Information

Aktenzeichen
C-515/11
ECLI
ECLI:EU:C:2013:523
Datum
18. Juli 2013
Gericht
Gerichtshof der Europäischen Union
Gesetz
Richtlinie 2003/4/EG (Umweltinformationsrichtlinie)
Richtlinie 2003/4/EG (Umweltinformationsrichtlinie)

Urteil: Gerichtshof der Europäischen Union am 18. Juli 2013

C-515/11

Die Mitgliedstaaten können nach Art. 2 Nr. 2 Satz 2 der Umweltinformationsrichtlinie festlegen, dass der Begriff Behörde keine Gremien oder Einrichtungen umfasst, soweit sie in gesetzgebender Eigenschaft handeln. Der Gerichtshof hat bereits entschieden, dass die Bestimmung auf Ministerien angewandt werden kann, soweit sie am Gesetzgebungsverfahren im eigentlichen Sinne beteiligt sind. Die Regelung ist dahin auszulegen, dass sie nicht für Ministerien gelten kann, wenn sie Recht ausarbeiten und setzen, das im Rang unter einem Gesetz steht (etwa Verordnungen). Für diese Auslegung sprechen Wortlaut und Systematik des Übereinkommens von Aarhus, das zwischen der Regelung für Gesetzgebungsakte und der Regelung für exekutive Rechtsakte unterscheidet. Während der "Vorbereitung exekutiver Vorschriften" sind Behörden verpflichtet eine effektive Öffentlichkeitsbeteiligung zu fördern. (Quelle: LDA Brandenburg)

Anwendungsbereich/ Zuständigkeit Begriffsbestimmung Schutz besonderer Verfahren

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CURIA - Dokumente                                                                        Seite 2 von 8 1       Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 2 Nr. 2 Satz 2 der Richtlinie 2003/4/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Januar 2003 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Umweltinformationen und zur Aufhebung der Richtlinie 90/313/EWG (ABl. L 41, S. 26). 2       Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem Deutsche Umwelthilfe e. V. und der Bundesrepublik Deutschland wegen eines Antrags des Vereins auf Zugang zu beim Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie vorhandenen Informationen über den Schriftverkehr, den dieses Ministerium mit Vertretern der deutschen Automobilindustrie zur Abstimmung im Vorfeld des Erlasses einer Regelung zur Energieverbrauchskennzeichnung geführt hat. Rechtlicher Rahmen Übereinkommen von Aarhus 3       Das mit dem Beschluss 2005/370/EG des Rates vom 17. Februar 2005 (ABl. L 124, S. 1) im Namen der Europäischen Gemeinschaft genehmigte Übereinkommen über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten (im Folgenden: Übereinkommen von Aarhus) bestimmt in Art. 2 Nr. 2 den Begriff der Behörde wie folgt: „a)    eine Stelle der öffentlichen Verwaltung auf nationaler, regionaler und anderer Ebene; … Diese Begriffsbestimmung umfasst keine Gremien oder Einrichtungen, die in gerichtlicher oder gesetzgebender Eigenschaft handeln.“ 4       Art. 4 des Übereinkommens von Aarhus sieht unter einer Reihe von Vorbehalten und Bedingungen vor, dass jede Vertragspartei sicherzustellen hat, dass die Behörden im Rahmen der innerstaatlichen Rechtsvorschriften der Öffentlichkeit Informationen über die Umwelt auf Antrag zur Verfügung stellen. 5       Art. 8 des Übereinkommens von Aarhus („Öffentlichkeitsbeteiligung während der Vorbereitung exekutiver Vorschriften und/oder allgemein anwendbarer rechtsverbindlicher normativer Instrumente“) sieht vor: „Jede Vertragspartei bemüht sich, zu einem passenden Zeitpunkt und solange Optionen noch offen sind, eine effektive Öffentlichkeitsbeteiligung während der durch Behörden erfolgenden Vorbereitung exekutiver Vorschriften und sonstiger allgemein anwendbarer rechtsverbindlicher Bestimmungen, die eine erhebliche Auswirkung auf die Umwelt haben können, zu fördern. … …“ Unionsrecht 6       In der Erklärung der Europäischen Gemeinschaft zu einigen besonderen Bestimmungen im Rahmen der Richtlinie 2003/4 im Anhang des Beschlusses 2005/370 heißt es: „Die Europäische Gemeinschaft ersucht die Parteien des Übereinkommens von Aarhus, im Zusammenhang mit Artikel 9 dieses Übereinkommens Kenntnis von Artikel 2 Absatz 2 und Artikel 6 der Richtlinie [2003/4] zu nehmen. Durch diese Bestimmungen wird den http://curia.europa.eu/juris/document/document_print.jsf?doclang=DE&text=&pageIn... 22.04.2014
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CURIA - Dokumente                                                                        Seite 6 von 8 18      Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 2 Nr. 2 Satz 2 der Richtlinie 2003/4 dahin auszulegen ist, dass die den Mitgliedstaaten darin eingeräumte Befugnis, „Gremien oder Einrichtungen …, soweit sie in … gesetzgebender Eigenschaft handeln“, nicht als Behörden anzusehen, die Zugang zu den bei ihnen vorhandenen Umweltinformationen gewähren müssen, für Ministerien gelten kann, wenn sie aufgrund einer Ermächtigung durch ein Parlamentsgesetz Recht ausarbeiten und setzen. 19      Zunächst ist zu beachten, dass der Gerichtshof entschieden hat, dass diese Bestimmung auf Ministerien angewandt werden kann, soweit sie am Gesetzgebungsverfahren im eigentlichen Sinne beteiligt sind. Er hat sich jedoch nicht zu der Frage geäußert, ob diese Bestimmung auch für Ministerien gilt, wenn sie an einem Verfahren beteiligt sind, aus dem eine Rechtsnorm hervorgehen kann, die im Rang unter einem Gesetz steht (Urteil vom 14. Februar 2012, Flachglas Torgau, C-204/09, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnrn. 34 und 51). 20      Ob dies bei den im Ausgangsverfahren fraglichen Rechtsnormen der Fall ist, obliegt der Beurteilung durch das vorlegende Gericht. 21      Für die Feststellung, ob Art. 2 Nr. 2 Satz 2 der Richtlinie 2003/4 auch Ministerien erfasst, wenn sie an einem Verfahren beteiligt sind, aus dem eine im Rang unter einem Gesetz stehende Rechtsnorm hervorgehen kann, ist zu berücksichtigen, dass nach ständiger Rechtsprechung sowohl aus den Anforderungen der einheitlichen Anwendung des Unionsrechts als auch aus dem Gleichheitsgrundsatz folgt, dass die Begriffe einer unionsrechtlichen Bestimmung, die für die Ermittlung ihres Sinnes und ihrer Bedeutung nicht ausdrücklich auf das Recht der Mitgliedstaaten verweist, in der Regel in der gesamten Union eine autonome und einheitliche Auslegung erhalten müssen, die unter Berücksichtigung des Kontexts der Bestimmung und des mit der fraglichen Regelung verfolgten Ziels gefunden werden muss (vgl. Urteil Flachglas Torgau, Randnr. 37). 22      Im Übrigen kann Art. 2 Nr. 2 Satz 2 der Richtlinie 2003/4, der es den Mitgliedstaaten erlaubt, Ausnahmen von der allgemeinen Regelung der Richtlinie vorzusehen, nicht so ausgelegt werden, dass seine Wirkung über das hinausgeht, was zum Schutz der von ihm gewährleisteten Interessen erforderlich ist, und die Reichweite der dort vorgesehenen Ausnahmen muss unter Berücksichtigung der Ziele der Richtlinie bestimmt werden (Urteil Flachglas Torgau, Randnr. 38). 23      Insoweit ist Randnr. 43 des Urteils Flachglas Torgau zu entnehmen, dass die Ausnahme in Art. 2 Nr. 2 Satz 2 der Richtlinie 2003/4 es den Mitgliedstaaten ermöglichen soll, geeignete Vorschriften zu erlassen, um den ordnungsgemäßen Ablauf des Verfahrens zum Erlass von Gesetzen zu gewährleisten, wobei berücksichtigt wird, dass in den jeweiligen Mitgliedstaaten die Information der Bürger im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens normalerweise hinreichend gewährleistet ist. 24      Der Gerichtshof hat ferner festgestellt, dass eine funktionelle Auslegung des Begriffs „Gremien oder Einrichtungen, soweit sie in gesetzgebender Eigenschaft handeln“ in Anbetracht der möglichen Unterschiede zwischen den Gesetzgebungsverfahren der Mitgliedstaaten durch die Notwendigkeit gerechtfertigt ist, eine einheitliche Anwendung der Richtlinie 2003/4 in den Mitgliedstaaten zu gewährleisten (Urteil Flachglas Torgau, Randnr. 50). 25      Er hat daraus den Schluss gezogen, dass Art. 2 Nr. 2 Satz 2 der Richtlinie 2003/4 funktionell dahin auszulegen ist, dass die darin eingeräumte Befugnis für Ministerien gelten kann, soweit sie am Gesetzgebungsverfahren beteiligt sind (Urteil Flachglas Torgau, Randnr. 51). http://curia.europa.eu/juris/document/document_print.jsf?doclang=DE&text=&pageIn... 22.04.2014
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