Verwaltungsgericht Hannover - Beschluss 4 B 2369/20 - Corona-Erlasse

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Die drohenden besonders schweren Nachteile sieht er darin, dass er als Vertreter der Öffentlichkeit auftritt, die in die Lage versetzt werden müsse, Gefahren und Probleme von Regierungshandeln in Angelegenheiten mit Umweltbezug zu erkennen und konkret und unmittelbar durch Auswertung der Umweltinformationen auf Entscheidungsverfah- ren Einfluss zu nehmen und Fehlentscheidungen zu korrigieren. Im vorliegenden Fall seien mögliche Beeinträchtigungen rechtsstaatlicher Prinzipien und Grundrechte be- troffen. Die Kammer ist der Auffassung, dass dies Nachteile sein können, die der Antragsteller zur Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes geltend machen kann, auch wenn seine Lebensumstände allenfalls mittelbar durch seine Tätigkeit als Journalist betroffen sind. Bei der Prüfung, was schwere Nachteile sind, die einen Anordnungsgrund begründen können, ist auch der Zweck der Regelung, auf die der geltend gemachte Anspruch ge- stützt wird, in den Blick zu nehmen. Nach den Erwägungsgründen der den Umweltin- formationsgesetzen zugrundeliegenden Richtlinie 2003/4/EG (Umweltinformationsricht- linie - UIRL) soll der erweiterte Zugang der Öffentlichkeit zu umweltbezogenen Informa- tionen und die Verbreitung dieser Informationen unter anderem dazu beitragen, einen freien Meinungsaustausch und eine wirksamere Teilnahme der Öffentlichkeit an Ent- scheidungsverfahren in Umweltfragen zu ermöglichen (Erwägungsgrund Nr. 1). Um- weltinformationen sollen Antragstellern so rasch wie möglich zugänglich gemacht wer- den (Erwägungsgrund Nr. 13). Die UIRL nimmt also ausdrücklich Bezug auf den Zu- gang der Öffentlichkeit, die Verbreitung dieser Informationen und eine möglichst rasche Zugänglichmachung. Damit sind die vom Antragsteller angeführten Gesichtspunkte geeignet, als „schwere Nachteile“ einen Anordnungsgrund zu begründen. Vor dem Hintergrund der Schnellle- bigkeit des öffentlichen Diskurses wird eine Aufarbeitung der vom Antragsteller aufge- worfenen Fragen der Wirksamkeit der getroffenen Maßnahmen, der Wahrung der Un- abhängigkeit der Justiz, des Grundrechts auf Zugang zu den Gerichten und effektiven Rechtsschutzes sowie des Grundsatzes der Öffentlichkeit von Gerichtsverhandlungen nach rechtskräftigem Abschluss eines Hauptsacheverfahrens nicht im Ansatz in glei- chem Maße möglich sein. Dies stellt der Antragsgegner auch nicht in Abrede. Die An- gaben sind nach Abschluss eines Hauptsacheverfahrens allenfalls von historischem In- teresse. Der Antragsteller muss sich auch nicht auf die Pressemitteilungen und die Informatio- nen auf der Website des Antragsgegners verweisen lassen und darauf vertrauen, dass Seite 11/15
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diese vollständig und sachlich richtig sind. Bei den Pressemitteilungen handelt es sich (naturgemäß) um Zusammenfassungen. Dass der Antragsteller ein Interesse daran hat, diese Informationen vollständig zu erhalten, liegt auf der Hand; und sei es nur, um überprüfen zu können, ob die Pressemitteilungen oder die Informationen auf der Webs- ite sachlich richtig sind. Diesem Interesse kommt hohes Gewicht zu, weil es letztlich um verfassungsrechtliche Grundprinzipien geht, die in Rede stehen. Die Corona-Pandemie ist für Staat und Gesellschaft eine der größten Herausforderun- gen der letzten Jahrzehnte. Das Handeln staatlicher Organe in dieser Krise - insbeson- dere der Exekutive - berührt grundlegende (rechts-)staatliche Prinzipien wie etwa die Gewaltenteilung und die Grundrechte, die zum Schutz von Menschen vor schädlichen Umwelteinwirkungen in Form von durch Viren belasteter Luft (Aerosole) massiv einge- schränkt wurden und werden. In einer solchen Situation kommt der Frage nach der Funktionsfähigkeit der Justiz und einer möglichen Einflussnahme der Exekutive auf die Judikative und die Unabhängigkeit der Justiz besondere Bedeutung zu. Auf seiner Website (Information vom 04.05.2020) erklärt der Antragsgegner unter anderem, dass er Maßnahmen empfehle oder vorgebe, die zu Einschränkungen für Besucher von Ge- richten führen. Das vom Antragsteller geltend gemachte Interesse, dazu Genaueres zu erfahren, sieht die Kammer daher als gewichtig an. Zumal der Antragsgegner nicht nä- her erläutert, was er „empfiehlt“ und was er „vorgibt“ und was unter einer „Vorgabe“ zu verstehen ist. Bei der Abwägung der Interessen kommt hinzu, dass der Antragsgegner nicht darge- legt hat, welche öffentlichen Interessen einer Auskunftserteilung entgegenstehen könn- ten. Für das Gericht sind solche nicht erkennbar. Das ist auch deshalb von Bedeutung, weil dem Antragsteller nach dem zu 1. Gesagten ein Anspruch auf Auskunftserteilung zusteht, der bei einer Ablehnung des Eilantrages im Wesentlichen vereitelt würde, was bei der Abwägung der widerstreitenden Interessen zu berücksichtigen ist. Dem Antragsteller kann im Ergebnis auch nicht entgegengehalten werden, er habe nicht die Möglichkeit genutzt, Presseanfragen zu stellen, um gegebenenfalls auf die- sem Weg an die begehrten Informationen zu gelangen. Der Antragsteller hat als Jour- nalist einen presserechtlichen Auskunftsanspruch gemäß § 4 Abs. 1 Niedersächsi- sches Pressegesetz (NPresseG). Die Behörden sind verpflichtet, Vertretern der Presse die der Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgabe dienenden Auskünfte zu erteilen. Pressean- fragen zum Inhalt der streitbefangenen Erlasse hat der Antragsteller bisher nicht ge- stellt. Nach Auffassung der Kammer überzeugt auch sein Einwand nicht, er trete nicht als Journalist, sondern als Vertreter der Öffentlichkeit auf; abgesehen davon, dass er selbst an mehreren Stellen seiner Antragsbegründung auf seine Stellung als Journalist Seite 12/15
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und sein journalistisches Interesse an einem öffentlichen Diskurs hinweist. Einen An- spruch auf Zugang zu Umweltinformationen hat nach § 3 Satz 1 NUIG zwar jede Per- son, ohne ein Interesse darlegen zu müssen. Daraus folgt aber nicht, dass die Gewäh- rung einstweiligen Rechtsschutzes nicht vom Bestehen eines solchen Interesses ab- hängt. Der Auskunftsanspruch aus § 3 NUIG bleibt, auch wenn ein besonderes Inte- resse nicht dargelegt werden muss, ein subjektiver. In einem Verfahren auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes kommt es daher bei der Frage, welche Nachteile drohen, wenn ein Antragsteller auf die Möglichkeit der Inanspruchnahme von Rechtsschutz in der Hauptsache verwiesen wird, auf seine konkrete Situation und seine Möglichkeiten an. Es muss daher berücksichtigt werden, ob einem Antragsteller möglicherweise ein anderer Weg zur Verfügung gestanden hatte oder stehen würde, an die begehrten In- formationen zu gelangen. Der Antragsgegner hat aber in der Antragserwiderung bereits erklärt, er werde dem Antragsteller auch auf der Grundlage von § 4 NPresseG die Erlasse nicht zugänglich machen, weil dieser nach Presserecht nur ein Auskunftsrecht habe, das auch durch sonstige Mitteilungen erfüllt werden könne. Damit besteht kein Anlass für die An- nahme, der Antragsteller könne sein Rechtsschutzziel auf einfacherem Wege erreichen und sei zur Abwendung wesentlicher Nachteile nicht auf die beantragte Regelungsan- ordnung angewiesen. Der Antragsteller hat daher einen Anspruch auf Gewährung des Zugangs zu den be- gehrten Informationen. Der Anspruch betrifft die Erlasse insgesamt. Liegt eine Maß- nahme im Sinne des § 2 Abs. 3 Nr. 3 UIG vor, stellen alle damit im Zusammenhang stehenden Daten Umweltinformationen dar; eine Feststellung für jede einzelne Angabe ist nicht geboten (vgl. OVG Lüneburg, a.a.O.). Der Antragsgegner kann für die Gewäh- rung des Zugangs gemäß § 6 NUIG Kosten erheben. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1 GKG. Die Höhe des Streitwer- tes folgt aus § 52 Abs. 2 GKG. Für eine Halbierung des Auffangstreitwertes besteht nach dem oben Gesagten kein Anlass. Rechtsmittelbelehrung Soweit über den Sachantrag entschieden worden ist, steht den Beteiligten die Be- schwerde gegen diesen Beschluss an das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht, Uelzener Straße 40, 21335 Lüneburg, Seite 13/15
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zu. Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe des Beschlus- ses bei dem Verwaltungsgericht Hannover, Leonhardtstraße 15, 30175 Hannover, einzulegen. Die Beschwerdefrist ist auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb die- ser Frist bei dem Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht eingeht. Die Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe dieses Beschlusses zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht bereits mit der Beschwerde vorgelegt worden ist, bei dem Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht, Uelzener Straße 40, 21335 Lüneburg, einzureichen. Sie muss einen bestimmten Antrag enthalten, die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist, und sich mit der angefochte- nen Entscheidung auseinandersetzen. Die Beteiligten müssen sich bei der Einlegung und der Begründung der Beschwerde sowie in dem Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht durch Prozessbevollmäch- tigte vertreten lassen. Als Bevollmächtigte sind Rechtsanwälte, Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäi- schen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, wenn sie die Befähigung zum Richteramt besitzen, sowie die in § 67 Absatz 2 Satz 2 Nr. 3 bis 7 VwGO bezeichneten Personen und Orga- nisationen zugelassen; Bevollmächtigte, die keine natürlichen Personen sind, handeln durch ihre Organe und mit der Prozessvertretung beauftragten Vertreter. Ein Beteilig- ter, der danach als Bevollmächtigter zugelassen ist, kann sich selbst vertreten. Behör- den und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich durch eigene Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt oder durch Beschäftigte mit Befä- higung zum Richteramt anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebilde- ten Zusammenschlüsse vertreten lassen. Gegen die Streitwertfestsetzung ist die Beschwerde an das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht, Uelzener Straße 40, 21335 Lüneburg, statthaft, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands 200 EUR übersteigt. Die Be- schwerde ist innerhalb von sechs Monaten nach Rechtskraft der Entscheidung in der Hauptsache oder anderweitiger Erledigung der Hauptsache bei dem Verwaltungsgericht Hannover, Leonhardtstraße 15, 30175 Hannover, einzulegen. Seite 14/15
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Behrens Lange Barstein Beglaubigt Hannover, 12.05.2020 Kaatze Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle Seite 15/15
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