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Aktenzeichen
1 K 898/12
Datum
25. März 2015
Gericht
Verwaltungsgericht Cottbus
Gesetz
Akteneinsichts- und Informationszugangsgesetz Brandenburg (AIG)
Akteneinsichts- und Informationszugangsgesetz Brandenburg (AIG)

Urteil: Verwaltungsgericht Cottbus am 25. März 2015

1 K 898/12

Das Fehlen bereichsspezifischer Einsichtsregelungen in der Abgabenordnung steht der Anwendbarkeit des Akteneinsichts- und Informationszugangsgesetzes (AIG) nicht entgegen. Der vom Kläger, einem Insolvenzverwalter, begehrte Kontoauszug der Insolvenzschuldnerin scheint nicht Bestandteil des Veranlagungsverfahrens zu sein, sondern vermittelt lediglich einen Überblick über alle Veranlagungen eines Steuerschuldners. Auch aus anderen Gründen ist nicht von einem laufenden Verfahren auszugehen, das die Anwendbarkeit des AIG sperren würde. Alleine eine - möglicherweise erfolgreiche - Anfechtung von Steuerforderungen der Finanzverwaltung durch den Insolvenzverwalter begründet das Vorliegen eines laufenden Verfahrens nicht. Auch ist nicht davon auszugehen, dass durch das Bekanntwerden der Kontoauszüge der Erfolg bevorstehender behördlicher Maßnahmen gefährdet würde. Der entsprechende Ablehnungsgrund schützt die öffentliche Hand nicht vor etwaigen Ansprüchen aus einer Insolvenzanfechtung. Die begehrten Kontoauszüge unterliegen dem Kläger als Insolvenzverwalter gegenüber keiner Geheimhaltungspflicht, so dass auch das Steuergeheimnis als vorrangiges Geheimhaltungserfordernis nicht zum Tragen kommt. Personenbezogene Daten liegen nicht vor, da es sich bei der Schuldnerin um eine juristische Person handelt. Das Gericht verneint auch das Vorliegen von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen. (Quelle: LDA Brandenburg)

Anwendungsbereich/ Zuständigkeit Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse (Gesetzliche) Geheimhaltungspflichten Personenbezogene Daten Schutz besonderer Verfahren Gefährdung des Erfolgs behördlicher Maßnahmen Beziehungen zum Bund / zu anderen Bundesländern

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Beglaubigte Abschrift VERWALTUNGSGERICHT COTTBUS IM NAMEN DES VOLKES URTEIL VG 1 K 898/12 In dem verwaltungsgerichtlichen Verfahren wegen: Gewährung von Informationsrechten hat die 1. Kammer des Verwaltungsgerichts Cottbus auf die mündliche Verhandlung vom 25. März 2015 durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgericht den Richter am Verwaltungsgericht den Richter am Verwaltungsgericht die ehrenamtliche Richterin und den ehrenamtlichen Richter für R e c h t erkannt: Die Bescheide des Finanzamts F. vom 01. November 2011, vom 02. Feb- ruar 2012 und vom 20. März 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids des Finanzamts F. vom 08. November 2012 werden aufgehoben. Der Be- klagte wird verpflichtet, dem Kläger Auskunft zu den durch die Tischlerei und Trockenbau ___ GmbH in den Jahren 2005 und 2006 zur Steuer-Nr. 058/121/01104 entrichteten Steuern durch Herausgabe von Jahreskonto- auszügen zu erteilen. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Das Urteil ist für den Kläger hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung oder Hinter- legung i. H. v. 110 v. H. der festzusetzenden Kosten abwenden, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
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VG 1 K 898/12 Vogt                        Jacob                        Böning Beglaubigt Platzke Justizobersekretärin T a t b e s t a n d: Der Kläger, der mit Beschluss des Amtsgerichts Cottbus vom 02. Oktober 2006 zum Insol- venzverwalter über das Vermögen der Tischlerei und Trockenbau ___ GmbH bestellt worden ist, begehrt die Herausgabe von Jahreskontoauszügen, um Anfechtungsansprüche nach der Insolvenzordnung prüfen zu können. Mit Schreiben vom 18. Dezember 2009 setzte der Kläger das Finanzamt F. (im Folgenden: das Finanzamt) – das zum 19. August 2013 mit dem Beklagten zusammengelegt wurde – in Kenntnis, dass die Insolvenzschuldnerin seiner Auffassung nach von Januar 2006 bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens anfechtbare Zahlungen geleistet habe. Die von ihm im Einzelnen spezifizierten Zahlungen fechte er nach § 133 Abs. 1 InsO an. Die Anfechtung erkannte das Finanzamt mit Schreiben vom 19. Mai 2011 teilweise an. Am 27. Oktober 2011 bat der Kläger das Finanzamt um Übersendung der Jahreskontoaus- züge „zur Körperschafts-, Umsatz- und Lohnsteuer“ für die Jahre 2005 und 2006 mit der Be- gründung, er benötige die Unterlagen zur Prüfung der Erfolgsaussicht einer Anfechtungskla- ge. Das Begehren lehnte das Finanzamt erstmals unter dem 01. November 2011 im Wesentli- chen mit dem Hinweis ab, der Insolvenzverwalter könne die relevanten Auskünfte von der Insolvenzschuldnerin erhalten. Der Kläger erwiderte, deren Geschäftsführer sei zwar aus- kunftswillig, die Buchhaltung aber nicht oder nicht mehr vollständig für diesen Zeitraum vor- handen. Nach wiederholtem Schriftwechsel, in welchem der Kläger und das Finanzamt ihre gegensätzlichen Positionen bekräftigten, teilte das Finanzamt dem Kläger letztmalig unter dem 20. März 2012 mit, auch dem wiederholten Antrag auf Erteilung eines Kontoauszuges könne nicht entsprochen werden. Maßgeblich sei insbesondere, dass auch ein Anspruch nach dem Akteneinsichts- und Informationszugangsgesetz des Landes Brandenburg (AIG) durch die spezialgesetzlichen Vorschriften der Abgabenordnung (AO) verdrängt werde. Ein 2
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VG 1 K 898/12 berechtigtes Interesse liege nicht vor, wenn die Auskunft dazu dienen solle, zivilrechtliche Ansprüche gegen den Bund oder ein Land durchzusetzen. Der Kläger legte am 29. März 2012 Widerspruch ein und erhob am 20. September 2012 in dem Verfahren VG 3 K 898/12 (Untätigkeits-)Klage. Das Finanzamt wies den Widerspruch mit Bescheid vom 08. November 2012 zurück. Dem Auskunftsanspruch sei schon deshalb nicht zu entsprechen, weil die erforderliche Zu- stimmung der Insolvenzschuldnerin nicht vorliege. Der Kläger erwarte die Unterlagen, um die Insolvenzmasse zugunsten der Gesamtheit der Gläubiger erhalten oder anreichern zu können, und er handele damit nicht in seiner Eigenschaft als steuerlicher Vertreter oder Vermögensverwalter nach § 34 Abs. 3 AO, sondern als Dritter nach § 30 AO. Im Übrigen werde das Auskunftsbegehren im Rahmen eines laufenden (Insolvenz-)Verfahrens geltend gemacht, so dass dem Anspruch § 2 Abs. 5 AIG entgegenstehe. Die Rechtsprechung des BGH sei nicht anwendbar, weil der Kläger einen Anfechtungsanspruch dem Grunde nach nicht hinreichend dargelegt habe. Der Beklagte hat eingangs des Klageverfahrens die Zulässigkeit des Verwaltungsrechtswegs gerügt, mit Schriftsatz vom 31. Mai 2013 jedoch auf die Klärung dieser Frage durch Be- schluss des Bundesfinanzhofs vom 08. Januar 2013 (VII ER-S 1/12) verwiesen. Dem Hin- weis des Berichterstatters vom 14. November 2013, es werde davon ausgegangen, dass an der Rüge nach § 17 a Abs. 3 Satz 2 GVG nicht mehr festgehalten werde, ist er nicht entge- gengetreten. Der Kläger trägt zur Begründung der Klage im Wesentlichen vor: Dem Anspruch stehe § 2 Abs. 5 AIG nicht entgegen. Der Begriff des „laufenden Verfah- rens“ beziehe sich auf die jeweiligen Verwaltungsverfahren – so das Steuerfestsetzungs-, Steuererhebungs- und Steuervollstreckungsverfahren –; ein gerichtliches Verfahren und das Insolvenzverfahren seien nicht gemeint. Die Auffassung des Beklagten, das Besteuerungs- verfahren ende nicht vor Beendigung des Insolvenzverfahrens, sofern das Finanzamt An- fechtungsgegner sei, gehe zu weit und hebele den Auskunftsanspruch nach § 1 AIG aus. Die von der Gemeinschuldnerin gezahlten Beträge seien nicht mehr Gegenstand eines Steuer- hebungs- oder Vollstreckungsverfahrens durch den Beklagten. Selbst wenn der Beklagte angefochtene Forderungen nachträglich zur Insolvenztabelle anmelde, führe dies nicht zum Wiederaufleben des Besteuerungsverfahrens. Dies entspreche auch der Rechtsprechung des OVG Berlin-Brandenburg (Beschl. v. 26. Januar 2011 – OVG 12 M 67.10 – juris). Der Beklagte verkenne, dass zwischen einer steuerrechtlichen und einer insolvenzrechtlichen 3
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VG 1 K 898/12 Anfechtung zu unterscheiden sei und er lege § 47 AO unrichtig aus. Eine erfolgreiche Insol- venzanfechtung ändere nichts daran, dass die Zahlungen seitens der Insolvenzschuldnerin geleistet worden seien, so dass der Steueranspruch erloschen sei; nach § 143 Abs. 1 InsO bestehe lediglich ein Rückgewährschuldverhältnis, das sich nach den insolvenzrechtlichen Vorschriften richte. Einer Zustimmung der Schuldnerin bedürfe es mit Blick auf § 30 AO nicht. Die Auskunftsansprüche berührten höchstpersönliche Rechte der Schuldnerin schon des- halb nicht, weil der Insolvenzverwalter verpflichtet sei, Anhaltspunkte für Anfechtungsan- sprüche zu ermitteln. Das Recht beziehe sich auf die von ihm zu verwaltende Masse und sei gerade nicht von einer Zustimmung für die Offenbarung der Verhältnisse abhängig. Unter Berücksichtigung der Argumentation des Beklagten wäre dieser auch nicht befugt, etwaige Steuerforderungen als Insolvenzforderung zur Insolvenztabelle anzumelden, denn auch hier würden seitens des Beklagten steuerrelevante Daten an den Kläger herausgegeben, ohne dass es einer Zustimmung seitens des Insolvenzschuldners hierfür bedürfe. Die im Rahmen der Glaubhaftmachung der Insolvenzforderung erforderliche Offenbarung der vermögens- rechtlichen Verhältnisse des Schuldners durch das Finanzamt verstoße nach einhelliger Meinung nicht gegen das Steuergeheimnis nach § 30 Abs. 1 AO. Im Übrigen könne er eine fehlende Zustimmung des Insolvenzschuldners ersetzen. Es müsse auch bestritten werden, dass durch Bekanntwerden des Inhalts der Vollstre- ckungsakte der Erfolg weiter geplanter Vollstreckungsmaßnahmen nach Beendigung des Verfahrens gefährdet wäre. Der Kläger beantragt sinngemäß, den Beklagten unter Aufhebung der Bescheide des Finanzamtes F. vom 01. November 2011 und vom 20. März 2012 in Gestalt des Widerspruchs- bescheides vom 08. November 2012 zu verpflichten, ihm Auskunft durch Herausgabe von Jahreskontoauszügen für die Jahre 2005 und 2006 zur Steuer-Nr. 058/121/01104, betreffend das Unternehmen Tischlerei und Trockenbau ___ GmbH, für alle relevanten Steuerarten, hilfsweise durch Einsicht in die Steuerakten, zu erteilen. Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen. Der Beklagte trägt zur Begründung des Abweisungsantrages in Ergänzung seines bisherigen Vortrags im Wesentlichen vor: Das AIG sei als Auffanggesetz schon dem eindeutigen Wortlaut seines § 1 nach auf Unter- lagen nicht anwendbar sei, die dem primären Anwendungsbereich der AO – einer bereichs- 4
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VG 1 K 898/12 spezifischen Regelung, die Bestimmungen für einen unbeschränkten Personenkreis enthalte – unterfielen. Das ergebe sich aus den Gesetzesmaterialien und aus der Rechtsprechung und entsprechend sehe § 3 Abs. 4 des Informationsfreiheitsgesetzes des Bundes vor, dass ein Anspruch auf Informationszugang gegenüber der Bundesbehörde nicht bestehe, wenn die Information einer durch Rechtsvorschrift geregelten Geheimhaltungs- oder Vertraulich- keitspflicht, so auch § 30 AO, unterliege. Judikate aus anderen Bundesländern seien auf die Rechtslage in Brandenburg nicht oder nur eingeschränkt übertragbar. Auch verfassungs- rechtliche Gründe sprächen gegen eine Anwendung des AIG im Kernbereich des steuerli- chen Verfahrensrechts; so sei das gesamte Besteuerungsverfahren abschließend nach Art. 108 Abs. 5 GG durch den Bund geregelt worden. Das AIG könne nicht zusätzliche Rechte im Steuerverwaltungsverfahren statuieren; ansonsten werde das qualifizierte Amtsgeheimnis nach § 30 AO obsolet. Nach Art. 31 GG sei die Abgabenordnung maßgeblich. Zudem sei mit § 2 Abs. 1 und Abs. 3 AIG der Anwendungsbereich des AIG im Grundsatz auf Behörden und Verwaltungseinrichtungen des Landes Brandenburg festgelegt worden. Die Akten bezögen sich jedoch nicht ausschließlich auf das Land Brandenburg; die Vollstre- ckungsakten und Kontoauszüge enthielten vielmehr untrennbare Bestandteile von Steuerar- ten in originärer Bundeszuständigkeit, so der Kraftfahrzeugsteuer, die die Finanzverwaltung der Länder für den Bund einziehe. Das Finanzamt werde bei der Festsetzung und Erhebung von Kraftfahrzeugsteuer daher nach § 18 a Abs. 1 Satz 2 des Finanzverwaltungsgesetzes als Bundesfinanzbehörde tätig. Die Kfz-Steuer werde zusammen mit den anderen Steuerar- ten in einer Vollstreckungsakte geführt. Nach § 2 Abs. 1 AIG sei Akteneinsicht für diese Ak- tenbestandteile nicht möglich. Auch die nach § 4 Abs. 1 Nr. 2 AIG erforderliche Zustimmung des Bundes liege nicht vor. Die Erhebung und Vollstreckung rückständiger Steuerforderungen gegen die Insolvenz- schuldnerin nach den Vorschriften der Abgabenordnung erfolge auch in einem „laufenden Verfahren“ nach § 2 Abs. 5 AIG. Der Begriff sei weit auszulegen und ein Verfahren gelte erst dann als abgeschlossen, wenn eine bestandskräftige (auch rechtskräftige) Entscheidung über den dem Verfahren zugrunde liegenden Sachverhalt getroffen worden sei. Das Steuer- verfahren sei ein gestuftes Verwaltungsverfahren und bestehe aus der Steuerfestsetzung, -erhebung und -vollstreckung. Das Steuererhebungsverfahren nach § 218 ff AO sei gegen die Insolvenzschuldnerin nicht abgeschlossen, denn es bestünden weiterhin offene Steuer- forderungen auch für die Jahre 2005 und 2006 in erheblicher Höhe. Nach § 218 Abs. 1 S. 1 AO sei der im Festsetzungsverfahren durch Verwaltungsakt konkretisierte Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis Gegenstand der Erhebung bzw. der Erstattung von Steuern. Festgesetzt worden seien in der Vergangenheit u. a. erhebliche Beträge aus Lohn-, Umsatz 5
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VG 1 K 898/12 und Kraftfahrzeugsteuer. Diese festgesetzten Steuerforderungen seien bis zum gegenwärti- gen Zeitpunkt nicht nach § 47 AO erloschen. In Insolvenzfällen trete die Feststellung zur In- solvenztabelle an die Stelle der Steuerfestsetzung, denn die Insolvenzeröffnung unterbreche die Steuerfestsetzung analog § 240 ZPO. Das Erhebungsverfahren müsse daher parallel zum Insolvenzverfahren betrieben werden. Unter bestimmten Voraussetzungen sei nach § 251 Abs. 2 S. 2 AO auch eine Wiederaufnahme des Vollstreckungsverfahrens möglich: Habe der Schuldner der Eintragung in die Insolvenztabelle nicht widersprochen, könne die Finanz- verwaltung gegen ihn im Verwaltungswege aufgrund des Tabelleneintrags nach § 201 InsO vollstrecken. Auch das lediglich unterbrochene Steuervollstreckungsverfahren sei daher ein laufendes Verfahren, weil die Entscheidung über eine Wiederaufnahme gegenwärtig offen sei. Dem Kläger gehe es auch dem Klageantrag nach nicht nur um die Ermittlung bereits gezahlter Beträge; ein Jahreskontoauszug enthalte die gesamten Steuerkontodaten, mithin Zahlungen und Steuerrückstände. Verwaltungsverfahren seien nicht beendet, solange Steu- erforderungen durch das Finanzamt geltend gemacht werden könnten – sie liefen daher über die Beendigung des Insolvenzverfahrens bis zum Erlöschen der Steuerforderungen. Fechte der Insolvenzverwalter vor Verfahrenseröffnung vereinnahmte Steuerbeträge an, lebten die Steuerforderungen wieder auf und sie könnten durch das Finanzamt zur Insol- venztabelle angemeldet werden. Folge hiervon sei, dass die jeweiligen Verwaltungsverfah- ren nicht vor Beendigung des Insolvenzverfahrens enden könnten. Hinsichtlich des Steuergeheimnisses nach §§ 30 ff AO sei zu differenzieren. Mache der Insolvenzverwalter einen Auskunftsanspruch im Rahmen des Besteuerungsver- fahrens geltend, so handele er, soweit seine Verwaltungsbefugnis reiche, als Vermögens- verwalter des Schuldners und habe nach § 34 Abs. 3 AO dessen steuerliche Pflichten zu erfüllen. Mache der Insolvenzverwalter aber einen Auskunftsanspruch zur Vorbereitung ei- nes Anfechtungsprozesses geltend, handele er gerade nicht in seiner Eigenschaft als steuer- licher Vertreter oder Vermögensverwalter und bedürfe nach § 30 Abs. 4 Nr. 3 AO zur Of- fenbarung der Verhältnisse des Insolvenzschuldners dessen ausdrücklicher Zustimmung, die er sich nicht selbst erteilen könne. Auch die Übertragung der Verwaltungs- und Verfügungs- befugnisse nach § 80 InsO führe nicht dazu, dass die Zustimmung des betroffenen Steuer- pflichtigen substituiert werde. Die Ausführungen des OVG Berlin-Brandenburg (OVG 12 L 67.11) seien nicht nachvollziehbar. Der Kläger sei jedenfalls für Zeiträume vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens unbefugter Dritter i. S. v. § 30 AO. Bei Bekanntwerden des Inhalts der Vollstreckungsakten sei auch der Erfolg weiterer geplan- ter Vollstreckungsmaßnahmen nach Beendigung des Insolvenzverfahrens i. S. v. § 4 Abs. 2 6
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VG 1 K 898/12 Nr. 2 AIG gefährdet. Andere Gläubiger könnten diese Informationen ebenfalls nutzen, so dass es zu einem Vollstreckungswettlauf der Gläubiger komme. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und den Verwaltungsvorgang des Beklagten Bezug genommen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung der Kammer. E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e: I.      Der Verwaltungsrechtsweg ist nach § 40 Abs. 1 S. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) für das auf das Akteneinsichts-und Informationszugangsgesetz (AIG) des Landes Brandenburg gestützte Begehren des Klägers eröffnet (vgl. nur OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. vom 09. März 2012 – OVG 12 L 67.11 – Beschlussabdruck [BA] S. 2/3); einer Vor- abentscheidung der Kammer bedarf es nach § 17a Abs. 3 S. 2 des Gerichtsverfassungsge- setzes nicht mehr, nachdem der Beklagte an der Rüge des unzulässigen Rechtsweges nicht mehr festgehalten hat. II.     Die Klage ist zulässig. Die Klage ist als Verpflichtungsklage statthaft. Eine allgemeine Leistungsklage kommt nicht in Betracht, weil dem tatsächlichen Verwaltungshandeln in Form der Überlassung der Akte zur Einsicht bzw. der Herausgabe von Unterlagen in Ablichtung nach brandenburgischer Rechtslage die Gestattung der Informationserteilung durch einen Bescheid und damit einen Verwaltungsakt i.S.v. § 35 S. 1 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) i. V. m. § 1 Abs. 1 S. 1 des Verwaltungsverfahrensgesetzes für das Land Brandenburg (VwVfGBbg) vorgeschaltet ist. Insoweit bestimmt § 6 Abs. 1 S. 7 AIG ausdrücklich, dass der Antrag auf Akteneinsicht innerhalb eines Monats “zu bescheiden“ und, soweit dieses nicht möglich sei, ein „Zwischenbescheid“ zu erteilen sei; nach § 6 Abs. 1 S. 9 AIG ist der Antragsteller im „Ab- lehnungsbescheid“ auf sein Recht nach § 11 Abs. 2 S. 1 AIG hinzuweisen (ebenso zum bay- erischen Umweltinformationsrecht: VG München, Urt. v. 30. März 2010 – M 1 K 09.3448 – juris Rn. 32 ff.). Die Rechtslage nach dem Akteneinsichts- und Informationszugangsgesetz unterscheidet sich damit von der Rechtslage nach anderen Informationszugangsgesetzen (vgl. insoweit etwa zur Rechtslage in Nordrhein-Westfalen: VG Münster, Urt. v. 02. Oktober 2009 – 1 K 2144/08 – juris Rn. 18 ff.) und in anderen Rechtsgebieten (zur Akteneinsicht nach § 29 der Kommunalverfassung des Landes Brandenburg vgl. Urt. der 4. Kammer v. 11. April 2013 – VG 4 K 635/11 – UA S. 4). 7
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VG 1 K 898/12 Der Kläger hat das Vorverfahren nach §§ 68 ff. VwGO ordnungsgemäß durchgeführt, insbe- sondere geht sein Anspruch im Klageverfahren über den im Verwaltungs- und Wider- spruchsverfahren beschiedenen Antrag nicht hinaus. Zwar hatte der Kläger mit Schreiben vom 25. Oktober 2011 und 22. Februar 2012 Einsicht in Jahreskontoauszüge zur „Körper- schaftssteuer, Umsatzsteuer und Lohnsteuer“ für die genannten Jahre beantragt, macht ausweislich des Klageantrags jedoch einen Anspruch auf Übersendung von Auszügen „für alle relevanten Steuerarten“ (und damit auch der Kraftfahrzeugsteuer) geltend. Der Beklagte musste jedoch davon ausgehen, dass der Kläger ungeachtet der – nicht als Einschränkung, sondern bespielhaft zu verstehenden – Aufzählung der Steuerarten Kontoauszüge für sämt- liche Steuern begehrte, für die die Insolvenzschuldnerin in dem maßgeblichen Zeitraum ver- anlagt worden ist, die der Kläger aber in Ermangelung aussagekräftiger Unterlagen der Schuldnerin nicht abschließend benennen konnte – aus Sicht des Klägers waren das seiner- zeit lediglich diese 3 Steuerarten. Dass auch der Beklagte den Antrag des Klägers über den bloßen Wortlaut hinaus in einem umfassenderen Sinn verstanden hat, macht im Übrigen auch seine Stellungnahme im gerichtlichen Verfahren vom 18. Dezember 2012 (S. 9 und 12) deutlich. III.    Die Klage ist auch begründet. Dem Kläger steht ein Anspruch auf Herausgabe von Jahreskontoauszügen der Jahre 2005 und 2006 zu den Steuerverfahren der Insolvenzschuldnerin zu, § 113 Abs. 5 S. 1 VwGO. Anspruchsgrundlage ist § 1 i. V. m. § 2 Abs. 1 S. 1 und § 7 Abs. 1 S. 3 des Akteneinsichts- und Informationszugangsgesetzes vom 10. März 1998 (GVBl. I/98 (Nr.4), S. 46), zuletzt ge- ändert durch das Gesetz zur Änderung des Akteneinsichts- und Informationszugangsgeset- zes und zur Aufhebung des Personalausweisgesetzes vom 15. Oktober 2013 (GVBl. I/13 Nr. 30). Nach § 1 AIG hat jeder nach Maßgabe dieses Gesetzes das Recht auf Einsicht in Akten, soweit nicht überwiegende öffentliche oder private Interessen nach den §§ 4 und 5 AIG ent- gegenstehen oder andere Rechtsvorschriften bereichsspezifische Regelungen für einen un- beschränkten Personenkreis enthalten. Entgegen der Auffassung des Beklagten enthält die Abgabenordnung weder bereichsspezi- fischen Regelungen für einen beschränkten noch für einen unbeschränkten Personenkreis, vielmehr haben die Finanzbehörden bei Verfahrensbeteiligten über ein entsprechendes Be- gehren nach Ermessen zu entscheiden. Das Bundesverwaltungsgericht hat in dem Be- schluss vom 14. Mai 2012 (BVerwG 7 B 53.11 – juris Rn. 8 ff.) in Bezug auf § 4 Abs. 2 S. 1 8
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VG 1 K 898/12 des Informationsfreiheitsgesetzes Nordrhein-Westfalen (IFG NRW) verneinend geklärt, ob vom Regelungsbereich der Abgabenordnung ein Informationsanspruch des Insolvenzverwal- ters, der anschließend einen Anfechtungsanspruch geltend machen will, mit umfasst sei. Der Gesetzgeber habe sich, wie die Gesetzesmaterialien und die ständige Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes belegten, bei dem Erlass der Abgabenordnung lediglich mit der Frage befasst, ob der Beteiligte eines steuerrechtlichen Verfahrens entsprechend § 29 VwVfG ei- nen Anspruch auf Akteneinsicht haben solle. Diesen Anspruch mache der Insolvenzverwal- ter, der nicht nach § 34 Abs. 3 und 1 AO in Erfüllung der steuerlichen Pflichten des Insol- venzschuldners und damit in dessen Interesse handele, jedoch nicht geltend. Der Insolvenz- verwalter sei vielmehr im Rahmen der §§ 129 ff. InsO im Interesse der Gesamtheit der Gläu- biger tätig, zu deren Gunsten Zahlungen des Insolvenzschuldners im Wege der Anfechtung zur Insolvenzmasse gezogen werden sollen – zwischen dem Insolvenzverwalter und dem Finanzamt bestehe ein eigenständiges Rechtsverhältnis (vgl. dazu auch BFH, Beschl. v. 14. April 2011 – VII B 201/10 – juris Rn. 13 und 14; vgl. auch Beschl. v. 19. März 2013 – II R 17/11 – juris Rn. 21 ff., wonach das Finanzamt im Rahmen der Entscheidung über die Her- ausgabe von Unterlagen, die der Insolvenzverwalter als Vertreter des Steuerschuldners be- gehrt, auch berücksichtigen kann, dass es nicht verpflichtet ist, hierdurch zur Ermittlung von Insolvenzanfechtungstatbeständen beizutragen). Die Auffassung gilt auch für ein Informationsbegehren nach Maßgabe des brandenburgi- schen Akteneinsichts- und Informationszugangsgesetzes. Zwar hat der Beklagte zutreffend darauf hingewiesen, dass die Begründung des Gesetzentwurfs der Landesregierung zu § 2 Abs. 1 AIG (LT-Drs. 2/4417, S. 9) Abweichendes nahelegt: „Abs. 1 erstreckt den Anwendungsbereich des Gesetzes auf die Behörden und Einrichtungen des Landes sowie die Gemeinden und Gemeindeverbände, zu de- nen selbstverständlich auch die Landkreise zählen. Der Verweis auf den zweiten Abschnitt des Landesorganisationsgesetzes (LOG) macht deutlich, dass unter den Begriff der Behörden und Einrichtungen des Landes unter anderem die Obersten Landesbehörden, die Landesoberbehörden und die unteren Landesbehörden fal- len. Andere, wie z.B. wirtschaftlich tätige und am Wettbewerb teilnehmende Unter- nehmungen der öffentlichen Hand sind wie andere Private von einer Einsichtnah- me ausgenommen. Dies geschieht unter anderem, um die Konkurrenzfähigkeit öf- fentlicher Stellen (wie z.B. öffentlicher Banken und Sparkassen) nicht zu behindern und den privaten Konkurrenzunternehmen keine Wettbewerbsvorteile zu eröffnen. Im Bereich der Steuerverwaltung ist Akteneinsicht nur nach Maßgabe der Abga- benordnung zu gewähren. (Hervorhebung durch das Gericht)“ Es kann jedoch dahinstehen, ob, wie der Beklagte meint, tatsächlich jedwede Aktenein- sichtsersuchen gegenüber Finanzbehörden vom Anwendungsbereich des Akteneinsichts- und Informationszugangsgesetzes ausgenommen werden sollten, denn auch in diesem Fall hätte der – weiter unterstellte – Wille des historischen Gesetzgebers im Gesetz selbst keinen 9
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VG 1 K 898/12 hinreichenden Niederschlag gefunden. Im Rahmen der allgemeinen Gesetzesauslegung ist maßgebend der zum Ausdruck gekommene Wille des Gesetzgebers, der sich nicht nur aus dem Wortlaut des Gesetzes, sondern auch aus dem Sinnzusammenhang, in dem Gesetzes- begriffe stehen, aus Sinn und Zweck der Regelungen und aus ihrer Entstehungsgeschichte ergeben kann (etwa Bayerischer VGH, Beschl. v. 14. Oktober 2014 – 19 ZB 12.2490 – juris). Die Gesetzesmaterialien können zur Stütze eines bereits aus dem objektiven Gesetzesin- halt abgeleiteten Ergebnisses oder zur Behebung von Zweifeln bei der Auslegung nicht ein- deutiger Vorschriften herangezogen werden (BVerwG, Urt. v. 11. Februar 1977 – BVerwG VI C 135.74 – BVerwGE 52, 84-104); die "Vorarbeiten eines Gesetzes“ sind für dessen Ausle- gung aber immer nur „mit einer gewissen Zurückhaltung, in der Regel bloß unterstützend, zu verwerten" und sie dürfen nicht dazu verleiten, die Vorstellungen der gesetzgebenden In- stanzen dem objektiven Gesetzesinhalt gleichzusetzen. Der Wille des Gesetzgebers kann bei der Auslegung des Gesetzes daher nur insoweit berücksichtigt werden, als er in dem Gesetz selbst einen hinreichend bestimmten Ausdruck gefunden hat (BVerfG, Beschl. v. 17. Mai 1960 – 2 BvL 11/59, 2 BvL 11/60 – BVerfGE 11, 126-136 und juris Rn. 18). Bereits in seiner ursprünglichen Fassung vom 10. März 1998 bestand nach § 2 Abs. 1 AIG a. F. jedoch ein grundsätzlicher Anspruch „gegenüber Behörden und Einrichtungen des Landes im Sinne des Zweiten Abschnitts des Landesorganisationsgesetzes sowie gegenüber Gemeinden und Gemeindeverbänden“ und eine Behörde im Sinne des 2. Abschnitts des Landesorganisati- onsgesetzes (LOG) vom 12. September 1994 (GVBl. Nr. 27, S. 406) ist nach § 7 Abs. 3 LOG a. F. auch das Finanzamt als sonstige untere Landesbehörde. Der Anwendungsbereich des Akteneinsichts- und Informationszugangsgesetzes des Landes Brandenburg nach § 2 ist auch nicht insoweit zweifelhaft, als nach Darlegung des Beklagten in den zur Einsichtnahme begehrten Kontoauszügen auch die Kraftfahrzeugsteuer verzeich- net sein soll. Nach Art 108 Abs. 1 S. 1 GG in der ab dem 19. März 2009 geltenden Fassung werden aller- dings u.a. die bundesgesetzlich geregelten Verbrauchsteuern einschließlich der Kraftfahr- zeugsteuer ab dem 01. Juli 2009 durch Bundesfinanzbehörden verwaltet und mit Wirkung vom 01. Juli 2009 an ist § 18 a in das Gesetz über die Finanzverwaltung (Finanzverwal- tungsgesetz – FVG) als Sonderregelung zur Verwaltung der Kraftfahrzeugsteuer durch Or- ganleihe eingefügt worden, wonach sich das für die Verwaltung der Kraftfahrzeugsteuer zuständige Bundesministerium der Finanzen in dem Zeitraum vom 01. Juli 2009 bis zum 30. Juni 2014 bei der Verwaltung der Kraftfahrzeugsteuer der Landesfinanzbehörden einschließ- lich der Zulassungsbehörden im Wege der Organleihe bedient und diese als Bundesfinanz- behörden gelten, soweit sie die Kraftfahrzeugsteuer verwalten, § 18a Abs. 1 S. 1 und 2 FVG. 10
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