RefEReformderTtungsdelikte21.Mrz2016.pdf

Dieses Dokument ist Teil der Anfrage „Referentenentwurf zur Reform der Tötungsdelikte

/ 40
PDF herunterladen
- 11 - Bearbeitungsstand: 21.03.2016 17:53 Uhr Wer vorsätzlich einen Menschen tötet, wird, wenn er die Tötung mit Überlegung ausge- führt hat, wegen Mordes mit dem Tode bestraft. § 212 Totschlag Wer vorsätzlich einen Menschen tötet, wird, wenn er die Tötung nicht mit Überlegung ausgeführt hat, wegen Totschlags mit Zuchthaus nicht unter fünf Jahren bestraft.“ Die gegenwärtige Fassung der Vorschriften beruht hingegen auf dem Gesetz zur Ände- rung des RStGB vom 4. September 1941 (RGBl. I S. 549 f.), das wiederum auf Vorarbei- ten des schweizerischen Strafrechtlers Carl Stooß (1849 bis 1934) zurückgeht: „§ 211 Mord (1) Der Mörder wird mit dem Tode bestraft. (2) Mörder ist, wer aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen, heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken, einen Menschen tötet. (3) Ist in besonderen Ausnahmefällen die Todesstrafe nicht angemessen, so ist die Strafe lebenslanges Zuchthaus. § 212 Totschlag Wer einen Menschen vorsätzlich tötet, ohne Mörder zu sein, wird als Totschläger mit le- benslangem Zuchthaus oder mit Zuchthaus nicht unter fünf Jahren bestraft.“ Dabei nahmen die Mordmerkmale des § 211 RStGB teilweise die früheren Qualifikationen des Totschlags (Handeln des Täters in der Absicht, ein der Ausführung der Tat entgegen- tretendes Hindernis zu beseitigen beziehungsweise sich der Ergreifung auf frischer Tat zu entziehen – § 214 RStGB) auf. Für den Mord wurde die Todesstrafe angedroht, in „be- sonderen Ausnahmefällen“, in denen „die Todesstrafe nicht angemessen“ war, die lebens- lange Freiheitsstrafe (§ 211 Absatz 3 RStGB). Mit der Abschaffung der Todesstrafe im Jahr 1953 wurde auch die Strafmilderungsmöglichkeit des § 211 Absatz 3 StGB a. F. für Ausnahmefälle gestrichen, den Materialien zufolge (vgl. Bundestagsdrucksache I/3713, S. 20, in der nur ausgeführt wird, es handele sich um eine Anpassung der Vorschrift an die Abschaffung der Todesstrafe) ohne Auseinandersetzung mit der Möglichkeit, § 211 Ab- satz 3 StGB a. F. mit entsprechend herabgesetzter Strafdrohung beizubehalten. Da im Anschluss hieran keine weiteren inhaltlichen Änderungen erfolgten, blieb eine grundsätzliche Reform der §§ 211, 212 StGB und der Tötungsdelikte insgesamt über lan- ge Zeit Gegenstand der rechtspolitischen Diskussion. In der ersten Phase der Reformdis- kussionen stand das Problem der Abgrenzung von Mord und Totschlag im Mittelpunkt der Überlegungen, allerdings, wie das Bundesverfassungsgericht 1977 in der Entscheidung
11

- 12 - Bearbeitungsstand: 21.03.2016 17:53 Uhr zur lebenslangen Freiheitsstrafe (BVerfG, Urteil vom 21. Juni 1977 – 1 BvL 14/76 –, BVer- fGE 45, 187) bemerkte, ohne dass bisher eine voll befriedigende Lösung gefunden wor- den sei. Im weiteren Verlauf der Diskussionen richtete sich die Kritik in erster Linie auf die lebenslange Freiheitsstrafe als zwingende Rechtsfolge bei Mord, den so genannten Ex- klusivitäts-Absolutheits-Mechanismus. b) Frühere Reformüberlegungen Aus der früheren Reformdiskussion sind insbesondere folgende Regelungsvorschläge zu nennen: – Der Entwurf eines Strafgesetzbuches von 1962 (Bundestagsdrucksache IV/650, S. 35 und S. 269 bis 274) hielt weiterhin an der begrifflichen Unterscheidung von Mord und Totschlag fest (§§ 134, 135 StGB-E 1962). Er schlug vor, den Mord als „Erschwe- rungstatbestand“ zum Grundtatbestand der vorsätzlichen Tötung zu regeln. Auf die Motivgeneralklausel sollte verzichtet, bestimmte Gesinnungsmerkmale sollten aller- dings beibehalten werden. Außerdem wurde vorgeschlagen, auf das frühere Kriterium des Handelns mit Überlegung (§ 135 Absatz 2 StGB-E 1962) zurückzugreifen. § 135 StGB-E 1962 hielt daran fest, dass der Mord zwingend mit lebenslangem Zuchthaus zu bestrafen sei, wollte aber für die Tötung mit Überlegung einen Rückgriff auf den Strafrahmen des § 134 Absatz 3 StGB-E 1962 (Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr) ermöglichen, sofern dessen Voraussetzung (Handeln aus Mitleid, Verzweiflung oder ähnlichen schuldmindernden Beweggründen) erfüllt waren. – Im Alternativ-Entwurf eines Strafgesetzbuches (StGB-AE) von 1970 schlugen Baumann, Brauneck, Grünwald et al. vor, die Unterscheidung zwischen Mord und Totschlag aufzugeben und einen einheitlichen Grundtatbestand der „vorsätzlichen Tötung“ vorzusehen (§ 100 StGB-AE 1970). Die vorsätzliche Tötung eines anderen Menschen sollte mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft werden. § 100 StGB-AE sah die Möglichkeit vor, auf lebenslange Freiheitsstrafe zu erkennen, und zwar dann, wenn eine der abschließend aufgeführten Voraussetzungen (Tötung oder Gefährdung des Lebens mehrerer Menschen, Zufügung erheblicher körperlicher oder seelischer Qualen bei der Tötung, absichtliche oder mutwillige Tötung, Ermöglichung oder Verdeckung einer Straftat) vorlag. Der Entwurf sah die Möglichkeit der Strafmil- derung in Fällen erheblicher Minderung der Schuld sowie der Kindestötung vor und enthielt auch eine Regelung für den Fall des Zusammentreffens strafschärfender und -mildernder Umstände. Die Reformdiskussion erhielt neue Impulse durch das Urteil des Bundesverfassungsge- richts vom 21. Juni 1977 (BVerfGE 45, 187), in dem das Gericht die Androhung der le- benslangen Freiheitsstrafe bei Mord für grundsätzlich mit der Verfassung vereinbar erklär- te. Zur Vermeidung unverhältnismäßig hoher Strafen in Grenzfällen – die wegen der zwingenden Verbindung zwischen der Verwirklichung eines Mordmerkmals und der le- benslangen Freiheitsstrafe nicht auszuschließen seien – wies das Bundesverfassungsge- richt in der genannten Entscheidung darauf hin, dass die Möglichkeit einer engeren Aus- legung des § 211 StGB, namentlich einer einschränkenden Auslegung der Mordmerkmale der Heimtücke und der Verdeckungsabsicht, bestehe. Im Anschluss daran befasste sich der 53. Deutsche Juristentag 1980 bei den Verhand- lungen in der strafrechtlichen Abteilung mit der Frage „Empfiehlt es sich, die Straftatbe- stände des Mordes, des Totschlags und der Kindestötung [...] neu abzugrenzen?“. Der 53. Juristentag bejahte diese Frage fast einhellig, und empfahl mit großer Mehrheit eine grundlegende Reform, insbesondere eine Neuabgrenzung der Tatbestände. Die gelten- den Straftatbestände seien sowohl hinsichtlich der tatbestandlichen Ausgestaltung als auch hinsichtlich der Strafdrohungen reformbedürftig.
12

- 13 - Bearbeitungsstand: 21.03.2016 17:53 Uhr Kurz darauf hatte sich der Große Senat für Strafsachen des Bundesgerichtshofs mit der ihm vom 4. Senat vorgelegten Frage auseinanderzusetzen, ob „im Hinblick auf die Ent- scheidung BVerfGE 45, 187 das Mordmerkmal der Heimtücke entgegen den Entschei- dungen des Großen Senats für Strafsachen in BGHSt 9, 385 und BGHSt 11, 139 zu ver- neinen [sei], wenn der Täter zur Tat dadurch veranlasst worden“ sei, „dass das Opfer ihn oder einen nahen Angehörigen schwer beleidigt, misshandelt und mit dem Tod bedroht“ habe, „und die Tatausführung über die bewusste Ausnutzung der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers hinaus nicht besonders verwerflich (tückisch oder hinterhältig)“ sei. Der Große Senat des Bundesgerichtshofs (BGH, Beschluss vom 19. Mai 1981 – GSSt 1/81 –, BGHSt 30, 105-122) verneinte zwar diese Frage und lehnte eine Einschränkung des Mordmerkmals der Heimtücke ebenso wie die herkömmlichen tatbestandlichen Lö- sungsansätze („gesamtwürdigende Typenkorrektur“ und „allgemeine Verwerflichkeitskon- trolle“) ab, sah aber ebenso wie der 4. Senat die absolut angedrohte lebenslange Frei- heitsstrafe in dem der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt nicht für verhältnis- mäßig an. Er entschied sich dafür, die zwingende Verbindung von Tatbestand und absolut angedrohter lebenslanger Freiheitsstrafe zu durchbrechen und den vom Bundesverfas- sungsgericht betonten Verhältnismäßigkeitsgrundsatz durch eine Ergänzung auf der Rechtsfolgenseite des § 211 StGB zu konkretisieren. Der Leitsatz der Entscheidung lau- tet: „Auch wenn in Fällen heimtückischer Tötung außergewöhnliche Umstände vorliegen, auf Grund welcher die Verhängung lebenslanger Freiheitsstrafe als unverhältnismäßig er- scheint, ist wegen Mordes zu verurteilen. Es ist jedoch der Strafrahmen des § 49 Abs. 1 Nr. 1 StGB anzuwenden.“ Zur Begründung führte der Bundesgerichtshof unter anderem aus (BGHSt 30, 105, 120 f.): In Fällen, in denen auf Grund besonderer gesetzlicher Milderungsgründe Strafmilderung vorgeschrieben oder zugelassen sei, trete an die Stelle lebenslanger Freiheitsstrafe eine Freiheitsstrafe von drei bis zu fünfzehn Jahren (§ 49 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit § 38 Absatz 2 StGB). Vom Gesetz nicht in die Regelung des § 49 Absatz 1 Nummer 1 StGB einbezogenen außergewöhnlichen Umständen, auf Grund welcher die Verhängung lebenslanger Freiheitsstrafe als unverhältnismäßig erscheine, könne keine geringere Wir- kung als den gesetzlichen Milderungsgründen beigemessen werden, die sich (wie etwa in Fällen des § 13 Absatz 2, des § 17 Satz 2 und des § 21 StGB) aus der Berücksichtigung bestimmter schuldmindernder Umstände ergäben. Sie führten infolgedessen ebenfalls zur zwingenden Anwendung des Strafrahmens des § 49 Absatz 1 Nummer 1 StGB, weil das verfassungsrechtliche Übermaßverbot keine Ausnahmen kenne. Dieser Strafrahmen ge- statte es, dem Bewertungsgegensatz, der sich daraus ergebe, dass einerseits das Mord- merkmal der Heimtücke vorliege, andererseits schuldmindernde Umstände von Gewicht gegeben seien, in jeder Ausprägung, die er im Einzelfall erfahre, Rechnung zu tragen. Diese vom Bundesgerichtshof selbst als „richterliche Rechtsschöpfung“ bezeichnete „Rechtsfolgenlösung“ war Gegenstand lebhafter rechtspolitischer Diskussion. Dabei überwog die Kritik. In erster Linie wurde der Entscheidung entgegengehalten, damit wür- den die Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung überschritten. Der große Senat hatte die Frage, ob die verfassungskonforme Rechtsfortbildung, die er für erforderlich hielt, im We- ge richterlicher Rechtsschöpfung vorgenommen werden könne, mit folgenden Argumen- ten bejaht (BGHSt 30, 105, 121): „Auf Grund der Wertvorstellungen der Verfassung und des sich aus dem Rechtsstaats- prinzip ergebenden Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit hat das Bundesverfassungsge- richt eine Regelungslücke festgestellt, die zwar nicht als ursprüngliche ‚planwidrige Un- vollständigkeit des Gesetzes‘ … angesehen werden kann …, die aber einer solchen Un- vollständigkeit auf Grund eines Wandels der Rechtsordnung gleich zu achten ist. … Die
13

- 14 - Bearbeitungsstand: 21.03.2016 17:53 Uhr Behebung dieser Lücke hat das Bundesverfassungsgericht dem Bundesgerichtshof über- lassen. Dem Großen Senat für Strafsachen ist es nicht verwehrt, sie dadurch zu schlie- ßen, dass er in Heimtückefällen auf der Rechtsfolgenseite des Mordes (§ 211 Abs. 1 StGB) an die Stelle lebenslanger Freiheitsstrafe den Strafrahmen des § 49 Abs. 1 Nr. 1 StGB treten lässt, wenn außergewöhnliche Umstände vorliegen, die das Ausmaß der Tä- terschuld erheblich mindern (vgl. BVerfGE 34, 269, 290).“ In der Folge wurde auch die Frage kontrovers diskutiert, ob sich die Rechtsfolgenlösung auf das für den Beschluss des Bundesgerichtshofs entscheidungserhebliche Mordmerk- mal der Heimtücke beschränken lasse. Die Rechtsprechung hatte eine Anwendung für das Merkmal der Verdeckungsabsicht erwogen (BGH, Urteil vom 02. Dezember 1987 – 2 StR 559/87 –, BGHSt 35, 116, 127 f., die Frage blieb mangels außergewöhnlicher Um- stände, die dazu gedrängt hätten, die Strafe zu mildern, unentschieden), für das Mord- merkmal der Habgier wurde die Anwendung der Rechtsfolgenlösung jedoch abgelehnt (BGH, Urteil vom 15. November 1996 – 3 StR 79/96 –, BGHSt 42, 301-305). Ihre prakti- sche Bedeutung blieb begrenzt (vgl. Fischer, 63. Auflage, § 211 Rn. 104). c) Neuere Reformüberlegungen In den letzten Jahren wurde die Reformdiskussion erneut eröffnet, und zwar durch mehre- re Vorschläge für eine Neufassung der §§ 211, 212 StGB. Ein Reformvorschlag des Arbeitskreises deutscher, österreichischer und schweizerischer Strafrechtslehrer (Alternativ-Entwurf Leben) und ein Reformvorschlag des Deutschen An- waltvereins (DAV) sprechen sich für tiefgreifende Änderungen der §§ 211 ff. StGB aus. Der Alternativ-Entwurf Leben rückt den Gesichtspunkt der Prävention in den Mittelpunkt seiner Betrachtungen und sieht für die Tötungsdelikte ein zweistufiges Modell mit drei Strafrahmen vor. Auch wenn an aktuellen Begrifflichkeiten festgehalten wird, erfahren diese doch eine inhaltliche Umdeutung. Danach stellt der Mord den Grundtatbestand dar, der Totschlag die Privilegierung hierzu. Zur Abgrenzung bedient der Alternativ-Entwurf Leben sich einer eigenen Regelbeispielstechnik, die sich von der bisherigen Gesetzes- sprache unterscheidet und auf unrechtserhöhende Leitmotive (krasse Verletzungen des Gleichheitssatzes, organisierte Tötungen, Handeln aus Gewinnstreben) Bezug nimmt. Der Reformvorschlag des DAV sieht einen Einheitstatbestand der Tötung eines anderen Menschen vor und gibt damit die Unterscheidung zwischen Mord und Totschlag ebenso wie die entsprechende Terminologie auf. Die richterliche Strafzumessung solle zur Erhö- hung der Einzelfallgerechtigkeit nicht länger durch Mordmerkmale eingeschränkt sein. Der Entwurf sieht die alternative Verhängung von zeitiger Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jah- ren oder lebenslanger Freiheitsstrafe vor. Eine Gesetzesinitiative des Landes Schleswig-Holstein (Bundesratsdrucksache 54/14) beschränkt sich hingegen – wenn auch nur in einem ersten Schritt – auf eine sprachliche Bereinigung der Vorschriften, also die Beseitigung der einen Tätertyp bezeichnenden Fassung der §§ 211, 212 StGB. 2. Vorschläge der Expertengruppe zur Reform der Tötungsdelikte Die fortbestehende Reformbedürftigkeit der Tötungsdelikte und die neueren gesetzgebe- rischen Impulse gaben dem Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz Anlass, im Mai 2014 eine Expertengruppe zur Reform der Tötungsdelikte mit dem Auftrag einzu- berufen, begründete Empfehlungen für eine nachfolgende Gesetzesänderung abzugeben. Dabei sollte zunächst der bestehende Reformbedarf anhand der bisherigen rechtspoliti- schen Diskussion herausgearbeitet, in einem zweiten Schritt sollten Lösungsmöglichkei- ten aufgezeigt werden.
14

- 15 - Bearbeitungsstand: 21.03.2016 17:53 Uhr Nach Auffassung der Mehrheit der Expertengruppe, die diese im Abschlussbericht vom 29. Juni 2015 niederlegte, soll sich eine Reform der Tötungsdelikte an folgenden Eck- punkten orientieren: a) Lebenslange Freiheitsstrafe als zwingende Rechtsfolge für Mord, aber Lo- ckerung des Exklusivitäts-Absolutheits-Mechanismus Die Expertengruppe votierte nahezu einhellig dafür, an der lebenslangen Freiheitsstrafe als Sanktion für höchststrafwürdige Tötungsdelikte festzuhalten. Dieses Votum begründe- te die Kommission wie folgt (vgl. dazu den Abschlussbericht der Expertenkommission zur Reform der Tötungsdelikte, S. 53 f., im Folgenden zitiert als: Abschlussbericht): – Weder der Vergleich mit anderen Rechtsordnungen, noch internationale Vorgaben zwängen derzeit zu einer Abschaffung der lebenslangen Freiheitsstrafe. – Schäden aufgrund langer Inhaftierung, die gegen eine Verhängung dieser Sanktion sprächen, seien bislang empirisch nicht erforscht. – Die lebenslange Freiheitsstrafe bekräftige den absoluten Geltungsanspruch des Tö- tungstabus und berücksichtige die Vergeltungserwartungen der Allgemeinheit. Sie er- fülle damit wichtige integrative Aufgaben. – Sie besitze nach wie vor großen Rückhalt in der Bevölkerung, was für die notwendige gesellschaftliche Akzeptanz einer Neuregelung der Tötungsdelikte von Bedeutung sei. Zwar gab es in der Expertengruppe auch Stimmen, die zur Abschaffung der lebenslangen Freiheitsstrafe rieten, insbesondere mit dem Argument, es handele sich um eine „im Wortsinne grenzenlose Strafe“, mit der keine „grenzenlose Schuld“ korrespondiere (vgl. dazu den Regelungsvorschlag von Ignor, Abschlussbericht, S. 96 ff., der für Mord einen Strafrahmen von zehn bis zu 30 Jahren Freiheitsstrafe vorsieht). Die Expertengruppe schlug mehrheitlich vor, in Anlehnung an die bereits näher dargestell- te Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGHSt 30, 105,121) zur Strafmilderung in Fällen heimtückischer Tötung für solche Taten, in denen „außergewöhnliche Umstände vorliegen, die das Ausmaß der Täterschuld erheblich mindern“ und deshalb die Verhän- gung lebenslanger Freiheitsstrafe als unverhältnismäßig erscheinen lassen (BGHSt 30, 105, 121), einen Strafmilderungsgrund zu schaffen. Als Vorgabe, in welchen Konstellationen „außergewöhnliche Umstände“ zu erblicken sei- en, nennt der Bundesgerichtshof (BGHSt 30, 105,119) Taten, die durch eine notstands- nahe, ausweglos erscheinende Situation motiviert sind, in großer Verzweiflung begange- ne, aus tiefem Mitleid oder aus „gerechtem Zorn“ auf Grund einer schweren Provokation verübte Taten, schließlich Taten, die auf einem vom Opfer verursachten und ständig neu angefachten, zermürbenden Konflikt oder auf schweren, den Täter immer wieder heftig bewegenden Kränkungen durch das Opfer beruhen. Die Expertengruppe sprach insoweit mehrheitlich die Empfehlung aus, den Exklusivitäts-Absolutheits-Mechanismus durch die Androhung einer zeitigen Freiheitsstrafe für Fälle erheblich geminderten Unrechts bezie- hungsweise erheblich geminderter Schuld aufzulösen. Im Verlauf der Diskussion wurden verschiedene Lösungswege diskutiert, nämlich: – Einführung einer Strafzumessungsregelung für minder schwere Fälle, was über die Rechtsfolgenlösung des Bundesgerichtshofs sowohl im Hinblick auf den Anwen- dungsbereich als auch im Hinblick auf die „Schwelle“ der Anwendbarkeit hinausginge; – fakultative Androhung zeitiger neben lebenslanger Freiheitsstrafe (vgl. den Rege- lungsvorschlag von Deckers, Grünewald, König und Safferling, der einen Einheitstat-
15

- 16 - Bearbeitungsstand: 21.03.2016 17:53 Uhr bestand der Tötung eines anderen Menschen vorsieht, der mit Freiheitsstrafe von acht Jahren oder mit lebenslanger Freiheitsstrafe bedroht sein soll, Abschlussbericht, S. 90 ff.); – b. Ersetzung der Mordmerkmale durch Regelbeispiele (vgl. dazu den Regelungsvor- schlag von Rissing-van Saan, Abschlussbericht, S. 109 f.). Abgrenzung der Straftatbestände des Mordes und des Totschlags Bei der Abgrenzung der Straftatbestände des Mordes und des Totschlags handelt es sich um ein vergleichsweise altes Problem, das schon in der frühen Reformdiskussion eine bedeutende Rolle spielte. 1977 merkte das Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 45, 187) an, die Methode der Abgrenzung beider Tatbestände habe schon immer große Schwie- rigkeiten bereitet; bisher sei keine voll befriedigende Lösung gefunden worden. Auch die zeitweise sehr intensiven Reformbemühungen führten nicht zu einer allgemein anerkann- ten Konzeption, sondern nur zu einer Vielzahl umstrittener Vorschläge. Die Mehrheit der Expertengruppe votierte deshalb dafür, von grundlegenden Änderungen der Abgren- zungskriterien, die im Wesentlichen vom Rechtsbewusstsein der Bevölkerung getragen würden, abzusehen und die Reformbemühungen auf das als besonders problematisch angesehene Mordmerkmal der Heimtücke zu konzentrieren. Sie legte diesen Vorschlag auch in dem Bewusstsein vor, dass bei einer Lockerung des Exklusivitäts-Absolutheits- Mechanismus Grenzfälle der Verwirklichung eines Mordmerkmals, bei denen die Verhän- gung der lebenslangen Freiheitsstrafe nicht angemessen erscheint, befriedigend gelöst werden können. c. Klarstellung des Verhältnisses zwischen Mord und Totschlag Die Expertengruppe schlug vor, die umstrittene Frage des Verhältnisses von Mord und Totschlag zueinander im Sinne der Literatur als Grundtatbestand und Qualifizierung ge- setzlich klarzustellen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs han- delt es sich bei Mord und Totschlag um zwei selbständige Tatbestände mit unterschiedli- chem Unrechtsgehalt (BGHSt 1, 368; 22, 375; 36, 231). Die herrschende Lehre sieht da- gegen den Mord als eine unselbständige Qualifizierung des Totschlags an. Für den Beteiligten ergeben sich unterschiedliche Folgen abhängig davon, ob die Mord- merkmale die Strafbarkeit begründen oder ‚lediglich‘ die Strafe schärfen, was auch Aus- wirkungen auf die Verjährung von dessen Tat hat (vgl. dazu die Begründung zu Artikel 2). d. Terminologie Der Wortlaut der §§ 211 und 212 StGB geht im Wesentlichen auf die Reform aus dem Jahr 1941 zurück. Insbesondere die Struktur, die Verwendung der täterbezeichnenden Begriffe „Mörder“ und „Totschläger“ sowie das Merkmal der „niedrigen Beweggründe“ stammen aus dieser Zeit. Die Straftatbestände des Mordes und des Totschlags wurden hierdurch an die Strafrechtsideologie der Nationalsozialisten angeglichen, nach deren Vorstellung – und mit Worten des nationalsozialistischen Strafrechtslehrers Edmund Mez- gers – Strafe auch das Ziel habe, ungeeignete Elemente aus der Gesellschaft auszumer- zen. Aus diesem Grund sollte das Strafrecht weniger konkrete Tathandlungen, sondern Tätertypen beschreiben. Die Formulierungen „Totschläger“ und „Mörder“ in §§ 211, 212 Absatz 1 StGB gehen auf diese überholte Lehre zurück und sind für das Strafgesetzbuch atypisch. II. Wesentlicher Inhalt des Entwurfs Nachdem zwei Reformmaßnahmen durch das am 1. April 1998 in Kraft getretene 6. StrRG bereits vorweggenommen wurden (Verschärfung des Strafrahmens in § 213
16

- 17 - Bearbeitungsstand: 21.03.2016 17:53 Uhr StGB – minder schwerer Fall des Totschlags – und Aufhebung des § 217 StGB – Kindes- tötung), beschränkt sich der Entwurf auf folgende Maßnahmen: – Regelung des Verhältnisses von Totschlag (§ 211 StGB-E) und Mord (§ 212 StGB-E) als Grund- und Qualifikationstatbestand; – Bereinigung der Tatbestandsfassungen, die einen (normativen) Tätertyp („Mörder“ und „Totschläger“) bezeichnen; – Neustrukturierung der Mordmerkmale (§ 212 Absatz 1 StGB-E; bisher: § 211 Ab- satz 2 StGB); – Neufassung und Ergänzung einzelner Mordmerkmale, nämlich der Mordmerkmale der Heimtücke und der gemeingefährlichen Tatbegehung sowie der Motivgeneral- klausel; – Einführung eines besonderen Strafmilderungsgrundes, der in außergewöhnlichen Fällen des Mordes statt lebenslanger Freiheitsstrafe zeitige Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren (bis zu 15 Jahren) zulässt (§ 212 Absatz 2 StGB-E); – Neufassung der Strafzumessungsvorschrift für minder schwere Fälle des Totschlags (§ 211 Absatz 3 StGB-E; bisher: § 213 StGB); – Anhebung des Strafrahmens bei leichtfertiger Tötung (§ 215 Satz 2 StGB-E; bisher: § 222 StGB); – behutsame Neuordnung des 16. Abschnitts durch Zusammenfassung der Tötungsde- likte im engeren Sinne vor den Vorschriften über den Schwangerschaftsabbruch; – Folgeänderungen im Strafgesetzbuch und in anderen Gesetzen, einschließlich einer Übergangsregelung im Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch, die sicherstellt, dass die Neuregelung des Stufenverhältnisses von Totschlag und Mord in Altfällen nicht zu einer Verjährung bislang unverjährbarer Beteiligungen an einem Mord führt. Die Grundkonzeption der Tötungsdelikte des geltenden Rechts soll beibehalten werden. Damit erteilt der Entwurf auch weitergehenden „großen“ Lösungen, wie etwa der eines Einheitstatbestandes der vorsätzlichen Tötung mit Eröffnung eines Strafrahmens, eine Absage. Dabei wurde durchaus erwogen, dass die Abgrenzung zwischen Mord und Tot- schlag von jeher als schwierig und in gewissem Umfang als unbefriedigend empfunden wurde, insbesondere wegen der absoluten Strafdrohung des § 211 StGB. Gerade im Hin- blick auf das Mordmerkmal der Heimtücke, bei dem sich wohl am häufigsten Grenzfälle ergeben, in denen die Verhängung der lebenslangen Freiheitsstrafe als unverhältnismä- ßig erscheint, könnte durch die Eröffnung eines Strafrahmens der Rechtsanwendung die Verhängung schuld- und tatangemessener Strafen ohne die Notwendigkeit, sich etwaiger „Umgehungsstrategien“ zu bedienen, ermöglicht werden. Dieses Problem kann allerdings auch mit maßvolleren Änderungen der §§ 211 ff. StGB gelöst werden, nämlich durch die von dem Entwurf vorgeschlagene moderate Öffnung auf der Rechtsfolgenseite des Mor- des, mit der die „Rechtsfolgenlösung“ des Bundesgerichtshofs aufgenommen wird. Die von dem Entwurf vorgeschlagene Lösung hat darüber hinaus den Vorzug, Rechtsunsi- cherheiten, die mit gravierenden Rechtsänderungen einhergehen können, zu vermeiden. Sie dürfte – da sich in einem Kernbereich des Strafrechts auf behutsame Korrekturen be- schränkend – eher auf gesellschaftliche Akzeptanz treffen als weitergehende Lösungen. Zudem ist bei der Eröffnung eines Strafrahmens ein Absinken des Strafniveaus nicht aus- geschlossen. Eine Reform der Tötungsdelikte, die dazu führt, dass die Verhängung der lebenslangen Freiheitsstrafe beim Mord zur Ausnahme wird, ist aber dem hohen Wert des Rechtsgutes Leben nicht angemessen. Auch die vom Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz einberufene Expertengruppe sprach aus den vorstehend dargelegten Gründen die Empfehlung aus, an der lebenslangen Freiheitsstrafe für Mord festzuhalten.
17

- 18 - Bearbeitungsstand: 21.03.2016 17:53 Uhr Der üblichen Systematik des Strafgesetzbuches entsprechend, soll der Totschlag als Tö- tung eines Menschen dem Mord als Tötung eines Menschen unter bestimmten erschwe- renden Umständen vorangestellt und dadurch das umstrittene Verhältnis zwischen beiden Normen dahingehend geklärt werden, dass es sich beim Tatbestand des Totschlags um das Grunddelikt handelt, beim Tatbestand des Mordes um dessen Qualifikation (zu den daraus erwachsenden Konsequenzen für die Verjährung vgl. die Begründung zu Arti- kel 2). Auch die Änderung des Wortlautes mit der Abkehr von der bisherigen Terminolo- gie, die einen – jeweils verschiedenen – Tätertypus des Mörders und des Totschlägers bezeichnet, dient u. a. dieser Klarstellung. Gerade mit dieser gesetzlichen Terminologie hatte nämlich der Bundesgerichtshof in der Grundsatzentscheidung vom 09. November 1951 –, BGHSt 1, 368, 370 f. seine Auffassung maßgeblich begründet, es handele sich um „zwei selbständige Tatbestände mit verschiedenem Unrechtsgehalt“. Entsprechend seiner Grundkonzeption, die sich im Wesentlichen auf die zur Lösung prak- tischer Probleme erforderlichen gesetzgeberischen Maßnahmen beschränkt, sieht der Entwurf vor, sich weitmöglich an den bisherigen Mordmerkmalen zur Abgrenzung zwi- schen dem Grundtatbestand des Totschlags und dem Qualifikationstatbestand des Mor- des zu orientieren. Inhaltliche Änderungen werden in erster Linie bei den Mordmerkmalen der Heimtücke und der Tötung mit gemeingefährlichen Mitteln vorgeschlagen, daneben bei der Motivgeneralklausel. Das Mordmerkmal der Heimtücke wurde auch in der Expertengruppe zur Reform der Tö- tungsdelikte kontrovers diskutiert. Neben grundsätzlichen Bedenken gegen dessen Eig- nung, Merkmal höchststrafwürdiger Tötungen zu sein (vgl. dazu die Begründung zu Arti- kel 1 Nummer 7 – Zu § 212 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 StGB-E), wurde dessen teilweise zu weiter, teilweise zu enger Anwendungsbereich problematisiert. Als zu weit erweise sich der Anwendungsbereich der Heimtücke insoweit, als Grenzfälle nicht selten seien, in de- nen die zwingende Verhängung der lebenslangen Freiheitsstrafe nicht angemessen er- scheine. Diesem Problem könne – so auch der Entwurf – auf der Rechtsfolgenseite be- gegnet werden. Andererseits versage das Mordmerkmal der Heimtücke bei den wer- tungsmäßig vergleichbaren Fällen, in denen das Opfer zwar wehrlos sei, seine Wehrlo- sigkeit aber mangels der dazu erforderlichen Fähigkeit zum „Argwohn“ nicht auf Arglosig- keit beruhe. Der Entwurf schlägt deshalb vor, das Mordmerkmal der Heimtücke neu zu fassen. Es soll nunmehr die „Ausnutzung der Wehrlosigkeit des Opfers“ erfassen. Es wird des Weiteren vorgeschlagen, das Mordmerkmal der Tötung mittels eines gemein- gefährlichen Mittels neu zu fassen und zukünftig darauf abzustellen, dass durch die Tat wenigstens eine weitere Person in die Gefahr des Todes gebracht wird. Damit wird der gesetzgeberische Grund für das Mordmerkmal besser als bisher zum Ausdruck gebracht; zudem ermöglicht diese Fassung die strafschärfende Berücksichtigung von Mehrfachtö- tungen. Darüber soll die Motivgeneralklausel im Sinne einer „sachlicheren“ Terminologie umfor- muliert und um einen weiteren benannten verwerflichen Beweggrund in Anlehnung an § 46 Absatz 2 Satz 2 StGB ergänzt werden. Kernstück des Entwurfs ist schließlich die neue Vorschrift des § 212 Absatz 2 StGB-E, wonach in den Fällen des Mordes bei Vorliegen besonderer Umstände, welche das Un- recht der Tat oder die Schuld des Täters erheblich mindern, auf Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren zu erkennen ist. Das soll insbesondere dann der Fall sein, wenn der Täter aus Verzweiflung handelt, um sich oder einen ihm nahe stehenden Menschen aus einer aus- weglos erscheinenden Konfliktlage zu befreien, oder wenn er ohne eigene Schuld durch eine ihm oder einem ihm nahe stehenden Menschen zugefügte schwere Beleidigung, Misshandlung oder sonstige Rechtsverletzung zum Zorn gereizt oder in eine vergleichbar heftige Gemütsbewegung versetzt und dadurch unmittelbar zur Tat veranlasst worden ist. Damit wird zwar im Regelfall die Verwirklichung eines Mordmerkmals zur Verhängung der lebenslangen Freiheitsstrafe führen, der so genannte Exklusivitäts-Absolutheits-
18

- 19 - Bearbeitungsstand: 21.03.2016 17:53 Uhr Mechanismus wird aber gelockert. § 212 Absatz 2 StGB-E sieht einen Strafrahmen von fünf Jahren bis zu 15 Jahren Freiheitsstrafe vor, um den konkreten Umständen des Ein- zelfalles gerecht werden zu können. Um der Rechtsprechung einen Anhaltspunkt für das erforderliche Gewicht der „besonderen“ Umstände zu geben und ein generelles Absinken des Strafniveaus für Mord zu verhindern, ist die ausdrückliche Normierung benannter Fäl- le dieser besonderen Umstände vorgesehen. Weitere inhaltliche Änderungen sieht der Entwurf für § 213 StGB (Minder schwerer Fall des Totschlags) vor. Er soll entsprechend der üblichen Systematik im Strafgesetzbuch nicht mehr als eigenständige Norm, sondern als § 211 Absatz 3 StGB-E neu gefasst wer- den. Inhaltlich soll er mit entsprechend angepasster Strafdrohung (Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren) § 212 Absatz 2 StGB-E entsprechen. Da der Strafrahmen des § 222 StGB (nunmehr § 215 StGB-E) in Fällen leichtfertiger Tö- tung im Vergleich zu den Strafrahmen für Körperverletzungsdelikte und für minder schwe- re Fälle des Totschlags nicht mehr angemessen erscheint, soll er in diesen Fällen auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren angehoben werden. Im Rahmen der Reform der Tötungsdelikte sieht der Entwurf auch vor, den 16. Abschnitt (Straftaten gegen das Leben) neu zu ordnen. Dabei sollen die Tötungsdelikte im engeren Sinne und die Straftatbestände zum Schwangerschaftsabbruch systematisch voneinander getrennt werden. Der Entwurf schlägt deshalb vor, in den §§ 211 bis 216 StGB-E die Straftatbestände des Totschlags, des Mordes, der Tötung auf Verlangen, der geschäfts- mäßigen Förderung der Selbsttötung, der fahrlässigen Tötung und der Aussetzung zu regeln. Als die §§ 218 bis 222 StGB folgen die Vorschriften zum Schwangerschaftsab- bruch ohne inhaltliche Änderung, lediglich mit teilweise neuer Bezeichnung und einer ge- ringfügigen redaktionellen Anpassung der Überschriften der bisherigen §§ 219a, 219b StGB (jetzt: §§ 220, 221 StGB-E). Schließlich soll – neben den notwendigen Folgeänderungen – durch eine Übergangsrege- lung im Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch sichergestellt werden, dass die Neurege- lung des Stufenverhältnisses von Totschlag und Mord nicht zu einer Verjährung bislang unverjährbarer Beteiligungen an einem Mord in Altfällen führt. III. Alternativen Einerseits Beibehaltung des bisherigen unbefriedigenden Rechtszustandes, andererseits Annahme abweichender Reformvorschläge. Diese sind teils weitergehend (wie die Vor- schläge des Alternativ-Entwurfs Leben und des Deutschen Anwaltvereins), teils enger (wie der Gesetzesantrag des Landes Schleswig-Holstein) als der Entwurf. Anders als der erwähnte Gesetzesantrag des Landes Schleswig-Holstein beschränkt sich der vorliegen- de Entwurf nicht auf eine sprachliche Bereinigung, sondern schlägt für die wesentlichen praktischen Probleme der §§ 211, 212 StGB eine Lösung vor, geht aber abweichend von weitergehenden Reformvorschlägen im Interesse der Rechtssicherheit über die Lösung dieser Probleme nicht hinaus und hält an der Grundkonzeption der Tötungsdelikte fest. IV. Gesetzgebungskompetenz Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes folgt aus Artikel 74 Absatz 1 Nummer 1 des Grundgesetzes (Strafrecht).
19

- 20 - V. Bearbeitungsstand: 21.03.2016 17:53 Uhr Vereinbarkeit mit dem Recht der Europäischen Union und völkerrechtlichen Verträgen Der Entwurf ist mit dem Recht der Europäischen Union und völkerrechtlichen Verträgen, die die Bundesrepublik Deutschland abgeschlossen hat, vereinbar. VI. 1. Gesetzesfolgen Rechts- und Verwaltungsvereinfachung Aspekte der Rechts- und Verwaltungsvereinfachung sind von dem Entwurf, der eine Än- derung des materiellen Strafrechts vorsieht, nicht betroffen. 2. Nachhaltigkeitsaspekte Der Entwurf steht in Einklang mit den Leitgedanken der Bundesregierung für eine nach- haltige Entwicklung im Sinne der Nationalen Nachhaltigkeitsstrategie. Insbesondere durch die Einführung gesetzlich geregelter minder schwerer Fälle gemäß § 212 Absatz 2 StGB- E wird eine Möglichkeit geschaffen, im Einzelfall unbillig erscheinende Ergebnisse zu ver- hindern. Die verbesserte Möglichkeit, Einzelfallgerechtigkeit herzustellen, ist grundsätzlich vor allem dem Ziel förderlich, sozialen Zusammenhalt zu stärken. 3. Haushaltsausgaben ohne Erfüllungsaufwand Haushaltsausgaben ohne Erfüllungsaufwand sind für Bund, Länder und Gemeinden nicht zu erwarten. 4. Erfüllungsaufwand Durch die Regelungen des Entwurfs entsteht Bürgerinnen und Bürgern, der Wirtschaft und der Verwaltung kein Erfüllungsaufwand. 5. Weitere Kosten Durch die beabsichtigten Änderungen entstehen weder dem Bundeshaushalt noch den Länderhaushalten zusätzliche Kosten, da die Neuregelungen das Fallaufkommen unbe- rührt lassen und lediglich eine andere rechtliche Einordnung erfolgt. Auswirkungen auf Einzelpreise und das allgemeine Preisniveau, insbesondere auf das Verbraucherpreisniveau, sind nicht zu erwarten. 6. Weitere Gesetzesfolgen Die Regelungen werden keine Auswirkungen für Verbraucherinnen und Verbraucher ha- ben. Sie sind inhaltlich geschlechtsneutral und betreffen Frauen und Männer in gleicher Weise. Auch demografische Auswirkungen sind nicht ersichtlich. VII. Befristung; Evaluierung Eine Befristung ist nicht vorgesehen. Aufgrund der umfangreichen Vorarbeiten durch die Expertengruppe zur Reform der Tötungsdelikte ist eine Evaluierung ebenfalls nicht vorge- sehen. Davon unberührt bleibt die Möglichkeit, in angemessener Zeit nach Inkrafttreten des Gesetzes rechtstatsächliche Erhebungen über die Anordnungspraxis nach dem neu- en Recht durchzuführen, um die Notwendigkeit von Folgeregelungen – vor allem im Hin- blick auf die Aussetzung der lebenslangen Freiheitsstrafe nach § 57a StGB – sachgerecht abschätzen zu können.
20

Zur nächsten Seite