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Aktenzeichen
2 K 174.10
Datum
22. September 2011
Gericht
Verwaltungsgericht Berlin
Gesetz
Umweltinformationsgesetz Bund (UIG)
Umweltinformationsgesetz Bund (UIG)

Beschluss: Verwaltungsgericht Berlin am 22. September 2011

2 K 174.10

Das Verwaltungsgericht bittet den Europäischen Gerichtshof auf dem Wege eines Vorabentscheidungsersuchens um eine Klärung, ob die Umweltinformationsrichtlinie dahingehend auszulegen ist, dass ein Handeln in gesetzgeberischer Eigenschaft auch bei Tätigkeiten von Gremien und Einrichtungen gegeben ist, die die Rechtssetzung durch die Exekutive aufgrund einer Ermächtigung durch ein Parlamentsgesetz betreffen. Falls diese Frage bejaht wird, soll außerdem geklärt werden, welche Gremien und Einrichtungen dauerhaft oder nur für die Zeit bis zum Abschluss des Rechtssetzungsverfahrens von dem Begriff der "Behörde" nicht erfasst werden. Hintergrund des Ersuchens sind Zweifel an der richtlinienkonformen Umsetzung des entsprechenden Ausnahmetatbestands im Umweltinformationsgesetz. Im vorliegenden Streitfall war eine oberste Bundesbehörde beim Erlass einer Rechtsverordnung tätig geworden; nach dem geltenden Gesetz wäre die Klage abzuweisen gewesen. (Quelle: LDA Brandenburg)

Anwendungsbereich/ Zuständigkeit Begriffsbestimmung Schutz besonderer Verfahren

VG 2 K 174.10

VERWALTUNGSGERICHT BERLIN BESCHLUSS

In der Verwaltungsstreitsache des

Verfahrensbevollmächtigte: Rechtsanwälte

g e g e n

die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie, Scharnhorststraße 34-37, 10115 Berlin,

hat die 2. Kammer des Verwaltungsgerichts Berlin durch

die Präsidentin des Verwaltungsgerichts Xalter, den Richter am Verwaltungsgericht Becker, den Richter am Verwaltungsgericht Hömig, die ehrenamtliche Richterin und den ehrenamtlichen Richter

aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 22. September 2011 beschlossen:

Klägers, Beklagte,

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  • 2 - Das Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Berlin wird ausgesetzt.

Der Europäische Gerichtshof wird um Klärung folgender Fragen im Wege der Vorabentscheidung gemäß Art. 267 AEUV gebeten:

  1. Ist Art. 2 Nr. 2 Satz 2 der Richtlinie 2003/4/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Januar 2003 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Umweltinformationen und zur Aufhebung der Richtlinie 90/313/EWG des Rates dahin auszulegen, dass ein Handeln in gesetzgebender Eigenschaft auch bei Tätigkeiten von Gremien und Einrichtungen gegeben ist, die die Rechtssetzung durch die Exekutive aufgrund einer Ermächtigung durch ein Parlamentsgesetz betreffen?

  2. Sofern die Frage zu Nr. 1 bejaht wird: Werden solche Gremien und Einrichtungen dauerhaft oder nur für die Zeit bis zum Abschluss des Rechtssetzungsverfahrens von dem Begriff der "Behörde" nicht erfasst?

Gründe

I. Der Kläger ist ein anerkannter Umwelt- und Verbraucherschutzverein. Er begehrt von der durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie vertretenen Beklagten Einsicht in dort vorhandene Informationen über einen Schriftwechsel des Ministeriums mit Vertretern der deutschen Automobilindustrie im Vorfeld des Erlasses der Erste(n) Verordnung zur Änderung der Pkw - Energieverbrauchskennzeichnungsverordnung vom 22. August 2011 (BGBl. I S. 1756). Das Ministerium lehnte den Antrag mit der Begründung ab, der Kläger erstrebe den Zugang zu Umweltinformationen nach dem Umweltinformationsgesetz (im Folgenden: UIG). Das Ministerium sei jedoch keine informationspflichtige Stelle, da es beim Erlass einer Rechtsverordnung tätig geworden sei. Der Rückgriff auf andere Rechtsvorschriften über den Zugang zu Informationen scheide aus.

Nachdem ein hiergegen eingeleitetes Widerspruchsverfahren keinen Erfolg gehabt hatte, hat der Kläger Klage erhoben, mit welcher er sein Informationsbegehren weiterverfolgt.

II. Die maßgeblichen Vorschriften des Gemeinschaftsrechts finden sich in der Richtlinie 2003/4/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Januar 2003 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Umweltinformationen und zur Aufhebung der Richtlinie 90/313/EWG des Rates (Amtsblatt L 31 vom 14. Februar 2003, S. 26, im Folgenden: Richtlinie 2003/4/EG). Von Bedeutung ist außerdem das Übereinkommen über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten vom 25. Juni 1998 (im Folgenden: Aarhus-Übereinkommen).

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Die maßgeblichen Vorschriften des nationalen Rechts finden sich im Umweltinformationsgesetz vom 22. Dezember 2004 (Bundesgesetzblatt I 2004, Seite 3704), mit welchem der deutsche Bundesgesetzgeber die Richtlinie 2003/4/EG umgesetzt hat. Von Bedeutung ist ferner das Energieverbrauchskennzeichnungsgesetz vom 30. Januar 2002 (BGBl. I S. 570), zuletzt geändert durch Verordnung vom 31. Oktober 2006 (BGBl. I S. 2407, im Folgenden: EnVKG).

III. Die einschlägige Vorschrift des Gemeinschaftsrechts für die Vorlagefragen ist Art. 2 Nr. 2 der Richtlinie 2003/4/EG. Soweit hier von Interesse lautet er: "Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck … 'Behörde' a) die Regierung oder eine andere Stelle der öffentlichen Verwaltung, einschließlich öffentlich beratender Gremien, auf nationaler, regionaler oder lokaler Ebene... Die Mitgliedstaaten können vorsehen, dass diese Begriffsbestimmung keine Gremien oder Einrichtungen umfasst, soweit sie in gerichtlicher oder gesetzgebender Eigenschaft handeln…"

Von Bedeutung ist ferner Art. 2 Nr. 2 Aarhus-Übereinkommen, der lautet: "Im Sinne dieses Übereinkommens … bedeutet 'Behörde' … eine Stelle der öffentlichen Verwaltung auf nationaler, regionaler und anderer Ebene; … Diese Begriffsbestimmung umfasst keine Gremien oder Einrichtungen, die in gerichtlicher oder gesetzgebender Eigenschaft handeln …"

Die maßgebliche Vorschrift des nationalen Rechts ist § 2 Abs. 1 UIG. Er lautet: "Informationspflichtige Stellen sind 1. die Regierung und andere Stellen der öffentlichen Verwaltung. … Zu den informationspflichtigen Stellen gehören nicht a) die obersten Bundesbehörden, soweit sie im Rahmen der Gesetzgebung oder beim Erlass von Rechtsverordnungen tätig werden, …"

Von Bedeutung ist ferner § 1 Absatz 1 Nr. 1, Absatz 2 Nr. 2 und Absatz 3 Nr. 1, 3 bis 5 EnVKG, der das Ministerium zum Erlass einer Rechtsverordnung ermächtigt.

IV. Die Entscheidung des Rechtstreits hängt von der Antwort auf die Vorlagefrage ab.

  1. Der Kläger erstrebt den Zugang zu Umweltinformationen nach dem Umweltinformationsgesetz. Denn der hier in Rede stehende Schriftverkehr zum Abstimmungsprozess zwischen dem Ministerium und Vertretern der Automobilindustrie im Vorfeld des Erlasses der Ersten Verordnung zur Änderung der Pkw - Energieverbrauchskennzeichnungsverordnung wirkt sich wahrscheinlich mittelbar auf die Emissionen von Kohlendioxid durch neu verkaufte Kraftfahrzeuge aus. Die Pkw - Energiever-

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brauchskennzeichnungsverordnung befasst sich mit Verbraucherinformationen zu Kraftstoffverbrauch, Kohlendioxid-Emissionen und Stromverbrauch neuer Personenkraftwagen. Die durch die Verordnung vorgegebene Information der Verbraucher vor Abschluss eines Kaufvertrages kann sich auf deren Kaufentscheidung auswirken. Die Kaufentscheidung wiederum ist maßgeblich dafür, welche Kraftfahrzeuge im Straßenverkehr geführt werden und Kohlendioxid emittieren. Die Höhe der Kohlendioxid-Emissionen der im Straßenverkehr geführten (neuen) Kraftfahrzeuge wirkt sich schließlich auf Luft und Atmosphäre aus.

Das Umweltinformationsgesetz regelt den Zugang zu Umweltinformationen abschließend. Soweit es den Zugang zu Umweltinformationen verwehrt, kann ein Zugang zu diesen Informationen nicht auf der Grundlage anderer nationaler Vorschriften begehrt werden (Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 30. April 2009 - BVerwG 7 C 17/08 -, Natur und Recht 2009, 481 [483]). Ausschlussgründe, die dem Informationsbegehren des Klägers entgegenstünden, sind vorliegend nicht gegeben.

  1. Allein auf der Grundlage des nationalen Rechts ist die Klage abzuweisen. Denn das auf Informationszugang in Anspruch genommene Ministerium ist nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 UIG keine informationspflichtige Stelle. Es ist eine oberste Bundesbehörde und beim Erlass einer Rechtsverordnung tätig geworden.

Bundesministerien gehören zu den obersten Bundesbehörden. Sie haben eine eigene Befugnis, Regelungen im abstrakt-generellen Sinne (Gesetze im materiellen Sinne) in Form von Rechtsverordnungen zu schaffen, wenn ein Parlamentsgesetz (Gesetz im formellen Sinne) sie hierzu ermächtigt. Die Ermächtigung des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technik zum Erlass der Änderungsverordnung zur Pkw Energieverbrauchskennzeichnungsverordnung findet sich in § 1 Absatz 1 Nr. 1, Absatz 2 Nr. 2 und Absatz 3 Nr. 1, 3 bis 5 EnVKG.

Zum Erlass von Rechtsverordnungen im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a) UIG gehören alle Tätigkeiten, die in einem unmittelbaren Zusammenhang hiermit stehen; erfasst werden alle Vorbereitungshandlungen, die Entwurfsarbeiten, der Beschluss sowie die Veröffentlichungsakte. Da der hier umstrittene Abstimmungsprozess zwischen dem Ministerium für Wirtschaft und Technik und Vertretern der deutschen Automobilindustrie im Rahmen der Entwurfserarbeitung der Ersten Verordnung zur Änderung der Pkw-Energieverbrauchskennzeichnungsverordnung erfolgt ist, fällt er hierunter.

  1. Insoweit bedarf es aber der Entscheidung, ob Art. 2 Nr. 2 Satz 2 der Richtlinie

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2003/4/EG es dem nationalen Gesetzgeber erlaubt, vorzusehen, dass von dem Begriff der "Behörde" im Sinne der Richtlinie Gremien und Einrichtungen auch dann nicht erfasst werden, wenn ihre Tätigkeit kein Parlamentsgesetz betrifft, sie vielmehr lediglich als Teil der Exekutive aufgrund einer Ermächtigung durch ein Parlamentsgesetz Recht (in Gestalt einer Rechtsverordnung) setzen (diese Frage ausdrücklich nicht beantwortet von Generalanwältin Eleanor Sharpston in ihren Schlussanträgen vom 22. Juni 2011 in der Rechtssache C-204/09 "Flachglas Torgau", Rn. 47 und 48).

Art. 2 Nr. 2 Satz 2 der Richtlinie 2003/4/EG verwendet den Begriff des Handelns in gesetzgebender Eigenschaft, um den Bereich zu umschreiben, für den die Mitgliedstaaten vorsehen können, dass ein Gremium oder eine Einrichtung keine Behörde im Sinne der Richtlinie ist. Der Begriff des Handelns in gesetzgebender Eigenschaft kann weit in dem Sinne verstanden werden, dass hiervon jegliche Schaffung abstrakt-genereller Bestimmungen erfasst wird. Er kann aber auch eng gemeint sein, dahingehend, dass unter einem Handeln in gesetzgebender Eigenschaft nur die auf den Erlass eines Parlamentsgesetzes betreffende Tätigkeit erfasst sein soll.

Der Wortlaut der deutschen Fassung der Richtlinie 2003/4/EG ist insoweit offen. Andere sprachliche Fassungen könnten eher auf das zuletzt genannte Verständnis der Bestimmung hindeuten. Hierfür spricht auch, dass in der vorgenannten Richtlinie das Streben nach mehr Transparenz zum Ausdruck kommt, weshalb die Richtlinie im Zweifel im Sinne einer die Transparenz und den Zugang zu Informationen begünstigenden Regelung interpretiert werden sollte und Bestimmungen, die den Geltungsbereich der Richtlinie insoweit begrenzen – wie etwa Art. 2 Nr. 2 der Richtlinie deshalb eng auszulegen sind (vgl. Schlussanträge der Generalanwältin Eleanor Sharpston vom 22. Juni 2011, Rn. 30 und 32).

  1. Sollte das Tätigwerden der Exekutive beim Erlass von Rechtsverordnungen ein Handeln der Ministerien in gesetzgebender Eigenschaft darstellen, ist die weitere Frage zu klären, ob diese Gremien und Einrichtungen nur für die Zeit bis zum Abschluss des Rechtssetzungsverfahren aus dem Behördenbegriff herausfallen. Das Verfahren zum Erlass der Ersten Verordnung zur Änderung der Pkw - Energieverbrauchskennzeichnungsverordnung ist nämlich mit deren Verkündung im Bundesgesetzblatt zwischenzeitlich abgeschlossen. Zwar ist dem Wortlaut des Art. 2 Nr. 2 der Richtlinie 2003/4/EG eine solche Beschränkung nicht zu entnehmen. Sie könnte sich aber aus dem Sinn und Zweck der Bestimmung ergeben, der darin liegen könnte, (nur) einen ungestörten Ablauf des Rechtssetzungsverfahrens zu ermöglichen (Bundesverwaltungsgericht, a.a.O., S. 484, und Schlussanträge der Generalanwältin

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Eleanor Sharpston vom 22. Juni 2011, Rn. 59 und 61).

Xalter Becker Hömig /Wol. Ausgefertigt

Justizbeschäftigte als Urkundsbeamte der Geschäftsstelle