestehende Ausschluss des Anspruchs schon teilweise aus der Rückausnahme des § 8 Abs. 1 Satz 2 UIG folgt, wonach der Ausschlussgrund des § 8 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UIG nicht für Umweltinformationen über Emissionen gilt. Denn der Ausschlussgrund des § 8 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UIG liegt schon jenseits der Rückausnahme nicht vor. Im Einzelnen: Der Ausschlussgrund des § 8 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UIG besteht, wenn die Bekanntgabe der Informationen nachteilige Auswirkungen auf die Vertraulichkeit der Beratungen von informationspflichtigen Stellen hätte. Hierdurch soll der Beratungsprozess als solcher geschützt werden. Zu diesem Prozess zählen Informationen über Besprechungen, Beratschlagungen und Abwägungen und somit der eigentliche Vorgang des Überlegens und alle damit im Zusammenhang stehenden Verfahrens- und Vorgehensweisen, Abläufe, Entscheidungsprozesse der internen Meinungsäußerung und Willensbildung, die sich auf die Entscheidungsfindung beziehen. OVG NRW, Urteil vom 30. August 2016 – 15 A 2024/13 –, juris Rn. 51; Karg, in: BeckOK Informations- und Medienrecht, 37. Ed. 1. August 2021, UIG § 8 Rn. 31a.1. Der Beratung vorgelagerte Umstände, das heißt die Tatsachengrundlagen und die Grundlagen der Willensbildung wie ermittelte Daten oder gutachterliche Bewertungen fallen hingegen ebenso wenig unter den Ablehnungsgrund wie die Ergebnisse der Beratung. Reidt/Schiller, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, 90. EL Juni 2019, UIG § 8 Rn. 21. Schutzgut ist der behördliche Entscheidungsprozess, der eine offene Meinungsbildung erfordert, um eine effektive, funktionsfähige und neutrale Entscheidungsfindung zu gewährleisten. OVG NRW, Urteil vom 30. August 2016 – 15 A 2024/13 –, juris Rn. 51; Reidt/Schiller, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, 90. EL Juni 2019, UIG § 8 Rn. 23. Aus diesem Zweck der Regelung folgt, dass unter den Begriff der „Beratungen“ im Sinne von § 8 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UIG nur solche Vorgänge fallen, die auf eine Entscheidungsfindung gerichtet sind. Gemessen an diesen Maßstäben sind die abstrakten Gesprächsvorbereitungen jedenfalls überwiegend als Teil eines Beratungsprozesses zwischen Fach- und Leitungsebene anzusehen. Der Vorgang des Beratens kommt dadurch zum Ausdruck, dass der Hausspitze Vorschläge für die Gesprächsführung unterbreitet wurden. Insoweit handelt es sich auch nicht nur um Grundlagen der Willensbildung, da die Willensbildung selbst innerhalb der Behörde durch Vorschläge und Handlungsempfehlungen veranschaulicht wird. Dies gilt insbesondere für den vom Beklagten dargelegten Fall, dass in den
11

12 Vorbereitungsunterlagen hausinterne Abstimmungen zusammengefasst sind und die politische Ausrichtung der Staatskanzlei Berücksichtigung findet. Die Gesprächsvorbereitungsunterlagen waren auch auf eine Entscheidungsfindung gerichtet. Das Entscheidungsergebnis ist vorliegend nicht in Gestalt eines Rechtsaktes oder Beschlusses zu erblicken, sondern in dem von der Hausleitung – nach Konsultation der Unterlagen – gefassten Entschluss, welche Art der Gesprächsführung und Argumentationsstruktur gegenüber den Vertretern von Uniper zu wählen war. Inwieweit       innerhalb      der     Gesprächsvorbereitungsunterlagen             auch        „reine“ Sachinformationen enthalten sind, die als Grundlagen der Willensbildung schon nicht Teil des geschützten Beratungsprozesses wären, kann offen bleiben. Denn der Beklagte hat nicht hinreichend konkret dargelegt, inwieweit die Bekanntgabe der Informationen in Gänze nachteilige Auswirkungen auf die Vertraulichkeit der Beratungen der Staatskanzlei hätte. Für die Annahme nachteiliger Auswirkungen auf die Vertraulichkeit der Beratungen im Sinne von § 8 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UIG ist eine ernsthafte und konkrete Gefährdung des Schutzguts erforderlich, die hinreichend wahrscheinlich ist. Im Rahmen der gebotenen einzelfallbezogenen Prüfung ist ferner zu berücksichtigen, dass der Schutz innerbehördlicher Beratungen nicht auf laufende Beratungsvorgänge beschränkt ist. Die Vertraulichkeit der Beratungen kann auch wegen des Wissens um eine Offenlegung einzelner Beiträge und Meinungsbekundungen nach Abschluss des jeweiligen Verfahrens beeinträchtigt werden. Der Abschluss des Verfahrens und die seither vergangene Zeit gehören daher zu den Kriterien, die bei der Prüfung nachteiliger Auswirkungen auf die geschützten Beratungen zu würdigen sind. Bei Informationen, die die Willensbildung der Regierung betreffen, ist im Rahmen der Anwendung des § 8 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UIG zudem der Schutz des Kernbereichs exekutiver Eigenverantwortung zu berücksichtigen. OVG NRW, Urteil vom 30. August 2016 – 15 A 2024/13 –, juris Rn. 53 und 55; OVG Berlin- Brandenburg, Urteil vom 13. November 2015 – OVG 12 B 6.14 –, juris Rn. 41 f.; vgl. Heusch, in: ders./Schönenbroicher, Die Landesverfassung Nordrhein-Westfalen, 2. Aufl. 2020, Art. 3 Rn. 19; zur „einengenden Vorwirkung“ auch BVerfG, Beschluss vom 30. März 2004 – 2 BvK 1/01 –, juris Rn. 45 und BVerwG, Urteil vom 22. März 2022 – 10 C 2/21 –, juris Rn. 30. Die Darlegungslast liegt hinsichtlich der nachteiligen Auswirkungen im Sinne des § 8 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UIG bei der informationspflichtigen Stelle, die sich auf eine Ausnahme von dem grundsätzlich gegebenen Informationsanspruch beruft. Sie muss eine ernsthafte und konkrete Gefährdung der Vertraulichkeit der Beratungen und die befürchteten negativen Auswirkungen auf die Funktionsfähigkeit der Regierung anhand der Umstände des Einzelfalles nachvollziehbar darlegen. OVG NRW, Urteil vom 30. August 2016 – 15 A 2024/13 –, juris Rn. 59; OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 13. November 2015 – OVG 12 B 6.14 –, juris Rn. 44.
12

13 Insbesondere besteht keine vermeintliche Regelannahme, wonach eine erhebliche Beeinträchtigung der Geheimhaltungsinteressen schon vorliegt, weil sich die Informationen auf den regelmäßig als schutzwürdig anzusehenden Beratungsvorgang beziehen. Vgl. BVerwG, Urteil vom 2. August 2012 – 7 C 7/12 –, juris Rn. 31. Eine hinreichend wahrscheinliche, konkrete Gefährdung vertraulicher Beratungen innerhalb der Staatskanzlei bei einer Bekanntgabe der begehrten Informationen ist hiernach nicht ersichtlich. Hierbei ist bezogen auf den konkreten Beratungsprozess – die Fertigung der abstrakten Gesprächsvorbereitungsunterlagen sowie deren Kenntnisnahme durch die Leitungsebene – zu konstatieren, dass dieser mit Abschluss des letzten Gespräches im Oktober 2019 und damit nunmehr seit über drei Jahren beendet ist und insoweit nicht mehr gestört werden kann. Insbesondere die Gefahr eines „Mitregierens“ Dritter ist für die damalige Beratung bzw. den damaligen Beratungsgegenstand nunmehr ausgeschlossen. Vgl. zur Beurteilung des Beratungsabschlusses bei thematisch fortbestehender politischer Relevanz OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 13. November 2015 – OVG 12 B 6.14 –, juris Rn. 46. Nachteilige Auswirkungen auf die Vertraulichkeit der Beratungen sind aber auch dann nicht ersichtlich, wenn von einem weiterhin laufenden Beratungsvorgang auszugehen sein sollte. Der Beklagte macht insoweit geltend, dass der Prozess der Entscheidungsfindung nicht abgeschlossen sei, sondern in der fortbestehenden Positionierung der Landesregierung zu energie- bzw. klimapolitischen Fragen liege. Insbesondere die andauernde politische und juristische Diskussion um den Komplex „Kraftwerk Datteln IV“ werde seitens der Staatskanzlei fortwährend begleitet. Es ist zweifelhaft, ob angesichts des Zwecks des Ausschlussgrundes die fortlaufende Positionierung der Landesregierung zu wesentlichen Fragen im Rahmen der Energiewende in dieser Allgemeinheit überhaupt einen vertraulich zu haltenden Beratungs- und Entscheidungsprozess im Sinne des § 8 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UIG begründen kann. Zumindest dann, wenn keine Entscheidung einer konkreten energiepolitischen Frage im Raum steht und sich der allgemeine Beratungsprozess nicht konkretisiert, liefe eine solche generalisierende Betrachtungsweise der Regierungstätigkeit letztlich auf eine Bereichsausnahme für Ministerien hinaus. Denn bei der energie- bzw. klimapolitischen Willensbildung der Regierung handelt es sich um einen umfassenden, ständigen Prozess. Insoweit bliebe unberücksichtigt, dass nach § 1 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 Buchst. a) UIG NRW oberste Landesbehörden nur soweit und solange sie im Rahmen der Gesetzgebung tätig werden, von den informationspflichtigen Stellen ausgenommen sind (s.o.). Trotz der bedeutsamen und exponierten Rolle der vorliegend handelnden Staatskanzlei bei der Willensbildung des Ministerpräsidenten gilt auch für sie keine Ausnahme.
13

14 Vgl. zur nicht einschlägigen Bereichsausnahme OVG NRW, Urteil vom 30. August 2016 – 15 A 2024/13 –, juris Rn. 68 und OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 13. November 2015 – OVG 12 B 6.14 –, juris Rn. 48. Dies kann jedoch offen bleiben. Denn sollte der geschützte behördliche Beratungs- und Entscheidungsprozess derart weit zu verstehen sein und auf die (fortlaufende) Klima- und Energiepolitik des Landes in ihrer Gesamtheit          erstreckt      werden        können,         steigen     damit       zugleich        die Darlegungsanforderungen hinsichtlich der nachteiligen Auswirkungen. Je weiter der Beratungsvorgang gefasst wird, desto geringer wird regelmäßig die Bedeutung einzelner Arbeitsunterlagen zu Teilbereichen der Klima- und Energiepolitik sein, zumal dann, wenn sie in der Vergangenheit liegen. Gemessen an diesen Maßstäben hat der Beklagte nicht hinreichend dargetan, inwiefern die Bekanntgabe vorbereitender Unterlagen für in der Vergangenheit liegende Treffen des früheren Ministerpräsidenten bzw. des Chefs der Staatskanzlei mit Vertretern von Uniper zum jetzt maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt noch nachteilige Auswirkungen auf die Beratungen und Positionierung der aktuellen Landesregierung zu klimapolitischen Fragen haben soll. Der Beklagte hat zwar vorgebracht, dass die Positionierung der Landesregierung zur schon erfolgten Genehmigung von Datteln IV sowie zu Fragen der Energiewende bzw. klimapolitischen Fragen eine fortbestehende Bedeutung habe. Hieraus folgt jedoch nicht zwangsläufig, dass nunmehr stattfindende Beratungen zu diesen Themenkomplexen durch die Veröffentlichung der Vorbereitungsunterlagen nachteilig beeinträchtigt würden. Der Beklagte hat insbesondere nicht dargelegt, dass in näherer Zeit etwa Verhandlungen stattfänden oder Entscheidungen anständen, in denen die Position der Landesregierung bei Zugänglichmachung der strategischen Ausführungen der Vorbereitungsunterlagen geschwächt würde. Zu einer solchen Konstellation vgl. VG Berlin, Urteil vom 18. Februar 2015 – 2 K 48.14 –, juris Rn. 48- 49. Soweit er geltend macht, die Veröffentlichung der internen, weiterhin relevanten Dokumente würde „die Vertraulichkeit der Beratungen empfindlich stören“, wird der vermeintlich gefährdete Beratungsprozess nicht hinreichend konkretisiert. Ferner steht nachteiligen Auswirkungen auf aktuelle Beratungen zu energie- bzw. klimapolitischen Themen entgegen, dass die Beratungsunterlagen mittlerweile über drei bis nahezu fünf Jahre alt sind. Innerhalb dieses nicht unerheblichen Zeitraums ist es in der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen zu personellen und strukturellen Veränderungen gekommen, die die Aktualität und politische Relevanz der Wertungen in den Vorbereitungsunterlagen in Frage stellen. Der Wechsel des Ministerpräsidenten, der Ablauf der Legislaturperiode und insbesondere die Bildung einer neuen Regierung seitens der CDU mit der Partei Bündnis 90/Die Grünen führen dazu, dass die
14

15 streitgegenständlichen Gesprächsvorbereitungsunterlagen der Mitarbeiterebene – bei unterstellter Übernahme durch die Leitungsebene – nicht mehr ohne weiteres die aktuellen politischen Leitlinien der Landesregierung widerspiegeln können. Dies wird dadurch unterstrichen, dass die für Energie- und Klimapolitik thematisch verantwortlichen Ministerien (Ministerium für Wirtschaft, Industrie, Klimaschutz und Energie sowie das Ministerium für Umwelt, Naturschutz und Verkehr) durch eine Vertreterin bzw. einen Vertreter des neuen Koalitionspartners, Bündnis 90/Die Grünen, besetzt wurden. Insoweit muss auch mit einer politischen Neubewertung von Positionierungen, die in den Vorbereitungsunterlagen aufgegriffen oder vorbereitet wurden, gerechnet werden. Ausdruck hiervon ist etwa, dass das Ministerium für Wirtschaft, Industrie, Klimaschutz und Energie bereits zu Beginn der aktuellen Legislaturperiode zusammen mit dem Bundeswirtschaftsministerium und RWE anteilig den für Braunkohle bis zum Jahr 2038 vorgesehenen Kohleausstieg um acht Jahre vorverlegt hat. Ministerium für Wirtschaft, Industrie, Klimaschutz und Energie des Landes NRW, September 2022, abrufbar      unter       https://www.wirtschaft.nrw/system/files/media/document/file/ergebnisbericht- braunkohleausstieg-2030.pdf, zuletzt abgerufen am 16. Januar 2023. Zu diesen personellen bzw. strukturellen Änderungen tritt noch auf sachlicher Ebene die unter anderem durch den Ukraine-Krieg bedingte Krise im Rahmen der Energieversorgung hinzu, die jedenfalls geeignet ist, klima- und energiepolitischen Erwägungen aus dem Zeitraum von März 2018 bis Oktober 2019 die Aktualität zu nehmen. Eine Auswirkung hiervon ist unter anderem, dass infolge der Einführung des § 50a Abs. 4 des Energiewirtschaftsgesetzes der Weiterbetrieb von Kohlekraftwerken ermöglicht wird, für die im letzten und in diesem Jahr im Rahmen des nationalen Kohleausstiegs nach dem Kohleverstromungsbeendigungsgesetz ein Verbot der Kohleverfeuerung eingreifen sollte. Die Grundlagen für Erwägungen zu der in den Gesprächsvorbereitungen ebenfalls thematisierten Aktionärsstruktur Unipers haben sich durch den mittlerweile erfolgten Erwerb von 99,12 % der Aktien durch die Bundesrepublik Deutschland ebenfalls substanziell geändert. Uniper:                      Aktionärsstruktur,                    abrufbar                     unter https://www.uniper.energy/de/investoren/aktie/aktionaersstruktur, zuletzt abgerufen am 16. Januar 2023. Gleiches gilt für das thematisierte Projekt „Nord Stream 2“, dessen Verwirklichung infolge des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine jedenfalls in weite Ferne gerückt ist. Vgl. Tagesschau, Genehmigung von Nord Stream 2 gestoppt, 22. Februar 2022, abrufbar unter https://www.tagesschau.de/wirtschaft/weltwirtschaft/scholz-nordstream-101.html, zuletzt abgerufen am 16. Januar 2023. Entsprechend ist auch nicht zu erkennen, wie anhand der nicht von der Hausspitze stammenden Gesprächsvorbereitungsunterlagen noch aktuelle politische Strategien, Verhandlungspositionen, Prioritäten oder „rote Linien“ der Landesregierung – die nicht
15

16 ohnehin bereits öffentlich bekannt sind – ersichtlich werden könnten und hierdurch das Beratungsverhalten in der Staatskanzlei beeinträchtigt würde. Vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 13. November 2015 – OVG 12 B 6.14 –, juris Rn. 49. Die zusätzlich vom Beklagten vorgetragene Befürchtung, dass eine neutrale fachliche Beratung der politischen Leitung durch die Fachmitarbeiter wegen der Gefahr späterer politischer Diskrepanzen gehemmt und Beratungen entweder „stromlinienförmig“ oder ins Mündliche verlagert würden, genügt für die nach § 8 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UIG erforderlichen Nachteile ebenfalls nicht. Gleiches gilt für die vorgebrachten Sorgen der Mitarbeiter über Konsequenzen „unbedachter Äußerungen“, den sicherzustellenden Fortbestand des „sinnvollen Arbeitens“ in der Behörde, „Denkverbote“ und die prognostizierte „Schere im Kopf“. Der durch diesen Vortrag zum Ausdruck kommenden Sorge der Staatskanzlei um die allgemeine Arbeitsweise bei nachträglicher Publizität von Unterlagen könnte nur durch eine Bereichsausnahme für jegliche Gesprächsunterlagen Rechnung getragen werden, die gesetzlich aber gerade nicht vorgesehen ist. Vielmehr verlangt das UIG den informationsverpflichteten Stellen ab, sich Informationszugangsansprüchen               zu       stellen      und     auf        diese     Weise Regierungsentscheidungen und -positionen nachträglich zu erklären. Vgl. OVG NRW, Urteil vom 30. August 2016 – 15 A 2024/13 –, juris Rn. 68 und 84; vgl. OVG Berlin- Brandenburg, Urteil vom 13. November 2015 – OVG 12 B 6.14 –, juris Rn. 50 zur Offenlegung von internen Regierungsunterlagen im Rahmen von Beratungen für Gesetzesnovellen. Bezogen auf die nach dem IFG des Bundes begehrte Herausgabe von Vorbereitungsunterlagen für ein Gesetzesvorhaben führt das Bundesverwaltungsgericht pointiert aus: „[E]s entspricht gerade einer ordnungsgemäß agierenden Ministerialverwaltung, komplexe Entscheidungsprozesse schriftlich vorzubereiten und zu dokumentieren. Dies schließt die fortgesetzte Bereitschaft der Verantwortungsträger der Regierung sowie der Arbeitsebene ein, ihre jeweiligen Auffassungen (ab-)zubilden, mögen diese später im Entscheidungsprozess auch wieder aufgegeben werden. Eine nachträgliche Offenlegung solcher gegebenenfalls kontroverser Erörterungen und Positionierung offenbart dann lediglich einen Ausschnitt aus der Genese eines Gesetzentwurfes, der das Ansehen einer Ministerialverwaltung in einem demokratischen Staat nicht zu beeinträchtigen geeignet ist.“ BVerwG, Urteil vom 30. März 2017 – 7 C 19/15 –, juris Rn. 18. Nichts anderes kann für die streitgegenständliche Form der politischen Willensbildung durch den Ministerpräsidenten bzw. den Chef der Staatskanzlei gelten. Es ist kein Grund dafür ersichtlich, warum die fachliche Beratung der Hausspitze der Staatskanzlei durch
16

17 ihre Mitarbeiter gegenüber der Vorbereitung von Gesetzesvorhaben durch andere Ministerien als schutzwürdiger anzusehen sein sollte. Dass ein gewisser Rechtfertigungsdruck für die Behörden durch das UIG zuzumuten ist, gilt ferner in besonderem Maße vor dem Hintergrund, dass durch die Informationsrechte die      kritische   Auseinandersetzung         der      Bevölkerung      mit     umweltbezogenem Behördenhandeln gefördert werden soll. OVG NRW, Urteil vom 3. August 2010 – 8 A 283/08 –, juris Rn. 43; VG Arnsberg, Urteil vom 4. Mai 2012 – 7 K 2314/11 –, juris Rn. 31. Ausreichende nachteilige Auswirkungen im Sinne des § 8 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UIG für (zukünftige) Beratungen sind letztlich nicht dadurch gegeben, dass die Gesprächsvorbereitungsunterlagen jedenfalls teilweise auf eine Regierungsentscheidung abzielen. Denn der Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung ist vorliegend allenfalls ansatzweise betroffen. Der Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung ist eine ausgehend vom Gewaltenteilungsprinzip insbesondere im Parlamentsrecht entwickelte Rechtsfigur. Er schließt zur Wahrung der Funktionsfähigkeit und Eigenverantwortung der Regierung einen auch gegenüber dem Volk bestehenden Initiativ-, Beratungs- und Handlungsbereich ein. Um ein Mitregieren Dritter bei noch ausstehenden Entscheidungen der Regierung zu verhindern, erstreckt sich die Kontrollkompetenz selbst des Parlaments daher grundsätzlich nur auf bereits abgeschlossene Vorgänge. Laufende Verhandlungen und Entscheidungsvorbereitungen                sind     zur         Wahrung        eigenverantwortlicher Kompetenzausübung der Regierung geschützt. Aber auch bei abgeschlossenen Vorgängen sind Fälle möglich, die zum Schutze der Freiheit und Offenheit der Willensbildung innerhalb der Regierung dem Einblick Außenstehender für einen längeren Zeitraum verschlossen bleiben müssen. Die Erfüllung eines Informationsanspruchs könnte durch einengende Vorwirkungen die Regierung in der ihr zugewiesenen selbständigen Funktion beeinträchtigen. Informationen aus dem Bereich der Vorbereitung von Regierungsentscheidungen sind umso schutzwürdiger, je näher sie der gubernativen Entscheidung stehen. Den Erörterungen im Kabinett kommt eine besonders hohe Schutzwürdigkeit zu. Die vorgelagerten Beratungs- und Entscheidungsabläufe sind der parlamentarischen Kontrolle und entsprechend auch den Informationsansprüchen demgegenüber in einem geringeren Maße entzogen. Vgl. OVG NRW, Urteil vom 30. August 2016 – 15 A 2024/13 –, juris Rn. 55; vgl. Heusch, in: ders./Schönenbroicher, Die Landesverfassung Nordrhein-Westfalen, 2. Aufl. 2020, Art. 3 Rn. 19; zur „einengenden Vorwirkung“ auch BVerfG, Beschluss vom 30. März 2004 – 2 BvK 1/01 –, juris Rn. 45 und BVerwG, Urteil vom 22. März 2022 – 10 C 2/21 –, juris Rn. 30. Beim Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung handelt es sich angesichts der unionsrechtlichen Vorgaben im Umweltinformationsrecht nicht um einen ungeschriebenen Versagungsgrund.           Den        verfassungsrechtlichen        Grundsätzen       kann       jedoch richtlinienkonform im Rahmen der Prüfung, ob die Bekanntgabe der Informationen
17

18 nachteilige Auswirkungen auf die Vertraulichkeit der Beratungen hätte, Rechnung getragen werden. OVG NRW, Urteil vom 30. August 2016 – 15 A 2024/13 –, juris Rn. 57; vgl. BVerwG, Urteil vom 22. März 2022 – 10 C 2/21 –, juris Rn. 25. Ist der Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung betroffen, kann der Ablauf von wenigstens zwei Legislaturperioden ein Anhaltspunkt für einen nicht zu unterschreitenden Zeitraum sein. Maßgeblich bleibt gleichwohl die Würdigung des jeweiligen Einzelfalles. BVerwG, Urteil vom 22. März 2022 – 10 C 2/21 –, juris Rn. 28 und 30 zu § 8 Abs. 2 Nr. 2 UIG. Als typisches gubernatives Handeln ist die Bestimmung der Richtlinien der Politik durch den Bundeskanzler bzw. Ministerpräsidenten, die Erarbeitung und Einbringung von Gesetzesinitiativen durch die Regierung in das Parlament, die Beantwortung von mündlichen und schriftlichen Anfragen im Parlament sowie die Vorbereitung und Durchführung von Kabinettssitzungen anzusehen. Schönenbroicher, in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, 2. Aufl. 2019, VwVfG § 1 Rn. 38. Anzuerkennen ist insoweit, dass Vorbereitungsunterlagen, die dem Ministerpräsidenten bzw. dem Chef der Staatskanzlei eine Positionierung zu klima- bzw. energiepolitischen Fragestellungen ermöglichen sollen, gleichzeitig die Festlegung und Umsetzung der politischen Richtlinien unterstützen. Dem steht auch nicht entgegen, dass die Vorschläge zur Gesprächsführung zunächst unmittelbar auf nichtöffentliche und nichtdokumentierte Gespräche mit dem – jedenfalls zum damaligen Zeitpunkt – privatwirtschaftlichen Unternehmen Uniper abzielten. Hierbei handelt es sich anders als etwa bei Regierungserklärungen oder Beiträgen im Rahmen einer Kabinettssitzung nicht um ein herkömmliches Forum, in dem gefasste politische Richtlinien erstmals zur Geltung gebracht werden sollen. Indes ist der besondere Beratungsschutz im gubernativen Kernbereich nicht erfolgsbezogen in dem Sinne zu verstehen, dass im Rahmen einer Beratung angefertigte Vermerke oder Stellungnahmen zwingend Einfluss auf die politische Willensbildung der Regierung haben müssten und dies auch in einer unmittelbaren Kundgabe der politischen Leitlinien resultiert. Stattdessen genügt die grundsätzliche Eignung der Vorbereitungsunterlagen, um Einfluss auf die politische Willensbildung der politischen Führung zu nehmen. Eine solche Eignung besteht jedenfalls in einer Konstellation wie der vorliegenden. Denn das nach dem Vortrag des Beklagten unter anderem thematisierte Geschäftsfeld von Uniper als Energieversorger mit nicht nur unerheblichem Marktanteil unter dem Einsatz von Kraftwerken, die mit fossilen Energieträgern betrieben werden, betrifft gewichtige Elemente der Energie- und Klimapolitik von Nordrhein-Westfalen. Vgl. auch zur Einordnung von vorbereitenden Unterlagen, die der Willensbildung der politischen Leitung dienen VG Berlin, Urteil vom 22. Mai 2014 – 2 K 285.12 –, juris Rn. 33.
18

19 Gleichwohl ist der Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung nur ansatzweise betroffen, da der Beratungsprozess innerhalb der Staatskanzlei – wie bereits erörtert – in vorgelagerter Position erfolgte. Nach den oben aufgezeigten Maßstäben, die sich an der Kontrollreichweite eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses gegenüber der Exekutive orientieren, besteht – verglichen etwa mit Beratungen in einer Kabinettssitzung – für die Vorschläge aus der Mitarbeiterebene daher lediglich ein abgeschwächter Schutz. Zwar waren die Gesprächsvorbereitungen auf die Willensbildung seitens der Hausleitung gerichtet. Der politisch gewichtigere Teil des Willensbildungsprozesses durch den Ministerpräsidenten bzw. den Chef der Staatskanzlei lässt sich jedoch anhand der Gesprächsvorbereitungen allein nicht nachvollziehen. Ihre Reaktion auf die Vorbereitungsunterlagen ist nach dem Vorbringen des Beklagten – sowohl in den Gesprächen mit Uniper als auch außerhalb – nicht dokumentiert. Vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 29. Juni 2017 – 10 S 436/15 –, Rn. 48 juris; OVG NRW, Urteil vom 30. August 2016 – 15 A 2024/13 –, juris Rn. 68 auch abschwächend für Beratungen beamteter Staatssekretäre; vgl. ferner VG Berlin, Urteil vom 25. Februar 2016 – 2 K 180.14 –, juris Rn. 29. Diese geringe Betroffenheit wird auch nicht dadurch aufgewogen, dass es sich bei der hier handelnden Behörde um die Staatskanzlei handelt, die unmittelbar an der Willensbildung des Ministerpräsidenten mitwirkt, dem nach Art. 55 Abs. 1 der Landesverfassung NRW die Richtlinienkompetenz in der Landesregierung zukommt. Zur Richtlinienkompetenz Schönenbroicher, in: Heusch/ders., Die Landesverfassung Nordrhein- Westfalen, 2. Aufl. 2020, Art. 55 Rn. 4 ff. Allein diese exponierte Stellung innerhalb der Landesregierung nebst der bestimmenden Einflussnahme auf deren Willensbildung bewirkt jedoch keinen umfassenden Schutz der Beratungsprozesse vor Informationsansprüchen. Ein entsprechender umfassender Schutz würde wiederum zu einer Bereichsausnahme für die Beratungen der Staatskanzlei führen, die im UIG NRW bzw. dem UIG jedoch gerade nicht enthalten ist (s.o.). Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass die streitgegenständlichen Treffen innerhalb der letzten Legislaturperiode stattgefunden haben und damit noch keine zwei Legislaturperioden abgelaufen sind. Der Ablauf von zwei Legislaturperioden wurde vom Bundesverwaltungsgericht als „Anhaltspunkt“ im Rahmen der Beurteilung des behördlichen Geheimhaltungsinteresses und nicht als strikte Zeitgrenze benannt. Vgl. BVerwG, Urteil vom 22. März 2022 – 10 C 2/21 –, juris Rn. 30. Die gebotene Würdigung der Einzelfallumstände entfällt hierdurch nicht. Vgl. BVerwG, Urteil vom 22. März 2022 – 10 C 2/21 –, juris Rn. 28. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Betroffenheit des Kernbereichs exekutiver Eigenverantwortung nicht pauschal festgestellt werden kann. Vielmehr ist
19

20 jenseits schematischer Betrachtungen maßgeblich, ob und in welchem Ausmaß die streitgegenständlichen Informationen das gubernative Handeln betreffen und widerspiegeln. Gemessen hieran rechtfertigt der nur ansatzweise betroffene Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung (s.o.) jedenfalls keinen über den maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt der mündlichen Verhandlung hinausgehenden Geheimnisschutz. Soweit – wie vorliegend – der besonders schützenswerte Arkanbereich der Regierung durch die Mitarbeiterebene lediglich adressiert wird und keine eigenen Beratungsvorgänge der politischen Führung veröffentlich werden, ist ein Zuwarten von zwei Legislaturperioden nicht erforderlich. Neben der gebotenen engen Auslegung des Ausschlussgrundes nach § 8 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UIG spricht hierfür, dass seitens des Beklagten keine konkreten Beratungsprozesse vorgebracht wurden, bei denen eine grundsätzlich mögliche „einengende Vorwirkung“ durch die Gesprächsvorbereitungsunterlagen zum Tragen käme (s.o.). Ferner betreffen die personellen und strukturellen Wechsel innerhalb der nordrhein-westfälischen Landesregierung überwiegend die für den gubernativen Kernbereich im Rahmen der Klimapolitik maßgeblichen Akteure. Der amtierende Ministerpräsident, Herr Hendrik Wüst, die Ministerin für Wirtschaft, Industrie, Klimaschutz und Energie, Frau Mona Neubaur, sowie der Minister für Umwelt, Naturschutz und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen, Herr Oliver Krischer, wären schon deswegen von – unterstellten – „einengenden Vorwirkungen“ nur in geringem Maße betroffen, weil sie zum Zeitpunkt der Fertigung der Gesprächsvorbereitungsunterlagen nicht ihr aktuelles Amt ausgeübt haben. Eine derart lange und kategorische Sperrfrist von zwei Legislaturperioden würde letztlich dem Umstand nicht gerecht werden, dass bei den vorliegend rein politischen Fragen regelmäßige Änderungen der Positionen – zumal nach geänderten Rahmenbedingungen – ohnehin systemimmanent sind. Vor diesem Hintergrund der nicht ersichtlichen ausreichenden negativen Auswirkungen auf den allgemeinen Beratungsprozess erscheint es – entgegen der Ansicht des Beklagten – auch nicht als zwingend, Beratungen zukünftig zu unterlassen oder Gesprächsvorbereitungen bis zur politischen Abstimmung als Entwürfe zu behandeln, die anschließend gelöscht würden. Die Kammer weist insoweit auf den aus dem Gewaltenteilungsgrundsatz folgenden Grundsatz der Aktenvollständigkeit hin, der auch für das Handeln von Regierungen gilt und erfordert, alle wesentlichen Verfahrenshandlungen vollständig und nachvollziehbar abzubilden. Vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 30. Juli 2014 – 1 S 1352/13 –, juris Rn. 90 f.; Schoch, in: ders. IFG, 2. Aufl. 2016, IFG § 2 Rn. 43. Dem geltend gemachten Informationsanspruch steht auch nicht § 2 Satz 3 UIG NRW i.V.m. § 8 Abs. 2 Nr. 2 UIG entgegen, wonach ein Antrag abzulehnen ist, wenn dieser sich auf interne Mitteilungen der informationspflichtigen Stelle bezieht, es sei denn, das öffentliche Interesse an der Bekanntgabe überwiegt.
20

Zur nächsten Seite