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Aktenzeichen
9 K 1341/95
Datum
8. November 1996
Gericht
Verwaltungsgericht Freiburg
Gesetz
Umweltinformationsgesetz Bund (UIG)
Umweltinformationsgesetz Bund (UIG)

Urteil: Verwaltungsgericht Freiburg am 8. November 1996

9 K 1341/95

Bei den Informationen eines Regierungspräsidiums über Abwassereinleitungen einer Betriebsstätte, unzulässige Einleitungen sowie darauf bezogene Angaben über Maßnahmen der Verwaltung handelt es sich um Umweltinformationen in Sinne des Umweltinformationsgesetzes. Auch sind Informationen über abgeschlossene Strafverfahren und Ordnungswidrigkeiten vom Inhalt des Zugangsanspruchs umfasst. Der Zugang ist nicht generell wegen eines laufenden strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens ausgeschlossen; hierdurch begründet sich keine Sperrwirkung gegenüber solchen Informationen, die bereits vor Einleitung des Verfahrens bei der Behörde vorhanden waren. Das Verwaltungsgericht verpflichtet ein Regierungspräsidium, über den Einsichtsantrag neu zu entscheiden. (Quelle: LDA Brandenburg)

Anwendungsbereich/ Zuständigkeit Begriffsbestimmung Schutz besonderer Verfahren Strafverfolgung

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Az.:9 K 1341/95

 

VERWALTUNGSGERICHT FREIBURG
Im Namen des Volkes
Urteil |

In der Verwaltungsrechtssache

-Kläger-

-Beklagter-

wegen
Zugang zu Informationen über die Umwelt

hat die 9. Kammer des Verwaltungsgerichts Freiburg unter Mitwirkung des Vorsitzenden

Richters am Verwaltungsgericht Hüttebräucker, der Richterin am Verwaltungsgericht

Doetsch und des Richters am Verwaltungsgericht Kohl sowie der ehrenamtlichen Richter
I und auf die mündliche Verhandlung am 08. November 1996

für Recht erkannt:

Der Bescheid des Regierungspräsidiums vom 31. Januar 1995 und dessen Wider-
spruchsbescheid vom 16. Mai 1995 werden aufgehoben.
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Der Beklagte - Regierungspräsidium . , wird verpflichtet, über den Antrag des Klä-

gers auf Einsicht in die beim Regierungspräsidium aus den Jahren 1980 bis 1993 vorhande-

nen Umweltinformationen über die Betriebsstätte der Beigeladenen in ‚ und zwar

a) in die Erlaubnisse zur Einleitung von Abwasser in Gewässer einschließlich der Anfor-

derungen an deren Zusammensetzung und den Schadstoffgehalt, insbesondere zu
HCB, sowie

b) in die Informationen über die tatsächlichen Einleitungen und über Unfälle, Störfälle

und ähnliche Vorgänge, in denen Schadstoffe in Gewässer gelangt sind, und über
Maßnahmen des Verwaltungszwangs und abgeschlossene Ordnungswidrigkeits- und
Strafverfahren wegen Abwassereinleitungen,

unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.

Im übrigen wird die Klage abgewiesen

Der Kläger trägt die Hälfte der Verfahrenskosten und die Hälfte der außergerichtlichen Ko-
sten der Beigeladenen. Der Beklagte und die Beigeladene tragen gesamtschuldnerisch die
übrigen Verfahrenskosten mit Ausnahme der übrigen außergerichtlichen Kosten der Beige-
ladenen, welche diese auf sich behält.

Tatbestand:

Im Verlag des Klägers erscheint die ' Zeitung, diese beantragte am 10. Januar 1995
beim Regierungspräsidium unter Bezugnahme auf den Erlaß des Umweltministeri-
ums vom 4. Februar 1993 über den freien Zugang zu Informationen über die Umwelt, ihr
Einsicht in die Akten des Regierungspräsidiums über die HCB- (d.h. Hexachlorbenzol-)
Emissionen der Beigeladenen (gemeint war deren Werk in ..-.... |) zwischen den Jah-
ren 1980 und Ende 1993 zu gewähren. Besonderes Interesse bestehe an den Unterlagen,
die sich auf die Abwasser-Regeleinleitungen sowie Abweichungen von den behördlichen

Vorgaben, Havärien, Unfälle und die verhängten Zwangsgelder bezögen.

Nach Anhörung der Staatsanwaltschaft und der Beigeladenen lehnte das Regie-
rungspräsidium den Antrag mit Bescheid vom 31. Januar 1995 ab. Dies wurde im wesentli-
chen damit begründet, daß der Informationsanspruch nach der Vorschrift des 8 7 Abs. 1 Ziff.
2 des Umweltinformationsgesetzes (UIG) ausgeschlossen sei, weil ein strafrechtliches Er-
mittlungsverfahren gegen Mitarbeiter der Beigeladenen wegen des Verdachts der Gewäs-
serverunreinigung anhängig sei. Die in dem Ausschlußtatbestand enthaltene einschränken-

de Passage, wonach nur diejenigen Daten vom Informationsanspruch ausgenommen seien,
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"die der Behörde aufgrund des Verfahrens zugehen", gelte nicht für laufende strafrechtliche
Ermittlungsverfahren, sondern beziehe sich nur auf die unmittelbar zuvor genannten verwal-
tungsbehördlichen Verfahren. Der Ausschluß des Einsichtsrechts während eines Ermitt-
lungsverfahrens diene dazu, die Beschuldigten wie auch die beteiligten Justizorgane vom
Druck einer vorzeitigen Öffentlichkeitsbeteiligung freizuhalten. Die Ablehnungsgründe gälten
auch hinsichtlich des 8 4 LPresseG.

Der Kläger erhob hiergegen am 24. Februar 1995 Widerspruch, den er im wesentlichen
damit begründete, der Anspruchsausschluß beziehe sich bei allen in $ 7 Abs. 1 Ziff. 2 UIG
aufgeführten Verfahrensarten - und somit auch während eines strafrechtlichen Ermittlungs-
verfahrens - nur auf diejenigen Daten, die der Behörde aufgrund des Verfahrens zugegan-
gen seien. Die vom Kläger beanspruchten Informationen seien dem Regierungspräsidium
jedoch schon vor Einleitung des nun anhängigen Ermittlungsverfahrens zugegangen. Die
vertretene Auslegung ergebe sich aus dem Wortlaut und aus der Entstehungsgeschichte der
Vorschrift. Nach $ 7 Abs. 1 Ziff. 2 UIG dürfe der Informationsanspruch auch nicht zum
Schutz privater Belange der Beschuldigten eingeschränkt werden. Schutzwürdige öffentliche
Belange lägen nicht vor, nachdem der zuständige Staatsanwalt keine Einwände gegen die
beantragte Akteneinsicht erhoben habe. Auch die Vorschrift des $ 8 Abs. 1 Ziff. 1 UIG über
den Schutz personenbezogener Daten stehe dem Anspruch nicht entgegen, da zunächst
zweifelhaft sei, ob die maßgeblichen - anlagenbezogenen - Unterlagen derartige Daten
überhaupt enthielten. Jedenfalls müsse der Schutz personenbezogener Daten gegenüber
dem berechtigten Informationsinteresse der Allgemeinheit zurücktreten. Die Berufung des
Regierungspräsidiums auf 8 4 LPresseG gehe fehl, da der Kläger keinen Anspruch nach 8 4
LPresseG geltend gemacht habe. Presserechtliche Versagungsgründe, welche im übrigen
nicht vorlägen, könnten dem bundesrechtlich geregelten Umweltinformationsanspruch auch
nicht entgegengehalten werden. Darüberhinaus stehe dem Kläger auch ein verfassungs-
unmittelbarer Anspruch aus dem durch Art. 5 Abs. 1 GG garantierten Recht zu, Sich aus all-
gemein zugänglichen Quellen zu unterrichten. - Die Beigeladene beantragte die Zurückwei-
sung des Widerspruchs. Sie pflichtete der vom Regierungspräsidium vertretenen Ansicht
bei, wonach die Einschränkung des Ausschlußtatbestandes des 8 7 Abs. 1 Nr. 2 UIG auf die
der Behörde aufgrund des Verfahrens zugegangenen Daten nur für die Variante eines lau-
fenden Verwaltungsverfahrens gelte, welche von den anderen Verfahrensvarianten sprach-
lich durch ein "sowie" abgetrennt sei. Auch aus der Entstehungsgeschichte ergebe sich
nichts anderes. Des weiteren lasse die vom Kläger vertretene restriktive Auslegung die Vor-
schrift des $ 7 Abs. 1 Nr. 2 UIG funktionslos und inhaltsleer werden und sei mit dem Schutz
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der Rechtspflege nicht vereinbar. Wenn die Staatsanwaltschaft dem Einsichtsgesuch nicht
widersprochen habe, so sei dies ohne Relevanz, da es nicht um eine konkrete Beeinträchti-
gung in Einzelfall, sondern darum gehe, potentiellen Verfahrensbehinderungen von vorn-
herein vorzubeugen. Hierbei sei das Verteidigungsinteresse der Beschuldigten als öffentli-
cher Belang zu berücksichtigen. Im übrigen enthielten die vom Einsichtsgesuch betroffenen
Akten eine Vielzahl personenbezogener Daten sowie außerdem Betriebs- und Geschäftsge
heimnisse über das Produktionsverfahren für Chlorsilan, so daß auch 88 Abs. 1 UIG dem
Anspruch entgegenstehe. Der Schutz der genannten Daten sei auch vorrangig gegenüber

dem geltend gemachten allgemeinen Informationsinteresse.

Mit Widerspruchsbescheid vom 16. Mai 1995 wies das Regierungspräsidium . den
Widerspruch des Klägers zurück. Wie bereits im Ausgangsbescheid wurde dies im wesentli-
chen auf die Vorschrift des $ 7 Abs. 1 Nr. 2 UIG und das weiterhin anhängige strafrechtliche
Ermittlungsverfahren gegen Mitarbeiter der Beigeladenen gestützt. Dabei machte sich das
Regierungspräsidium das von der Beigeladenen vorgetragene Wortlautargument zu eigen
und verwies im übrigen auf ein Urteil der Kammer vom 11. Mai 1994 - 9 K 961/93 -. Es wäre
auch widersinnig, nur solche Daten von der Auskunftspflicht auszunehmen, die bei einem
Ermittlungsverfahren bei den Behörden (BußRgeldverfahren) angefallen seien. Schließlich
finde der durch das Umweltinformationsgesetz neugeschaffene Anspruch - und unter diesem
Gesichtspunkt sei die Vorschrift des 8 7 Abs. 1 Nr. 2 UIG zu sehen - seine Grenzen, wo an-
dere Belange von schutzwürdigem Gewicht betroffen seien. Soweit die betroffenen Informa-
tionen - wie im vorliegenden Fall - Bezug zu einem laufenden Ermittlungsverfahren hätten,
seien nicht nur private Belange, sondern auch das öffentliche Interesse an einem richtigen
Verfahrensausgang betroffen. Nachdem der Anspruch nicht auf $ 4 LPresseG gestützt wer-
de, sei lediglich hilfsweise anzumerken, daß eine Auskunft auch nach dieser Vorschrift nicht

erteilt werden könne, Ein Anspruch auf Akteneinsicht ergebe sich auch nicht aus Art. 5 Abs.
1 GG.

Auf diesen, ihm am 29. Mai 1995 zugestellten Widerspruchsbescheid hat der Kläger am 23.
Juni 1995 verwaltungsgerichtliche Klage erhöben. Er weist auf die Bedeutung des neuge-
schaffenen Informationsanspruchs hin und verteidigt seine Auslegung des einschränkenden
Nebensatzes zu 8 7 Abs. 1 Nr. 2 UIG. Das von der Gegenseite vorgebrachte Wortlautargu-
ment sei unergiebig, zumal ein so erheblicher Anspruchsausschluß klarer hätte angeordnet
werden müssen. Die Entstehungsgeschichte spreche vielmehr für das Gegenteil. In der Be-

gründung zum Regierungsentwurf sei - ohne Differenzierung zwischen strafrechtlichem
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Ermittlungsverfahren und Gerichtsverfahren einerseits und Verwaltungsverfahren anderer-
seits - ausgeführt: "Kennzeichnend für die Ausschlußgründe des 8 7 Abs. 1 Ziff. 2 ist, daß
sie während der Dauer der genannten Verfahren jeden Zugang zu Daten ausschließen, die
der Behörde erst mit oder nach Beginn der Verfahrens zugehen. Der Zugang zu Daten, die
bereits vorher vorhanden sind, wird nicht beschränkt" (BT-Drucks. 12/7138, S. 13). Es treffe
auch nicht zu, daß die Vorschrift funktionslos und inhaltsieer werde, wenn sie sich im Fall
eines laufenden Strafverfahrens nur auf solche Unterlagen beziehe, die der Behörde auf-
grund des Verfahrens zugingen. Abgesehen davon, daß die Auffassung des Klägers keinen
Wertungswiderspruch zur Folge habe, spreche gegen die Gegenauffassung auch, daß ein
strafrechtliches Ermittlungsverfahren bereits aus einem vergleichsweise geringfügigen und
möglicherweise auch manipulierbaren Anlaß eingeleitet werden könne. Die Schwelle für ei-
nen Anspruchsausschluß liege damit so niedrig, daß aus einem Ausnahmefall letztlich der
gesetzlich (und gemeinschaftsrechtlich) gerade nicht gewollte Regelfall werde. Auch der
Schutz der Beschuldigten im Strafverfahren und dessen Funktionsfähigkeit seien nicht ge-
eignet, die Auffassung der Gegenseite zu tragen. Denn weder gehe es nach 8 7 Abs. 1 Nr. 2
UIG um eine Abwägung oder einen verhältnismäßigen Ausgleich mit diesen Belangen, noch
erforderten diese es zwingend, die genannte Vorschrift im Sinne einer temporären Vollsper-
re während des laufenden Ermittlungsverfahrens auszulegen. Im übrigen stehe auch die
Vorschrift des $ 8 Abs. 1 UIG über den Schutz personenbezogener Daten und von Betriebs-
und Geschäftsgeheimnissen dem Anspruch nicht entgegen. Soweit in den Unterlagen per-
sonenbezogene Daten überhaupt enthalten seien, würden schutzwürdige Belange durch
eine Veröffentlichung wegen des Sozialbezugs umweltrelevanter Sachverhalte nicht .beein-
trächtigt. Insbesondere im Zusammenhang mit rechtswidriger umweltverschmutzender Tä-
tigkeit sei der Schutz personenbezogener Daten dem Informationsanspruch der Öffentlich-
keit nachrangig. Auch Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse würden nicht beeinträchtigt, zu-
mal es dem Kläger im wesentlichen um die Erlaubnisse zur Einleitung von Abwässern ein-
schließlich der Anforderungen an ihre Zusammensetzung und den Schadstoffgehalt sowie
um Umweltinformationen über die tatsächlichen Einleitungen sowie über abgeschlossene
Maßnahmen des Verwaltungszwangs, Ordnungswidrigkeits- und Strafverfahren gehe, je-
doch keine Einsicht in die einzelnen Verfahrensunterlagen der Beigeladenen oder in Be-
standteile der Akten des Genehmigungsverfahrens begehrt werde. Soweit die Beigeladene
eine Gefährdung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen aus der Kenntnis von Einleitun-
gen und der verschiedenen Schadstoffrachten herleiten wolle, argumentiere sie zu pau-

schal. Daß die Kenntnis bestimmter Emissionen Rückschlüsse auf ein bestimmtes Verfah-
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rens-Knowhow erlaube, sei nicht hinreichend belegt. Im übrigen gelte der Schutz des Be-
triebsgeheimnisses nur für umweltrechtskonforme Emissionen.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid des Regierungspräsidums .  ..., vom 31. Januar 1995 und dessen
Widerspruchsbescheid vom 16. Mai 1995 aufzuheben

und den Beklagten - Regierungspräsidum __. - zu verpflichten, ihm freien Zu-
gang zu den Umweltinformationen über die Betriebsstätte der Beigeladenen in
zu gewähren, die beim Regierungspräsidium aus den Jahren 1980 bis

1993 vorhanden sind, und zwar

a) die Erlaubnisse zur Einleitung von Abwasser in Gewässer einschließlich der
Anforderungen an deren Zusammensetzung und den Schadstoffgehalt, insbe-
sondere zu HCB, sowie

b) die Informationen über die tatsächlichen Einleitungen und über Unfälle, Störfäl-
le und ähnliche Vorgänge, in denen Schadstoffe in Gewässer gelangt sind, und
über Maßnahmen des Verwaltungszwangs und abgeschlossene Ordnungswid-
rigkeits- und Strafverfahren wegen Abwassereinleitungen;

bzw. hilfsweise, den Beklagten - Regierungspräsidiurr _ - zu verpflichten, über

den Antrag des Klägers auf freien Zugang zu diesen Informationen unter Beachtung

der Rechtsauffassung des Gerichts zu entscheiden.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung wird ergänzend im wesentlichen ausgeführt, die Einschränkung am Ende
von 8 7 Abs. 1 Nr. 2 UIG trage den unterschiedlichen Schutzzwecken Rechnung, die beim
Schutz eines Gerichtsverfahrens und eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens einerseits
sowie eines Verwaltungsverfahrens andererseits zu beachten seien. Beim verwaltungsbe-
hördlichen Verfahren sei es im wesentlichen um den Beschleunigungsgesichtspunkt gegan-
gen. Der Anspruchsausschluß habe deshalb auf die der Behörde aufgrund des Verfahrens
zugegangenen Daten eingeschränkt werden können. Übertrage man diese Einschränkung
auch auf strafrechtliche Ermittlungsverfahren, so werde der vom Gesetzgeber gewollte
Schutz dieser Verfahren, der auch in 8 3 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 UlG zum Ausdruck komme, auf

dem Umweg über die Verwaltungsbehörde unterlaufen.

Die Beigeladene beantragt ebenfalls,

die Klage abzuweisen.
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In

Zur Begründung wird im wesentlichen ausgeführt, der Anspruch auf Umweltinformationen sei
nicht schrankenlos gewährleistet und finde seine Grenze im vorliegenden Fall in den Be-
stimmungen der 88 7 und 8 UIG. Entscheidend für die Reichweite des Ausschlußtatbestan-
des in$ 7 Abs. 1 Nr. 2 UIG sei dessen Zielsetzung, die Rechtspflege und den Gesetzesvoll-
zug zu schützen. Das strafrechtliche Ermittlungsverfahren sei zum Schutz der Indivi-
dualsphäre des Betroffenen und zur Gewährleistung eines fairen Verfahrens bewußt nicht
öffentlich ausgestaltet worden. Der Schutzzweck der hierzu getroffenen Bestimmungen wür-
de aber umgangen, wenn ein interessierter Dritter auf dem Umweg über den Umweltinfor-
mationsanspruch gegen die Behörde Kenntnis über Gegenstand und Betroffene eines Er-
mittlungsverfahrens erlangen könnte. Diese Gefahr bestehe gerade im verwaltungsakzesso-
rischen Umweltstrafrecht. Zu berücksichtigen sei auch, daß es die europäische Umweltin-
formationsrichtlinie ohne Einschränkung zulasse, Daten zu sperren, wenn diese bei Gericht
anhängige Verfahren oder Vorverfahren berührten. Auch eine verfassungskonforme Ausle-
gung gebiete die vertretene (weite) Auslegung des Ausschlußtatbestandes. Zumindest teil-
weise sei der Anspruch auch nach $ 8 Abs. 1 Nr. 1 UlG zum Schutz personenbezogener
Daten ausgeschlossen. Jedenfalls gegenüber den personenbezogenen Daten über Mitarbei-
ter der Beigeladenen, die deren betriebliches Verhalten, ihre Aufgabenbereiche und ggf.
Fehler und Versäumnisse beträfen, müsse das Informationsinteresse der Allgemeinheit nach
der erforderlichen Einzelabwägung zurücktreten. Dies gelte um so mehr, soweit gegen die
betroffenen Personen ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren anhängig sei. Zum Gesichts-
punkt entgegenstehender Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse wird ausgeführt, die zum
Gegenstand des Antrags gemachten Erlaubnisse zur Einleitung von Abwasser enthielten
emissionsbegrenzende Auflagen sowie Daten über Auslastung und Nachrüstungsbedarf der
Anlage, die mittelbar Rückschlüsse auf Produktionsmethoden und Verfahrensabläufe und
auf die wirtschaftliche Stellung der Beigeladenen am Markt zuließen. Entsprechendes gelte
für die Emissionsdaten, deren Bekanntgabe der Kläger begehre. Namentlich wird geltend
gemacht, die Beigeladene habe ein spezielles Verfahren zur Herstellung von Organo-
Silanen entwickelt. Die HCB-Einleitung, die Gegenstand des staatsanwaltschaftlichen Ermitt-
lungsverfahrens sei, sei bei der Demontage und Reinigung eines stillgelegten Anlagenteils
entstanden. Wenn alle Daten Dritten zugänglich gemacht würden, wäre ein wesentlicher Teil
des Innovationspotentials der Beigeladenen preisgegeben. Schließlich sei ein Teil der vom
Auskunftsbegehren betroffenen Unterlagen dem Regierungspräsidium ohne rechtliche Ver-
pflichtung übermittelt worden, so daß, soweit sie nicht zum Mindestinhalt eines Antrages
zählten, der Ausschlußgrund des 8 7 Abs. 4 UIG eingreife. Wenn das Gericht trotz alledem
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einen Informationsanspruch des Klägers bejahen sollte, wäre jedenfalls die Gewährung von
Akteneinsicht wegen der mit den Umweltdaten verbundenen, nach 8 8 Abs. 1 UIG geheim-

zuhaltenden Daten ermessensfehlerhaft.

Dem Verwaltungsakt liegen die das Einsichtsgesuch betreffenden Verfahrensakten des Re-
gierungspräsidiums .. vor (ein Heft). Auf diese Akten und auf die Gerichtsakten wir.

wegen der weiteren Einzelheiten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist als Verpflichtungsklage gem. 88 40, 42, 68 ff. VwGO zulässig, aber nur teilwei-
se begründet. Der den Antrag des Klägers auf Zugang zu Umweltinformationen ablehnende
Bescheid des Regierungspräsidiums _ vom 31. Januar 1995 und dessen Wider-
spruchsbescheid vom 16. Mai 1995 sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen
Rechten (vgl. $ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO), weil der Ausschlußtatbestand des 8 7 Abs. 1 Nr.
2 UIG, auf den die Ablehnung maßgeblich gestützt wurde, entgegen der Ansicht des Beklag-
ten bei einem laufenden strafrechtlichen Ermittlungsverfahren keine Sperrwirkung für dieje-
nigen Daten begründet, die - wie die vom Kläger begehrten Informationen - der Behörde un-
abhängig von diesem Verfahren zugegangen sind. Das Verwaltungsgericht kann den Be-
klagten gleichwohl nicht zur Gewährung der vom Kläger beantragten Akteneinsicht verpflich-
ten, da die Sache hierfür nicht spruchreif ist (vgl. $ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Die erforderli-
che weitere Aufklärung des Sachverhalts obliegt nicht dem Gericht, sondern der Behörde.
Die Klage ist deshalb nur mit dem vom Kläger im Hilfsantrag verfolgten Neubescheidungs-
begehren erfolgreich (vgl. 8 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO).

Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch auf Zugang zu den beim Regie-
rungspräsidium vorliegenden Umweltinformationen ist $ 4 Abs. 1 Satz 1 UIG. Da-
nach hat jeder Anspruch auf freien Zugang zu den Informationen über die Umwelt, die bei
einer Behörde vorhanden sind. Da der Kreis der Anspruchsberechtigten nicht auf natürliche
Personen beschränkt ist, kann auch der Kläger als juristische Person des Privatrechts den
Anspruch geltend machen (vgl. Turiaux, UlG, Komm. 1995, $ 4 Rn. 4; Begründung zum Ge-
setzesentwurf, BT-Drucks. 12/7138, S. 12; Art. 3 Abs. 1 Richtlinie 90/313/EWG des Rates v.
7.6.1990 - UIR - ABI. EGL 158/56).
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rr
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Die Informationen, auf die sich der Antrag des Klägers bezieht, sind vom Anspruchsinhalt
des $ 4 Abs. 1 UlG umfaßt. Der dort geregelte Anspruch richtet sich nach der Legaldefinition
der Umweltinformationen in $ 3 Abs. 2 UIG auf alle in Schrift, Bild oder auf sonstigen Infor-
mationsträgern vorliegenden Daten über den Zustand v.a der Gewässer, der Luft und des
Bodens ($ 3 Abs. 2 Nr. 1 UIG), über Tätigkeiten oder Maßnahmen, die diesen Zustand be-
einträchtigen oder beeinträchtigen können (8 3 Abs. 2 Nr. 2 UIG) und über Tätigkeiten oder
Maßnahmen zum Schutz dieser Umweltbereiche einschließlich verwaltungstechnischer
Maßnahmen und Programme zum Umweltschutz (8 3 Abs. 2 Nr. 3 UIG). Die Erlaubnisse, auf
die sich der Antrag bezieht, sind - ebenso wie die Informationen über Maßnahmen des Ver-
waltungszwangs - als Maßnahmen nach 8 3 Abs. 2 Nr. 2 bzw. 3 UIG zu qualifizieren. Bei
den begehrten Informationen über Einleitungen, Unfälle oder Störfälle handelt es sich um
Daten i.S.v. 83 Abs. 2 Nr. 1 UIG. Daß sich das Informationsbegehren auf die Vergangenheit
richtet, steht dem Anspruch nicht entgegen, da Angaben über die Vergangenheit zur Beurtei-
lung des gegenwärtigen Umweltzustandes erforderlich sein können und aus Fehlern der
Vergangenheit auch Folgerungen für künftige Umweltschutzmaßnahmen gezogen werden
können. Daher unterfallen auch solche Daten dem Geltungsbereich des 83 Abs. 2 UIG (vgl.
Turiaux, a.a.O., 88 2, 3, Rn. 62).

Auch die vom Kläger beanspruchten Informationen über abgeschlossene Strafverfahren und
Ordnungswidrigkeitenverfahren sind vom Inhalt des Umweltinformationsanspruchs umfaßt.
Zwar ist zu berücksichtigen, daß mit den in 8 3 Abs. 2 Nr. 3 UIG genannten Tätigkeiten und
Maßnahmen zum Umweltschutz nach der Begründung zum Gesetzentwurf (vgl. BT-Drucks.
12/7138, S. 12) nicht jede entfernte Tätigkeit oder Maßnahme, die mittelbar dem Schutz der
Umwelt dient, wie beispielsweise Personalaufstockungen bei der Umweltverwaltung, erfaßt
werden sollte. Die Tätigkeit müsse vielmehr eine direkte Verbesserung der Umwelt zum Ziel
haben. Eine solche Zielrichtung dürfte den in einem Ordnungswidrigkeiten- oder Strafverfah-
ren verhängten Sanktionen - anders als den von der Behörde angewendeten Maßnahmen
des Verwaltungszwanges - nicht beizumessen sein. Mit ihnen sollen Umweltbelange viel-
mehr nur mittelbar gefördert werden, indem general- oder spezialpräventiv auf die Einhal-
tung einschlägiger Vorschriften hingewirkt werden soll. Ungeachtet dessen sind die vom
Kläger erstrebten Informationen über abgeschlossene Straf- und Ordnungswidrigkeitsverfah-
ren aber deshalb vom Inhalt des Umweltinformationsanspruchs umfaßt, weil davon auszu-
gehen ist, daß in diesen Verfahren Sachverhalte ermittelt und (in den ergangenen Entschei-
dungen) festgestellt worden sind, die unmittelbar ein umweltschädigendes Verhalten (8 3
Abs. 2 Nr. 2 UIG) betreffen. Entgegen der europarechtlich eingeräumten Möglichkeit, Infor-
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mationen geheimzuhalten, die früher Gegenstand eines gerichtlichen Verfahrens waren (vgl.
Art. 3 Abs. 2, 3. Spiegelstr. UIR, a.a.O.), hat der deutsche Gesetzgeber auch bewußt davon
abgesehen, einen entsprechenden Ausschlußtatbestand zu normieren (hierzu Turiaux,
aa0O., 8 7 Rn. 12 m.w.N.).

Der somit nach Maßgabe der 88 4 Abs. 1 und 3 Abs. 2 UIG grundsätzlich begründete Infor
mationsanspruch ist nicht nach $ 7 Abs. 1 Nr. 2 UlG ausgeschlossen. Nach dieser Vorschrift
besteht der Anspruch nicht "während der Dauer eines Gerichtsverfahrens oder eines straf-
rechtlichen Ermittlungsverfahrens sowie eines verwaltungsbehördlichen Verfahrens hinsicht-
lich derjenigen Daten, die der Behörde aufgrund des Verfahrens zugehen". Diese Vorschrift
ist nach ihrem Wortlaut insoweit unklar, als der einschränkende Zusatz "hinsichtlich derjeni-
gen Daten, die der Behörde aufgrund des Verfahrens zugehen" sprachlich sowohl auf alle
drei genannten Verfahren als auch allein auf die Variante eines verwaltungsbehördlichen
Verfahrens bezogen werden kann. Richtigerweise ist die Vorschrift jedoch im erstgenannten
Sinne auszulegen, so daß der Ausschlußtatbestand des $ 7 Abs. 1 Nr. 2 UIG generell sol-
che Daten unberührt läßt, die bereits vor der Einleitung eines der genannten Verfahren bei
der Behörde vorhanden waren (so auch Röger, UIG, Komm. 1995 8 7 Rn. 22 f. u. 26; Kra-
mer, UlG, Komm. 1994 $ 7 Anm. 7; Erbguth/Stollmann, UPR 1994, S. 81, 85).

Diese Auslegung ist unter Berücksichtigung der Entstehungsgeschichte der Norm geboten,
da - wie der Kläger mit Recht hervorhebt - in der Begründung des Gesetzesentwurfs (vgl.
BT-Drucks. 12/7138, S. 13) ausgeführt ist, es sei für die Ausschlußgründe des & 7 Abs. 1
Ziff. 2 UIG kennzeichnend, daß sie während der Dauer der genannten Verfahren jeden Zu-
gang zu Daten ausschließen, die der Behörde erst mit oder nach Beginn der Verfahrens zu-
gehen. Der Zugang zu Daten, die bereits vorher vorhanden seien, werde nicht beschränkt.
Hieraus ergibt sich eindeutig, daß der Anspruchsausschluß nicht allein während eines ver-
waltungsbehördlichen Verfahrens, sondern ebenso während eines gerichtlichen oder-eines
strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens nur auf die der Behörde aufgrund des Verfahrens zu-

gegangenen Informationen beschränkt werden sollte.

Auch der Wortlaut der Vorschrift deutet nicht in eine andere Richtung. Wie ausgeführt, kann
der einschränkende Zusatz sprachlich auch auf den Fall eines laufenden gerichtlichen Ver-
fahrens oder strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens bezogen werden. Daß sich der ein-
schränkende Zusatz nur auf Daten bezieht, die einer Behörde zugegangen sind, besagt
nichts, da der Anspruch sich gem. 88 2 Nr. 1 und 3 Abs. 1 Satz 1 UIG von vornherein nur
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