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Aktenzeichen
2 K 213/06
Datum
9. September 2008
Gericht
Verwaltungsgericht Aachen
Gesetz
Informationsfreiheitsgesetz Nordrhein-Westfalen (IFG)
Informationsfreiheitsgesetz Nordrhein-Westfalen (IFG)

Urteil: Verwaltungsgericht Aachen am 9. September 2008

2 K 213/06

Das bundesrechtliche Weitergabeverbot des § 65 Achtes Buch Sozialgesetzbuch (besonderer Vertrauensschutz in der persönlichen und erzieherischen Hilfe) geht als besondere Rechtsvorschrift über den Zugang zu anvertrauten Sozialdaten dem durch das Informationsfreiheitsgesetz Nordrhein-Westfalen vermittelten Informationszugang vor und sperrt auch insoweit das Akteneinsichtsbegehren. Das Urteil befasst sich im Wesentlichen mit sozialrechtlichen Bestimmungen. (Quelle: LDA Brandenburg)

Personenbezogene Daten

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Verwaltungsgericht Aachen, 2 K 213/06                                                 Seite 1 von 9 Verwaltungsgericht Aachen, 2 K 213/06 Datum:                   09.09.2008 Gericht:                 Verwaltungsgericht Aachen Spruchkörper:            2. Kammer Entscheidungsart:        Urteil Aktenzeichen:            2 K 213/06 Tenor:                   Die Klage wird abgewiesen. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte Sicherheit in der gleichen Höhe leistet. Tatbestand                                                                                       1 Der Kläger ist der leibliche Vater des am 24. März 2002 in Köln geborenen Kindes E.              2 T. . Der Kläger und die Mutter des Kindes waren nicht miteinander verheiratet. E. kam mit erheblichen körperlichen Fehlbildungen, insbesondere im Bauch - und Genitalbereich, schwerstbehindert zur Welt. Da die Mutter nicht in der Lage war, E. ausreichend zu betreuen, wurde ihr durch Beschluss des Amtsgerichts B. vom 26. April 2002 - 27 F 163/02 - zunächst vorläufig und mit Beschluss vom 3. Juni 2002 dauerhaft die elterliche Sorge entzogen und dem Jugendamt der Stadt B. als Vormund übertragen. Der Kläger zeigte dem Jugendamt des Beklagten frühzeitig an, dass er davon                       3 ausgehe, dass er der Vater von E. T. sei. Er hat am 24. Juli 2002 in einer beim Jugendamt des Beklagten errichteten Urkunde die Vaterschaft anerkannt. Diese Urkunde konnte aber keine Rechtswirksamkeit entfalten, da es hierzu der Zustimmung der Mutter des Kindes bedurft hätte, die aber nicht auffindbar war. Es wurde deshalb ein gerichtliches Vaterschaftsfeststellungsverfahren betrieben. Nach Einholung eines biostatistischen Gutachtens hat das Amtsgericht B. mit Urteil vom 20. November 2002 - 25 F 344/02 - die Vaterschaft des Klägers festgestellt. Anders als die Mutter hat sich der Kläger während des Krankenhausaufenthaltes                    4 seines Sohnes, der nach kurzer Zeit in das Universitätsklinikum der B. verlegt worden war, intensiv um seinen Sohn gekümmert. Er besuchte das Kind fast täglich im Krankenhaus und beteiligte sich auch an der Pflege des Kindes. Das Jugendamt http://www.justiz.nrw.de/nrwe/ovgs/vg_aachen/j2008/2_K_213_06urteil20080909.html 30.12.2011
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Verwaltungsgericht Aachen, 2 K 213/06                                              Seite 2 von 9 unterstützte zunächst seine Bemühungen, die Pflege und Erziehung seines Sohnes nach dessen Entlassung aus dem Klinikum selbst zu übernehmen. Es bestätigte auch die entstandene emotionale Beziehung zwischen Vater und Sohn. Es ging anfangs davon aus, dass er Kläger auch der psychischen Belastung, die mit der Schwerbehinderung des Kindes verbunden sei, gewachsen sei. Allerdings wies insbesondere das Klinikpersonal darauf hin, dass höchste hygienische Ansprüche an das Pflegepersonal gestellt werden müssen. Es müsse bei der Versorgung des Kindes eine keimfreie Umgebung gesichert sein. Die Situation des Kindes bedeute für die Pflegeperson nicht nur eine hohe psychische Herausforderung, sondern auch einen hohen Zeitaufwand aufgrund der notwendigen medizinischen und therapeutischen Behandlungen. Im September 2002 teilte das Klinikpersonal dem Jugendamt in Gesprächen mit, dass             5 der Kläger in angetrunkenem Zustand dort auffällig geworden sei. Er habe sich dabei gegenüber dem Klinikpersonal so aufgeführt, dass eine Zusammenarbeit nicht möglich sei. Er sei bereits vorher als wenig umgänglich von dem Klinikpersonal beschrieben worden, so dass die Krankenschwestern nur den allernotwendigsten Kontakt mit ihm hätten. Im Übrigen entstanden Zweifel an seiner Geeignetheit, weil der Kläger behaupte, alle seien gegen ihn und Frau T. , die Mutter des Kindes laufe ständig im Klinikum und insbesondere auf der Kinderstation umher und intrigiere dort gegen ihn. Sowohl die dort tätigen Krankenschwestern als auch die Kliniksozialarbeiter hätten diese Möglichkeit jedoch verneint. Aufgrund dieser Vorfälle bezweifelte das Jugendamt die Eignung des Klägers, den hohen Anforderungen der Pflege und Betreuung seines Sohnes gerecht zu werden und beschloss daher, E. T. in eine medizinisch geschulte Pflegefamilie unterzubringen, in der er sich seit dem 9. Januar 2003 aufhält. Es handelte sich um eine Inkognitopflegefamilie, d. h. dem Kläger war der Aufenthaltsort seines Sohnes nicht bekannt. Die Gründe für diese Unterbringung wurden dem Kläger in einem Gesprächstermin                 6 am 11. Oktober 2002,eröffnet, an dem außer Mitarbeitern des Jugendamtes und dem Kläger auch eine Mitarbeiterin der Pflegevermittlungsstelle der Diakonie E1. teilnahm. In diesem Gespräch wurde der Kläger über die geplante Unterbringung seines Sohnes unterrichtet und auch mit der Tatsache konfrontiert, dass die Fachleute eine Versorgung des Kindes durch ihn für nicht durchführbar hielten. Obwohl er sich als sehr bemüht und zuverlässig im Kontakt mit seinem Sohn erwiesen habe, sei eine Versorgung des Kindes im Hinblick auf die Schwere der medizinischen Handicaps seines Sohnes und der zu erwartenden psychischen Auswirkungen durch die Belastungen der Pflege durch ihn allein nicht zu gewährleisten. Darüber hinaus sei auch der geforderte gesicherte familiäre Rahmen und die damit einhergehende Möglichkeit der Entlastung bei einer alleinstehenden Person nicht gegeben. Weiter wurde in diesem Gespräch nochmals die Kritik des Pflegepersonals und der übrigen Mitarbeiter des Klinikums an seinem Verhalten gegenüber dem Fachpersonal bezüglich seiner sozialen Kompetenz und seiner Wahrnehmung angesprochen. Aus diesen dargelegten Gründen müssten die Bedürfnisse des Kindes Vorrang vor den Bedürfnissen und Gefühlen der Eltern haben. Ausweislich des Vermerks vom 11. Oktober 2002 nahm der Kläger diese Information gefasst auf, machte jedoch deutlich, dass er sich in der Lage sehe, seinen Sohn selbst zu versorgen. Er beabsichtige auch, rechtliche Schritte zu unternehmen, um das alleinige Sorgerecht zu erhalten. Insbesondere hielt er an seiner Auffassung fest, dass er als leiblicher Vater die medizinische Versorgung seines Sohnes genau so gut wie eine Pflegefamilie sicherstellen könne. Der Kläger beantragte deshalb im November 2002 beim AmtsgerichtB., ihm das                    7 alleinige Sorgerecht für E. T. zu übertragen. In einer Stellungnahme vom 7. Januar http://www.justiz.nrw.de/nrwe/ovgs/vg_aachen/j2008/2_K_213_06urteil20080909.html 30.12.2011
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Verwaltungsgericht Aachen, 2 K 213/06                                             Seite 3 von 9 2003 legte das Jugendamt des Beklagten nochmals die Gründe dar, die es dazu veranlasst hatten, E. in eine geeignete Pflegefamilie zu vermitteln. Mit Beschluss vom 10. Dezember 2003 - 27 F 438/02 - wies das Amtsgericht B. den Antrag des Klägers zurück. Die Beschwerde des Antragstellers gegen diesen Beschluss wies das Oberlandesgericht L. mit Beschluss vom 29. Juli 2004 - 10 UF 11/04 - in der Sache zurück. Der Kläger versuchte parallel dazu, mit dem Jugendamt erneut ins Gespräch zu                 8 kommen, um ihm die Pflege seines Sohnes zu übertragen. Eine dieser Gesprächsbemühungen lief darauf hinaus, dass seine Nichtberücksichtigung als Vater des Kind für ihn nicht nachvollziehbar sei, insbesondere, da er sich nach der Geburt um seinen Sohn gekümmert habe und dessen wichtigste Bezugsperson gewesen sei. Der Kläger hat am 4. Februar 2006 die vorliegende Klage erhoben, mit der er die              9 Benennung der Gründe erstrebt, die den Beklagten veranlasst haben, seinen Sohn am 9. Januar 2003 in einer Pflegefamilie unterzubringen. Weiter erstrebt er Akteneinsicht in die beim Jugendamt B. geführten Betreuungsakten seines Sohnes. Er hielt auch hier daran fest, dass die getroffene Entscheidung des Jugendamtes die gewachsene Vater-Sohn-Beziehung gefährde, wenn nicht sogar zerstöre. Das Elternrecht sei im Grundgesetz gesichert. Für einen so schwerwiegenden und einschneidenden Schritt des Jugendamtes müsste ein Grund vorliegen, der eine Kindeswohlgefährdung befürchten ließe oder ähnlich schwer wiege. Dieser sei jedoch nicht ersichtlich. Der Beklagte berufe sich zu Unrecht auf die Verfahren vor dem Familiengericht. Das sei schon deshalb fehlerhaft, weil er dieses Verfahren vor dem Amtsgericht erst eingeleitet habe, nachdem ihm vom Beklagten die Unterbringung des Sohnes in der Pflegefamilie eröffnet worden sei. Der Kläger beantragt, 1. dem Jugendamt der Stadt B. aufzugeben, die Gründe zu              10 benennen, die das Jugendamt am 9. Januar 2003 dazu veranlasst haben, u. a. den Art. 6 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland außer Kraft zu setzen und seinen Sohn, E. T. , in eine Pflegefamilie zu vermitteln, 2. ihm Akteneinsicht in die beim Jugendamt verwaltete Akte seines Sohnes, E. T. , zu       11 gewähren. Der Beklagte beantragt,                                                                    12 die Klage abzuweisen.                                                                      13 Er tritt der Klage entgegen. Für den Klageantrag zu 1. fehle es bereits am                 14 erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis. Dem Kläger seien die Gründe der Unterbringung in eine Pflegefamilie in einem persönlichen Gespräch am 11. Oktober 2002 erläutert worden. Auch im familiengerichtlichen Sorgerechtsverfahren habe das Jugendamt in seiner Stellungnahme vom 7. Januar 2003 die Gründe der Unterbringung des Kindes in einer Pflegefamilie dargelegt. Diese Stellungnahme liege dem Kläger vor. Der Klageantrag zu 2. sei zwar zulässig, aber unbegründet. Der Kläger erstrebe mit der vorliegenden Klage nicht Einsicht in seine Akte, sondern in eine Akte seines Sohnes. Seinem Begehren stehe deshalb sowohl § 25 Sozialgesetzbuch X als auch § 4 Abs. 1 des Gesetzes über die Freiheit des Zugangs zu Informationen für das Land Nordrhein-Westfalen (Informationsfreiheitsgesetz Nordrhein-Westfalen - IFG NRW) entgegen. Denn hier scheiterte ein solches Informationsbegehren an den Einschränkungen des § 25 Abs. 3 SGB X bzw. § 9 Abs. 1 IFG NRW. Dem Begehren stehe schließlich auch noch die Vorschrift des § 65 Abs. 1 SGB VIII entgegen, die mittelbar auch den Jugendhilfeträger verpflichte. http://www.justiz.nrw.de/nrwe/ovgs/vg_aachen/j2008/2_K_213_06urteil20080909.html 30.12.2011
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Verwaltungsgericht Aachen, 2 K 213/06                                             Seite 4 von 9 Die Kammer hat mit Beschluss vom 23. November 2007 den Antrag auf Bewilligung              15 von Prozesskostenhilfe zurückgewiesen. Die Beschwerde hat das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW) mit Beschluss vom 26. März 2008 - 12 E 115/08 - als unbegründet zurückgewiesen. Der im Beschwerdeverfahren für den Kläger tätigen Rechtsanwältin L1. wurde im              16 November 2007 Akteneinsicht in die beim Gericht vorliegenden Verwaltungsvorgänge des Beklagten gewährt. Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf die beigezogenen                     17 Verwaltungsvorgänge des Beklagten und die im Verfahren gewechselten Schriftsätze Bezug genommen. Entscheidungsgründe                                                                        18 Die Klage ist hinsichtlich des Klageantrags zu 1., mit dem der Kläger die Verpflichtung 19 des Jugendamtes des Beklagten erstrebt, ihm die Gründe zu benennen, die Veranlassung gaben, seinen Sohne E. T. in einer Pflegefamilie unterzubringen, wegen fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig. Die gewünschte Auskunft ist ihm vom Beklagten zum einen mündlich erteilt worden.           20 Diese Auffassung des Gerichts ergibt sich aus dem zu den Verwaltungsvorgängen des Beklagten genommenen Vermerk vom 11. Oktober 2002, in dem der Ablauf dieses Gesprächs ausführlich dokumentiert worden ist. Der Kläger ist dem Inhalt dieses Vermerks auch nicht entgegen getreten. Der Beklagte hat zum andern schriftsätzlich im Verfahren vor dem Amtsgericht B. (Familiengericht) - 27 F 438/02 - mit Schriftsatz vom 7. Januar 2003, der dem Kläger übersandt wurde, die Gründe dargelegt, die ihn dazu bewogen haben, E. in einer Pflegefamilie unterzubringen. Soweit der Kläger die Unrichtigkeit der erteilten Auskünfte aus dem Umstand herleiten      21 will, dass die Pflegeeltern die Erziehungshilfe schon am 15. September 2002 und damit 11 Tage vor der - nach der Darstellung des Beklagten die Vermittlungsentscheidung tragenden Stellungnahme der Kinderklinik vom 26. September 2002 beantragt hätten, lässt sich hieraus für eine sachwidrige Vorwegnahme der Beurteilung, bei wem das Kind auf Dauer zur Pflege untergebracht werden sollte, nichts herleiten. Aus dem oben genannten Schriftsatz an das Amtsgericht B. vom 7. Januar 2003 geht nämlich eindeutig hervor, dass das Jugendamt frühzeitig Kontakt zum Pflegekinderdienst der Diakonie in E1. aufgenommen hatte, um eine adäquate und dem Kind gerecht werdende Unterbringung anzustreben, die aufgrund des Krankheitsbildes höchsten Anforderungen genügen müsste. Hinzu kam, dass die Frage der Vaterschaft zu dieser Zeit noch nicht geklärt war. Aufgrund des unbekannten Aufenthalts der Kindesmutter, konnte die Vaterschaftsanerkennung des Klägers vom 24. Juli 2002 noch nicht rechtswirksam erfolgen. Es bedurfte eines gerichtlichen Verfahrens zur Vaterschaftsfeststellung; erst nach dessen Abschluss konnte der Kläger einen Antrag auf elterliche Sorge des Kindes stellen konnte. Ausweislich des Vermerks vom 23. September 2002 ist dem Kläger erklärt worden, dass in Anbetracht des bereits länger andauernden Klinikaufenthaltes eine Entscheidung über die vom Jugendamt angestrebte Unterbringung des Kindes in eine Pflegefamilie ungeachtet des Ausgangs des Vaterschaftsanerkennungsverfahrens und der Behauptung des Klägers, über die - den hohen Anforderungen genügende - Kompetenz zur Pflege und Betreuung des Kindes zu genügen, dringend erforderlich sei. Auf die Klärung dieser Frage könne deshalb nicht mehr gewartet werden. Im September 2002 kam der Kläger deshalb mangels feststehender Vaterschaft auch als vorläufige Pflegestelle nicht in Betracht. http://www.justiz.nrw.de/nrwe/ovgs/vg_aachen/j2008/2_K_213_06urteil20080909.html 30.12.2011
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Verwaltungsgericht Aachen, 2 K 213/06                                                  Seite 5 von 9 Der Kläger kann sein Begehren auch weiter nicht auf § 83 SGB X stützen, der bei                 22 unrichtiger oder unvollständiger Auskunft einen Anspruch auf Berichtigung bzw. Vervollständigung verschaffen kann. Diese Vorschrift ist hier nicht einschlägig, weil sich das Auskunftsbegehren nicht auf zur Person des Klägers gespeicherte Sozialdaten bezieht, sondern auf solche zur Person des Sohnes E. . Die Klage mit dem unter Nr. 2 der Klageschrift geltend gemachten                                23 Akteneinsichtsanspruch ist zwar zulässig, aber unbegründet. Der für das Jugendhilferecht zuständige 12. Senat des OVG NRW, Beschluss vom 10. 24 Dezember 2003 - 12 E 453/02 - hat dazu in einem vergleichbaren Fall ausgeführt: "Diesem Begehren [Akteneinsicht in die über den Sohn geführte Jugendamtsakte]                   25 steht § 65 SGB VIII entgegen. Das gilt unabhängig davon, ob der Kläger Beteiligter eines jugendhilferechtlichen Verfahrens ist, zu dem die in Rede stehende Akte geführt wird. Wäre das der Fall, hätte er grundsätzlich nach § 25 Abs. 1 SGB X einen Akten- Einsichtsanspruch. Wäre er verfahrensunbeteiligter Dritter, könnte er lediglich einen Anspruch auf Entscheidung über sein Akteneinsichtsgesuch nach pflichtgemäßem Ermessen geltend machen. In beiden Fällen ließe § 65 Abs. 1 SGB VIII die begehrte Akteneinsicht nicht zu. Durch diese Vorschrift wird zwar unmittelbar nur der jeweilige Jugendamtsmitarbeiter einem Datenweitergabeverbot unterworfen. Mittelbar verpflichtet die Norm aber auch den Jugendhilfeträger insoweit, als er alles zu unterlassen hat, was den Mitarbeiter in die Lage bringen könnte, gegen das Weitergabeverbot zu verstoßen.                                   ................. Bei dem Verlangen eines Beteiligten auf Akteneinsicht kommt diese mittelbare Verpflichtung über § 25 Abs. 3 SGB X zur Geltung, wonach die Behörde zur Gestattung der Akteneinsicht nicht verpflichtet ist, soweit die Vorgänge wegen der berechtigten Interessen der Beteiligten oder dritter Personen geheimgehalten werden müssen. Gegenüber dem Akteneinsichtsbegehren eines nicht am Verfahren Beteiligten genießen die berechtigten Interessen der Beteiligten oder Dritter an der Geheimhaltung jedenfalls keinen geringeren Schutz. Die Voraussetzungen des § 65 Abs. 1 SGB VIII für ein Weitergabeverbot liegen vor.               26 Nach dieser Vorschrift dürfen Sozialdaten, die dem Mitarbeiter eines Trägers der öffentlichen Jugendhilfe zum Zweck persönlicher und erzieherischer Hilfe anvertraut worden sind, von diesem nur unter den dort aufgeführten Voraussetzungen weitergegeben werden        " Im Übrigen schließt sich das Gericht der ausführlich begründeten Auffassung des                 27 OVG NRW im Beschluss vom 26. März 2008 - 12 E 115/08 - bezüglich der Beschwerde im Prozesskostenhilfeverfahren an. Das OVG NRW hat dort ausgeführt: "Die Klage mit dem unter Nr. 2. der Klageschrift geltend gemachten                              28 Akteneinsichtsanspruch ist aller Voraussicht nach unbegründet. Auf die ebenfalls zutreffenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts, die der Rechtsprechung des Senats zu §§ 25 SGB X, 65 SGB VIII entsprechen, vgl. OVG NRW, Beschluss vom 10. Dezember 2003 - 12 E 453/02 -, Juris,                           29 wird Bezug genommen.                                                                            30 Soweit der Kläger geltend macht, ihm müsse die Möglichkeit gegeben werden, über                 31 die damaligen Vorgänge (Entziehung des Kindes kurz nach der Geburt) Auskunft durch Einsichtnahme in die Jugendamtsakte zu erlangen, werden die besondere http://www.justiz.nrw.de/nrwe/ovgs/vg_aachen/j2008/2_K_213_06urteil20080909.html 30.12.2011
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Verwaltungsgericht Aachen, 2 K 213/06                                               Seite 6 von 9 rechtssystematische Funktion sowie der Sinn und Zweck des § 65 SGB VIII verkannt. Das besondere Weitergabeverbot des § 65 SGB VIII überlagert in dem von dieser Regelung erfassten Bereich der anvertrauten Sozialdaten in der persönlichen und erzieherischen Hilfe die sich nach den allgemeinen Regelungen der Akteneinsicht und dem Schutz bzw. der Weitergabe von Sozialdaten (§§ 35 SGB I, 25, 67 bis 85a SGB X, 61 bis 68 SGB VIII) ergebenden Verpflichtungen der Jugendämter oder ihrer Rechtsträger zur Datenweitergabe bzw. zur ermessenfehlerfreien Entscheidung hierüber, indem es Auskunfts- oder Akteneinsichtsansprüche, die auf eine Weitergabe von anvertrauten Sozialdaten hinauslaufen, "nur" in den engen Grenzen des § 65 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1 bis 5 SGB VIII gestattet, sie im übrigen jedoch dem Jugendamtsmitarbeiter - und damit mittelbar auch dem Rechtsträger des Jugendamtes (vgl. § 25 Abs. 3 SGB X, § 35 Abs. 3 SGB I i.V.m. § 65 Abs. 2 SGB VIII) - umfassend und als spezialgesetzliche Norm auch unabhängig davon versagt, aus welcher sonstigen Ermächtigungsgrundlage der jeweilige Auskunfts- bzw. Akteneinsichtsanspruch hergeleitet wird (z.B. ergänzend aus § 4 Abs. 1 IFG NRW) und ob insoweit etwaige Subsidiaritätsregelungen den Vorrang des § 65 SGB VIII anerkennen (z.B. § 4 Abs. 2 Satz 1 IFG NRW). In dieser - partiellen - Verbotswirkung erschöpft sich allerdings auch die genannte Regelung; Handlungspflichten der Jugendämter werden hierdurch grundsätzlich nicht begründet. Vgl. etwa zur mangelnden Regelungsnotwendigkeit bei Verweigerung der Einwilligung            32 durch Personensorgeberechtigte: Münder u.a., a.a.O., § 65 Rdn. 14 a.E. Entfällt die Sperre des § 65 SGB VIII, folgt allein hieraus noch nicht die Verpflichtung     33 des Jugendamtes zur Auskunftserteilung und/oder zur Gewährung von Akteneinsicht; diese richtet sich vielmehr - wie in den von § 65 SGB VIII nicht erfassten Bereichen - nach den o.g. allgemeinen Regelungen. Vgl. Kunkel, in: LPK-SGB VIII, 3. Aufl. 2006, § 65 Rn. 1.                                    34 Tragender Grund für die rigorose Einschränkung der Informationsweitergabe durch              35 das in § 25 Abs. 3 SGB X i.V.m. § 65 SGB VIII - in Abweichung von dem allgemeinen sozialrechtlichen Akteneinsichtsrecht nach § 25 Abs. 1 SGB X - verankerte, besondere Weitergabeverbot von Sozialdaten in der persönlichen und erzieherischen Hilfe ist das staatliche Interesse an einer effektiven Hilfeerbringung im Interesse des Hilfebedürftigen, in der Regel also die Gewährleistung des Kindeswohls, das in der Abwägung der widerstreitenden Interessen regelmäßig deutlich höher zu veranschlagen ist, als das über die Ausnahmetatbestände des § 65 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII hinausgehende Informationsbedürfnis eines leiblichen und - wie hier - nicht sorgeberechtigten Vaters, dem ohnehin durch die Beteiligung im jugendhilferechtlichen Verfahren und seine Rechtsstellung in den häufig parallel laufenden familien- und vormundschaftsgerichtlichen Verfahren, in denen die Jugendämter nach § 50 SGB VIII mitwirken und unterrichten, Rechnung getragen ist. Grundlage der staatlich intendierten effektiven Hilfeerbringung im Interesse des             36 Hilfebedürftigen ist die besondere vertrauensvolle Personalbeziehung zwischen den Fachkräften des Jugendamtes einerseits sowie Leistungsberechtigten und sonstigen Dritten andererseits, die den Fachkräften Sozialdaten anvertraut haben. Mit dem besonderen Weitergabeverbot des § 65 SGB VIII erkennt der Gesetzgeber aus fachlich-methodischen Gründen an, dass nur dann, wenn in dem hochsensiblen und konfliktträchtigen Bereich der persönlichen und erzieherischen Hilfe gewährleistet ist, dass dem einzelnen Jugendamtsmitarbeiter anvertraute Sozialdaten - bis auf klar definierte Ausnahmetatbestände - von diesem Jugendamtsmitarbeiter nicht weitergegeben werden (dürfen), sich in dem jeweiligen vielschichtigen http://www.justiz.nrw.de/nrwe/ovgs/vg_aachen/j2008/2_K_213_06urteil20080909.html 30.12.2011
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Verwaltungsgericht Aachen, 2 K 213/06                                              Seite 7 von 9 Hilfeleistungsverhältnis das notwendige persönliche Vertrauensverhältnis zu einem Jugendamtsmitarbeiter entwickeln kann, das die erforderliche Offenheit und Mitwirkungsbereitschaft erzeugt, die für einen Erfolg der Hilfeleistung im Interesse des Hilfebedürftigen (und nicht zuletzt auch der staatlichen Gemeinschaft) letztlich unverzichtbar sind. § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VIII knüpft die Beseitigung des besonderen                     37 Weitergabeverbots an die Einwilligung desjenigen, der die Sozialdaten dem Mitarbeiter des Jugendamtes anvertraut hat. Dies kann, muss aber nicht immer zugleich auch der Betroffene sein. § 65 SGB VIII regelt insoweit den Konflikt, der sowohl in § 203 StGB als auch in den §§ 67 ff. SGB X angelegt ist, wenn Betroffene und anvertrauende Personen nicht identisch sind, konsequent zugunsten des Anvertrauenden. Vgl. Münder u.a., a.a.O., § 65 Rn. 11.                                                      38 Damit stellt die genannte Regelung (sofern nicht die weiteren Ausnahmevorschriften          39 der Nummern 2 bis 5 des Absatzes 1 eingreifen, wovon im vorliegenden Fall nicht ausgegangen werden kann) im Interesse der Aufrechterhaltung des Vertrauens sicher, dass ausschließlich derjenige, der dem Mitarbeiter des Jugendamtes Sozialdaten anvertraut hat, auch weiterhin darüber entscheidet, ob und ggf. an wen diese Informationen weitergegeben werden dürfen. Auf diese Weise vermeidet sie zudem - auf der Ebene des Weitergabeverbots - in verwaltungspraktikabler Weise und im Interesse der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit die im Falle der Maßgeblichkeit der Einwilligung von "Betroffenen" vielfach unklaren Grenzziehungen und Erschwerungen infolge gegenläufiger Interessen unterschiedlicher "Betroffener", wie etwa bei der Einwilligung zur Weitergabe von Sozialdaten im Fall einer der Hilfeleistung vorangegangenen Kindesmisshandlung. Vgl. Münder, SGB VIII, 5. Aufl. 2006, a.a.O.                                                40 Eine gleichermaßen zur effektiven Hilfeleistung geeignete, verwaltungspraktische            41 Gewährleistung der erforderlichen Vertrauensbasis, die in Abwägung der gegenläufigen Interessen in dem hier in Rede stehenden sensiblen Bereich der persönlichen und erzieherischen Jugendhilfe die Rechtsposition eines leiblichen, nicht sorgeberechtigten Vaters aus Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 Abs. 1 EMRK weniger einschränkt, wird in der Beschwerdebegründung schon nicht dargelegt und ist auch sonst nicht ersichtlich. Das Weitergabeverbot des § 65 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII steht im vorliegenden Fall             42 dem geltend gemachten Akteneinsichtsanspruch entgegen. Dass durch die begehrte Akteneinsicht - die nach ihrem verlautbarten Zweck in der Sache auf die Einsichtnahme in sämtliche Aktenbestandteile gerichtet ist, die mittelbar oder unmittelbar Erkenntnisse über die Gründe vermitteln, die zur Übergabe des Kindes an eine Pflegefamilie geführt haben und damit gerade auf die Einsichtnahme in Aktenbestandteile abzielt, die aufgrund fehlender Einwilligung gesperrte anvertraute Sozialdaten beinhalten - i.S.d. § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VIII anvertraute Sozialdaten zur Kenntnis des Klägers gelangen werden, wird in der Beschwerdebegründung nicht in Abrede gestellt. Auch ist nichts dafür ersichtlich, dass entgegen der Behauptung des Beklagten die für eine Weitergabe der in den Akten vorhandenen anvertrauten Sozialdaten an den Kläger nach § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VIII erforderlichen Einwilligungen vorliegen, was eine erfolgreiche Klageweise Geltendmachung des Akteneinsichtsbegehrens jedoch angesichts des Verbotscharakters des § 65 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII voraussetzt." http://www.justiz.nrw.de/nrwe/ovgs/vg_aachen/j2008/2_K_213_06urteil20080909.html 30.12.2011
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Verwaltungsgericht Aachen, 2 K 213/06                                             Seite 8 von 9 ...........                                                                                43 Dementsprechend scheidet auch ein Akteneinsichtsanspruch des Klägers nach § 4              44 Abs. 1 IFG NRW ...... aus. Soweit der 21. Senat des OVG NRW im Beschluss vom 31. Januar 2005 - 21 E 1487/04 -, Juris, entschieden hat, dass § 25 SGB X keine besondere, ein Akteneinsichtsrecht nach § 4 Abs. 2 Satz 1 IFG NRW ausschließende Rechtsvorschrift sei, lässt der beschließende Senat mit Blick auf das im sozialrechtlichen Verfahren regelmäßig besonders schützenswerte Sozialgeheimnis (§ 35 SGB I) offen, ob diese Auffassung zutrifft. Jedenfalls geht, wie oben dargelegt, das verwaltungsverfahrens-unabhängige bundesrechtliche Weitergabeverbot des § 65 SGB VIII als besondere Rechtsvorschrift über den Zugang zu anvertrauten Sozialdaten dem durch § 4 Abs. 1 IFG NRW vermittelten Zugang zur amtlichen Information vor und sperrt auch insoweit das Akteneinsichtsbegehren. Der Vortrag des Klägers in der mündlichen Verhandlung hat keinen Anlass gegeben            45 von diesen Erwägungen abzuweichen. Soweit die frühere Prozessbevollmächtigte des Klägers in der                               46 Beschwerdebegründung des Prozesskostenhilfeverfahrens den Antrag gestellt hat, den Beklagten zu verpflichten, seine Einwilligung zur Einsichtsnahme der Jugendamtsakten des Sohnes des Klägers zu erteilen, gibt dies zu keiner für den Kläger günstigeren Entscheidung Anlass. Zum einen hat der Kläger diesen schriftlich angekündigten Antrag in der mündlichen Verhandlung nicht wiederholt. Zum anderen ist, wie das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in seiner Entscheidung ausgeführt hat, der Beklagte hierfür nicht mehr passiv legitimiert. Mit Beschluss des Landgerichts B. vom 8. Juni 2007 - 3 T 135/07 - ist der Beklagte aus der Vormundschaft entlassen und der Sozialdienst Katholischer Frauen e. V., Ortsverein M. , zum neuen Vormund des Kindes bestellt worden. Die dagegen gerichtete weitere Beschwerde des Klägers ist durch Beschluss des Oberlandesgerichts L. vom 18. September 2007 zurückgewiesen worden. Dem erkennenden Gericht sind die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes für           47 Menschenrechte, vgl. Urteile vom 8. Juli 2003 - Beschwerde Nr. 31871/96 und 30943/96 -, FamRZ 2004, 337 ff., und 26. Februar 2004 - Beschwerde Nr. 74969/01 - FamRZ 2004, 1456 ff., zur Rechtsstellung (insbes. in Bezug auf das Umgangsrecht) des                             48 nichtsorgeberechtigten Vaters von Kindern nicht miteinander verheirateter Eltern im Lichte der Art. 8 EMRK bekannt; sie hat die Erwägungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte bei der hier zu treffenden Entscheidung berücksichtigt. Sie hat aber auch in Rechnung gestellt, dass der Beklagte auf andere Weise die Informationsbeschaffung des Klägers über die aktuelle Situation seines Kindes sicherstellt, z.B. in dem er ihn regelmäßig zu den Hilfeplangesprächen nach § 36 SGB VIII einlädt und der Kläger ein eigenes, wenn auch zeitlich beschränktes Umgangsrecht mit seinem Sohn hat. Im Übrigen kann im vorliegenden Verfahren weder die Unterbringung des Sohnes des Klägers in einer Pflegefamilie rückgängig gemacht werden, noch ist es Aufgabe der Verwaltungsgerichte, Sorgerechtsentscheidungen der Familiengerichte zu korrigieren oder auch nur in Frage zu stellen. Dies konnte in der Vergangenheit nur im Rechtsmittelzug der ordentlichen Gerichtsbarkeit oder kann zukünftig bei zu Gunsten des Klägers und seines Sohnes geänderten tatsächlichen Verhältnissen durch ein neues Sorgerechtsverfahren geschehen. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 1, 188 Satz 2 VwGO.                      49 http://www.justiz.nrw.de/nrwe/ovgs/vg_aachen/j2008/2_K_213_06urteil20080909.html 30.12.2011
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Verwaltungsgericht Aachen, 2 K 213/06                                           Seite 9 von 9 Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO iVm den §§         50 708 Nr. 11, 711 ZPO. http://www.justiz.nrw.de/nrwe/ovgs/vg_aachen/j2008/2_K_213_06urteil20080909.html 30.12.2011
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