Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (COM(2022) 105 final)

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Auch im Hinblick auf die vorgenannten Straftaten, die auf den Kriminalitätsbereich der Compu-
terkriminalität gestützt werden (Art. 7 ff. RL-Vorschlag), nimmt die Begründung nicht ausdrück-
lich auf das Erfordernis der „grenzüberschreitenden Dimension“ Bezug.”

4.3. Zusammenfassung

Die Kommission stützt die strafrechtlichen Vorschriften des Richtlinienvorschlags auf
Art. 83 Abs. 1 AEUV. Hierzu knüpft sie an die Kriminalitätsbereiche der „sexuellen Ausbeutung
von Frauen und Kindern“ sowie „Computerkriminalität“ gemäß Art. 83 Abs. 1 UAbs. 2 AEUV an.

In der Literatur werden im Hinblick auf die Reichweite der genannten Kriminalitätsbereiche ver-
schiedene Auslegungen vertreten. In Bezug auf die „sexuelle Ausbeutung von Frauen und Kin-
dern“ ist im Schrifttum umstritten, ob über das Ausnutzen der Prostitution bzw. der Zuhälterei
hinaus, weitere Missbrauchshandlungen unter dieses Kriminalitätsbereich fallen können.” Fer-
ner werden im Hinblick auf die Reichweite der „Computerkriminalität“ verschiedene Ansichten
vertreten, die sich danach abgrenzen, ob darunter auch Straftaten zu fassen sind, bei denen Com-
puter zur Verbreitung genutzt werden.’ Die Kommission legt dem Richtlinienentwurf jeweils ein
weites Verständnis dieser Kriminalitätsbereiche zugrunde. Eine abschließende Bewertung, ob
dieses Verständnis mit Art. 83 Abs. 1 UAbs. 2 AEUV vereinbar ist, obliegt nach Verabschiedung
der Richtlinie dem EuGH.

Unterschiedliche Ansichten bestehen ferner in der Literatur zu der Frage, ob in den Fällen des
Art. 83 Abs. 1 UAbs. 2 AEUV die Merkmale der „besonders schweren Kriminalität“ und der
„grenzüberschreitenden Dimension“ des Art. 83 Abs. 1 UAbs. 1 AEUV unwiderleglich vorliegen
oder ob das Bestehen dieser Merkmale jeweils gesondert geprüft werden muss.“ Die Kommission
geht in ihrer Begründung insoweit auf das Merkmal der „grenzüberschreitenden Dimension“
nicht ausdrücklich ein. Eine abschließende Bewertung, ob dieses Verständnis mit

Art. 83 Abs. 1 AEUV vereinbar ist, obliegt nach Verabschiedung der Richtlinie dem EuGH.

5. Allgemeine Regelungen des Art. 11 sowie Art. 13 ff. Richtlinienvorschlag

Der Richtlinienvorschlag trifft in Art. 11 sowie in den Art. 13 ff. zudem allgemeine strafrechtliche
Vorgaben. Diese betreffen die Regelung zur Anstiftung, Beihilfe und zum Versuch (Art. 11 RL-
Vorschlag), zu erschwerenden Umständen (Art. 13 RL-Vorschlag), Vorgaben zur gerichtlichen Zu-
ständigkeit (Art. 14 RL-Vorschlag) sowie zu Verjährungsfristen (Art. 15 RL-Vorschlag).

37 Allein im Rahmen der Frage der Subsidiarität verweist der Richtlinienentwurf auf die „grenzüberschreitende
Dimension von Cybergewalt“, vgl. Kommission, Begründung zum Richtlinienvorschlag {(COM{2022) 105 final)
{Fn. 1), Seite 11.

38 Siehe dazu oben unter Ziff. 4.1..

39 Siehe dazu oben unter Ziff. 4.2..

40 Siehe dazu: oben unter Ziff. 2.1..
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Zunächst enthält Art. 11 RL-Vorschlag Vorgaben zur Anstiftung, Beihilfe und zum Versuch. Re-
gelungen zu erschwerenden Umständen sind in Art. 13 RL-Vorschlag niedergelegt. Danach ha-
ben die Mitgliedstaaten sicherzustellen, dass die in Art. 13 lit. a) bis o) RL-Vorschlag genann-
ten Umstände als erschwerende Umstände der in den Art. 5 bis 10 genannten Straftaten gel-
ten, sofern diese Umstände nicht bereits ein Tatbestandsmerkmal der in den Art. 5 bis 10 RL-
Vorschlag genannten Straftaten sind. Liegen die Umstände gemäß Art. 13 RL-Vorschlags vor,
führt dies zu einer Erhöhung des Strafrahmens gemäß Art. 12 Abs. 2 und 4 RL-Vorschlag.

Art. 14 RL-VO trifft ferner Vorgaben zur gerichtlichen Zuständigkeit für Straftaten gemäß Art. 5
bis 11 RL-Vorschlag. In Art. 15 RL-Vorschlag sind konkrete (Mindest-)Verjährungsregeln für die
in Art. 5 bis 11 RL-Vorschlag aufgeführten Straftatbestände vorgesehen. Diese reichen von min-
destens 20 Jahren für Straftaten gemäß Art. 5 RL-Vorschlag (Art. 15 Abs. 1 RL-Vorschlag) bis zu
7 Jahren für Straftaten gemäß Art. 8 und 10 RL Vorschlag (Art. 15 Abs. 5 RL-Vorschlag).

Wie bereits ausgeführt, sieht Art. 3 lit. c) RL-Vorschlag vor, dass der Richtlinienvorschlag auch
auf sonstige nach nationalem Recht strafbare Akte von Gewalt gegen Frauen oder häuslicher Ge-
walt Anwendung finden soll. Aus dem Zusammenspiel der vorgenannten Normen ließe sich ent-
nehmen, dass diese Regelungen auch auf nationale Vorschriften Anwendung finden können, so-
weit sie strafbare Akte von Gewalt gegen Frauen oder häuslicher Gewalt betreffen. In der Folge
könnte der Richtlinienvorschlag in diesen Bereichen ggf. zu Anpassungsbedarf im mitgliedstaat-
lichen Recht führen.

Für den Blick auf die insoweit bestehende Frage der Kompetenz der Union sind die Regelungen
in Art. 67 Abs. 1 und Abs. 3 AEUV zu beachten, die die Union einerseits zur Wahrung der
Grundrechte und die verschiedenen Rechtsordnungen und -traditionen der Mitgliedstaaten ver-
pflichtet sowie anderseits eine Harmonisierung strafrechtlicher Regelungen unter den Vorbehalt
der Erforderlichkeit stellen. In Teilen der Literatur wird daher vertreten, dass besonders grundle-
gende Bestandteile des nationalen Strafrechts. wie z. B. Fragen zur Bewertung subjektiver Schuld
oder die Zuordnung von Täterschaft und Teilnahme zwar harmonisiert werden können, aber ei-
ner strengeren Prüfung von Subsidiarität- bzw. Verhältnismäßigkeit*' unterworfen seien.‘ Wei-
tere Stimmen im Schrifttum mahnen vor dem Hintergrund bisheriger Rechtsakte, in denen ergän-
zende Vorschriften zur „schonenden Harmonisierung“ allgemeiner Regelungen getroffen wurden,
insoweit zur Vorsicht.“ Eine Harmonisierung dürfe demnach nicht mit allgemeinen nationalen
Konzepten iin Strafrecht in Konflikt geraten.”*

41 Vgl. zu Subsidiarität- bzw. Verhältnismäßigkeit die Ausführungen von Vogel/Eisele, in: Grabitz/Hill/Nettes-
heim, Das Recht der Europäischen Union, 75. EL Januar 2022, Art. 83 AEUV, Rn. 45.

42 Meyer, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, 7. Auflage 2015. Art. 83 AEUV, Rn. 34.
43 Satzger, in Streinz, EUV/AEUV, 3. Auflage 2018, Art. 83 AEUV, Rn. 42,
44 Satzger, in Streinz, EUV/AEUV, 3. Auflage 2018, Art. 83 AEUV, Rn. 42. Das Bundesverfassungsgericht sähe

bspw. die Aufgabe des strafrechtlichen Schuldprinzips als verfassungswidrig an, vgl. Bundesverfassungsgericht,
Urteil des Zweiten Senats vom 30. Juni 2009 (Az. 2 BvE 2/08), Rn. 364.
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