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Aktenzeichen
2 A 101.06
Datum
10. Oktober 2007
Gericht
Verwaltungsgericht Berlin
Gesetz
Informationsfreiheitsgesetz Bund (IFG)
Informationsfreiheitsgesetz Bund (IFG)

Urteil: Verwaltungsgericht Berlin am 10. Oktober 2007

2 A 101.06

Das Bundeskanzleramt ist nicht verpflichtet, Unterlagen zur Ostseepipeline offenzulegen, da es sich um Akten handelt, die die Regierungstätigkeit der Bundeskanzlerin bzw. des Bundeskanzleramtes betreffen. Die Regierungstätigkeit ist der öffentlichen Verwaltung nicht zuzurechnen; das Bundeskanzleramt hat nicht als Behörde im Sinne des Informationsfreiheitsgesetzes gehandelt. Vielmehr geht es um politische Entscheidungen, welche die Sicherung der Rohstoffversorgung der Bundesrepublik Deutschland sowie ihre auswärtigen Beziehungen betreffen. (Quelle: LDA Brandenburg)

Anwendungsbereich/ Zuständigkeit Internationale Beziehungen

Abschrift

Justizangestellte als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle

VERWALTUNGSGERICHT BERLIN URTEIL In der Verwaltungsstreitsache

Prozessbevollmächtigte:

gegen

Im Namen des Volkes

Klägers,

die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch das Bundeskanzleramt, Willy-Brandt-Straße 1, 11012 Berlin, Beklagte, Prozessbevollmächtigte:

hat das Verwaltungsgericht Berlin, 2. Kammer, aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 10. Oktober 2007 durch

die Präsidentin des Verwaltungsgerichts Xalter, den Richter am Verwaltungsgericht Richard, den Richter am Verwaltungsgericht Erckens, den ehrenamtlichen Richter und den ehrenamtlichen Richter

für Recht erkannt: Die Klage wird abgewiesen. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger begehrt Zugang zu Informationen des Bundeskanzleramtes über das Projekt der "North European Pipeline" (im Folgenden: Ostseepipeline). Der Kläger ist als Journalist tätig.

Die Ostseepipeline ist eine geplante Gasleitung, durch die ab dem Jahre 2010 russisches Erdgas durch die Ostsee nach Deutschland befördert werden soll. Anfang September 2005 wurde ein Vertrag über den Bau der Pipeline von dem russischen Energiekonzern Gazprom und den deutschen Konzernen E.ON und BASF unterzeichnet. Für den Bau der Pipeline gewährten die Kreditanstalt für Wiederaufbau und die Deutsche Bank der Gazprom einen Kredit, für den die Bundesrepublik Deutschland sich verbürgte. Die Bürgschaft wurde von dem hierfür zuständigen Interministeriellen Ausschuss der Bundesregierung, dem das Wirtschafts-, Finanz-, Außen- und Entwicklungshilfeministerium angehören, in seiner Sitzung vom 24. Oktober 2005 bewilligt.

Anfang April 2006 beantragte der Kläger, ihm nach dem Informationsfreiheitsgesetz des Bundes alle Akten und Vermerke des Bundeskanzleramtes seit dem Jahre 2003 zur Verfügung zu stellen, in denen die Planung und der Bau der Ostseepipeline sowie die Kreditbürgschaft des Bundes für das Projekt der Ostseepipeline thematisiert würden, insbesondere solche im Zusammenhang mit der Sitzung des Interministeriellen Ausschusses vom 24. Oktober 2005.

Mit Bescheid des Bundeskanzleramtes vom 4. Mai 2006, bestätigt durch Widerspruchsbescheid des Bundeskanzleramtes vom 27. Juni 2006, lehnte die Beklagte den Antrag ab. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, ein Anspruch des Klägers auf Informationszugang sei gemäß $ 3 Nr. 1 Buchst. a IFG ausgeschlossen. Mit dem Abschluss eines Vertrages zum Bau der Ostseepipeline habe die Bundesregierung eine Möglichkeit eröffnet, Deutschland Zugang zur weiteren Rohstoffversorgung zu eröffnen. Dabei seien von Seiten der Bundesregierung alle vorhandenen politischen Mittel ausgeschöpft worden, um zusätzliche Versorgungsmärkte zu erschließen. Die dem Bundeskanzleramt vorliegenden Unterlagen seien überwiegend Dokumentationen, die der Leitung des Hauses zur Vorbereitung von Gesprächen über den Stand der Planung und dem Bau der Pipeline gedient hätten. Die Veröffentlichung der darin enthaltenen Informationen würde das Vorgehen der Bundesregierung offenbaren und damit die Verhaltens- und Verhandlungsmuster der Bundesregierung für Dritte ersichtlich machen. Dies

-3: könnte sich auf zukünftige Verhandlungen der Bundesregierung in internationalen Fragen der Rohstoffversorgung nachteilig auswirken.

Mit der am 17. Juli 2006 erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Er ist der Ansicht, dass ihm ein Anspruch nach dem Informationsfreiheitsgesetz auf die begehrten Informationen zustehe. Bei dem Bundeskanzleramt handele es sich um eine Behörde im Sinne von $ 1 Abs. 1 Satz 1 IFG. Dazu gehörten alle Verwaltungsbehörden im organisatorischen Sinne. Hierzu zähle auch das Bundeskanzleramt als Eigenverwaltung eines Verfassungsorgans. Die in Frage stehenden Informationen beträfen auch materielle Verwaltungsaufgaben. Zwar unterfalle Regierungshandeln im eigentlichen Sinne als verfassungsrechtliche Tätigkeit nicht dem Geltungsbereich des Verwaltungsverfahrensgesetzes. Regierungsakte seien jedoch nur die von der Regierung in Erfüllung ihrer politischen Funktion vorgenommenen Führungsentscheidungen als rein verfassungsrechtliche Tätigkeit mit staatspolitischem Gewicht, wie z. B. die Bestimmung von Richtlinien in der Politik. Auch die Ausschlusstatbestände nach 8 3 Nr. 1 Buchst. a und Nr. 3 Buchst. b, Nr. 4 und 7, 86 Abs. 2 sowie 8 9 Abs. 3 IFG stünden seinem Anspruch nicht oder allenfalls zum Teil entgegen.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des Bundeskanzleramts vom 4. Mai 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Juni 2006 zu verpflichten, ihm nach Maßgabe seines Antrages vom 3. April 2006 die nachfolgenden Unterlagen des Bundeskanzleramtes zur Verfügung zu stellen:

  1. alle Akten und Vermerke des Bundeskanzleramtes seit dem Jahre 2003, in denen die Planung und der Bau der Erdgaspipeline "North European Pipeline" thematisiert werden,

  2. alle Akten und Vermerke des Bundeskanzleramtes, in denen die Kreditbürgschaft des Bundes für das Projekt der "North European Pipeline" thematisiert wird, insbesondere im Zusammenhang mit der Sitzung des Interministeriellen Ausschusses vom 24. Oktober 2005.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Auffassung, dass ein Anspruch des Klägers auf Informationszugang bereits deshalb ausgeschlossen sei, weil es sich bei den in Frage stehenden Informationen nicht um solche handele, die im Zusammenhang mit der Wahrnehmung von Verwaltungsaufgaben angefallen seien. Regierungstätigkeit habe keine materiellen Verwaltungsaufgaben zum Gegenstand. Die Regierungstätigkeit umfasse sowohl die politische Entscheidung als auch die Oberleitung des Staates. Mit dem Bundeskanzler-4-

:4- amt liege zwar eine Stelle vor, die Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnehmen könne, nicht aber müsse. Vielmehr sei jeweils für den konkreten Einzelfall zu beantworten, ob die Tätigkeit, die das Bundeskanzleramt im jeweiligen Sachzusammenhang wahrnehme, einen Bezug zur Verwaltung habe oder nicht. Hieraus folge, dass das Bundeskanzleramt ebenso wie die Bundesministerien in Teilbereichen als Behörde tätig sei, z. B. im Dienstrecht gegenüber den Beamten. Anders verhalte es sich im vorliegenden Fall, in dem der Kläger Einsicht in vorbereitende Unterlagen bzw. Gesprächsvermerke im Zusammenhang mit politischen Gesprächen auf Staatsebene verlange. Insoweit sei die Beklagte nicht nach $ 1 Abs. 1 IFG zur Auskunft verpflichtet, weil sie insoweit nicht materielle Verwaltungsaufgaben wahrnehme. Soweit der politische Verwaltungsauftrag des Bundeskanzlers gemäß Art. 65 Satz 1 GG reiche, vollziehe das Bundeskanzleramt nicht gesetzliche Vorschriften und Regeln, sondern nehme an der originären politischen Gestaltungstätigkeit teil bzw. schaffe die organisatorischen Voraussetzungen für die Schaffung der gestalterischen Vorgaben. Dieser schöpferische Vorgang habe mit Gesetzesvollzug, wie er dem materiellen Verwaltungsverständnis zu Grunde liege, nichts gemein. Sämtliche Dokumente, die der Kläger einsehen wolle, stünden in engem Zusammenhang mit dem Regierungshandeln, insbesondere der Tätigkeit des Alt-Bundeskanzlers. Die Schriftstücke bereiteten zum Teil die Aktivitäten des Alt-Bundeskanzlers vor, zum Teil dokumentierten und zeichneten sie dessen Tätigkeiten nach. Sämtliche Tätigkeiten seien nicht nach außen gerichtet, sondern dienten der Erledigung von Regierungsaufgaben insbesondere der Bundeskanzlerin. Es könne auch nicht zwischen der Bundeskanzlerin und dem Bundeskanzleramt unterschieden werden. Das Bundeskanzleramt sei Teil des Verfassungsorgans Bundesregierung. Soweit die Bundeskanzlerin das Bundeskanzleramt benutze, um ihre staatsleitenden Tätigkeiten zu organisieren und durchzuführen, wiesen sämtliche Tätigkeiten einen engen Bezug zur Staatsleitung auf und unterlägen demnach nicht dem Informationszugang.

Die Beklagte hat eine Liste (Anlage B 4) vorgelegt, in der 147 der bei ihr zu dem in Frage stehenden Thema vorhandenen Dokumente aufgeführt sind. Sie ist der Auffassung, dass hinsichtlich dieser Dokumente ein Anspruch des Klägers jedenfalls gemäß 8 3 Nr. 1 Buchst. a und Nr. 3 Buchst. b, Nr. 7 bzw. $ 6 Satz 2 IFG oder zum Teil nach 8 9 Abs. 3 IFG ausgeschlossen sei. Daneben befänden sich in ihren Akten noch rund 70 Dokumente, die als Verschlusssachen eingestuft worden seien und zu denen der Zugang jedenfalls gemäß $ 3 Nr. 4 IFG ausgeschlossen sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Streitakte und den Verwaltungsvorgang verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung gewesen sind.

-5: Entscheidungsgründe

Die zulässige Verpflichtungsklage ist unbegründet, denn die Ablehnung der begehrten Informationsgewährung ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seine Rechten (8 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zugang zu den in Frage stehenden Informationen gemäß $ 1 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes zur Regelung des Zugangs zu Informationen des Bundes (Informationsfreiheitsgesetz -— IFG) vom 5. September 2005 (BGBl. IS. 2722). Nach dieser Vorschrift hat jeder nach Maßgabe dieses Gesetzes gegenüber den Behörden des Bundes einen Anspruch auf Zugang zu amtlichen Informationen. Gemäß $ 1 Abs. 1 Satz 2 IFG gilt dieses Gesetz für sonstige Bundesorgane und -einrichtungen, soweit sie öffentlich-rechtliche Verwaltungsaufgaben wahrnehmen.

Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Das Bundeskanzleramt hat bei der politischen Begleitung und Umsetzung des Projekts der Ostseepipeline nicht als Behörde im Sinne des $ 1 Abs. 1 Satz 1 IFG gehandelt; es hat insoweit keine öffentlich-rechtlichen Verwaltungsaufgaben wahrgenommen, sondern Regierungstätigkeit im Sinne politischer Staatslenkung ausgeübt.

  1. Behörde im Sinne des $ 1 Abs. 1 Satz 1 IFG ist in Anlehnung an $ 1 Abs. 4 VwVfG jede Stelle, die Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnimmt. Die Identität der Behördenbegriffe des Informationsfreiheitsgesetzes und des Verwaltungsverfahrensgesetzes folgt nicht nur aus der generellen Anwendbarkeit des Verwaltungsverfahrensgesetzes für das Zugangsverfahren nach diesem Gesetz, sondern entspricht auch dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers (BT-Drs. 15/4493, S. 7; vgl. auch Rossi, Informationsfreiheitsgesetz, 2006, $ 1 Rn. 40).

Der Begriff der Aufgaben der öffentlichen Verwaltung ist ebenso wie derjenige der Verwaltungsaufgaben in $ 1 Abs. 1 Satz 2 IFG im materiellen Sinne zu verstehen, d. h. die wahrzunehmenden Aufgaben und Zuständigkeiten müssen sachlich der öffentlichen Verwaltung zuzurechnen sein und ihre Grundlage im öffentlichen Recht haben (vgl. Rossi, a. a. O., 8 1 Rn. 45; Scheel, in: Berger/Roth/Scheel, IFG, 2006, $ 1 Rn. 26). Nur wenn und soweit die Stelle materielles Verwaltungsrecht ausübt, ist sie Behörde im Sinne des Gesetzes; entsprechendes gilt für sonstige Bundesorgane oder einrichtungen. Die Beklagte verweist in diesem Zusammenhang zu Recht darauf, dass - wie die Regelung des $ 1 Abs. 1 Satz 2 IFG klarstellt — es nicht allein darauf ankommt, ob eine Stelle auch (abstrakt) Verwaltungsaufgaben wahrnimmt. $ 1 Abs. 1 Satz 2 IFG liefe dann leer, da in diesem Fall alle von vorgenannter Regelung erfassten

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:6- Bundesorgane schon wegen ihrer Eigenverwaltungen - etwa im dienstrechtlichen Bereich - hinsichtlich jeder von ihnen wahrgenommenen Aufgabe Behörden im Sinne von 8 1 Abs. 1 Satz 1 IFG wären, also selbst dann wenn sie im konkreten Fall keine materiellen Verwaltungsaufgaben wahrnähmen.

  1. Der öffentlichen Verwaltung, die gekennzeichnet wird durch die laufende Tätigkeit, die Ausführung der rechtlich festgelegten Aufträge und Maßstäbe des staatlichen Handelns (vgl. P. Stelkens/Schmitz, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 6. Aufl. 2001, 8 1 Rn. 169), sachlich nicht zuzurechnen ist Regierungstätigkeit. Das angeleitete, ausgerichtete, geführte "Verwalten" unterscheidet sich schon begrifflich von dem leitenden, richtungsgebenden, führenden "Regieren" (vgl. Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht, Bd. 1, 11. Aufl. 1999, $ 20 Rn. 25). Das Wort Regierung wird u. a. gebraucht zur Bezeichnung einer materiellen Staatstätigkeit. Hierzu zählen die von der Regierung in Erfüllung ihrer politischen Funktion vorgenommenen Entscheidungen, die der Regierung von der Verfassung aufgegeben sind und die, ohne sich an den Staatsbürger unmittelbar zu wenden, für Bestand und Leben des Staates sorgen. Dies betrifft insbesondere die Bestimmung der Richtlinien der Politik durch die Bundeskanzlerin (Art. 65 Satz 1 GG) und sonstige politische Führungsentscheidungen (vgl. statt vieler Meyer, in: Knack, VwVfG, 8. Aufl., 2004, 8 1 Rn. 79; P. Stelkens/Schmitz, a. a. O., 8 1 Rn. 149, 166 ff.; Kastner, in: Fehling/Kastner/Wahrendorf, Verwaltungsrecht, 2006, $ 1 VwVfG Rn. 41; Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. Il, 1980, $ 39 II 1, S. 684 ff.; vgl. auch BVerwGeE 2, 36 <38>).

Auch Sinn und Zweck des Informationsfreiheitsgesetzes gebieten nicht, Regierungstätigkeit im vorbezeichneten Sinne zum Anwendungsbereich des 8 1 Abs. 1 Sätze 1 und 2 IFG zu zählen. Das Informationsfreiheitsgesetz soll insbesondere der demokratischen Meinungs- und Willensbildung dienen und die Kontrolle staatlichen Handelns verbessern. Angesichts der verfassungsrechtlichen Kompetenzverteilung des Grundgesetzes, die dem Parlament - insbesondere der jeweiligen parlamentarischen Minderheit — die unmittelbare Kontrolle der Regierung, nicht zuletzt der von ihr getroffenen politischen Führungsentscheidungen überantwortet, und ihm hierfür eine Vielzahl von Kontrollinstrumenten zur Verfügung stellt (vgl. hierzu etwa Maurer, Staatsrecht |, 2. Aufl. 2001, Rn. 125 ff.), besteht kein Anlass für die Annahme, der Gesetzgeber habe auch in dem Bereich der Regierungstätigkeit der Bundeskanzlerin die demokratische Meinungs- und Willensbildung stärken und die Kontrolle staatlichen Handelns verbessern wollen.

Indem das Informationsfreiheitsgesetz demzufolge schon dem Grunde nach keinen Anspruch auf Zugang zu solchen Informationen gewährt, die Regierungstätigkeit im vorbeschriebenen Sinne betreffen, wird auch verfassungsrechtlichen Vorgaben Genüge -7-

Be getan. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gehört die Willensbildung innerhalb der Regierung zum verfassungsrechtlich geschützten Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung, der einen grundsätzlich nicht ausforschbaren Initiativ-, Beratungs- und Handlungsbereich einschließt (BVerfGE 67, 100 <139>). Der Schutz gilt vornehmlich für laufende Verhandlungen und Entscheidungsvorbereitungen. Aber auch bei abgeschlossenen Vorgängen sind Fälle möglich, in denen die Regierung aus dem Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung geheimzuhaltende Tatsachen mitzuteilen nicht verpflichtet ist (BVerfGE 67, 100 <139>). Insoweit gilt, dass Unterlagen aus dem Bereich der Vorbereitung von Regierungsentscheidungen, die Aufschluss über den Prozess der Willensbildung geben, umso schutzwürdiger sind, je näher sie der gubernativen Entscheidung stehen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 30. März 2004 - 2 BvK 1/01 - NVwZ 2004, 1105 <1107>). Damit aber dürfte der Zugriff auf Informationen der hier in Frage stehenden Art in erheblichem Umfang bereits aus verfassungsrechtlichen Gründen verwehrt sein. Dem entspricht es, den Anwendungsbereich des Informationsfreiheitsgesetzes bereits dem Grunde nach nicht zu eröffnen, mögen auch die den Schutz behördlicher Beratungen betreffenden Ausschlusstatbestände des 8 3 Nr. 3 Buchst. b oder des $ 4 IFG der Sache nach den Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung erfassen.

  1. Die politische Begleitung und Umsetzung des Projekts der Ostseepipeline durch den Alt-Bundeskanzler bzw. die Bundeskanzlerin stellt Regierungstätigkeit im vorgenannten Sinne dar. Denn es geht um politische Entscheidungen hinsichtlich der langfristigen Sicherung der Rohstoffversorgung der Bundesrepublik Deutschland ebenso wie um die auswärtigen Beziehungen Deutschlands zu Russland und Polen sowie zu weiteren Ostseeanrainerstaaten. Es geht damit unmittelbar um die Sorge für Bestand und Leben des Staates, um Handlungen im Kernbereich der politischen Staatsführung. Anders als im Fall materieller Verwaltungstätigkeit handelt es sich hier auch nicht um Tätigkeiten, die sich unmittelbar an den Staatsbürger wenden, oder etwa um die Ausführung rechtlich festgelegter Aufträge.

  2. Die (vorbereitende und begleitende) Tätigkeit des Bundeskanzleramtes dient dieser Regierungstätigkeit und ist damit zugleich Teil von ihr. Sie kann nicht von der Tätigkeit der Bundeskanzlerin (bzw. des Alt-Bundeskanzlers) getrennt werden. Das Bundeskanzleramt hat die Bundeskanzlerin insbesondere über die laufenden Fragen der allgemeinen Politik zu unterrichten und die Entscheidungen der Bundeskanzlerin vorzubereiten und auf ihre Durchführung zu achten (vgl. Stern, a. a. O, 8 31 11 4, S. 279 f., unter Verweis auf das Vorwort zum Einzelplan 04 des Bundeshaushaltsplans 1979). Das Bundeskanzleramt ist das vorbereitende und zuarbeitende Büro der Bundeskanzlerin, ihr

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Apparat und ihre Führungszentrale (Stern, a. a. O., m. w. N.). In diesem Sinne gilt, dass die Bundeskanzlerin auf die Arbeit des Bundeskanzleramtes angewiesen ist, sie gleichsam ohne das Amt "nicht sehen, hören noch schreiben, geschweige denn Richtlinien bestimmen" könnte (vgl. Hennis, Richtlinienkompetenz und Regierungstechnik, S. 19, zitiert nach Schenke, in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 65 Rn. 70). Wegen dieser engen Verzahnung zwischen der Bundeskanzlerin und dem Bundeskanzleramt ist die Tätigkeit des Bundeskanzleramtes stets selbst Regierungstätigkeit, soweit sie darauf gerichtet ist, Regierungstätigkeit, also insbesondere die Bestimmung der Richtlinien der Politik oder sonstige politische Leitentscheidungen vorzubereiten bzw. der Bundeskanzlerin insofern eine hinreichende Informations- und Abwägungsgrundlage zu erstellen.

  1. Nach Überzeugung der Kammer betreffen sämtliche der von der Beklagten in der Anlage B4 aufgeführten Unterlagen — beispielsweise die Drahtberichte der deutschen Botschaften in den Ostseeanrainerstaaten oder die begleitende Korrespondenz mit den an dem Projekt beteiligten Unternehmen ebenso wie die Manuskripte und Entwürfe des Bundeskanzlers oder Pressemitteilungen privater Unternehmen — sowie die weiteren 70 Verschlusssachen Regierungstätigkeit im oben beschriebenen Sinne mit der Folge, dass sie dem Anwendungsbereich des Informationsfreiheitsgesetzes nicht unterfallen. Es besteht kein hinreichender Anlass, einzelne dieser Informationen zum Bereich der Wahrnehmung materieller Verwaltungsaufgaben zu zählen, so dass es nicht darauf ankommt, ob es in diesem Bereich überhaupt möglich wäre, hinreichend umrissene, praktikable Unterscheidungsmerkmale zu finden. Bereits die vom Bundeskanzleramt getroffene Auswahl bestimmter Informationen als mögliche Grundlage politischer Leitentscheidungen dient der Regierungstätigkeit im oben beschriebenen Sinne und ist nicht lediglich verwaltende Tätigkeit, zumal sie doch regelmäßig bereits politische Bewertungen und Einschätzungen voraussetzt bzw. Rückschlüsse auf das zulässt, was die in Frage stehenden politischen Führungsentscheidungen unmittelbar beeinflussen kann.

Hat die Klage schon aus vorgenanntem Grund keinen Erfolg, bedarf keiner Entscheidung, ob dem geltend gemachten Anspruch ganz oder teilweise gesetzliche Ausschlussgründe nach den 88 3 ff. IFG entgegenstünden.

Die Kostenentscheidung folgt aus $ 154 Abs. 1 VwGO; die Entscheidungen über die vorläufige Vollstreckbarkeit und die Abwendungsbefugnis beruhen auf 8 167, 8 708 Nr. 11, 8 711 Satz 1 und 2 VwGO i. V. m. 8 709 Satz 2 ZPO.

Die Berufung ist gemäß $ 124 a Abs. 1 Satz 1 VwGO zuzulassen, da die Frage grundsätzliche Bedeutung im Sinne von 8124 a VwGO i. V. m. 8 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO hat,

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-9: ob und gegebenenfalls in welchem Umfang Regierungstätigkeit im oben beschriebenen Sinne vom Behördenbegriff des Informationsfreiheitsgesetzes des Bundes umfasst wird.

Rechtsmittelbelehrung

Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Berufung an das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg zu.

Die Berufung ist bei dem Verwaltungsgericht Berlin, Kirchstraße 7, 10557 Berlin, innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils einzulegen. Sie muss das angefochtene Urteil bezeichnen.

Die Berufung ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Urteils zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht zugleich mit der Einlegung der Berufung erfolgt, bei dem Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, Hardenbergstraße 31, 10623 Berlin, einzureichen. Die Begründung muss einen bestimmten Antrag enthalten sowie die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe).

Für das Berufungsverfahren besteht Vertretungszwang. Danach muss sich jeder Beteiligte durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule im Sinne des Hochschulrahmengesetzes mit Befähigung zum Richteramt als Bevollmächtigten vertreten lassen. Juristische Personen des öffentlichen Rechts und Behörden können sich auch durch Beamte oder Angestellte mit Befähigung zum Richteramt sowie Diplomjuristen im höheren Dienst, Gebietskörperschaften auch durch Beamte oder Angestellte mit Befähigung zum Richteramt der zuständigen Aufsichtsbehörde oder des jeweiligen kommunalen Spitzenverbandes des Landes, dem sie als Mitglied zugehören, vertreten lassen.

Xalter Erckens Richard

Neu/gr/Ri