Entzug von Geldvermögen ausländischer Staaten als Sanktion

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PE 6 - 3000 - 019/22, WD 2 - 3000 - 021/22,
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des Völkerrechts” gehen gemäß Art. 25 Grundgesetz (GG) als Teil des Bundesrechts den (einfa-
chen) Gesetzen vor.

4.2. Eigentumsgarantie des Art. 14 GG

Die Einziehung von Vermögenswerten eines ausländischen Staates könnte einen Eingriff in die
Eigentumsgarantie nach Art. 14 Abs. 1 GG darstellen. Hierfür müsste der Schutzbereich von Art.
14 Abs. 1 GG eröffnet sein. Die Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG schützt den konkreten
Bestand an vermögenswerten Gütern in der Hand des Eigentümers vor ungerechtfertigten Eingrif-
fen durch die öffentliche Hand."

Grundrechtsträger von Art. 14 GG sind jedoch nur natürliche Personen oder nach Art. 19 Abs. 3
GG inländische juristische Personen, soweit das konkrete Grundrecht seinem Wesen nach auf
diese anwendbar ist. Das ist grundsätzlich nur bei juristischen Personen des Privatrechts der
Fall; juristische Personen des öffentlichen Rechts können sich nicht auf die materiellen Grund-
rechte wie Art. 14 GG berufen.” Juristische Personen des Privatrechts mit Sitz im EU-Ausland
werden grundrechtlich ebenso behandelt wie inländische juristische Personen, wenn die be-
troffene juristische Person aus der Europäischen Union im Anwendungsbereich des Unions-
rechts tätig wird und sie einen hinreichenden Inlandsbezug aufweist, der die Geltung der
Grundrechte in gleicher Weise wie für inländische juristische Personen geboten erscheinen
lässt.”

Ausländische Staaten sind keine inländischen juristischen Personen des Privatrechts oder ihnen
gleichgestellte juristische Personen der EU und damit keine Grundrechtsträger. Sie könnten sich
demnach nicht auf den Schutz der Eigentumsgarantie des Art. 14 GG berufen.*

Die Frage, ob es sich bei einem (endgültigen) Entzug von durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützten
Vermögensrechten als Sanktion für Völkerrechtsverstöße um eine (nur gegen Entschädigung zu-
lässige) Enteignung im Sinne von Art. 14 Abs. 3 GG handeln würde oder um eine (unter Um-
ständen auch entschädigungslos mögliche) sonstige Form der Eigentumsentziehung auf der

90 Dazu gehören Völkergewohnheitsrecht sowie allgemeine Rechtsgrundsätze im Sinne von Art, 38 Abs. 1lit. c
\ .IGH-Statut, nicht aber ausschließlich völkervertragsrechtlich festgelegte Regeln (vgl. Streinz, in: Sachs, GG, 9.
“ Auflage, 2021, Art. 25 Rn. 29 ff.),

91 Antoni, in: Hömig/Wolff, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 13. Auflage 2022, Art. 14 Rn. 2.
92 Vgl. BVerfGE 147, 50 (143 Rn. 239 m.w.N.).

93 Papier/Shirvani, in: Dürig/Herzog/Scholz, Grundgesetz-Kommentar, 95. EL Juli 2021, Art. 14 Rn. 344; BVerfG,
Beschluss vom 19. Juli 2011 - 1 BvR 1916/09, BVerfGE 129, 78 (94 ff.).

94 Das Bundesverfassungsgericht hat zwar einem nach deutschem Gesellschaftsrecht errichteten Unternehmen,
dessen Anteile überwiegend von einem anderen EU-Staat gehalten wurden, ausnahmsweise die Grundrechtsfä-
higkeit zuerkannt (BVerfGE 143, 246 [313 ff. Rn. 184 ff,]). Es hat dies aber mit der unionsrechtlich garantierten
Niederlassungsfreiheit begründet und damit, dass das Unternehmen als normaler Wirtschaftsteilnehmer auf
dem Markt auftrete (a.a.O. Rn. 194, 196 ff.). Beides wäre bei einem Entzug von Vermögensrechten eines Nicht-
EU-Staates nicht der Fall.
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Grundlage von Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG, ähnlich der strafrechtlichen Einziehung,” stellt sich
daher nicht.

4.3. Sonstige Aspekte

Sollte der nationale Gesetzgeber eine Vermögensabschöpfungsmaßnahme als Sanktion für völker-
rechtswidriges Verhalten gegen einen Drittstaat beschließen, so müsste diese Maßnahme mit dem
allgemeinen Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1.GG in Einklang stehen. Im Rechtsstaats-
prinzip wird zum Teil auch die Grundlage des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes gesehen”®. Das
könnte dafür sprechen, dass der Entzug von Vermögenswerten eines ausländischen Staates,
auch wenn er keine Grundrechtsbeeinträchtigung darstellt, zumindest verhältnismäßig sein
müsste. Dagegen spricht jedoch zum einen, dass der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, auch bei
einer Ableitung aus dem Rechtsstaatsprinzip, weiterhin überwiegend als auf das Verhältnis
„Staat-Bürger“ zugeschnittenes Rechtsinstitut angesehen und eine Übertragung auf das Verhält-
nis zwischen Staatsorganen nur ausnahmsweise in Betracht gezogen wird.” Zum anderen ist zu.
berücksichtigen, dass das Verhältnis zwischen Staaten, um das es vorliegend geht, in erster Li-
nie durch das Völkerrecht geregelt wird. Das Grundgesetz trägt dem durch den Grundsatz der
Völkerrechtsfreundlichkeit® Rechnung, indem es etwa allgemeinen Regeln des Völkerrechts
gemäß Art. 25 GG Vorrang vor einfachem Bundesrecht einräumt. Das spricht dagegen, dass es
darüber hinausgehend die Handlungsmöglichkeiten der deutschen Staatsgewalt gegenüber an-
deren Staaten ohne weiteres durch weitere verfassungsrechtliche Restriktionen beschränkt se-
hen möchte.

Nach der vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) entwickelten und in ständiger Rechtsprechung
ausgeprägten Wesentlichkeitslehre muss der Gesetzgeber staatliches Handeln jedoch in grund-
legenden Bereichen durch ein förmliches Gesetz legitimieren und alle wesentlichen Entschei-
dungen selbst treffen. Grundlage hierfür ist zum einen die im Rechtsstaatsprinzip verwurzelte
Lehre vom Vorbehalt des Gesetzes’? sowie der aus dem Demokratieprinzip abgeleitete Parla-
mentsvorbehalt.!°'! Auch wenn vorliegend keine Grundrechte betroffen wären, würde es sich bei
dem ersatzlosen Entzug von Vermögenswerten eines ausländischen Staates doch gleichwohl um

95 Vgl. zu diesen nicht als Enteignung im verfassungsrechtlichen Sinne eingeordneten Formen der Eigentumsent-
ziehung Papier/Shirvani, in: Dürig/Herzog/Scholz, Grundgesetz-Kommentar, 95. EL Juli 2021, Art. 14
Rn. 757 ff; zur strafrechtlichen Einziehung vgl. $$ 73 ff. StGB.

96 BVerfGE 23, 127 (133); BVerfGE 38, 348 (368).

97 Vgl. BVerfGE 81, 310 (338); Schulze-Fielitz, in: Dreier, Grundgesetz-Kommentar, 3. Auflage 2015, Art. 20
Rn. 187 f.; Jarass, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz, 16. Auflage 2020, Art. 20 Rn. 113 ff.

98 Siehe dazu Wollenschläger, in: Dreier, Grundgesetz-Kommentar, 3. Auflage 2015, Art. 25 Rn. 51.

99 Ausführlich dazu Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Kriterien der Wesentlichkeitslehre des
Bundesverfassungsgerichts, WD 3 - 3000 - 152/19 (abrufbar unter: https://www.bundestag.de/re-
source/blob/655254/1764b49aa3c854588840652cf134e031/WD-3-152-19-pdf-data.pdf).

100 Vgl. Maurer/Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, 19. Auflage 2017, $ 6 Rn. 11 f.

101 Pieroth, Das Demokratieprinzip des Grundgesetzes, JuS 2010, 473 (477 f.).
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eine Entscheidung mit großer außenpolitischer Wirkung handeln." Das spricht dafür, dass es
sich auch ohne Grundrechtsbezug um eine wesentliche Entscheidung handelt, die nur durch
oder aufgrund eines Gesetzes getroffen werden könnte. Das in Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG statuierte
Verbot des Einzelfallgesetzes würde vorliegend nicht greifen, da dieses eine Grundrechtsbe-
schränkung voraussetzt, an der es beim Entzug von Vermögenswerten eines ausländischen Staa-
tes wie gesehen gerade fehlt. Insofern wäre der Gesetzgeber grundsätzlich nicht gehindert, ein
Einzelfallgesetz (Individualgesetz) zu erlassen, das sich tatsächlich nur auf eine bestimmte Per-
son oder einen einzigen Fall bezieht, wenn sachliche Gründe für eine solche Regelung beste-
hen.!”® .

Nach Art. 73 Abs. 1 Nr. 1 GG hat der Bund die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz über die
auswärtigen Angelegenheiten. Auswärtige Angelegenheiten sind die Beziehungen, die sich aus der
Stellung der Bundesrepublik Deutschland als Völkerrechtssubjekt zu anderen Staaten, jedoch auch
zu nichtstaatlichen Völkerrechtssubjekten (z. B. internationale Organisationen) ergeben.'* Ein
Gesetz, durch welches Vermögen eines ausländischen Staates eingezogen werden würde, würde
die Beziehung der Bundesrepublik zu anderen Staaten betreffen und unterfiele damit der aus-
schließlichen Gesetzgebungskompetenz des Bundes.

4.4. Zusammenfassung

Da ausländische Staaten nicht Träger der im Grundgesetz statuierten Grundrechte sind, wäre der
Entzug ihnen von der einfachen Rechtsordnung zugewiesener Eigentumspositionen nicht an der

' Eigentumsgarantie des Art. 14 GG zu messen (siehe oben bei 4.2.). Die vom Bundesverfassungsge-
richt aus dem Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip entwickelte Wesentlichkeitstheorie spräche
aber dafür für derartige Entziehungsmaßnahmen eine gesetzliche Grundlage zu schaffen (oben bei
4.3.). Ihre Zulässigkeit würde freilich voraussetzen, dass ihnen keine allgemeinen Regeln des
Völkerrechts oder Vorgaben des Unionsrechts entgegenstehen (oben bei 4.1.).

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102 Vgl. zur Wesentlichkeitstheorie als Gesichtspunkt der parlamentarischen Mitwirkung im Bereich der auswärti-
gen Gewalt Wolfrum, Kontrolle der auswärtigen Gewalt, in: VVDStRL 56 (1997), S. 38 (41 £.), der dabei aller-
dings in erster Linie Auswirkungen auf die Rechtsstellung des einzelnen im Blick hat.

103 Vgl. Schnapauff, in: Hömig/Wolff, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 13. Auflage 2022, vor
Art. 70 Rn. 13.

104 Schnapauff, in: Hömig/Wolff, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 13. Auflage 2022, Art. 73 Rn. 3.
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