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Dieses Dokument ist Teil der Anfrage „Das Schreiben über einen möglichen Formfehler in der StVO aus 2009“
MINISTERIUM DER JUSTIZ UND FÜR EUROPA Ministerium der Justiz und für Europa Baden -Württemberg▪ Pf. 103461 ▪ 70029 Stuttgart - Per E-Mail - Datum 27. August 2020 Name ████████ ██████ Ministerium für Verkehr Durchwahl 0711 279-2236 Baden-Württemberg AktenzeichenJUMRII-JUM-4090-3/3/12 (Bitte bei Antwort angeben) 54. Verordnung zur Änderung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften vom 20. April 2020 hier: Zitierfehler in der aktuellen Straßenverkehrs -Ordnung Sehr geehrte Damen und Herren, die 54. Verordnung zur Änderung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften vom 20. April 2020 (BGBl. I S. 814) ist nach Auffassung des Bundesministeriums für Ver- kehr und digitale Infrastruktur wegen eines Verstoßes gegen das verfassungsrechtli- che Zitiergebot des Art. 80 Abs. 1 Satz 3 GG zumindest teilweise unwirksam. Aus- weislich des Erlasses des Ministeriums für Verkehr Baden-Württemberg vom 14. Juli 2020 habe das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur daher die Länder gebeten, den Vollzug aller Neuregelungen der Bußgeldkatalog-Verordnung vorerst auszusetzen und die Verkehrsordnungswidrigkeiten nach der bis zum 27. Ap- ril 2020 geltenden Rechtslage zu behandeln. Aus unserer gerichtlichen Praxis wurde uns nunmehr mitgeteilt, dass auch diese Fas- sung der Straßenverkehrs-Ordnung an einem Verstoß gegen das Zitiergebot des Art. 80 Abs. 1 S. 3 GG leiden könnte. Die aktuell geltende Straßenverkehrsordnung wurde durch die Verordnung zur Neu- fassung der Straßenverkehrs-Ordnung vom 6. März 2013 (BGBl. I. S. 367) verkün- Schillerplatz 4 ▪ 70173 Stuttgart ▪ Telefon 0711-0279▪ Telefax 0711 279 -2264 ▪ poststelle@jum.bwl.de▪ www.justiz-bw.de Parkmöglichkeiten: Tiefgarage Commerzbank Einfahrt Dorotheenstraße -Anschluss: ▪ VVS U-Bahn Schlossplatz- S-Bahn Stadtmitte Informationen zum Schutz personenbezogener Daten bei deren Verarbeitung durch das Ministerium finden sich im Internet unter: www.justiz-bw.de/pb/,Lde/Startseite/Ministerium/Datenschutz. Auf Wunsch werden diese Informationen in Papierform versandt.
-2- det. Diese zitiert als Rechtsgrundlage unter anderem § 6 Absatz 1 „Nummer 3 Buch- stabe c sowie f bis i“ StVG und „§ 6 Absatz 1 Nummer 3 Buchstabe d und e“ StVG. Nicht zitiert wird hingegen die Bestimmung des § 6 Abs. 1 Nr. 3 erster Satzteil StVG. Dieser Satzteil enthält aber die allgemeine Ermächtigung zum Erlass von Vorschrif- ten unter anderem zur Erhaltung der Sicherheit und Ordnung auf den öffentlichen Straßen, wobei die meisten Regelungen (Vorfahrtsregelungen, allgemeine Tempoli- mits und die Vorschriften über Verkehrszeichen) der Straßenverkehrs-Ordnung ge- rade auf dieser Ermächtigung basieren. Ob ein Verständnis des Zitats dahingehend möglich ist, wonach der erste Satzteil der Nummer 3 des § 6 Abs. 1 StVG mit umfasst ist, erscheint zweifelhaft. So hat die Pra- xis darauf hingewiesen, dass bei allen Rechtsverordnungen zur Änderung der Stra- ßenverkehrs-Ordnung vom 6. März 2013 (BGBl. I S. 367), bei denen unter die Gene- ralklausel fallende Vorschriften betroffen waren, § 6 Abs. 1 Nr. 3 „erster Halbsatz“ zi- tiert worden sei. Auch vor dem Neuerlass der Straßenverkehrs-Ordnung vom 6. März 2013 sei in Rechtsverordnungen zur Änderung der Straßenverkehrs-Ordnung in die- ser Weise zitiert worden. Im Einzelnen wurde hierzu seitens der gerichtlichen Praxis wie folgt ausgeführt: „Wenn einzelne der unter den Buchstaben der Nummer 3 genannte Varianten in An- spruch genommen wurden, wurde § 6 Abs. 1 Nr. 3 StVG mit den entsprechenden Buchstaben als Untergliederung als Ermächtigungsgrundlage angegeben. Wenn eine Rechtsverordnung sowohl auf die allgemeine als auch eine spezielle unter der Nummer 3 zusammengefasste Ermächtigung gestützt werden sollte, wurden beide betroffenen Varianten zitiert. Wollte der Verordnungsgeber nur von der Ermächtigung der Generalklausel Gebrauch machen, zitierte er „§ 6 Abs. 1 Nr. 3 erster Halbsatz“. Bisweilen wurde die Generalklausel auch nur durch die Angabe „§ 6 Abs. 1 Nr. 3“ zi- tiert. Niemals wurde aber, soweit ersichtlich, die Nummer 3 unter Benennung einzel- ner Buchstaben zitiert, wenn auch die Generalklausel aus dem ersten Satzteil in An- spruch genommen werden sollte.“ Die Praxis hat weiterhin darauf hingewiesen, dass für den Fall der Gesamtnichtigkeit der Verordnung zur Neufassung der Straßenverkehrs-Ordnung vom 6. März 2013 auch das in § 53 Abs. 2 StVO bestimmte Außerkrafttreten der Straßenverkehrs-Ord- nung vom 16. November 1970 (BGBl. I S. 1565; 1971 I S. 38) unwirksam sein dürfte.
-3- Dies hätte zur Folge, dass die Straßenverkehrs-Ordnung vom 16. November 1970 in der Fassung der letzten Änderung durch Art. 1 der Verordnung vom 1. Dezember 2010 (BGBl. I S. 1737) weiterhin gelten würde. Diesbezüglich ist jedoch darauf hinzu- weisen, dass auch die 46. Verordnung zur Änderung straßenverkehrsrechtlicher Vor- schriften vom 5. August 2009 (BGBl. I S. 2631) ihrerseits wegen eines Verstoßes ge- gen das Zitiergebot nichtig sein dürfte (vgl. BR-Drucksache 428/12, S. 108), was zur Folge hätte, dass ohne diese Änderung weiterhin die bis zum 31. August 2009 gel- tende Rechtslage anzuwenden wäre. Aber auch die ab dem Jahr 2013 folgenden Änderungen der Straßenverkehrs-Ord- nung dürften unwirksam sein, weil sie sich auf die möglicherweise unwirksame Stra- ßenverkehrs-Ordnung vom 6. März 2013 beziehen und somit ins Leere gehen. Hierbei dürfte es sich um folgende Änderungen handeln: - Art. 1 der 49. Verordnung zur Änderung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften vom 22. Oktober 2014 (BGBl. I S. 1635) u. a. mit Änderungen in § 21 Abs. 1a Satz 1, § 21a Abs. 1 Satz 1 und § 49 Abs. 1 Nr. 2 StVO, - Art. 2 der 50. Verordnung zur Änderung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften vom 15. September 2015 (BGBl. I S. 1573, 1575) mit einer Bestimmung über die Bevorrechtigung elektrisch betriebener Fahrzeuge in § 39 Abs. 10, § 45 Abs. 1g, § 46 Abs. 1a StVO, - Art. 1 der 1. Verordnung zur Änderung der Straßenverkehrs-Ordnung vom 30. November 2016 (BGBl. I S. 2048) u. a. mit Bestimmungen über E-Bikes in § 2 Abs. 4 Satz 6, Abs. 5, § 39 Abs. 7 StVO und über Rettungsgassen in § 11 Abs. 2 StVO, - Art. 2 der Verordnung zur Änderung der Straßenbahn-Bau- und Betriebsordnung und der Straßenverkehrs-Ordnung vom 16. Dezember 2016 (BGBl. I S. 2938, 2947) mit einer Bestimmung über Bahnübergange von Straßenbahnen auf unab- hängigen Bahnkörpern in § 45 Abs. 2 StVO, - Art. 1 der 52. Verordnung zur Änderung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften vom 18. Mai 2017 (BGBl. I S. 1282) u. a. mit einer Bestimmung über Winterreifen in § 2 Abs. 3a, § 52 Abs. 2 und 3 StVO, - Art. 1 der 53. Verordnung zur Änderung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften vom 6. Oktober 2017 (BGBl I S. 3549 ber. 2018 S. 53) unter anderem mit Bestim- mungen über die Nutzung von Mobilgeräten in § 23 StVO,
-4- - Art. 4a der Verordnung über die Teilnahme von Elektrokleinstfahrzeugen am Stra- ßenverkehr und zur Änderung weiterer straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften vom 6. Juni 2019 (BGBl I. S. 756, 769) mit Änderungen von § 5 Abs. 4 Satz 2 und § 9 Abs. 3 Satz 1 und § 49 Abs. 1 Nr. 22 StVO. Die gerichtliche Praxis hat abschließend darauf hingewiesen, dass zwar die meisten praktisch für die gerichtlichen Bußgeldverfahren relevanten Vorschriften der Straßen- verkehrs-Ordnung seit dem Jahr 2009 unverändert geblieben seien, weshalb ent- sprechende Verstöße (insbesondere Geschwindigkeitsverstöße) auch im Fall der Un- wirksamkeit des Neuerlasses der Straßenverkehrs-Ordnung vom 6. März 2013 nach wie vor geahndet werden könnten. Nachdem jedoch eine Reihe von Vorschriften durch die zwischenzeitliche Änderung betroffen seien, entstehe ein nicht unerhebli- ches Maß an Rechtsunsicherheit. Wir regen daher zur Beseitigung der für die Rechtsunterworfenen und die behördli- che sowie gerichtliche Praxis bestehenden Anwendungszweifel an, sich gegenüber dem Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur für einen zeitnahen und vor allem sorgfältig gefassten Neuerlass der Straßenverkehrs-Ordnung mit einem vollständigen Zitat der Ermächtigungsgrundlage einzusetzen. Diese könnte im Zu- sammenhang mit dem ohnehin anstehenden – modifizierten – Neuerlass der 54. Ver- ordnung zur Änderung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften vom 20. April 2020 geschehen. Mit freundlichen Grüßen █████████████ Ministerialdirigent