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Aktenzeichen
6 B 10035/13
Datum
13. Februar 2013
Gericht
Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz
Gesetz
Lebensmittel-, Bedarfsgegenstände- und Futtermittelgesetzbuch
Lebensmittel-, Bedarfsgegenstände- und Futtermittelgesetzbuch

Beschluss: Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz am 13. Februar 2013

6 B 10035/13

Es bestehen Bedenken gegen die Vereinbarkeit der Regelung des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuchs zur Veröffentlichung von Informationen mit Unionsrecht (EG-Verordnung zur Festlegung der allgemeinen Grundsätze und Anforderungen des Lebensmittelrechts, zur Errichtung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit und zur Festlegung von Verfahren zur Lebensmittelsicherheit - BasisVO). Die Gefahr der schwerwiegenden Beeinträchtigung des Betroffenen durch die Veröffentlichung der Informationen überwiegt gegenwärtig das Interesse der Allgemeinheit an der Information über in der Vergangenheit festgestellte Hygienemängel. (Quelle: LDA Brandenburg)

Interessenabwägung Veröffentlichung von Informationen

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6 B 10035/13.0VG = m
1 L 1543/12.TR A

 

OBERVERWALTUNGSGERICHT
RHEINLAND-PFALZ

BESCHLUSS

In dem Verwaltungsrechtsstreit

wegen Lebensmiittelrechts
hier: einstweilige Anordnung

hat der 6. Senat des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz in Koblenz
aufgrund der Beratung vom 13. Februar 2013, an der teilgenommen haben

Vorsitzender Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Mildner
Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Beuscher
Richter am Oberverwaltungsgericht Kröger

beschlossen:

Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des
Verwaltungsgerichts Trier vom 18. Dezember 2012 wird zurückgewiesen.

Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf
5.000,00 € festgesetzt.
1

-2-
Gründe

Die Beschwerde der Antragsgegnerin hat keinen Erfolg.

Die von ihr dargelegten Gründe, die gemäß 8 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO allein den
Gegenstand der Überprüfung durch den Senat bilden, führen bereits deshalb nicht
zu einer von dem angefochtenen Beschluss abweichenden Entscheidung, da
Bedenken gegen die Vereinbarkeit von $40 Abs. 1a Nr. 2 des Lebensmittel-,
Bedarfsgegenstände- und Futtermittelgesetzbuchs -LFGB- mit Art. 10 der
Verordnung (EG) Nr. 178/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom
28. Januar 2002 zur Festlegung der allgemeinen Grundsätze und Anforderungen
des Lebensmittelrechts, zur Errichtung der Europäischen Behörde für
Lebensmiittelsicherheit und zur Festlegung von Verfahren zur
Lebensmiittelsicherheit (ABl. L 31 vom 01.02.2002, S. 1, im Folgenden: BasisVO)
bestehen, welche im vorliegenden Eilverfahren nicht hinreichend verlässlich
geklärt werden können (1.). Angesichts dessen und der konkreten Umstände des
Sachverhalts überwiegt das Interesse des Antragstellers daran, vorläufig von der
Veröffentlichung des Ergebnisses der lebensmittelrechtlichen Kontrolle vom 8.
November 2012 abzusehen, gegenüber dem öffentlichen Interesse an einer
solchen Information der Verbraucher (2.). Ob die Information der Öffentlichkeit
über das Kontrollergebnis auch aus sonstigen Gründen unzulässig sein könnte,
bleibt dahingestellt (3.).

1. Die Antragsgegnerin hat am 28. November 2012 unter der Internet-Adresse

„www.trier.de/Lebensmittelwarnung“ folgende Information veröffentlicht:

Kontroll- Einstell- Produkt Beanstandung Betrieb Hinweise

datum datum
Inverkehrbringen
von zum Grundreinigung
. menschlichen des Betriebes
Geflügel, Verzehr nicht wurde
en geeigneten angeordnet;
08.11.2012 28.11.2012 emi Lebensmitteln ... Nachkontrolle
KORIERIDIER (erheblich am 20.11.12:
Teigwaren,  nachteilige Betrieb
u.a. Beeinflussung im weitestgehend
Sinne des 8 3 wieder sauber
LMHV); Betrieb
wiederholt in
stark
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vernachlässigtem
Hygienezustand

Aufgrund einer Verfügung des Verwaltungsgerichts hat sie die Eintragung bis zum
rechtskräftigen Abschluss des vorliegenden Verfahrens entfernt, beabsichtigt

jedoch, die Information anschließend wieder im Internet zu veröffentlichen.

Die rechtliche Grundlage für diese Veröffentlichung findet sich in & 40 Abs. 1a
LFGB, der lautet:

„Die zuständige Behörde informiert die Öffentlichkeit unter Nennung der Bezeichnung
des Lebensmittels oder Futtermittels sowie unter Nennung des Lebensmittel- oder
Futtermittelunternehmens, unter dessen Namen oder Firma das Lebensmittel oder
Futtermittel hergestellt oder behandelt oder in den Verkehr gelangt ist, wenn der durch
Tatsachen, im Falle von Proben nach $ 39 Absatz 1 Satz 2 auf der Grundlage
mindestens zweier unabhängiger Untersuchungen von Stellen nach Artikel 12 Absatz 2
der Verordnung (EG) Nr. 882/2004, hinreichend begründete Verdacht besteht, dass

1. in Vorschriften im Anwendungsbereich dieses Gesetzes festgelegte zulässige
Grenzwerte, Höchstgehalte oder Höchstmengen überschritten wurden oder

2. gegen sonstige Vorschriften im Anwendungsbereich dieses Gesetzes, die dem
Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher vor Gesundheitsgefährdungen oder
vor Täuschung oder der Einhaltung hygienischer Anforderungen dienen, in nicht nur
unerheblichem Ausmaß oder wiederholt verstoßen worden ist und die Verhängung
eines Bußgeldes von mindestens dreihundertfünfzig Euro zu erwarten ist.“

Die im vorliegenden Fall allein einschlägige Regelung unter Nr. 2 zielt darauf ab,
die Verbraucher unabhängig vom Vorliegen aktueller Gesundheitsgefahren
bzw. -risiken von Amts wegen über Verstöße gegen dem Verbraucherschutz
dienende Vorschriften zu informieren und ihnen so eine Grundlage für
eigenverantwortliche Konsumentscheidungen zu verschaffen (BT-Drucks.
17/7374, S. 12, 20, 25, 27; Wollenschläger, DÖV 2013, 7, 9).

Sie geht somit über Art. 10 BasisVO hinaus, der lautet:

„Besteht ein hinreichender Verdacht, dass ein Lebensmittel oder Futtermittel ein Risiko für
die Gesundheit von Mensch oder Tier mit sich bringen kann, so unternehmen die
Behörden unbeschadet der geltenden nationalen oder Gemeinschaftsbestimmungen über
den Zugang zu Dokumenten je nach Art, Schwere und Ausmaß des Risikos geeignete
Schritte, um die Öffentlichkeit über die Art des Gesundheitsrisikos aufzuklären: dabei sind
möglichst umfassend das Lebensmittel oder Futtermittel oder die Art des Lebensmittels
oder Futtermittels, das möglicherweise damit verbundene Risiko und die Maßnahmen
anzugeben, die getroffen wurden oder getroffen werden, um dem Risiko vorzubeugen, es
zu begrenzen oder auszuschalten.“

Nach einer in der Literatur vertretenen, allerdings nicht unbestrittenen Auffassung

beinhaltet diese Vorschrift eine Vollharmonisierung der Regelungen zur

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3

u:

Information der Öffentlichkeit über Beanstandungen von Lebens- und
Futtermitteln, über die nationales Recht nicht hinausgehen darf. Daher verstoße
die nach $ 40 Abs. 1a LFGB unabhängig vom Vorliegen aktueller
Gesundheitsgefahren bzw. -risiken vorgeschriebene behördliche Information der
Öffentlichkeit gegen Unionsrecht (vgl. Grube, LMuR 2011, 21 ff.; Becker, ZLR
2011, 391, 402; Grube/lmmel, ZLR 2011, 175, 190; Voit, LMuR 2012, 9, 15 ff.;
Michl/Meyer, ZLR 2012, 557, 558, 565; Puche/Meyer, in: Meyer/Streinz,
LFGB-BasisVO-HCVO, 2. Aufl. 2012, 8 40 LFGB Rn. 39; a.A. z.B. Schoch, NVwZ
2012, 1497, 1503 ff.; Seemann, a.a.O., 171 f.; Wollenschläger, DÖV 2013, 7, 8).

Die Frage, inwieweit Art. 10 BasisVO der Veröffentlichung von Ergebnissen
lebens- bzw. futtermittelrechtlicher Kontrollen unabhängig von aktuellen
Gesundheitsrisiken entgegensteht, ist auch Gegenstand eines beim Europäischen
Gerichtshof anhängigen, auf & 40 Abs. 1 Nr. 4 LFGB bezogenen
Vorabentscheidungsersuchens des Landgerichts München | (Beschluss vom 09.
Dezember 2011 - 15 O 9353/09 -, Rechtssache C-636/11 [Berger], juris). Ihre
Beantwortung erfordert eine eingehende rechtliche Prüfung, die im Rahmen des
vorliegenden Eilverfahrens angesichts seines lediglich summarischen Charakters
nicht abschließend geleistet werden kann (ebenso - zusätzlich im Hinblick auf
verfassungsrechtliche Bedenken - VGH BW, Beschluss vom 28. Januar 2013-9 S
2423/12 -, juris).

2. Vor dem Hintergrund der im vorliegenden Verfahren deshalb nicht hinreichend
sicher auszuräumenden Bedenken gegen die Vereinbarkeit von $40 Abs. 1a
LFGB mit Art. 10 BasisVO ist über den Antrag auf Erlass einer einstweiligen
Anordnung aufgrund einer Abwägung zwischen den Interessen des Antragstellers
und denen der Allgemeinheit unter Berücksichtigung der im Falle der Gewährung
oder Versagung einstweiligen Rechtsschutzes eintretenden Folgen zu
entscheiden. Diese Abwägung führt zu dem Ergebnis, dass die Interessen des
Antragstellers in seiner konkreten Situation gegenwärtig überwiegen. Das
Verwaltungsgericht hat daher der Antragsgegnerin zu Recht vorläufig untersagt,

die beabsichtigte Veröffentlichung vorzunehmen.

So birgt die von der Antragsgegnerin beabsichtigte Veröffentlichung die Gefahr,

dass ein erheblicher Teil der Kunden des Antragstellers das von der

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4

En

Veröffentlichung betroffene Restaurant zukünftig meiden wird. Seine
wirtschaftliche Existenz könnte deshalb unter diesen Umständen infrage gestellt
sein. Diese naheliegende und schwerwiegende Beeinträchtigung wäre selbst bei
einem Erfolg einer Klage im Hauptsacheverfahren kaum mehr rückgängig zu

machen.

Demgegenüber wiegt das grundsätzlich berechtigte Interesse der Allgemeinheit an
Informationen über die in der Vergangenheit im Restaurant des Antragstellers
festgestellten Hygienemängel gegenwärtig weniger schwer. Die Veröffentlichung
dient nämlich zum einen nicht dazu, die Verbraucher vor noch andauernden
Gesundheitsgefahren bzw. -risiken zu warnen. Das kommt insbesondere im Text
der von der Antragsgegnerin beabsichtigten Veröffentlichung selbst zum
Ausdruck, wonach der Betrieb bei der Nachkontrolle am 20. November 2012
„weitestgehend wieder sauber“ war. Zum anderen liegen derzeit auch keine
hinreichenden Anhaltspunkte für die Annahme vor, trotz der zwischenzeitlichen
Mängelbeseitigung seien in absehbarer Zeit erneut erhebliche Hygienemängel im
Restaurant des Antragstellers zu erwarten. Vielmehr lässt das Verhalten des
Antragstellers erkennen, er werde nunmehr - wenn auch erst nach wiederholten
Kontrollen und der Verhängung eines Bußgeldes in beträchtlicher Höhe - alles
daransetzen, keinen Anlass für weitere Beanstandungen zu geben. Darüber
hinaus hat die Antragsgegnerin auch ohne eine Veröffentlichung gemäß 8 40 Abs.
1a LFGB die Möglichkeit, die notwendige Einhaltung der lebensmittel- und
hygienerechtlichen Anforderungen mit den Mitteln des Lebensmittelrechts (vgl.
z.B. $ 39 Abs. 2 LFGB) durchzusetzen und so die Kunden des Antragstellers vor
drohenden Nachteilen zu schützen (vgl. VGH BW, a.a.O.). Die einstweilige
Zurückstellung des grundsätzlich berechtigten Informationsinteresses der
Allgemeinheit hat deshalb nicht die Preisgabe schützenswerter Belange der
Allgemeinheit bis zu einer abschließenden Entscheidung in einem Klageverfahren

zur Konsequenz.

Bei dieser Ausgangslage überwiegt gegenwärtig noch das Interesse des
Antragstellers, vorläufig von der Veröffentlichung der festgestellten
Hygienemängel abzusehen, gegenüber dem öffentlichen Interesse an der

Information der Verbraucher über solche Missstände. Sollten allerdings in Zukunft

6%
5

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erneut erhebliche Hygienemängel im Restaurant des Antragstellers festgestellt
werden, könnte dies dazu veranlassen, angesichts einer veränderten Sachlage
dem Informationsinteresse der Verbraucher Vorrang gegenüber dem

Schutzinteresse des Antragstellers einzuräumen.

3. Ob 840 Abs. 1a LFGB durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken
begegnet (vgl. die unter 1. aufgeführten Literaturnachweise sowie den Beschluss
des VGH BW, a.a.O.), kann für die vorliegende Entscheidung ebenso dahinstehen
wie Einzelfragen im Zusammenhang mit der Auslegung dieser Vorschrift. Der
Senat ist allerdings - anders als das Verwaltungsgericht - der Auffassung, dass
eine Information über Hygienemängel - die Wirksamkeit des $ 40 Abs. 1a LFGB
vorausgesetzt - grundsätzlich auch dann erfolgen kann, wenn Lebensmittel zwar
nicht unmittelbar unter Verwendung von ersichtlich hygienisch mangelhaften
Gerätschaften und Arbeitsplatten bearbeitet wurden, sondern lediglich das Umfeld
des Verarbeitungsprozesses nicht den hygienischen Anforderungen entspricht.
Denn bei Lebensmitteln, die in einem solchen Umfeld hergestellt werden, kann je
nach der Art des festgestellten Hygieneverstoßes ein deutlich erhöhtes Risiko für
eine nachteilige Beeinflussung ($2 Abs. 1 Nr. 1, 8 3 S. 1 der
Lebensmittelhygieneverordnung -LMHV -), etwa durch die Kontamination mit
Schimmelpilzsporen oder Mikroorganismen über die Raumluft oder das Personal
bei unzureichender Handhygiene, bestehen. Daher setzt eine Information über
solche Hygienemängel nicht voraus, dass eine nachteilige Beeinflussung
bestimmter Lebensmittel nachgewiesen worden ist und nur diese in der
Veröffentlichung benannt werden (vgl. auch Nieders. OVG, Beschluss vom 18.
Januar 2013 - 13 ME 267/12 -, juris).
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4. Die Kostenentscheidung folgt aus 8154 Abs.2 VwGO. Die
Streitwertfestsetzung beruht auf 88 47 Abs. 1, 52 Abs. 2, 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG.
Wegen der teilweisen Vorwegnahme der Hauptsache ist eine Reduzierung des für
die Hauptsache maßgeblichen Streitwerts nicht angezeigt (vgl. Nr. 1.5 des
Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit).

gez. Dr. Mildner gez. Dr. Beuscher gez. Kröger
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