Lagebericht Syrien 2019 des Auswärtigen Amts

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lf1 QSS·~·:·}~lf~;r:;.:tr.:r YS 21 Nur für den DienstgelJF&ttell Fas.sur:~1 riidü als VS eingestuft eines Rückkehrcrs wird nicht allein durch die Region bestimmt, in die sie zurückkehrt, sondern in erster Linie durch die eigene Person, und wie ihr von den unterschiedlichen Konfliktparteien, v .a. vom Regime, begegnet wird. Die aktuelle Lage in allen Regimegebieten ist aufgrund des Herrschaftssystems des syrischen Regimes und seiner teilweise rivalisierenden Geheimdienste sowie regimenaher Milizen ohne umfassende zentrale Steuerung und verfiigbare Rechtswege weiterhin von weitreichender Willkür bis hin zu vötlständig~r Rechtlosigkeit geprägt. Während ein Versöhnungsabkommen in einer Region geachtet wird, kann dies bei Überquerung eines Checkpoints bereits missachtet werden und es kann zu willkürlichen Verhaftungen kommen; Human Rights Watch und Amnesty International berichten von zahlreichen solcher Fälle insbesondere im Süden Syriens. Nach wie vor besteht in keinem Teil Syriens ein umfassender, langfristiger und verlässlicher interner Schutz für verfolgte Personen; es gibt keine Rechtssicherheit oder Schutz vor politischer Verfolgung, willkürlicher Verhaftung und Folter (siehe Abschnitt III. 1). Immer wieder sind Rückkehrer, insbesondere - aber nicht nur - solche, die als oppositionell oder regimekritisch bekannt sind oder auch nur als solche erachtet werden, erneuter Vertreibung, Sanktionen bzw. Repressionen, bis hin zu unmittelbarer Gefährdung für Leib und Leben ausgesetzt. Fehlende Rechtsstaatlichkeit und allgegenwärtige staatliche Willkür führen dazu, dass selbst bis dahin regimenahe Personen Opfer von Repressionen werden können. Dies gilt insbesondere für Gebiete unter Regimekontrolle. Menschenrechtsorganisationen und Rückkehrer berichten von zahlreichen Fällen, in denen Rückkehrer verhaftet, gefoltert, oder eingeschüchtert wurden. Internationale Medienberichte von Februar 2019 über zwei aus Deutschland freiwillig zurückgekehrte syrische Staatsangehörige, die nach ihrer Rückkehr verhaftet und seitdem verschwunden sein sollen, konnten mangels Zugangs für UNHCR weder bestätigt noch widerlegt werden. UNHCR hat im Februar 2018 eine detaillierte Auflistung der "Schutzbedingungen und Parameter der Rückkehr nach Syrien" erstellt, welche erfiillt sein müssen, bevor UNHCR sich an einer umfassenden Rückkehr nach Syrien beteiligen kann. UNHCR, dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) und der Internationalen Organisation für Migration (lOM) zufolge sind die Bedingungen für eine freiwillige Rückkehr von Flüchtlingen nach Syrien in Sicherheit und Würde aufgrund weiterhin bestehender signifikanter Sicherheitsrisiken für die Zivilbevölkerung in ganz Syrien nicht gegeben. Der VN-Hochkommissar für Flüchtlinge, Filippo Grandi, hat dies zuletzt während einer Veranstaltung zu Syrien am Rande der VN-Generalversammlung in New York im September 2019 erneut bestätigt. 2018 sind UNHCR zufolge rund 1,4 Mio. Binnenvertriebene in ihre Ursprungsgebiete zurückge- kehrt, zusätzlich 56.066 Flüchtlinge aus dem Ausland. Im selben Zeitraum wurden jedoch 1,6 Mio. Menschen innerhalb Syriens neu vertrieben, ein Großteil von ihnen zum wiederholten Mal. Syrien war auch 2018 weltweit das Land mit den meisten Binnenvertriebenen. In den ersten Monaten des Jahres 2019 hat sich dieser Trend fortgesetzt. Im ersten Halbjahr 2019 sind nach Angaben der Ver- einten Nationen zwar rd. 136.000 Binnenvertriebene (Januar-April) sowie rd. 52.000 Flüchtlinge (Januar- Juli) zurückgekehrt, zugleich wurden aber in diesem Zeitraum über 800.000 Menschen neu bzw. erneut vertrieben. Seit der Wiedereröffuung des jordanisch-syrischen Grenzübergangs Jaber/Nassib Mitte Oktober 2018 sind nach Angaben des UNHCR ca. 33.000 beim UNHCR re- gistrierte Flüchtlinge aus Jordanien nach Syrien zurückgekehrt. Zusätzlich zu den Fluchtbewegun- gen aufgrund von Kampfhandlungen waren bereits Zehntausende Menschen aus zuvor belagerten Gebieten in den Gouvernoraten Damaskus, Horns, Daraa, und Quneitra nach Nordsyrien (Idlib und Nord-Aleppo) gebracht worden. Seit Ankündigung eines sog. "Rückkehrplans" für Flüchtlinge durch Russland im Juli 2018 hat das syrische Regime seinen Diskurs bzgl. der Flüchtlingsrückkehr nach außen hin modifiziert. So rief ©Auswärtiges Amt 2019- Nicht zur Veröffentlichung bestimmt- Nachdruck verboten
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VS 22 Nar für deR Dienstgehraaeh I .. t er gescmr.mrz Fassung nicht als VS eingestuft •m das Regime nach zuvor vorwiegend rückkehrkritischen öffentlichen Äußerungen Anfang Juli 2018 erstmals offiziell zur Flüchtlingsrückkehr auf und forderte dafür Unterstützung der internationalen Gemeinschaft und die Aufhebung westlicher Sanktionen. Ein Minister mit Zuständigkeit für Flüchtlingsrückkehr wurde benannt, zudem wurde eine "Rückkehrkommission" ernannt, die bislang jedoch noch nicht zusammengekommen ist. Präsident Bashar Assad beteuerte in einer Rede vor Mitgliedern der syrischen Lokalräte am 17. Februar 2019 erneut, dass Binnenflüchtlinge und Flüchtlinge zurückkehren sollten. Zugleich gibt es aber auch weiterhin zahlreiche glaubhafte Berichte über eine systematische, politisch motivierte Sicherheitsüberprüfung jedes Rückkehrwilligen, Ablehnung zahlreicher Rückkehrwilliger sowie Verletzung von im Rahmen lokaler Rückkehrinitiativen getroffener Vereinbarungen (Einzug in den Militärdienst, Verhaftung, etc.). Im Kontext der vereinzelten, lokal verhandelten Rückkehrinitiativen aus dem Libanon wurden UNHCR zufolge mehrfach rückkehrwillige Syrer von syrischen ~icherheitsbehörden abgelehnt. Am 8. September 2017 sollen, ebenfalls laut UNHCR, syrische Sicherheitsbehörden in Antwort auf eine von der libanesischen General Security übermittelten Liste rückkehrwilliger Syrer von Shebaa nach Beit Jinn mitgeteilt haben, dass ein Teil dieser Personen (ca. 30 von 360) nie wieder nach Syrien zurückkehren dürfe. Selbst Rückkehrer, die zuvor eine positive Sicherheitsüberprüfung durchlaufen hatten, sollen Berichten zufolge bei Ankunft in Syrien von den Sicherheitsdiensten in Gewahrsam genommen worden sein. Laut Menschenrechtsorganisationen betreffe dies bis zu 75 Prozent der Rückkehrer. Innerhalb der besonders regimenahen Sicherheitsbehörden, aber auch in Teilen der vom Konflikt und der extremen Polarisierung geprägten Bevölkerung gelten Rückkehrer hingegen nach wie vor als Feiglinge und Fahnenflüchtige, schlimmstenfalls sogar als Verräter bzw. Anhänger von Terroristen. So warnte z.B. der damalige Generalmajor der syrischen Armee, Issam Zaher al-Deen, im September 2017 öffentlich, dass Flüchtlinge besser nicht zurückkehren sollten, weil ihnen nicht verziehen werde. Die Herkunft aus einer als "oppositionsnah" geltenden Ortschaft kann dabei bereits zu Gewalt bzw. staatlicher Repression führen. 1.- Sicherheit von Rückkehrerinnen und Rückkehrern 1.1. Bedrohung durch Kampfbandlungen und Kampfmittel Trotz weitreichender militärischer Erfolge des syrischen Regimes und seiner Unterstützer sind noch immer Teile Syriens von Kampfhandlungen betroffen, allen voran der Nordwesten (Gouvernements Idlib sowie Teile von Latakia, Hama und Aleppo) sowie seit dem 9. Oktober 2019 durch den Beginn der türkischen Militäroffensive entlang der syrisch-türkischen Grenze auch der Nordosten des Landes. Zum Zeitpunkt des Berichts kann das territoriale Ausmaß sowie die Dauer der Offensive nicht abgeschätzt werden. Im Nordwesten konnte das Regime nach monatelangen, verlustreichen Kämpfen ohne größere Frontverschiebungen, auch dank intensivierter Unterstützung durch Russland insbesondere durch Luftangriffe, einen Durchbruch im Süden der De-Eskalationszone erzielen und die strategisch wichtige Stadt Khan Sheikhoun an der Autobahn M5 Ende August einnehmen. Die Forderung eines dauerhaften Waffenstillstands in diesem von ca. drei Mio. Menschen bewohnten Gebiet im Rahmen ei1;1er auch von Deutschland eingebrachten VN-Sicherheitsresolution scheiterte am 19.September 2019 am Veto von Russland und China. Seit dem Anstieg der Kampfhandlungen im Mai 2019 wurden mehr als 980.000 Binnenflüchtlinge teils zum wiederholten Male vertrieben. Die Grenze zur Türkei ist ihnen verschlossen. Laut VN sind seit April 2019 1089 Menschen Opfer der Militäroffensive auf Idlib geworden, 1031 davon durch Angriffe des Regimes und Russlands. Menschenrechtsorganisationen sprechen von mehr als 1840 Toten. Insgesamt gab es laut dem Amt ©Auswärtiges Amt 2019- Nicht zur Veröffentlichung bestimmt- Nachdruck verboten
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VS 23 NuF füF deR Die&stgeln:aaell der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitär~r Angelegenheiten (OCHA) seit Ende April 492 Angriffe auf Gesundheitseinrichtungen; davon betroffen waren neben sieben Ambulanzen 36 Krankenhäuser. Zusätzlich wurden laut VN 87 Bildungseinrichtungen, 29 Wasserstationen, sieben Märkte und vier Camps für Binnenflüchtlinge angegriffen. Das israelische Militär führt weiterhin Luftschläge auf iranische Stellungen bzw. Stellungen Iran- naher Milizen in Syrien durch, Berichten zufolge zuletzt am 20. November 2019 einen Angriff auf syrische und iranische Stellungen in und bei Damaskus. Auch in Landesteilen, in denen Kampfhandlungen mittlerweile abgenommen haben, besteht weiterhin ein hohes Risiko, Opfer von Gewalt und Übergriffen zu werden. In den Provinzen Daraa und Quneitra in Südwestsyrien, die das Regime im Sommer 2018 zurückerobert hatte, kam es seitdem wiederholt zu gewalttätigen Auseinandersetzungen, zumeist Attentate oder Angriffe bewaffneter Oppositionsgruppen auf Checkpoints und Stellungen des Regimes, unter anderem in Reaktion auf willkürliche Verhaftungen des Regimes. Es kommt weiterhin unverändert zu Auseinandersetzungen zwischen bewaffneten Gruppierungen und Übergriffen auf die Zivilbevölkerung durch Milizen auf beiden Seiten. Berichten zufolge kommt es dabei auch immer wieder zu Plünderungen. Nach Angaben des "Victims Documentation Office" in Daraa kam es dort im September 2019 zu einem dramatischen Anstieg von Mordanschlägen; demnach wurden 28 Anschläge verübt, bei denen 21 Personen getötet und 14 weitere verletzt wurden. Neben der Bedrohung durch andauernde Kampfhandlungen besteht in weiten Teilen des Landes eine dauerhafte Bedrohung durch KampfmitteL Laut dem UN Humanitarian Needs Overview aus 2019 sind in Syrien 10,2 Mio. Menschen der Gefahr durch Minen und Fundmunition ausgesetzt. 43 Prozent der besiedelten Gebiete Syriens gelten als kontaminiert. Die Großstädte Aleppo, Raqqa, Horns, Daraa und Deir ez-Zor sowie zahlreiche Vororte von Damaskus sind hiervon nach wie vor besonders stark betroffen. Regelmäßig werden Todesfälle und Verletzungen durch die Explosion von Fundmunition gemeldet, "Ärzte ohne Grenzen" berichtet von wöchentlich 50 Fällen allein in Raqqa und Umgebung. Gesundheitseinrichtungen in Raqqa-Stadt sprechen von 618 Todesfällen im Zuge von Explosionswunden zwischen dem 20. November 2017 und dem 8. Juni 2018. Bei einem Drittel der besonders betroffenen Gebiete handelt es sich um landwirtschaftliche Flächen. Dies hat auch gravierende Auswirkungen auf die landwirtschaftliche Produktion, die nicht nur die Nahrungs- sondern auch die Lebensgrundlage für die in den ländlichen Teilen Syriens lebenden Menschen darstellt. Im Juli 2018 wurde ein Memorandum of Understanding zwischen der zuständigen VN Agentur Mine Action Service (UNMAS) und Syrien unterzeichnet. Dennoch behindert das Regime durch Restriktionen, Nicht-Erteilung notwendiger Visa und Vorgaben weiterhin die Arbeit von UNMAS sowie zahlreicher, auf Minenaufklärung und -Räumung spezialisierter internationaler NROs in unter seiner Kontrolle befindlichen Gebieten. 1.2.Bedrohung durch terroristische Anschläge Auch die Gefahr, Opfer terroristischer Anschläge zu werden, ist in ganz Syrien unverändert hoch und hat seit Ende 2018 sowohl qualitativ als auch quantitativ zugenommen. Obwohl IS in Syrien keine Gebiete mehr hält, existieren seine Untergrundstrukturen fort und werden zunehmend ausgebaut. Generell nimmt die Präsenz des IS in Syrien wieder zu, auch in Landesteilen unter Regimekontrolle. Es sind zuletzt Berichte über Anschläge in Damaskus, Idlib, Horns sowie dem Süden und Südwesten des Landes bekannt geworden. Der Schwerpunkt der Anschläge liegt jedoch im Nordosten des Landes. Der Beginn der türkischen Militäroffensive am 9. Oktober hat die Gefahr weiter verstärkt und bereits zu einer weiteren Zunahme der IS-Aktivitäten geführt. Mehrere tausend IS-Kämpfer sowie deren Familienangehörige befinden sich in Nordostsyrien aktuell in Gewahrsam der SDF. Vertreter der ©Auswärtiges Amt 2019- Nicht zur Veröffentlichung bestimmt- Nachdruck verboten
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YS = 24 Nat fih den Dienst~ehrtuteh in geschwärzter Fassung nicht als VS eingestuft SDF haben nach Beginn der Offensive erklärt, dass die Bewachung dieser IS-Angehörigen nicht mehr in vollem Umfang sichergestellt werden könne, es kam bereits zu ersten Ausbrüchen. Am 16. Oktober erklärten die SDF, den Kampf gegen den IS zwischenzeitlich eingestellt zu haben. 1.3.Weitreichende Zugangsbeschränkungen Der Zugang zu Rückkehrern (Binnenvertriebenen und Flüchtlingen) bleibt weiterhin stark einge- schränkt. Während der Zugang zu Binnenvertriebenen nur partiell und primär in Bezug auf Unterstützungsleistungen der VN (neben Nothilfe auch Rechtsberatung, Ausstellung von Personenstandsdokumenten etc.) gewährt wird, wird der Zugang der VN zu zurückkehrenden Flüchtlingen grundsätzlich in Frage gestellt. Seit Mitte 2017 hat das syrische Regime UNHCR nur vereinzelt und jeweils nur für kurze Zeit Zugang zu aus dem Libanon zurückgekehrten Flüchtlings- gruppen gewährt. UNHCR durfte dabei bislang keine von Regimeseite unbegleiteten Interviews mit Rückkehrern führen. Der Zugang in die im Sommer 2018 durch das Regime zurückeroberten Gebiete Ost-Ghouta und weitere ehemals belagerte Gebiete in der Umgebung von Damaskus, in die südlichen Regionen Daraa, Quneitra und Sweida sowie nach Nord-Horns ist nach wie vor eingeschränkt. IKRK und VN erhalten nur unregelmäßigen und kurzfristigen Zugang über streng kontrollierte Hilfskonvois. Die Rückkehr von aus diesen Gebieten vertriebenen bzw. in Sicherheit gebrachten Binnenvertriebenen wird vom syrischen Regime weiterhin eingeschränkt und kontrolliert. In die Region Idlib/Nordaleppo besteht zwar grenzüberschreitender Zugang aus der Türkei, in Idlib und in den Gebieten um Afrin und Azaz kommt es aber immer wieder zu starken Einschränkungen. Aufgrund einer hohen Konzentration von Sprengfallen und explosiven Kampfmittelrückständen ist der Zu- gang in den Nordosten (v.a. Raqqa und Deir Ez-Zor) ebenfalls weiterhin nur punktuell möglich. Damaskus (Stadt), Lattakia, Tartous, Aleppo (Stadt) und Hassakeh sind für die VN dagegen besser zu erreichen. Dort können auch längerfristige Hilfsmaßnahmen und reguläre VN-Programme umgesetzt werden. Aufgrund der weitreichenden Zugangsbeschränkungen konnten im Jahr 2018 rund 60 Prozent der im VN-Hilfsplan als am hilfsbedürftigsten identifizierten Menschen nicht mit humanitärer Hilfe erreicht werden, im Jahresvergleich ein neuer Höchststand. Nur 22 Prozent dieser Personengruppe konnte von den VN regelmäßig (mind. alle zwei Monate) erreicht werden. Ein Beispiel für begrenzte Zugangsmöglichkeiten ist Rukban, welches innerhalb der von den USA garantierten sogenannten "deconflicting zone" an der Grenze zu Jordanien liegt. Aktuellen Schätzungen der VN zufolge befinden sich dort noch rund 12.000 Menschen, die zwischen Februar und September 2019 nicht mit humanitären Hilfslieferungen versorgt werden konnten, was zu einer höchst angespannten humanitären Situation führte. Im Zuge der geplanten Auflösung des Lagers erhielten die VN und der Syrisch-Arabische Rote Halbmond (SARC) im August und September 2019 zuletzt Zugang - sowohl die Verteilung der Hilfsgüter als auch die Informationsrunden zum freiwilligen Verlassen Rukbans waren von Auseinandersetzungen der Bewohner untereinander begleitet. Laut VN waren entgegen erster Einschätzungen sehr viel weniger Menschen bereit, Rukban in Richtung der vorgesehenen Auffanglager im durch das Regime kontrollierte Horns zu verlassen -nach Einschätzung der VN mutmaßlich in erster Linie aus Sicherheitserwägungen. 1.4. Politische Verfolgung und willkürliche Verhaftungen In den zurückeroberten Gebieten ist das syrische Regime bemüht, schnellstmöglich seine Kontrolle und Autorität wiederherzustellen. Gerade in jahrelang von der bewaffneten Opposition kon- trollierten Gebieten berichten syrische Menschenrechtsorganisationen weiterhin von einer Zunahme ©Auswärtiges Amt 2019- Nicht zur Veröffentlichung bestimmt- Nachdruck verboten
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•m gescrnrtarz •- .. ter -' VS 25 Nur für dea Dieast'gehNueh Fassung nicht als VS eingestuft willkürlicher Befragungen und Verhaftungen durch das syrische Regime. Zuletzt wurde nach Ablauf einer in den sog. Versöhnungsabkommen ausgehandelten einjährigen Frist auch aus den ehemaligen Oppositionshochburgen Ost-Ghouta sowie Daraa und Quneitra im Süden Syriens ein erneuter Anstieg von Verhaftungen als oppositionell geltender Personen oder humanitärer Helfer sowie Zwangsrekrutierungen berichtet. Der Einfluss und Zugriff der Sicherheitsbehörden und Geheimdienste steigt in diesen Gebieten weiterhin an. Seit Rückeroberung hat das syrische Regime dort zahlreiche Checkpoints eingerichtet, die sowohl die Bewegungsfreiheit von Bewohnern stark einschränken als auch zu deren Überwachung eingesetzt werden. In zahlreichen Fällen erklärten Vertriebene aus den durch das syrische Regime zurückeroberten Gebieten gegenüber der Coi, aus Angst vor gewalttätigen Vergeltungsmaßnahmen und Zwangsrekrutierung durch das Regime nicht zurückkehren zu wollen. Es sind Fälle bekannt, bei denen Rückkehrer nach Syrien befragt, zeitweilig inhaftiert wurden oder dauerhaft "verschwunden" sind. Dies kann in Zusammenhang mit oppositionsnahen Aktivitäten (z.B. Journalisten oder Menschenrechtsverteidiger) oder einem nicht abgeleisteten Wehrdienst stehen. Menschenrechtsorganisationen berichten von mehreren Fällen, in denen syrische Sicherheitsbehörden ihnen bekannte Rückkehrer unmittelbar nach dem Grenzübertritt an offiziellen Grenzübergängen zwischen Libanon und Syrien bzw. am Flughafen Damaskus verhaftet haben. Das Syrian Network for Human Rights dokumentierte im Zeitraum von Januar 2014 bis August 2019 mindestens 1.916 Fälle von Rückkehrem, einschließlich 219 Kindem und 157 Frauen, die aus dem Ausland nach Syrien zurückgekehrt waren und Opfer willkürlicher Verhaftungen durch Regimekräfte wurden. Die Verhaftungen sollen zumeist direkt bei der Einreisekontrolle erfolgt sein. 1.132 dieser Personen wurden wieder freigelassen, 784 waren im August 2019 nach wie vor inhaftiert. 638 wurden Opfer von Verschwindenlassens. 15 Rückkehrer starben nach Inhaftierung unter Folter. Viele der Freigelassenen sollen zu einem späteren Zeitpunkt erneut inhaftiert oder zwangsrekrutiert worden sein. Es ist davon auszugehen, dass die tatsächlichen Fallzahlen bedeutend höher liegen, da nur ein Bruchteil der Schicksale dem SNHR bekannt werden. Viele der Rückkehrer hatten dem Bericht zufolge vorab ihren Status in Form einer Sicherheitsüberprüfung klären lassen und wurden trotz vermeintlicher Unbedenklichkeit nach Einreise festgenommen. Im Zuge von härteren Vorschriften fiir nicht-registrierte Flüchtlinge in der Türkei ist Berichten zufolge im August 2019 eine geringe Anzahl syrischer Flüchtlinge aus der Türkei nach Idlib deportiert worden. Dort sollen einige Rückkehrer direkt von der Terrororganisation HTS verhaftet worden sein. 1.5. Einzug in den Militärdienst Männliche Rückkehrer im wehrpflichtigen Alter (18 bis 42 Jahre) werden nach ihrer Rückkehr in der Regel zum Militärdienst eingezogen, teilweise im Anschluss an eine mehrmonatige Haftstrafe wegen Desertion (s. auch 11.1.3. Militärdienst sowie 111.3. Todesstrafe). Seit der Amnestie fiir Deserteure und Wehrdienstverweigerer von 2018 werden zwar die Strafen zumindest stellenweise erlassen, der zwangsweise Einzug in den Militärdienst wurde durch die Amnestie jedoch nicht beendet und wird fortgesetzt. Nur medizinisches Personal soll bei einer Rückkehr nach Syrien fiir maximal zwei Jahre vom Militärdienst befreit sein. Im Rahmen sog. lokaler "Versöhnungsabkommen" in den vom syrischen Regime zurückeroberten Gebieten sowie im Kontext lokaler Rückkehrinitiativen aus Libanon hat das syrische Regime Männem im wehrpflichtigen Alter eine sechsmonatige Schonfrist zugesichert. Diese wurde jedoch in zahlreichen Fällen, zuletzt nach der Einnahme des Südwestens Syriens, nicht eingehalten. Ein Monitoring durch VN oder andere Akteure zur Situation der Rückkehrer ist nicht möglich; viele möchten darüber hinaus nicht als Flüchtlinge identifiziert werden. Sowohl in der Ost-Ghouta als auch in den südlichen Provinzen Daraa und Quneitra soll der Militärgeheimdienst dem Violations ©Auswärtiges Amt 2019- Nicht zur Veröffentlichung bestimmt- Nachdruck verboten
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'- YS 26 Nur fiir deR Die&stgehrttueh in geschwärzter Fassung nicht als , VS eingestuft Documentation Center zufolge zahlreiche Razzien zur Verhaftung und zum anschließenden Einzug ins Militär durchgeführt haben. Neue Rekruten aus ehemaligen Oppositionsbastionen sollen in der Vergangenheit unmittelbar an die vorderste Front geschickt worden sein. 2. Situation für Rückkehrerinnen und Rückkehrer Angesichts der desolaten wirtschaftlichen Lage bestehen wenige Möglichkeiten zur Schaffung einer ausreichenden Lebensgrundlage bzw. der Sicherung des Existenzminimums; die Grundversorgung wird fast vollständig von den VN-Hilfsprogrammen gedeckt. 11,7 Mio. von 18 Mio. in Syrien lebenden Menschen gelten laut dem VN-Hilfsplan für 2019 als hilfsbedürftig, 5 Mio. sogar als akut hilfsbedürftig. Die kritische Versorgungslage hat in Regionen mit besonders hohem Anteil Binnenvertriebener (z.B. Gouvernement Idlib, aber auch Zufluchtsorte in den Gouvernements Horns, Damaskus und Tartous) darüber hinaus bereits vereinzelt zu Ablehnung und Abweisung von Neuankömmlingen geführt, die als Konkurrenten in Bezug auf die ohnehin sehr knappen Ressourcen gesehen werden. 2.1 Grundversorgung Seit Ausbruch des Konflikts 2011 ist das BIP Syriens aufgrund des Zerfalls der syrischen Wirtschaft um 55,7 Prozent zusammengebrochen (20 10 - 20 17), was laut neuesten Schätzungen von UNESCWA einem volkswirtschaftlichen Verlust von insgesamt 268,8 Milliarden US Dollar entspricht. Die Grundversorgung und die Möglichkeiten zur Überlebenssicherung sind in ganz Syrien mitunter stark eingeschränkt. Grund dafür ist der Zerfall staatlicher Strukturen, die Abwer- tung des syrischen Pfunds auf ca. ein Zehntel seines Werts vor Konfliktausbruch, Anstieg der Korruption, Herausbildung einer Kriegsökonomie und die Vertreibung großer Teile der Bevölkerung. Eine ausreichende Versorgung der Bevölkerung ist nicht in allen Landesteilen gegeben. Auch wenn die Versorgungslage innerhalb Syriens variiert, sind 11,7 Mio. Menschen weiterhin von humanitärer Hilfe abhängig, die jedoch nicht in benötigtem Maße zur Verfügung gestellt werden kann (Humanitarian Needs Overview (HNO) 2019). Dies entspricht einem leicht verringerten, aber anhaltend hohem Niveau (2016: 13,5/ 2017: 13,5/ 2018: 13,1) und zeigt sich besonders in den finanziellen Deckungsraten des von den Vereinten Nationen koordinierten humanitären Hilfsplans für Syrien (Humanitarian Response Plan, HRP) für das Jahr 2019, der bislang nur zu 36 Prozent gedeckt ist (Stand: 7.10.2019). Das syrische Regime verwendet weiterhin einen Großteil des bereits limitierten Staatshaushalts für die Instandhaltung der Armee und der Sicherheitsbehörden sowie für laufende Militäroperationen. Basisdienstleistungen und die Grundversorgung der Bevölkerung können unter anderem deshalb nicht gewährleistet und müssen fast vollständig von den VN- Hilfsprogrammen gedeckt werden. In Gebieten im Nordwesten und Nordosten Syriens sowie Landesteilen mit einem hohen Anteil an Binnenvertriebenen ist die humanitäre Lage besonders angespannt. Nach wie vor verhindert das Regime Hilfslieferungen über die Konfliktlinien in Oppositionsgebiete und untersagt dies ausdrück- lich den in Damaskus ansässigen VN-Agenturen. Lediglich über zwei türkisch-syrische Grenz- übergänge können laut VN-OCHA gegenwärtig beschränkte Hi1fslieferungen (max. 40 LKW/Tag) die Menschen in den nordwestlichen Gebieten Syriens erreichen, die unter Kontrolle der bewaffne- ten Opposition stehen. Für den humanitären Zugang aus Irak in den Nordosten des Landes (unter kurdischer Kontrolle) ist in einer Resolution des VN-Sicherheitsrats (VNSR Res 2393) lediglich ein Grenzübergang autorisiert, dessen Kapazitäten ebenfalls begrenzt sind. Darüber hinaus leisten humanitäre Nichtregierungsorganisationen einen wichtigen Beitrag zur grenzüberschreitenden humanitären Versorgung der Menschen im Nordwesten und Nordosten Syriens. ©Auswärtiges Amt 2019- Nicht zur Veröffentlichung bestimmt- Nachdruc~ verboten
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YS 27 N11r t=iiF dea Dieastgebrauch In den von den VN als schwer erreichbare Gebiete bezeichneten Teilen Syriens leben rund 1,1 Mio. Hilfsbedürftige (Stand September 2019), was einer Verbesserung entspricht (2018: 1,5 Mio.). Rund ein Drittel dieser Menschen konnte 2019 durchschnittlich pro Monat von den VN und ihren humanitären Partnern erreicht werden. Dort übersteigt der durchschnittliche Lebensmittelpreis den Durchschnittspreis in Damaskus um ein Vielfaches. In den zentralen Vierteln der Hauptstadt Damaskus und Teilen der Gouvernements Lattakia und Tartous ist die Versorgungslage dagegen teilweise besser. Zur Versorgunglage der vier bis fünfMio. nicht von humanitärer Hilfe abhängigen Menschen in Syrien liegen laut VN keine Daten vor. Anband lanqesweiter Bedarfsermittlungen VN OCHAs lässt sich jedoch nachvollziehen, dass die Gesamtzahl akut Hilfsbedürftiger in Tartous, Lattakia und weiten Teilen Hassakehs vergleichsweise am geringsten ist. Wasser- und Elektrizitäts- versorgung sowie Bildung und gesundheitliche Versorgung sind dort grundlegend gewährleistet. Selbst dort sind jedoch Teile der Bevölkerung, vor allem Binnenvertriebene und vulnerable Aufnahmegemeinden in den ländlichen Gegenden, weiterhin von Lebensmittelhilfe abhängig. Insgesamt leben laut Weltbank 69 Prozent der syrischen Bevölkerung in extremer Armut (weniger als 2 USD am Tag), 90 Prozent aller Haushalte geben über die Hälfte ihres Jahreseinkommens für Lebensmittel aus, in drei Viertel der Haushalte tragen Kinder zum Einkommen bei. Preise für Nahrungsmittel, Benzin und Gas sind extremen Preisschwankungen ausgesetzt, steigen tendenziell aber landesweit weiter an. 35 Prozent der syrischen Bevölkerung haben keinen Zugang zu einer regulären Wasserversorgung. Über 50 Prozent der arbeitsfähigen Bevölkerung sind arbeitslos, die Jugendarbeitslosigkeit wird von UNHCR und Weltbank auf über 75 Prozent geschätzt. 6,1 Mio. Syrer sind laut Weltbank weder beschäftigt noch in Schule oder Ausbildung. Über ein Drittel aller Schulen ist beschädigt oder vollständig zerstört. Über zwei Mio. Kinder - mehr als ein Drittel aller Kinder im schulpflichtigen Alter- gehen nicht zur Schule. 57.000 Lehrkräfte sind aufgrund des Konflikts geflohen oder mussten ihre Lehrtätigkeit aufgeben. Schulen, Gesundheitseinrichtungen und -personal sowie Anlagen der Wasser- und Elektrizitätsversorgung wurden gezielt angegriffen. Staatliche Budgets für den Wiederaufbau sind teilweise gar nicht vorhanden. Insbesondere in den Gebieten, in denen viele Binnenvertriebene mit Einheimischen um Ressourcen konkurrieren - wie im Nordwesten und Norden des Landes- bestehen kaum Möglichkeiten der Beschäftigung oder sonstiger gesellschaftlicher Teilhabe. Der Agrarsektor, der vor dem Krieg zu rund einem Fünftel zum BIP beitrug, ist nach Schätzungen der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) seit 2011 um 90 Prozent eingebrochen, womit Syrien als ehemaliger Agrarexporteur mittlerweile auf Nahrungsmittelimporte angewiesen ist. Die FAO schätzt den daraus resultierenden wirtschaftlichen Schaden allein in den Jahren 2011 -2016 aufrund 16 Mrd. USO. Für die Nahrungsversorgung der syrischen Bevölkerung spielt Weizen eine tragende Rolle. Der Bedarf an Weizen für Syrien wird laut FAO .auf ca. 3,5 Mio. Tonnen pro Jahr geschätzt. Im Jahr 2018 betrug die Produktion jedoch - auch aufgrund einer starken Dürre - lediglich 1,2 Mio. Tonnen, was dem Produktionsniveau von vor 30 Jahren entspricht (HNO 2019). Ein wesentlicher Teil der syrischen Agrarprodukte (Weizen, Gemüse, Oliven(-öl)) wird in oppositionellen oder ehemals oppositionellen Gebieten produziert (Idlib, Daraa, Ghouta). Die Transportwege in Regimegebiete sind teils blockiert oder aufgrund der zahlreichen Straßensperren sehr teuer. Das syrische Regime hat nach glaubhaften Berichten gezielt die Zerstörung von Anbaugebieten, Lebensmittelvorräten und Saatgut in von der Opposition gehaltenen Gebieten als Mittel der Kriegsführung eingesetzt. Die Trinkwasser- und Elektrizitätsversorgung ist infolge gezielter Zerstörung vor allem in umkämpften Gebieten eingeschränkt. 15,5 Mio. Menschen benötigen dringend Zugang zu (Trinkwasser, Sanitär- und Hygieneeinrichtungen (2018: 12,1 Mio.). Insbesondere im Süden (Daraa, Quneitra) sowie im Norden (Idlib, Aleppo) ist die Bevölkerung in hohem Maße auf durch ©Auswärtiges Amt 2019- Nicht zur Veröffentlichung bestimmt- Nachdruck verboten
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V~ 28 NuF fiir -den Dienstgehl ancb Lastwagen im Rahmen der humanitären Hilfe geliefertes Wasser angewiesen. Die Stromversorgung funktioniert lt. VN-OCHA im Süden Syriens nur an drei bis vier Stunden pro Tag. Einer Untersuchung der Weltbank zufolge ist ein Drittel des gesamten Bestandes an Häusern und Wohnungen in Syrien im Rahmen des Konfliktes in Mitleidenschaft gezogen worden, wobei knapp zehn Prozent völlig zerstört und 23 Prozent beschädigt wurden. 5,3 Mio. Menschen leben in von UNHCR als "unzulänglich" kategorisierten Unterkünften, vielfach ohne Heizung und entsprechende Isolierung gegen Kälte und Regen. Laut VN können rund 1,2 Mio. Menschen keine Miete bezahlen. Stand Februar 2019 lebten in Syrien rund 871.000 Menschen in Zeltlagern (2018: 670.000). Besonders akut ist die Lage in ehemaligen urbanen Ballungszentren, die durch den Konflikt teils massiv zerstört wurden (z.B. Horns, Ost-Aleppo, Raqqa, Vororte von Damaskus, Deir ez-Zor, Daraa, Idlib). Erhebliche Teile dieser Städte sind auch mittel- bis langfristig nicht bewohnbar. Auch in vom IS befreiten Raqqa ist das Ausmaß der Zerstörung sehr hoch, hinzu kommt die immense Kontaminierung durch nichtexplodierte Munition und IS-Sprengfallen. Lokale Wirtschaft, Produk- tion und Handel sind in diesen zuvor zentralen Marktplätzen fast vollständig zum Erliegen gekom- men. Laut VN sind u.a. wegen der schlechten Zustände in den IDP-Lagern bis Juli 2018 nach VN- Schätzungen dennoch rund 147.000 Menschen nach Raqqa zurückgekehrt. Davon ist mehr als die Hälfte von Nahrungsmittelunsicherheit betroffen. Am wenigsten vom Konflikt betroffen sind neben der Hauptstadt Damaskus (Stadtzentrum) die Hafenstädte Tartous und Lattakia. 2.2 Medizinische Versorgung In Syrien benötigen laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) 13,2 Mio. Menschen (2018: 11,3 Mio.}, darunter drei Mio. mit - mehrheitlich konfliktbedingten - Behinderungen, Pflege- bzw. Gesundheitsleistungen. Der Zugang zu medizinischer Versorgung ist jedoch stark eingeschränkt. Weder die medizinische Grund- noch eine Notversorgung sind wegen der Verschlechterung der humanitären Lage gewährleistet. Allein zwischen 2015 und 2017 wurden laut WHO bei insgesamt 880 (Luft-)Angriffen auf Krankenhäuser und Gesundheitsstationen 1.094 Ärzte/Pflegekräfte getötet und weitere 1.427 verletzt. Die Ärztedichte lag vor dem Krieg bei 1:600, 2016 bei ca. 1:4.000. Erhebungen des syrischen Gesundheitsministeriums zufolge sind ca. 48 Prozent der Krankenhäuser sowie ca. 64 Prozent der Gesundheitszentren in Syrien durch die Kampfbandlungen beschädigt, rund 20 Prozent der Krankenhäuser funktionsunfähig, weitere 17 Prozent nur eingeschränkt funktionsfähig (Stand Mitte 2019). Notfalltransporte sind durch einen Mangel an Krankenwagen stark beeinträchtigt, circa 40 Prozent der Ambulanzfahrzeuge sind beschädigt oder zerstört. Laut WHO können komplexere Operationen und spezialisierte Behandlungen für chronische Krankheiten derzeit ausschließlich in Damaskus oder den Küstenorten Tartous und Lattakia durchgeführt werden. In Daraa Stadt und Idlib Stadt ist jeweils nur ein Krankenhaus funktionsfähig, in Raqqa kann derzeit lediglich ein von "Ärzte ohne Grenzen" betriebenes Feldkrankenhaus außerhalb der Stadt genutzt werden. Laut VN (HNO 2019) leiden 15% der syrischen Bevölkerung unter traumatisch bedingten psychischen Krankheiten. Eine psycho-soziale Betreuung der hohen Anzahl traumatisierter Menschen wird nur punktuell und fast ausschließlich durch Maßnahmen der WHO gewährleistet. Bei lebensrettenden Arzneimitteln, medizinischem Personal und Ausstattung sind erhebliche Engpässe ermittelt worden, insbesondere im Hinblick auf die medizinische Behandlung Verletzter und chronisch kranker Personen. Dies hat auch zur Rückkehr übertragbarer Krankheiten wie Polio geführt. Aufgrund kritischer hygienischer Bedingungen sowie unzureichender vorbeugender Maß- nahmen und Behandlungen mehren sich in Flüchtlingslagern . Cholera-, Diphterie- und Leishmaniose-Fälle. ©Auswärtiges Amt 2019- Nicht zur Veröffentlichung bestimmt- Nachdruck verboten
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.. YS 29 Nur für den DienstgdJf'&Helt Humanitäre Maßnahmen der internationalen Gemeinschaft zur Sicherstellung einer Basisgesundheitsversorgung der Menschen, die in nicht vom syrischen Regime kontrollierten Gebieten leben, werden von diesem gezielt behindert bzw. verhindert. Auch gezielte Angriffe des syrischen Regimes gegen zivile Gesundheitseinrichtungen dauern an. Allein im Zeitraum April- September 2019 wurden 13 Zentren des syrischen Zivilschutzes, der sog. "Weißhelme" gezielt angegriffen; neun der auch von der Bundesregierung unterstützten Ersthelfer kamen bei gezielten Angriffen - zum Teil Doppelschläge - auf deren Rettungs-Ambulanzen ums Leben, 28 weitere wurden verletzt. WHO-Hilfsprogramme in von der bewaffneten Opposition (Idlib) oder der kurdischen Selbstverwaltung kontrollierten Gebieten werden durch Androhung einer Einstellung aller WHO-Operationen regelmäßig verhindert. Die Gesundheitsversorgung in oppositionellen Gebieten wird weitestgehend von Nichtregierungsorganisationen geleistet, die von Zuwendungen der internationalen Gebergemeinschaft abhängig sind. Durch die Vertreibungen aus belagerten Gebieten wird das ohnehin extrem angespannte Gesundheitssystem im oppositionellen Nordwesten des Landes weiter belastet. Die Vereinten Nationen bemühen sich, durch sog. "deconflicting" schützenswerte zivile Einrichtungen gemeinsam mit den Konfliktparteien zu identifizieren, um sie vor Angriffen zu schützen. Insbesondere das Regime hält sich oftmals nicht daran, sodass mehrfach Krankenhäuser in oppositionellen Gebieten, die Teil dieses Verfahrens sind, von Angriffen betroffen waren. Die durchschnittliche Lebenserwartung ist laut WHO um 20 Jahre gesunken. Die Weltbank kommt in ihrem 2017 erschienen Bericht "The Toll of War" zu dem Schluss, dass mehr Menschen durch den Zusammenbruch des Gesundheitssystems in Syrien gestorben sind als durch direkte Kampf- handlungen. 2.3 Infragestellung von Eigentumsrechten durch neue Gesetzgebung, Enteignungen Übereinstimmenden Berichten von Menschenrechtsorganisationen (Human Rights Watch, PAX) lind Betroffenen zufolge wird gewissen, als regimekritisch bzw. "oppositionsnah" angesehenen Rückkehrern von syrischen Sicherheitsbehörden bzw. regimetreuen Milizen der Zugang in ihre Ursprungsorte/-viertel verweigert. Besonders gängig soll diese Praxis weiterhin in den als Bastionen des Aufstands geltenden Stadtteilen Aleppos (Ost-Aleppo), Horns (Altstadt und Vororte) und bestimmten Vororten von Damaskus sein. • • • • • • • • • • • • • • • • • • • berichtet davon, dass selbst Christen, die Horns aufgrund der Kampfhandlungen verlassen mussten und sich keiner Konfliktpartei angeschlossen haben, die Rückkehr in ihre Heimatstadt verwehrt werde. Bereits im September 2012 hat das syrische Regime mit Präsidialdekret 66/2012 eine rechtliche Grundlage für die Schaffung von Mechanismen zur Enteignung und Neubebauung von Gebieten mit oft unklaren Eigentumsverhältnissen geschaffen. In den letzten Jahren wurden über fünfzig weitere Gesetze und Verwaltungsverordnungen verabschiedet, die die Regelung der Eigentumsrechte und der Besitzverhältnisse vor Konfliktbeginn infrage stellen. Das umstrittene Dekret 10/2018 zur nachträglichen Registrierung von Eigentum in ausgewiesenen Neubebauungsgebieten wurde am 6. November 2018 in Form eines Folgedekrets (Dekret 42/2018) angepasst. Die Frist zur Registrierung von Eigentumsansprüchen wurde auf ein Jahr verlängert und die Vollmacht zum Eigentumsnachweis aus dem Ausland nunmehr ohne vorherige Sicherheitsgenehmigung der syrischen Geheimdienste möglich. Die meisten Binnenvertriebenen oder Flüchtlinge haben jedoch weder ausreichend Ressourcen, noch die notwendigen Urkunden, um ihren Anspruch zu registrieren. Zahlreiche Syrer scheuen zudem den Kontakt mit offiziellen Stellen, weil sie Befragungen durch die Sicherheitsbehörden befürchten. Menschen aus ehemals belagerten Gebieten trauen sich oftmals nicht, persönlich die Ausstellung eigener Personenstandsdokumente zu beantragen. Es ist deshalb zu befürchten, dass bei Anwendung von Dekret 10/2018 zahlreiche ©Auswärtiges Amt 2019- Nicht zur Veröffentlichung bestimmt- Nachdruck verboten
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VS = 30 Nur für den Dienstgehr aocb Rückkehrer kurz- bis mittelfristig den Rechtsanspruch auf ihr Eigentum verlieren und damit enteignet werden könnten. Es gibt außerdem Berichte über Rückkehrer, die verhaftet wurden, als sie ihre Besitzansprüche gegenüber syrischen Behörden geltend machen wollten. Die in Dekret 10/2018 festgelegte Vorgehensweise bei der Berechnung des Entschädigungswerts bei Neubebauung, die laut VN-Experten einer "marktbasierten Enteignung" gleichkommt, bleibt je- doch unverändert. Für Teile der Stadt Daraa und Quaboun nahe Damaskus soll seit Längerem die Erstellung entsprechender Tabellen in Planung sein - jedoch sind hier weite Teile der zivilen Infrastruktur ohnehin gezielt zerstört worden. Zudem ist nach wie vor eine großflächige Enteignung in Form von Zerstörung und Abriss von Häusern und Wohnungen in ehemaligen Oppositionsgebieten unter Anwendung der umfassenden Anti-Terror-Gesetzgebung vor allem in Ost-Ghouta und Horns zu verzeichnen. Zahlreiche dieser Gebiete wurden vor allem im Laufe der letzten beiden Jahre im Anschluss an eine militärische Belagerung und nach weitreichenden Zerstörungen durch Bombardierung vom syrischen Regime systematisch "evakuiert" und sind bereits Ziel neuer Bauprojekte oder wurden zu militärischen Sperrzonen erklärt, in denen es keine Rechtssicherheit gibt. Zudem erlaubt Dekret 63/2012 dem syrischen Finanzministerium den Besitz und das Vermögen aller, die unter die Anti- Terror-Gesetzgebung fallen, zu beschlagnahmen. Im November 2018 erklärte das syrische Finanzministerium, dass von Beginn 2016 bis Ende 2017 insgesamt 70.000 Liegenschaften beschlagnahmt worden seien. ©Auswärtiges Amt 2019- Nicht zur Veröffentlichung bestimmt- Nachdruck verboten
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