Information

Aktenzeichen
1 B 126.95
Datum
31. Oktober 1995
Gericht
Bundesverwaltungsgericht
Gesetz
Umweltinformationsgesetz Bund (UIG)
Umweltinformationsgesetz Bund (UIG)

Beschluss: Bundesverwaltungsgericht am 31. Oktober 1995

1 B 126.95

Das Bundesverwaltungsgericht weist die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin - einer Gemeinde - zurück und stellt fest, dass diese als öffentlich-rechtliche Gebietskörperschaft keinen Informationsanspruch auf der Grundlage des Umweltinformationsgesetzes hat. Trotz der Weite des Wortlautes des Gesetzes ("jeder") ist der Gesetzgeber von einem Anspruch natürlicher und juristischer Personen ausgegangen, weil die Umweltinformationsrichtlinie nur das Verhältnis der Bürger zum Staat betrifft, nicht aber den Informationsfluss zwischen den Behörden. (Quelle: LDA Brandenburg)

Antragsberechtigung

B U N D E S V E R W A L T U N G S G E R I C H T

BVerwG 1 B 126.95 OVG 4 K 1/94

BESCHLUSS In der Verwaltungsstreitsache

hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts am 31. Oktober 1995 durch den Vorsitzenden Richter M e y e r und die Richter Dr. H a h n und G r o e p p e r

beschlossen:

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts vom 13. Dezember 1994 wird zurückgewiesen.

  • 2 -

Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 16 000 DM festgesetzt.

G r ü n d e :

  1. Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision bleibt ohne Erfolg.

Nach § 132 Abs. 2 VwGO kann die Revision nur zugelassen werden, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder das Urteil des Oberverwaltungsgerichts von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts beruhen kann. Wird wie hier die Nichtzulassung der Revision mit der Beschwerde angegriffen, muß in der Beschwerdebegründung die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt oder die Entscheidung, von der das Urteil des Oberverwaltungsgerichts abweicht, oder der Verfahrensmangel bezeichnet werden (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO). Die Prüfung des beschließenden Senats ist demgemäß auf die geltend gemachten Revisionszulassungsgründe beschränkt.

a) Die Beschwerde wird auf den Revisionszulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Sache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) gestützt. Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache nur zu, wenn sie eine für die erstrebte Revisionsentscheidung erhebliche Rechtsfrage aufwirft, die im Interesse der Einheit oder der Fortbildung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor.

aa) Die klagende Gemeinde wendet sich gegen eine auf der Grundlage des § 4 Abs. 2 des Gesetzes zur Förderung der Energiewirtschaft (Energiewirtschaftsgesetz - EnWG -) vom 13. De-

  • 3 -

zember 1935 (RGBl I S. 1451) mit nachfolgenden Änderungen erlassene sog. Nichtbeanstandungserklärung und begehrt Einsicht in die Akten des darauf bezogenen Verwaltungsverfahrens. Ein Abschnitt der für eine 380 kV-Freileitung vorgesehenen Trasse führt durch das Stadtgebiet der Klägerin.

bb) Die Beschwerdeführerin hält es für grundsätzlich klärungsbedürftig, "ob und inwieweit der Klägerin als potentiell planungsbetroffenen Gemeinde Gegenrechte gegen den erteilten Nichtbeanstandungs- bzw. Ansprüche auf Verpflichtung zur Erteilung eines Beanstandungsbescheides zustehen können". Diese Frage ist, ohne daß es dazu der Durchführung eines Revisionsverfahrens bedarf, auf der Grundlage des einschlägigen Rechts und der dazu bisher ergangenen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts dahin zu beantworten, daß solche Rechte nicht bestehen. Durch die umstrittene Nichtbeanstandung, die nicht an die Klägerin gerichtet ist und auch nicht gerichtet werden mußte, wird nicht in eine Rechtsposition der Klägerin, die aus deren Planungshoheit folgen könnte, eingegriffen. Das Bundesverwaltungsgericht hat in seinem Beschluß vom 28. Mai 1974 - BVerwG 4 B 73.73 - (Buchholz 451.17 EnergG Nr. 7) entschieden, daß die Erklärung der Behörde, sie habe das nach § 4 Abs. 1 EnWG angezeigte Vorhaben geprüft und nicht beanstandet, gegenüber (privaten) Dritten nichts verbindlich regelt und deshalb nicht geeignet ist, sie im Sinne des Art. 19 Abs. 4 GG in ihren Rechten zu verletzen. Daran hat es in seinem Beschluß vom 29. Juni 1994 - BVerwG 1 B 189.93 - (Buchholz 451.17 § 4 EnWG Nr. 13) festgehalten. In dem Beschluß vom 9. September 1988 - BVerwG 4 B 37.88 - (Buchholz 406.13 ROG Nr. 2) ist allerdings unentschieden geblieben, ob bei der energiewirtschaftlichen Entscheidung nach § 4 Abs. 2 Satz 2 EnWG nur energiewirtschaftliche Zielsetzungen im engeren Sinne oder darüber hinaus auch Belange der Raumordnung und der Landesplanung zu beachten sind. Aber selbst wenn bei der energiewirtschaftlichen Entscheidung objektiv-rechtlich Belange der Raumordnung oder planungsrechtliche Aspekte berücksichtigt werden dürfen oder sogar müssen, können Rechte einer von der Planung betroffenen Gemeinde nicht berührt werden. Rechte der Klägerin könnten erst durch die Errichtung der Freileitung oder durch solche Entscheidungen berührt werden, die die Errichtung ge-

  • 4 -

statten. Dazu gehört die Nichtbeanstandungserklärung nach § 4 Abs. 2 EnWG nicht. Die Nichtbeanstandungserklärung gestattet den Bau der Freileitung auch dann nicht, wenn Gesichtspunkte der Raumordnung und Landesplanung bei Prüfung des Begriffs des Gemeinwohls in § 4 Abs. 2 EnWG zu berücksichtigen sein sollten. Das Energiewirtschaftsgesetz sieht für die Errichtung von Freileitungen weder ein Planfeststellungsverfahren noch ein vergleichbares Genehmigungsverfahren vor, in dem umfassend über die Zulässigkeit des Vorhabens entschieden wird.

Die Nichtbeanstandungserklärung schließt keine Gestattungen ein, die auf der Grundlage anderer Normen zur Realisierung des Vorhabens erforderlich sind. Dies gilt namentlich für landesrechtlich bestehende Genehmigungserfordernisse. Sollte, wovon nunmehr auch die Klägerin ausgeht, für die Errichtung der Freileitung nach §§ 7 und 7 a des Landesnaturschutzgesetzes vom 16. Juni 1993 (GVOBl SchlH S. 215) eine naturschutzrechtliche Genehmigung erforderlich sein, gelten gemäß § 29 Satz 1 BauGB die §§ 30 bis 37 BauGB (vgl. Beschluß vom 30. August 1995 - BVerwG 4 B 86.95 -). Danach sind die nach Bauplanungsrecht bestehenden Rechte der Gemeinden in einem solchen Verfahren zu beachten. Ob und inwieweit dies tatsächlich geschieht, hat der Senat in dem vorliegenden Verfahren nicht zu beurteilen. Selbst wenn der Landesgesetzgeber für die Errichtung der Freileitung kein Verfahren zur Verfügung gestellt haben sollte, in dem die Klägerin ihre Rechte zur Geltung bringen kann, kann sie die Realisierung eines solche Rechte (vgl. dazu BVerwGE 84, 209; 90, 96) verletzenden Vorhabens durch Geltendmachung eines Unterlassungs- oder Folgenbeseitigungsanspruchs verhindern. Damit ist dem von der Beschwerde hervorgehobenen Gesichtspunkt Rechnung getragen, daß auch einer planungsbetroffenen Gemeinde eine "effektive Rechtsschutzmöglichkeit zustehen" muß. Darüber hinaus sieht nach den Ausführungen des Oberverwaltungsgerichts das schleswig-holsteinische Gesetz über die Landesplanung (Landesplanungsgesetz) für raumbedeutsame Planungen und Maßnahmen die Durchführung eines Raumordnungsverfahrens unter Beteiligung der planungsbetroffenen Gemeinden vor, die hier nach den Feststellungen des erstinstanzlichen Gerichts auch erfolgt ist.

  • 5 -

Die Ausgestaltung des Verfahrens und die Festlegung der Reichweite behördlicher Entscheidungen obliegen dem Gesetzgeber, der insoweit einen weiten Gestaltungsspielraum hat. Das Rechtsstaatsprinzip erfordert die Möglichkeit der Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes gegen solche Maßnahmen, durch die der Betroffene, hier die Gemeinde, möglicherweise in Rechten verletzt wird. Wird eine Gemeinde erst durch ein Vorhaben oder eine vorhabenbezogene Gestattung unmittelbar betroffen, genügt es, wenn insoweit umfassender Rechtsschutz gewährt wird, mag auch ein modernes Genehmigungsverfahren zur umfassenden Bewältigung der mit der Errichtung von Freileitungen zusammenhängenden Probleme wünschenswert erscheinen. Da die Nichtbeanstandung nach § 4 Abs. 2 EnWG Rechte der Klägerin nicht abschneidet, ist es nicht erforderlich, insoweit Rechtsschutz zu gewähren.

Aus den genannten Gründen erledigt sich zugleich die Rüge der Klägerin, der Gesetzgeber habe es unterlassen, für die Errichtung von Freileitungen ein Verfahren vorzusehen, in dem aus der gemeindlichen Planungshoheit folgende Rechte verwirklicht werden könnten.

cc) Die von der Beschwerde weiter als klärungsbedürftig angesehene Problematik, "inwieweit ein Akteneinsichtsrecht der planungsbetroffenen Gemeinde auch nach § 4 Abs. 1 des Umweltinformationsgesetzes zu bejahen ist", ist angesichts der Weite der Fragestellung mit Blick auf den Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens dahin zu konkretisieren, ob eine Gemeinde, auf deren Gebiet eine 380 kV-Freileitung verlegt werden soll, von der für die Entscheidung nach § 4 Abs. 2 EnWG zuständigen Behörde Einsicht in die über die Erteilung des Nichtbeanstandungsbescheides geführten Verwaltungsvorgänge verlangen kann.

Diese Frage kann ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens auf der Grundlage der einschlägigen Vorschriften dahin beantwortet werden, daß die Klägerin als öffentlich-rechtliche Gebietskörperschaft keinen Informationsanspruch auf der Grundlage des Umweltinformationsgesetzes hat. Nach § 4 Abs. 1 des Umweltinformationsgesetzes (UIG) - Art. 1 des Gesetzes zur Um-

  • 6 -

setzung der Richtlinie 90/313/EWG des Rates vom 7. Juni 1990 über den freien Zugang zu Informationen über die Umwelt vom 8. Juli 1994 (BGBl I S. 1490) - hat "jeder" Anspruch auf freien Zugang zu dort näher bezeichneten Informationen. Trotz der Weite des Wortlautes gehören aber Gemeinden als juristische Personen des öffentlichen Rechts nicht zu den Anspruchsberechtigten. Der Gesetzgeber ist nämlich ausweislich der Begründung zum Gesetzentwurf lediglich von einem Anspruch natürlicher und juristischer Personen des Privatrechts ausgegangen (BTDrucks 12/7138, S. 12). Das ist eine Konsequenz aus dem Umstand, daß die Richtlinie, deren Umsetzung das Gesetz dient, nur das Verhältnis der Bürger zum Staat betrifft, nicht hingegen den Informationsfluß zwischen Behörden regelt (vgl. das 4. Aktionsprogramm der Kommission, das auf die Verbesserung des Zugangs "der Öffentlichkeit" zu Informationen verweist, über die die Umweltbehörden verfügen (ABl EG vom 7. Dezember 1987 Nr. C 328/15). Über den Regelungsgehalt der Umweltrichtlinie des Rates wollte der Gesetzgeber nicht hinausgehen (vgl. auch Fluck/ Theuer, Umweltinformationsrecht, Stand September 1994, § 4 UIG Rn. 21 ff. m.w.N.; Grabitz/Hilf/Nettesheim, Kommentar zur Europäischen Union, Stand September 1992, Art. 130 s Rn. 109; Krämer in Groeben/Thiesing/Ehlermann, EWG-Vertrag, 4. Aufl., Vorbem. zu Art. 130 r bis 130 t Rn. 43). Angesichts dessen ist es nicht zweifelhaft und bedarf nicht erst der Klärung in einem Revisionsverfahren oder einer Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, daß die klagende Gemeinde als juristische Person des öffentlichen Rechts keinen Anspruch auf freien Zugang zu Informationen über die Umwelt nach dem Umweltinformationsgesetz hat. Auf das Problem, ob das beklagte Ministerium bei seiner Entscheidung nach § 4 EnWG eine Behörde im Sinne des § 3 Abs. 1 UIG ist, kommt es sonach nicht an.

dd) Soweit die Beschwerde lediglich die Rechtsauffassung des Oberverwaltungsgerichts in der Art einer Revisionsbegründung kritisiert und ihr eine andere entgegenhält, wird ein Revisionszulassungsgrund nicht im Sinne des § 133 Abs. 3 Satz 2 VwGO dargelegt.

  • 7 -

b) Der Revisionszulassungsgrund des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO liegt nicht vor. Die Klägerin rügt, "daß das entscheidende Gericht die Klägerin auf ein drittes Verfahren verweist, in dem das gesetzgeberische Unterlassen zur Überprüfung gebracht werden könnte, obwohl genau diese Fragestellung ebenfalls ausweislich der gestellten Anträge der Klägerin Gegenstand dieses Verfahrens ... ist". Damit wird ein Verfahrensmangel nicht aufgezeigt. Das Oberverwaltungsgericht hat über sämtliche von der Klägerin gestellten Anträge entschieden. Nach seiner Auffassung ist es ausgeschlossen, daß die Klägerin durch die Nichtbeanstandung in ihren Rechten verletzt wird. Nach dieser Rechtsauffassung war es nicht fehlerhaft, sondern nach den obigen Ausführungen zutreffend, die Klägerin auf andere Rechtsschutzmöglichkeiten zu verweisen. Inwiefern darin ein Verfahrensverstoß liegen könnte, ist nicht ersichtlich und wird insbesondere von der Beschwerde nicht "bezeichnet" (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO).

  1. Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Die Festsetzung des Wertes des Streitgegenstandes beruht auf § 13 Abs. 1 Satz 2 GKG, § 5 ZPO in entsprechender Anwendung.

Meyer Hahn Groepper

Sachgebiet: BVerwGE: nein Energiewirtschaftsrecht Fachpresse: ja

Rechtsquellen:

EnWG § 4 Abs. 2 UIG § 4

Stichworte:

Nichtbeanstandungserklärung, Freileitung, Gemeinde, Planungsbetroffenheit, Umweltinformationsanspruch.

Beschluß vom 31. Oktober 1995 - BVerwG 1 B 126.95

Leitsätze:

  1. Die Nichtbeanstandungserklärung nach § 4 Abs. 2 EnWG berührt nicht aus der Planungshoheit abzuleitende Rechte einer Gemeinde, auf deren Gebiet eine Freileitung verlegt werden soll.

  2. Eine Gemeinde hat als juristische Person des öffentlichen Rechts keinen Anspruch auf freien Zugang zu Informationen über die Umwelt nach § 4 UIG.

Beschluß des 1. Senats vom 31. Oktober 1995 - BVerwG 126.95

I. OVG Schleswig vom 13.12.1994 - Az.: OVG 4 K 1/94 -