Information

Aktenzeichen
C-71/10
ECLI
ECLI:EU:C:2011:525
Datum
28. Juli 2011
Gericht
Gerichtshof der Europäischen Union
Gesetz
Richtlinie 2003/4/EG (Umweltinformationsrichtlinie)
Richtlinie 2003/4/EG (Umweltinformationsrichtlinie)

Urteil: Gerichtshof der Europäischen Union am 28. Juli 2011

C-71/10

Der Gerichtshof hatte über die Vorlagefrage zu entscheiden, ob eine Behörde, die über Umweltinformationen verfügt, bei der Abwägung der öffentlichen Interessen an der Bekanntgabe gegen die Interessen an der Verweigerung der Bekanntgabe zur Beurteilung eines Antrags, mehrere der in der Richtlinie 2003/4 genannten Gründe für die Bekanntgabeverweigerung kumuliert berücksichtigen kann oder ob sie diese Abwägung so vornehmen muss, dass diese Interessen jeweils einzeln geprüft werden. Der Gerichtshof weist darauf hin, dass die Gründe für die Verweigerung der Bekanntgabe eng auszulegen sind. Bei der Abwägung der öffentlichen Interessen an der Bekanntgabe gegen die Interessen an der Verweigerung der Bekanntgabe können mehrere der in der Richtlinie genannten Gründe/Interessen kumuliert gewürdigt und berücksichtigt werden. Aus der Formulierung in der Richtlinie "in jedem Einzelfall" folgt lediglich, dass diese Abwägung nicht allgemein, sondern aus einer tatsächlichen spezifischen Prüfung jeder Situation erfolgen soll. (Quelle: LDA Brandenburg)

Durchführung des Antragsverfahrens Interessenabwägung Begriffsbestimmung

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InfoCuria                                                    http://curia.europa.eu/juris/document/document_print.jsf?doclang=DE&... URTEIL DES GERICHTSHOFS (Dritte Kammer) 28. Juli 2011(*) „Zugang der Öffentlichkeit zu Umweltinformationen – Richtlinie 2003/4/EG – Art. 4 – Ausnahmen vom Recht auf Zugang – Antrag auf Zugang, bei dem es um mehrere von Art. 4 Abs. 2 der genannten Richtlinie geschützte Interessen geht“ In der Rechtssache C‑71/10 betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Supreme Court of the United Kingdom (Vereinigtes Königreich) mit Entscheidung vom 27. Januar 2010, beim Gerichtshof eingegangen am 8. Februar 2010, in dem Verfahren Office of Communications gegen Information Commissioner erlässt DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer) unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten K. Lenaerts, des Richters D. Šváby, der Richterin R. Silva de Lapuerta sowie der Richter E. Juhász (Berichterstatter) und T. von Danwitz, Generalanwältin: J. Kokott, Kanzler: L. Hewlett, Hauptverwaltungsrätin, aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 27. Januar 2011, unter Berücksichtigung der Erklärungen –            des Information Commissioner, vertreten durch C. Lewis, Barrister, beauftragt von M. Thorogood, Solicitor, –       der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch S. Ossowski als Bevollmächtigter, im Beistand von D. Beard, Barrister, –      der schwedischen Regierung, vertreten durch A. Falk und C. Meyer‑Seitz als Bevollmächtigte, –      der Europäischen Kommission, vertreten durch P. Oliver und C. ten Dam als Bevollmächtigte, nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 10. März 2011 folgendes Urteil 1    Das Vorabentscheidungsersuche betrifft die Auslegung von Art. 4 der Richtlinie 2003/4/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Januar 2003 über den Zugang der Öffentlichkeit zu 1 von 7                                                                                                              28.12.2011 16:12
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