RWE-Räumungsantrag für den Hambacher Forst

Dieses Dokument ist Teil der Anfrage „Unterlagen zum Räumungsersuchen von RWE im Hambacher Forst

/ 47
PDF herunterladen
RW E Seite 20 1. Räumungstitel Von derdetaillierten Darstellung der einzelnen förmlichen Voraussetzungen (z.B. Bezeichnung des Klagegegners, Zustellung der Klageschrift...) für die in Frage kommendengerichtlichen Rechtsbehelfe (Räumungs-Klage oder einstweilige Verfügung) kann vorliegend abgesehen werden. Zwar ist es der Antragstellerin trotz der Unmöglichkeit, die Schuldner namentlich zu bezeichnen, in der Vergan- genheit in einigen Fällen gelungen, einstweilige Verfügungen auf Räumung be- setzter Bäume zu ermwirken, indem sie darlegen konnte, dass sie ein Hinzukom- men weiterer bzw. den Austausch gegen andere Personen durch Umstellung der Bäume vom Antrag auf Erlass des Titels bis zu dessen Vollstreckung verhindern wird. Angesichts der aktuellen Umständeist abernicht ersichtlich, wie die An- tragstellerin eine derartige Sicherung - selbst unter massivem Einsatz von Wachpersonal — heute noch bewerkstelligen sollte, insbes. wie sie etwa - insbe- sondere bei Dunkelheit — einen Austausch überdie in den Baumkronenvorhan- denen Seil- und Querverbindungenverhindern sollte. Infolge der Größe und des massiven Ausbauzustandes der Baumhäuserkann noch nicht einmal annähernd angegeben werden, wie viele Besetzer sich jeweils darin aufhalten. Es ist somit bereits aus tatsächlichen Gründen zunehmend unwahrscheinlich, dass Zivilge- richte Räumungstitel künftig überhaupt erlassen würden. Wie nachfolgend aufzu- zeigen sein wird, würden die Identifizierungsprobleme jedenfalls eine Vollstre- ckungvereiteln. 2. _Zwangsvollstreckung der geltend gemachten Ansprüche Selbst wenn eine gerichtliche Geltendmachung der bestehenden Ansprüche im Wegeder Klage odermittels einstweiliger Verfügung gelingen würde, müssen diese auch erfolgreich durchgesetzt werden können. Da die „Aktivisten“ ihre Be- setzung trotz gerichtlich titulierter Ansprüchenichtfreiwillig aufgeben werden, bedarf es im vorliegenden Fall der Zwangsvollstreckung nach dem hierfür jeweils gesetzlich vorgesehenen Verfahren. Hierbei werdendie bereits aufgezeigten Probleme des ständig wechselnden Personenkreises sowie der fehlenden Kenntnis der Identität der „Aktivisten“ virulent. Gemäß 8 750 Abs. 1 ZPO darf die Zwangsvollstreckung nur dann beginnen, wenn die Personen für und gegendie sie stattfinden soll, in dem Urteil oder in der ihm beigefügten Vollstreckungsklausel namentlich bezeichnet sind und das Urteil bereits zugestellt ist oder gleichzeitig zugestellt wird. Dies gilt für einstweilige Verfügungen entsprechend. Ob diese, für die Zwangsvollstreckung zwingenden Voraussetzungen vorliegen, hat der Gerichtsvollzieher vor Beginn der Zwangs- vollstreckung gemäß den 88 44, 45 der Geschäftsanweisung für Gerichtsvollzie- her (GVGA,) zu prüfen. Ist dem Gerichtsvollzieher die Identifizierung des jeweiligen Schuldners nicht möglich, so hat er die Zwangsvollstreckung zu unterlassen. Dementsprechend wurdedie Vollstreckung vonTiteln gegen unbekannte Besetzer auch früher schon teilweise abgelehnt. Daeine rechtsstaatliche Zwangsvollstreckung ohne die Einhaltung der Bestim- mungen des $ 750 ZPO nicht möglich ist, sind diese zwingend. Zukunft. Sicher. Machen.
21

RW E Seite 21 Heßler in Münchener Kommentar zur ZPO, 5. Aufl. 2016, $ 750 Rz. 1 unter Verweis auf OLG Frankfurt, Beschluss vom 26.07.1977, Az. 20 W 162/77 Die Angabe der Person stellt dabei sicher, dass nicht in Rechte einer Person eingegriffen wird, die nicht aufgrund eines Gerichtsurteils zur Duldung der ® Zwangsvollstreckung verpflichtet ist. Demnach muss die Bezeichnung des Schuldners dem Vollstreckungsorgan die zweifelsfreie Feststellung der Perso- nenidentität zwischen den Parteien des Erkenntnisverfahrens und des Zwangs- vollstreckungsverfahrens ermöglichen. Der Gerichtsvollzieher muss mit anderen Worten prüfen können, ob er die Person vor sich hat, gegen welche auch das gerichtliche Urteil ergangen ist. Wie bereits die Klageerhebung und auch der An- trag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist auch die Zwangsvollstreckung unzulässig, wenn der Schuldner aufgrund der Beschreibung im Urteil oder in der diesem beigefügten Vollstreckungsklausel nicht eindeutig identifizierbar ist. Wie bereits dargestellt, ist dies bei einem unbekannten und ständig wechselnden Personenkreis derFall. Selbst wenn also eine hinreichende Bezeichnungder Personen im Rahmen der Klageschrift möglich wäre, scheitert deren Vollstreckung daran,dasssich nicht feststellen lässt, ob die bei Durchführung der Vollstreckungshandlung in An- spruch genommenen Personen jenen entsprechen, welche in der Klageschrift und dementsprechend im Urteil bezeichnetsind. Heßler in Münchener Kommentar zur ZPO, 5. Aufl. 2016, $ 750, Rz. 81 unter Ver- weis auf OLG Köln, Beschluss vom 18.08.1981, Az. 3 W 24/81 = NJW 1982,1888; LG Hannover, Beschluss vom 06.04.1981, Az. 13 O 139/81 = NJW 1981,1455; LG Krefeld, Urteil vom 30.07.1981, Az. 5 O 303/81 = NJW 1982,289; LG Düsseldorf, Beschluss vom 14.07.1981, Az. 25 T 459/81; sowie zuletzt explizit BGH, I ZB 103/16, Beschluss vom 13.07.2017. ü 3. _BGH-Beschluss vom 13.07.2017, 1 ZB 103/16 Letztlich sind weitere Überlegungen hinsichtlich der Erwirkung und Vollstreckung von Räumungstiteln nach dem BGH-Beschluss vom 13.07.2017, | ZB 103/16, obsolet. In dem Beschluss, der einen nahezuidentischen Sachverhalt, nämlich die Räumung unbekannter Hausbesetzer,betrifft, stellt der BGH fest: „Das Erfordernis der eindeutigen Bezeichnung der Schuldner im Voll- streckungstitel oder in der Vollstreckungsklausel gemäß $ 750 Abs. 1 ZPO besteht auch dann, wenn die Räumungsvollstreckung ein rechtswidrig besetztes Grundstück betrifft und es dem Gläubiger im Erkenntnisverfahren ohnepolizeiliche Hilfe nicht möglichist, die Schuldner namentlich zu bezeichnen. Der Verzicht auf das Erfordernis einer sicheren Identifizierung des Schuldners aufgrund der Bezeichnung im Vollstreckungstitel oder in der Vollstreckungsklauselist nicht deshalb geboten, weil der Eigen- tümer ansonsten vollständig rechtlos gestellt wäre. Eine Räumung gegenüber Hausbesetzern kann vielmehr nach dem Polizei- und Ordnungsrecht erfolgen.“ Zukunft. Sicher. Machen.
22

RW E Seite 22 Im Beschluss vom 13.07.2017 hat der BGH also hervorgehoben, dass es auch die Unmöglichkeit einer hinreichend genauen Bezeichnung nicht rechtfertigen kann, vom zentralen Erfordernis einer sicherenIdentifizierung der Schuldneran- hand desVollstreckungstitels abzusehen. Angesichts der expliziten Feststellung des BGH, dass „die Zulassungeines „Ti- tels gegen Unbekannt‘, eines „Titels gegen den, den es angeht“ odereines „la- gebezogenen‘ Titels mit der geltenden Rechtslage nicht vereinbar“ sei, kann nicht davon ausgegangen werden, dass einstweilige Räumungsverfügungen ge- gen eine unbekannte Anzahl unbekannter Besetzer künftig noch vollstreckt wür- den, zumal wie oben dargelegt schon früher die Vollstreckung aus eben den vom BGH angeführten Gründen teilweise abgelehnt wurde (Gerichtsvollzieherin im Rhein-Erft-Kreis). Aus diesem Grunde ist bereits zu bezweifeln, dass entspre- chendeeinstweilige Verfügungen überhaupt noch erlangt werden könnten; da bereits feststeht, dass jedenfalls eine Vollstreckung ausgeschlossenist, dürfte bereits das Rechtsschutzbedürfnis für den Erlass eines solchen Titels fehlen. Es sei klargestellt, dass auch der BGH die Vollstreckung vonTiteln gegennicht namentlich bezeichnete Schuldnernicht grundsätzlich ausschließt, sofern durch Auslegung desTitels ohne weiteres festgestellt werden kann, wer Partei ist. Diese Möglichkeit der zweifelsfreienIdentifizierung ist aber wie dargelegthier bereits deshalb nicht gegeben, weil es der Antragstellerin faktisch nicht möglich ist, ein Hinzutreten weiterer oder anderer Personen, etwa über die Baumkronen, zu den Personen, gegen die ein eventueller Titel erwirkt wurde, zu verhindern. Auch wenn der BGH selbstin Fällen illegaler Haus- und Grundstücksbesetzun- gen ein gesetzliches Defizit bei der Durchsetzung zivilrechtlicher Räumungsan- sprüche einräumt,ist der Berechtigte gleichwohl nicht rechtlos gestellt, da die Räumungnach der BGH-Rechtsprechung dann auf jeden Fall nach Polizei- und Ordnungsrechtzu erfolgen hat. Gerade auch diese gegebeneSituation führt bei der Ausübungdes Entschließungsermessenszu einer Ermessensreduzierung auf Null. Vorstehendesgilt im Übrigen unabhängig davon, ob im konkreten Fall (so wie im BGH-Fall) auch derStraftatbestand des Hausfriedensbruchserfüllt ist (und die Polizei unmittelbar aufgrund einer Störung der öffentlichen Sicherheit eingreifen kann). So macht der BGH im o.g. Beschluss deutlich, dass er auch in Fällen, in denen ein Hausfriedensbruchnicht vorliegt, die originäre Zuständigkeitfür die Räumungbei den Polizei- und Ordnungsbehördensieht: „Im Übrigen werden bei Haus- und Grundstücksbesetzungenregel- mäßig auch die Voraussetzungen der Eingriffsvoraussetzungen des Polizei- und Ordnungsrechts für den polizeilichen Schutz privater Rechte vorliegen (vgl. Degenhart, JuS 1982, 330, 331).“ 4. Zwischenergebnis Als Zwischenergebnis bleibt festzustellen, dass die Vollstreckungzivilrechtlicher Räumungstitel daran scheitern würde, dass die Identität der Personennicht be- kanntist und diese aufgrund dertatsächlichen Verhältnisse für eine Individuali- sierung nicht hinreichend genau bezeichnet werden können. Selbst wenn die Zukunft. Sicher. Machen.
23

RW E Seite 23 bestehenden Ansprüchegerichtlich tituliert werden könnten, sind sie im Wege der Zwangsvollstreckung nicht durchsetzbar. VI. Anspruch auf behördliches Einschreiten Da es RWEnach den vorstehenden Ausführungennicht möglichist, eine Räu- mung der Rodungsflächen aufzivilgerichtlichem Wege zu erreichen, ist RWE darauf angewiesen, dass die Räumungdurch die Polizei- und Ordnungsbehör- den veranlasst und durchgeführt wird. Im Folgenden wird dargestellt, dass die Polizei- und Ordnungsbehörden sowohl zum Einschreiten berechtigt (Ermächti- gungsgrundlage), als auch hierzu verpflichtet sind (Ermessensreduzierung), so- mit im Ergebnis ein Anspruch auf Einschreiten durch die Polizei- und Ordnungs- behördenbesteht. 1. a) Zulässigkeit des Einschreitens der Polizei- und Ordnungsbehörden gegen die „Aktivisten“ (Berechtigung) Maßgebliche Ermächtigungsgrundlage Für ein Einschreiten der Polizei- und Ordnungsbehörden kommenvorliegend nur Ermächtigungsgrundlagen aus dem Polizei- und Ordnungsrechtin Betracht. Ver- drängende Spezialzuständigkeiten bestehen nicht. (1) Versammlungsrecht Eine Spezialzuständigkeit der Kreispolizeibehörde nach der Verordnung über Zuständigkeiten nach dem Versammlungsgesetz (VersG) bestehtnicht, da die Waldbesetzungnicht als Versammlung im Sinne des Art. 8 GG qualifiziert wer- den kann. Auf der von den „Aktivisten“ betriebenenInternetseite www.hambacherforst.org stellen diese selbst klar, dass die Rodung der Bäume und im weiteren die Förde- rung der Braunkohle durch die Besetzung verhindert werden soll und deshalb möglichst viele Bäume besetzt werdensollen: https://hambacherforst.org/ https://hambacherforst.org/rodungssaison- 18/#Rodungssaisong 201819 Vorbereitung. Die gezielte Behinderung der betrieblichen Tätigkeit von RWE ist durch das Ver- sammlungsrecht nicht geschützt; sog. Verhinderungsblockadenfallen nicht unter den Schutz der Versammlunggfreiheit. BVerfG, Beschluss vom 24.10.2001, Az. 1 BvR 1190/90 u.a. = NJW 2002, 1031; BGH, Urteil vom 04.11.1997, Az. VI ZR 348/96 = NJW 1998, 377 Darüber hinaus sind durch Art. 8 GG nur solche Versammlungen geschützt, wel- che friedlich und waffenlos durchgeführt werden. Die „Aktivisten“ agieren nicht friedlich. Vielmehr gab es ausihrem Kreis herausbereits eine Vielzahl von ge- walttätigen Übergriffen auf Mitarbeiter oder Beauftragte von RWE undPolizeibe- amte. Zukunft. Sicher. Machen.
24

RWE Seite 24 Die Versammlunggfreiheit verschafft schließlich unstreitig kein Zutrittsrecht zu beliebigen Orten, insbesondere zu Orten, die der Öffentlichkeit nicht allgemein zugänglich sind oder zu denen schon den äußeren Umständen nach nur zu be- stimmten Zwecken Zugang gewährt wird. Dementsprechendberechtigt die Versammlungsfreiheit nicht dazu, eine Ver- sammlung gegen den Willen des Eigentümers auf einem Privatgrundstück durch- zuführen. Da die Besetzung der Baumhäusernachalledem keine Versammlungdarstellt und folglich auch nicht dem Schutz des Art. 8 GG unterfällt, ist die Polizei im Fal- le des Einschreitens nicht auf die Regelungen des Versammlungsgesetzes be- schränkt. (2) Sonderordnungsrecht Auf etwaige Zuständigkeiten von Sonderordnungsbehördenist im vorliegenden Zusammenhangnicht weiter einzugehen. DerPolizeiist bekannt, dass bereits im Jahre 2014 die in Frage kommenden Behörden, unter Berufung auf durchaus nachvollziehbare Sachargumente und teils auch ministeriell bestätigt, ihre Unzu- ständigkeit festgestellt haben. Ersichtlich hat sich diese Auffassung bis heute nicht geändert, zumal seitdem eben keine Behörde tätig geworden ist, um die Waldbesetzungen zu beenden. Esist es der Antragstellerin auch nicht zumutbar, die denkbaren Eingriffsbefug- nisse verschiedener Sonderordnungsbehörden zunächstauf verwaltungsgericht- lichem Wegeder Reihe nach prüfen zu lassen, zumal bereits aus Zeitgründen auszuschließen ist, dass auf diese Weise eine verbindliche Klärung der Zustän- digkeiten rechtzeitig bis zum Beginn der Rodungssaison am 1. Oktober 2018 erreicht werden könnte. Jedenfalls ist keine andere Behörde offensichtlich vorrangig zuständig. Die Ange- legenheit ist daher nach allgemeinem Polizei- und Ordnungsrechtzu lösen. (3) Polizei- und Ordnungsrecht Als Ermächtigungsgrundlage für ein Einschreiten der Polizei- und Ordnungsbe- hörden gegenüberden „Aktivisten“ steht vorliegend $ 34 Abs. 1 (Platzverwei- sung) des Polizeigesetzes des Landes Nordrhein-Westfalen (PoIG NRW) (i.V.m. & 24 Ziff. 13 des Gesetzes über Aufbau und Befugnisse der Ordnungsbehörden (OBG NRW)) zur Verfügung. Längerfristige Aufenthaltsverbote im Sinne des $ 34 Abs. 2 PolG NRW können unter Umständen ebenfalls in Betracht kommen. Ziel eines Einschreitens durch die Gefahrenabwehrbehördenist es, den „Aktivis- ten“ das Verlassen der Bäume sowie des Grundstücks aufzugeben und dies ge- gebenenfalls zwangsweise durchzusetzen. Da die Polizei- und Ordnungsbehör- den gemäß 8 34 Abs. 1 PoIG NRW (i.V.m. 8 24 Ziff. 13 OBG NRW) eine Person vorübergehend von einem Ort verweisen oder ihr vorübergehenddas Betreten eines Ortes verbieten können, ist dieses Ziel mittels einer Platzverweisung durchsetzbar. Zukunft. Sicher. Machen.
25

RWE Seite 25 b) Formelle Rechtmäßigkeit des Einschreitens (1) Zuständigkeit Fraglich ist zunächst, ob die Polizei im vorliegenden Fall aus originärer Zustän- digkeit heraus handeln kann, oder ob nicht vielmehr eine Zuständigkeit derall- gemeinen Ordnungsbehörden besteht. Denn sind für die Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung nebenderPolizei andere Behörden für die Gefahrenabwehr zuständig, hat die Polizei gemäß $ 1 S. 3 PoIG NRW (entsprechend: Verwaltungsvorschrift zur Durchführung des Ordnungsbehörden- gesetzes (VV OBG NRW) zu $ 1 OBG), in eigener Zuständigkeit nur dann tätig zu werden, soweit ein Handeln der anderen Behördennicht odernicht rechtzeitig möglich erscheint. Damit kommt polizeilichem Handeln grundsätzlich Nachrang_ gegenüber sonstigem ordnungsbehördlichem Handeln zu. Im Verhältnis zu ande- ren Gefahrenabwehrbehörden steht der Polizei damit eine so genannte Eilkom- petenz zu. Möglich ist eine Gefahrenabwehr durch andere Stellen dann, wenn sie sowohl tatsächlich als auch rechtlich möglich ist, mit anderen Worten die jeweilige Stelle faktisch zur Schadensabwehrin der Lageist. Gusy/Worms in BeckOK Polizei- und Ordnungsrecht Nordrhein-Westfalen, 5. Editi- on, Stand 20.05.2017, 8 1, Rz. 205 Dies setzt voraus, dass die vorrangige Behörde allgemein, wie auch im konkreten Fall, über ausreichende mobilisierbare personelle und sachliche Ressourcen für ein effektives Handeln verfügt. Gusy/Worms, a.a.0. Zur Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung sind neben der Polizei gemäß $ 1 Abs. 1 des Gesetzes über Aufbau und Befugnisse der Ordnungsbehörden (OBG) auch die Ordnungsbehörden zuständig. Im Bereich der Gefahrenabwehr sind gemäß 8 5 OBG dieörtlichen Ordnungsbehörden, mit- hin die Gemeinden zuständig. Wie vergangene Maßnahmen gezeigt haben, ist bei der Räumung derartiger Besetzungen mit erheblichem, teils gewalttätigem Widerstand zu rechnen. Dementsprechend kann eine Räumungnur mit erhebli- chem personellen Aufwand und unter ausreichender Beachtung der Eigensiche- rung durchgeführt werden. Die als allgemeine Ordnungsbehörden zuständigen Gemeinden verfügen weder über die hierfür erforderliche personelle noch sachliche Ausstattung. Damit sind sie zur effektiven Abwehrder durch die Besetzer verursachten Gefahrennicht in der Lage. Folglich kann die Polizei gemäß $& 1 Abs. 1 S. 3 PolG NRW vorliegend in eigener Zuständigkeit tätig werden. Dies gilt gemäß Verwaltungsvorschrift zur Durchführung des Ordnungsbehördengesetzes (VV OBG NRW) zu $ 1 OBG lit. b) insbesondere dann „wenn der Ordnungsbehördedie erforderlichen Mittel zur Durchsetzung der Maßnahme - beispielsweise Hilfsmittel des unmittelbaren Zwanges oder Waffen - fehlen“. Diesist hier der Fall. Die Zuständigkeit der Polizei besteht nach Auffassung der Antragstellerin daher nicht nur für den eigentlichen Akt der Räumung (im Sinne der Anwendung von Zukunft. Sicher. Machen.
26

RW = Seite 26 unmittelbarem Zwang beim Vollzug der Platzverweisung), sondern auch für die vorangehende Platzverweisung selbst. Die Platzverweisung, von der sich die „Aktivisten“ aller Erfahrung nachnicht im Mindesten beeindrucken lassen, dient ohnehin nur der Vorbereitung der Räumung, die sodann mit an Sicherheit gren- zender Wahrscheinlichkeit mittels unmittelbarem Zwang vonPolizeieinsatzkräften durchgesetzt werden muss. Überdies haben verschiedene in Frage kommende Behörden wie dargelegt be- reits in der Vergangenheit allgemein ihre Unzuständigkeit festgestellt oder sind jedenfalls damals mangels Anerkennungeiner Gefahrenlage nicht eingeschritten. Nach diesen Erfahrungen ist es für die Antragstellerin weder praktikabel, noch zumutbar, in Eigenregie nochrechtzeitig bis zum Beginn der Rodungssaison eine verbindliche Klärung der Zuständigkeit einer oder mehrererörtlicher Ordnungs- behörden bzw. Sonderordnungsbehörden herbeizuführen, wenngleich sie selbst- verständlich alles Erdenkliche tun und dazu beitragen wird, um diese Klärung zu fördern und zu unterstützen. Erst recht ist es für die Antragstellerin nicht zumutbar, vor Ort erst am Tag des Beginns der Rodung bzw. jeweils dann, wenn die Rodungsmannschaften eine Besetzung erreichen, erst einmal zu prüfen, welche Behörde unter Berücksichti- gung derindividuellen Gegebenheiten für welche Maßnahme zuständig sein könnte. Von dem Umstand abgesehen, dass aufgrund der Belegenheit der Be- setzungen in verschiedenen Kreisen bzw. Gemeinden, ggf. auch über Gemein- degrenzen hinweg, mehrere Ordnungsbehörden (möglicherweise gleichzeitig) örtlich zuständig wären, käme es womöglich noch auf die konkrete Ausgestaltung der jeweils zu räumenden Besetzung (Baumhaus ohne Verbindung zum Boden, (Baum-)Haus auf Stelzen, sonstige mehr oder weniger stabile Hütte, Zelt, Hän- gematte...) an, worüber der Antragstellerin indes noch nicht einmal belastbare Informationen vorliegen und was sich ohnediestäglich und auch spontan ändern kann. In jedem erdenklichen Szenario ist jedenfalls die Zuständigkeit der Polizei gegeben, insbesonderegilt dies für den (wahrscheinlichen) Fall, dass es zu Straf- taten kommt(dazu unten VI. 1. c) (1) (a)). Ein lückenloser Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung und der Schutz der rechtsbetroffenen RWE darf unter Zuständigkeitsabgrenzungen verschiede- ner Behörden jedenfalls nicht leiden. Da die jeweilige Behörde überdies wegen der zu befürchtenden Ausschreitungen in jedem Fall die Mittel der Polizei in An- spruch nehmen müsste, steht ohnehin fest, dass das Tätigwerden der Polizei, ungeachtet der konkret zu räumenden Ortlichkeit (auch unabhängig von den Kreisgrenzen), letztlich das einzig effektive und praktikable Mittel zur Beseitigung der Störung darstellt und somit als Schwerpunkt des Einschreitens zur Gefahren- abwehr anzusehen ist. Jedenfalls können mögliche Zuständigkeitsfragen nicht zulasten der Antragstelle- rin ungeklärt bleiben mit der Folge, dass überhauptnicht eingeschritten wird. Da der Antragstellerin zivilrechtlicher Schutz verwehrt ist, ist es Aufgabe der Gefah- renabwehrbehörden, ggf. in Abstimmung mit ihren jeweiligen Aufsichtsbehörden, die richtige Vorgehensweisefür die vorliegende Gemengelage im Wald festzule- gen und entsprechend umzusetzen. " Zukunft. Sicher. Machen.
27

RWE Seite 27 Selbstverständlich wäre es denkbar, dass etwa dauerhaft Mitarbeiter der eben- falls für die Gefahrenabwehr zuständigenörtlichen Ordnungsbehördenvor Ort kommen und dort Platzverweise aussprechen, die im Anschluss von der Polizei umgesetzt werden (sofern diese nicht gegen Straftaten ohnehin bereits selbst einschreiten muss). Unter Berücksichtigung der konkreten Umstände erscheint dieses Vorgehenindesnicht nur wenig sinnvoll und in gewisser Weise willkürlich und geradezu künstlich aufgespalten, sondern womöglich sogar gefährlich für die betreffenden Mitarbeiter der Ordnungsbehörden. Hinzu kommt noch, dassallein die Polizei, nicht aber die Ordnungsbehörde, die Möglichkeit hat, auch langfristige Aufenthaltsverbote im Sinne des $ 34 Abs. 2 PoIG NRW auszusprechen. Solche langfristigen Aufenthaltsverbote könnten zur Umsetzung der Räumung des Hambacher Forstes durchaussinnvoll und zweckmäßig sein, etwa falls bekannte Personen, von denen Straftaten drohen, im Rahmender Rodungsarbeiten mehrfach aufgegriffen werden. Ordnungsbe- hörden dürfen indes keine langfristigen Aufenthaltsverbote aussprechen, diesist der Polizei vorbehalten. Auch dieser Umstand spricht vorliegend für eine originä- re Zuständigkeit der Polizei. Schließlich wäre die Polizei, sollte - aus welchen Gründen auch immer - keine andere Behörde die notwendigen Platzverweise aussprechen, aufgrund ihrer Eilzuständigkeit wiederum selbst dafür zuständig, die Verletzung der Rechte der Antragstellerin zu beenden, da diese andernfalls gänzlich ohne Rechtsschutz dastehen würde. Die Polizei kann danachvorliegend nicht nur im Wege der Amtshilfe einschreiten, um etwa von anderenStellen ausgesprochene(kurzfristige) Platzverweisungen durchzusetzen, sondern sie kann die notwendigen Platzverweisungen auch selbst aussprechen und sogleich in einem Zuge durchsetzen. Im Folgenden wird daher grundsätzlich von der originären Zuständigkeit der Poli- zei ausgegangen. Für den Fall, dass - etwa durch Aussprechenvon(kurzfristi- gen) Platzverweisungen - Ordnungsbehörden zusätzlich einschreiten, gelten die nachfolgenden Ausführungen im Ergebnis entsprechend. Zuständig für die Geschehnisse im und um den Hambacher Forst ist nach dem entsprechenden Erlass des Innenministeriums aus 2016 das Polizeipräsidium Aachen. (2) Verfahren und Form Daes sich vorliegend um mehrere Besetzer handelt, könnte die auf $ 34 Abs. 1 PoIG NRW gestützte Duldungsverfügung als Allgemeinverfügung nach 8 35 VwVfG NRW ergehen, so dass eine vorherige Anhörung nach $& 28 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG NRWentbehrlich ist. Nach $ 37 Abs. 2 VwVfG NRW kanndiese Allge- meinverfügung formlos ergehen. Da es sich bei der Platzverweisung um einen Verwaltungsakt handelt, welcher auf Vornahmeeiner Handlung gerichtetist, sind die „Aktivisten“ (mündlich) aufzu- fordern, das Grundstück und damit die Bäume zu verlassen. Hierbei sollte auch deutlich gemacht werden, dass sie sich unbefugt auf dem Grundstück von RWE Zukunft. Sicher. Machen.
28

RWE Seite 28 aufhalten und die Platzverweisung aus diesem Grundeerfolgt. Gleichzeitig ($ 56 Abs. 2 S. 2 PolG NRW) ist anzudrohen, dassbei Nichtbefolgung Zwangsmiittel zum Einsatz kommen, mithin das Grundstück und damit die Bäumedurch An- wendung unmittelbaren Zwangs geräumt werden. Aufgrund der Charakterisie- rung als Allgemeinverfügung muss keine Anhörung erfolgen. Da diese Verfügung zudem eine Maßnahme von Polizeivollzugsbeamten im Sinne des $ 80 Abs. 2 Nr. 2 VwGO darstellt, sind hiergegen erhobene Einwände und Widersprüche von Seiten der „Aktivisten“ für die Durchführung der Maßnahme zunächst unbeacht- lich. c) Materielle Rechtmäßigkeit des Einschreitens (1) Vorliegen einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung Maßgebliche Voraussetzung für ein polizeiliches Einschreiten auf Grundlage des & 34 Abs. 1 PoIG NRW ist das Vorliegen einer konkreten Gefahr für die öffentli- che Sicherheit oder Ordnung. (a) Öffentliche Sicherheit Die öffentliche Sicherheit wird in die drei Teilschutzgüter der Unverletzlichkeit der Rechtsordnung, der Unverletzlichkeit der subjektiven Rechte und Rechtsgüter des Einzelnen sowie des Bestandes des Staates und seiner Einrichtungen unter- teilt. Eine Beeinträchtigung der Rechtsordnungals eines der Schützgüter der öffentli- chen Sicherheit ist insbesonderebei Verletzung öffentlich-rechtlicher Vorschrif- ten, speziell Normen des Strafrechts gegeben. Da der in Rede stehende Bereich des Hambacher Forstes derzeit nicht eingefrie- det ist und vor Beginn der Rodung auchnicht eingefriedet werden darf, sondern gem. 8 14 BWaldG frei zugänglich zu haltenist, haben jedenfalls die derzeit an- wesenden Waldbesetzer durch Betreten des Waldes und Errichtung der Beset- zungen nicht den Straftatbestand des Hausfriedensbruchs verwirklicht. Anderes würde indes gelten, wenn zur Rodungszeit einzelne Rodungsbereiche durchgängig abgesperrt und diese Bereiche dann betreten würden. Die Antrag- stellerin prüft derzeit die praktische und technische Umsetzbarkeit einer solchen Maßnahme. Sofern und soweit eine Einfriedung einzelner Baumhäuseroderggf. auch größerer Areale gelingen sollte, wäre hinsichtlich der bei Einfriedung bereits anwesenden Besetzer — nach Nichtbefolgen der Aufforderung, den Bereich zu verlassen - der Straftatbestand des $ 123 StGB in der Variante des Nicht- Verlassens trotz Aufforderung verwirklicht. Diese Tatbestandsvariante kann ge- rade auch im Falle der „Schließung“ einer zuvor zugänglichen Räumlichkeit ver- wirklicht werden. Tröndle/Fischer, Kommentar zum StGB, 61. Auflage 2014 , 8 123 Rn. 31: „... Daneben kann die Aufforderung(...) auch durch konkludente Er- klärung erfolgen. Diese kann sich aus tatsächlichen Handlungen er- geben. Hierzu sind je nach Umständen auch Handlungen zu zählen, welche aufeine „Schließung“ der zuvor zugänglichen Räumlichkeit Zukunft. Sicher. Machen.
29

RWE Seite 29 gegen weiteres Betreten gerichtet sind; in der (konkludenten) Erklä- rung des Willens, weiteren Eintritt nicht zu erlauben, kann die Auffor- derung an — auch nicht individuell bekannte - evtl. noch anwesende Personenliegen, sich aus der Räumlichkeit zu entfernen. Der Kon- struktion einer Garantenpflicht bedarf es hier nicht.“ Es kann derzeit aber nicht sicher davon ausgegangen werden, dassdie vollstän- dige Einfriedung durchgängig gelingt; bei Errichtung und Aufrechterhaltung einer solchen Einfriedung wäre die Antragstellerin zudem sicher wiederum auf die Un- terstützung durch die Polizei angewiesen. Unabhängig von der Verwirklichung des $& 123 StGB sind aus dem Spektrum der Waldbesetzer im Bereich des HambacherForstesallerdings bereits zahlreiche Straftaten begangen worden, von Sachbeschädigungen an Fahrzeugen, Maschi- nen, Gerätschaften und Betriebsmitteln sowohl der Antragstellerin als auch Drit- ter bis hin zu gewalttätigen Angriffen auf Personen. Diese dürften als Eingriffs- rechtfertigung bereits ausreichen. Darüberhinaus sind auch die erheblichen Gefahren zu berücksichtigen, die im- mer wieder von den im Wald errichteten Barrikaden und „Fallen“ ausgehen, ins- besondere auch von Spreng-, Zünd- und Brandvorrichtungen aller Art. Zuletzt noch am 28.06.2018 wurden im Zugeeiner Barrikadenräumung zahlreiche sol- cher USBVen (Sprengfallen) gefunden. Auch soweit diese bislang nach näherer Untersuchung durch Kampfmittel-Spezialisten regelmäßig als Attrappen qualifi- ziert wurden, ist die erhebliche Gefährdung von Personen, die sich im Wald auf- halten bzw. sich dort bewegen, jedenfalls nicht sicher auszuschließen. Lediglich der Vollständigkeit halber sei darauf hingewiesen, dass darüber hinaus auch die Verletzung weiterer öffentlich-rechtlicher Vorschriften in Betracht kommt, bspw. aus dem Bauordnungsrecht oder dem Naturschutz-, Landschafts- schutz- und Forstrecht, etwa im Hinblick auf die verbotswidrige Errichtung von baulichen Anlagen undZelten oder auch offenes Feuer im Wald. Jedenfalls stellen sowohl das Eigentum als auch das Besitzrecht von RWE an den besetzten Grundstücken subjektive Rechte und damit einen Teil der öffentli- chen Sicherheit dar. Daneben ist das Recht der Antragstellerin an ihrem einge- richteten und ausgeübten Gewerbebetrieb als subjektives Recht verletzt, wenn die Besetzer die zur Fortführung des Tagebau Hambach notwendigen Rodungs- arbeiten verhindern. (b) Kollektives Rechtsgut Energieversorgung Unabhängig von der eher dogmatischen Frage, ob kollektive Rechtsgüter eben- falls zur öffentlichen Sicherheit zählen, sind diese jedenfalls insoweit zu berück- sichtigen, als sie auch als Bündelung betroffener Individualrechtsgüter anzuse- hen sind. Bei der Sicherstellung der Energieversorgung handelt es sich nach Feststellung des Bundesverfassungsgerichts um einen Bestandteil des Allge- meinwohls und somit um ein hochrangigeskollektives Gut. Die Rodungen sind erforderlich, um die sichere Energieversorgung in NRW zu gewährleisten, an welcher der Tagebau HambacheinenAnteil von rd. 15% hat. Zukunft. Sicher. Machen.
30

Zur nächsten Seite