Information

Aktenzeichen
2 A 56.04
Datum
10. Mai 2006
Gericht
Verwaltungsgericht Berlin
Gesetz
Informationsfreiheitsgesetz Berlin (IFG)
Informationsfreiheitsgesetz Berlin (IFG)

Urteil: Verwaltungsgericht Berlin am 10. Mai 2006

2 A 56.04

Es besteht kein Anspruch auf vollständige Akteneinsicht in die Akten zur Genehmigung von Tarifen für die Straßenreinigung einschließlich der Kalkulationsunterlagen bei der Senatsverwaltung. Ob aus den Akten Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse hervorgehen, kann dahinstehen, da die Akten bei der beklagten Senatsverwaltung nicht mehr vorhanden sind. Eine öffentliche Stelle "führt" Akten im Sinne des Informationsfreiheitsgesetzes, wenn die Akten tatsächlich vorhanden sind und die Stelle sie auf Dauer anlegt. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist derjenige der letzten mündlichen Verhandlung. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Beklagte die Unterlagen bereits zurückgegeben. (Quelle: LDA Brandenburg)

Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse Begriffsbestimmung

27-JUN-2@11 11:49 Von:Verwaltunesser. Bln. 8798 h 2a

VG 2A 56.04

An: +493329335649 S.16724

a Verkündet am 10. Mai 2006 Kelm Justizangestellte als Urkundsbeamtier der Geschäftsstelle

VERWALTUNGSGERICHT BERLIN URTEIL

In der Verwaltungsstreitsache

Im Namen des Volkes - . _ vo. m .- .. .-

hat das Verwaltungsgericht Berlin, 2. Kammer, auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 10. Mai 2006 durch

die Präsidentin des Verwaltungsgerichts Xalter, den Richter am Verwaltungsgericht Schaefer, den Richter am Verwaltungsgericht Ringe sowie die ehrenamtlichen Richter Herkendell und Huth

für Recht erkannt: Die Klage wird abgewiesen

4

Klägers,

Beklagten,

27-JUN-2011 11:49 Von:Verwaltunssseer. Bln. 8798

An: +493329335649 S.17'24 -2-

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Dem Kläger wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Berufung wird zugelassen.

'Tatbestand

Die Beteiligten streiten über ein Akteneinsichtsrecht des Klägers in Unterlagen betreffend die Genehmigung von Tarifen der Beigeladenen.

Die Senatsverwaltung für Wirtschaft und Technologie (nunmehr: Senatsverwaltung für Win- schaft, Arbeit und Frauen) - im Folgenden: Senatsverwaltung — genehmigte die Abfall- und Straßenreinigungstanfe der Beigeladenen, einer rechtsfähigen Anstalt des öffentlichen

Rechts, für die Kalkulationsperiode 1999/2000 mit Bescheid vom 31. März 1999 sowie für die Kalkulationsperiode 2001/2002 mit Bescheid vom 21. März 2001.

Der Kläger - ein eingetragener Verein ee "__,'und selbst Ei-

gentümer eines Grundstückes in Berlin - beantragte (zuletzt) unter dem 21. Februar 2001 bei der Senatsverwaltung Einsicht in die dort geführten Akten zur Genehmigung der "derzeitigen Tarife sowie der von der" "beantragten künftigen Tarife für die Abfallentsorgung und

Straßenreinigung" einschließlich der Kalkulationsunterlagen. Der Kläger befürchtet eine Unbilligkeit der Tarifgestaltung, insbesondere eine Quersubventionierung gewerblicher Tätigkeiten der Beigeladenen mit Entgelten aus deren hoheitlichen Tätigkeit.

Mit Bescheid vom 7. März 2001 entsprach die Senatsverwaltung dem Akteneinsichtsantrag des Klägers, soweit "der zur Akteneinsicht aufbereitete Vorgang" den Antrag der Beigeladenen auf Tarifgenehmigung 1999, die Beauftragung der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft sowie den Genehmigungsbescheid vom 31. März 1999 enthalte. Hinsichtlich des Gutachtens

1999 und der den Tarifantrag beigefügten Kalkulationsgrundlagen wies sie den Einsichtsantrag unter Berufung auf Geschäftsgeheimnisse der Beigeladenen zurück; hinsichtlich des

Tarifgenehmigungsverfahrens 2001 wies sie den Antrag unter Berufung auf das nicht abge-

schlossene Verfahren insgesamt zurück. Dem hiergegen erhobenen Widerspruch half die

27-JUN-2@11 11:49 Von:Verwaltunssser. Bln. 8799

An: +493329335649 5.1824 -3-

'Senatsverwaltung mit Widerspruchsbescheid vom 27. Februar 2002 insoweit ab, als sie dem Kläger Akteneinsicht in das Gutachten 1999 — mit Ausnahme der Seiten 15-22 und 28-32 -, den Antrag der Beigeladenen auf Tarifgenehmigung 2001, die Beauftragung der Wirtschafts- _prüfungsgesellschaft sowie den Genehmigungsbescheid vom 21. März 2001, das Gutachten 2001 — mit Ausnahme der Seiten 19-27 - sowie in Teile der Kalkulationsunterlagen gewährte; im Übrigen wies sie den Widerspruch unter Berufung auf Geschäftsgeheimnisse der Beigeladenen zurück.

Mit der am 28, März 2002 erhobenen — zunächst zu VG 23 A 71.02 geführten - Klage ver- folgt der Kläger sein Begehren auf vollständige Akteneinsicht weiter, Die Beteiligten streiten im Wesentlichen darüber, ob sich der Beklagte auf Geschäftsgeheimnisse des Beigeladenen berufen kann und ob bzw. inwieweit die streitigen Unterlagen Geschäftsgeheimnisse der

Ü Beigeladenen enthalten, insbesondere ob die in der Tarifkalkulation enthaltenen, das Monopolgeschäft der Beigeladenen betreffende Kostenpositionen Rückschlüsse auf ein Wettbe-

werbsgeschäft der Beigeladenen zulassen. Außerdem streiten die Beteiligten darüber, ob

das Informationsinteresse des Klägers das Geheimhaltungsinteresse der Beigeladenen ü- berwiegt.

Der Kläger beantragt,

den ..Bescheid der Senatsverwaltung für Wirtschaft und Technologie vom 7. März 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Senatsverwaltung für Wirtschaft, Arbeit und Frauen vom 27. Februar 2002 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, dem Kläger Akteneinsicht auch in die Teile der Genehmigungsvorgänge 1989 und 2001 zu gewähren, die nach dem Widerspruchsbescheid von der Einsicht- C nahme ausgeschlossen waren, Me

hilfsweise, den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides der Senatsvermaltung für Wirtschaft und Technologie vom 7. März 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Senatsverwaltung für Wirtschaft, Arbeit und Frauen vom 27, Februar 2002 zu verpflichten, seinen Antrag vom 21. Februar 2001 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.

Der Beklagte und die Beigeladene beantragen, _ die Klage abzuweisen.

Nachdem die Kammer auf Antrag des Klägers mit Beschluss vom 30. September 2005 die Akten gemäß $ 99 Abs. 2 VwGO dem Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg vorgelegt hatte, hat der Kläger auf rechtlichen Hinweis des 'OVG Berlin-Brandenburg seinen Antrag mit

Schriftsatz vom 7. Februar 2006 wieder zurückgenommen.

27-JUN-2@11 11:49 Von:Verwaltunasser. Bin. 8798

An: +493329335649 S.19'24

Ende April 2006 hat der Beklagte die streitigen Unterlagen aus den Tarifgenehmigungsver- fahren 1999 und 2001 der Beigeladenen übergeben und hierzu mitgeteilt: Bis zum Jahr 2004 seien die von der Beigeladenen vorgelegten Kalkulationsunterlagen sowie die Gutachten zur

Tarifkalkulation neben dem Genehmigungsvorgang in einem Schrank abgelegt worden, ohne dass es eine willentliche Entscheidung gegeben habe, diese Unterlagen zum amtlichen Vor- gang zu nehmen. Seit 2004 bestehe bei allen Tarifgenehmigungsverfahren die Praxis, nach Rechtskraft des jeweiligen Bescheides alle Unterlagen, die von den Antragstellern zur Glaubhaftmachung ihrer Tarife dem Tarifantrag beigefügt worden waren, an diese zurückzuschicken. Lediglich die Unterlagen, die Gegenstand eines verwaltungsgerichtlichen Verfah- rens gewesen seien, seien aus Respekt vor dem Gericht zurückgehalten worden. Nach der Verhandlung vor der erkennenden Kammer in einer Parallelsache am 25. April 2006 seien jedoch auch diese Unterlagen zurückgeschickt worden. Die. Beteiligten streiten nunmehr auch darüber, ob der Beklagte die streitigen Unterlagen noch führt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Streitakte des Gerichts und den Verwaltungsvorgang des Beklagten Bezug genommen.

. Entscheidungsgründe

Die Klage ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die begehrte (vollständige) Akteneinsicht. Anspruchsgrundlage für das Begehren des Klägers ist $ 3 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes zur Förderung der Informationsfreiheit im Land Berlin (Berliner Informationsfreiheitsgesetz - IFG) vom 15. Oktober 1999 (GVBi. S. 561), zuletzt geändert mit Gesetz vom.

n

  1. September 2004 (GVBl. S. 391) — im Folgenden: IFG Bin. Hiernach hat jeder Mensch, nach Satz 2 der Vorschrift auch eine juristische Person, nach Maßgabe dieses Gesetzes gegenüber den in $& 2 IFG Bin genannten öffentlichen Stellen nach seiner Wahl ein Recht auf Einsicht in oder Auskunft über den Inhalt der von der öffentlichen Stelle geführten Akten. Die Voraussetzungen sind hier nicht gegeben.

Zwar ist der Kläger als eingetragener Verein juristische Person und damit gemäß $ 3 Abs, 1 Satz 2 IFG Bin anspruchsberechtigt. Die beklagte Senatsverwaltung ist auch eine öffentliche . Stelle im Sinne des Gesetzes, da $ 2 Abs. 1 Satz 1 IFG Bin hierzu ausdrücklich Behörden zählt, Jedoch werden die streitigen Unterlagen — das Kurzgutachten 1999, das Gutachten 2001 sowie die Kalkulationsunterlagen der Beigeladenen für die beiden Kalkulationsperioden 1999/2000 und 2001/2002 - vom Beklagten nicht (mehr) "geführt",

27-JUN-2@11 11:58 Von:Verwaltunasser. Bln. 8798

An: +49 33208335649 S.28'24

Eine öffentliche Stelle "führt" Akten im Sinne der Vorschrift, wenn die Akten tatsächlich vor- handen sind und die öffentliche Stelle sie - nach ihrem jeweiligen Organisationsrecht - auf Dauer anlegt (vgl. Rossi, IFG, 2006, 8 2 Ranr, 11 f. zum Begriff "vorhandene Informationen" im IFG Bund; OVG Schleswig-Holstein, Urteil vom 30. März 2005 — 4 LB 26/04 -, NordÖR 2005, 208 [209] zum Begriff 'vorhandene Informationen" im IFG SH). Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist:nach dem materiellen Recht derjenige der ' letzten mündlichen Verhandlung. Denn das Akteneinsichtsrecht kann nur realisiert werden, wenn die Akten von der öffentlichen Stelle noch geführt werden. Es ist daher nicht erheblich, ob der Beklagte Unterlagen - insbesondere das von ihm in Auftrag gegebene, mit einer Original-Zeichnungsleiste versehene Kurzgutachten 1999 - früher geführt hat.

EN Im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung führt der Beklagte die streitigen Unterlagen nicht " mehr. Die streitigen Unterlagen sind tatsächlich nicht mehr vorhanden, nachdem die beklag- te Senatsverwaltung sie Ende April 2006 der Beigeladenen wieder übergeben hat. Dies ent- _ spricht dem Organisationsrecht des Beklagten, der diese Unterlagen seit 2004 nicht mehr auf Dauer anlegt. Seine frühere Praxis, die von den Antragstellern zur Tarifgenehmigung vorgelegten Unterlagen bei der Tarifigenehmigungsbehörde zu lagern, hat der Beklagte im Jahr 2004 für die vorhandenen und künftigen Unterlagen aufgegeben. Seitdem schickt die Tarifgenehmigungsbehörde bei allen Tarifgenehmigungsverfahren nach Rechtskraft des jeweiligen Bescheides alle Unterlagen, die die Antragsteller zur Glaubhaftmachung ihrer Tarife dem Tarifantrag beigefügt haben, an diese zurück. Die hier streitigen Unterlagen hatte der Beklagte nur wegen des anhängigen Gerichtsverfahrens noch nicht an die Beigeladene zurückgesandt. Anhaltspunkte für ein missbräuchliches Verhalten des Beklagten liegen bei (5 dieser Sachlage nicht vor.

Werden die Akten vom Beklagten nicht (mehr) geführt, kann dahinstehen, ob der Versagungsgrund des & 7 Satz 1 IFG Bin einem Akteneinsichtsrecht des Klägers entgegenstünde (vgl. hierzu die Urteile der Kammer vom 25. April 2006 in einer Parallelsache - VG 2 A 88.05 und VG 2 A 29.05 -).:

_ Die Berufung ist gemäß $ 124 a Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. $ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen. Die Frage, unter welchen Voraussetzungen Akten als von einer gu uueNen Stelle "geführte Akten anzusehen sind, hat grundsätzliche Bedeutung:

Die Kostenentscheidung beruht auf $$ 154 Abs. 1,'162 Abs. 3 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus& 167 VwGO i.V.m. 88 708 Nr. 11, 711 ZPO.

e7-JUN-2@11 11:58 Von:Verwaltunssser. Bin. 8798 An: +493320335649 S.2e1'24

-6- Rechtsmittelbelehrung

Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Berufung an das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg zu,

Die Berufung ist bei dem Verwaltungsgericht Berlin, Kirchstraße 7, 10557 Berlin, innerhalb _ eines Monats nach Zustellung des Urteils einzulegen. Sie muss das angefochtene Urteil bezeichnen.

Die Berufung ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Urteils zu begründen, Die Begründung ist, sofern sie nicht zugleich mit der Einlegung der Berufung erfolgt, bei dem Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, Hardenbergstraße 31, 10623 Berlin, einzureichen. Die Begründung muss einen bestimmten Antrag enthalten sowie die im Einzeinen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe).

Für das Berufungsverfahren besteht Vertretungszwang. Danach muss sich jeder Betöiligte durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule im Sinne des Hochschulrahmengesetzes mit Befähigung zum Richteramt als. Bevollmächtigten vertre- ten lassen. Juristische Personen des öffentlichen Rechts und Behörden können sich auch durch Beamte oder Angestellte mit Befähigung zum Richteramt sowie Diplomjuristen im hö- heren Dienst, Gebietskörperschaften auch durch Beamte oder Angestellte mit Befähigung zum Richteramt der zuständigen Aufsichtsbehörde oder des jeweiligen kommunalen Spitzenverbandes des Landes, dem sie als Mitglied zugehören, vertreten lassen.

Xalter Xalter Schaefer RIVG Ringe ist wegen Urlaubs- abwesenheit an der Unterschrift gehindert

schae/gr Ausgefertigt

Justizangestellte als Urkundsbeamte der Geschäftsstelle