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Aktenzeichen
BUND BVwG 3 C 41.03 2003 LPG
Datum
23. Juni 2004
Gericht
Bundesverwaltungsgericht
Gesetz
Art. 5 Grundgesetz
Art. 5 Grundgesetz

Urteil: Bundesverwaltungsgericht am 23. Juni 2004

BUND BVwG 3 C 41.03 2003 LPG

1. Soweit Stasi-Unterlagen mit personenbezogenen Informationen über Personen der Zeitgeschichte, Inhaber politischer Funktionen oder Amtsträger der Forschung zum Zwecke der wissenschaftlichen Aufarbeitung der Tätigkeit des Staatssicherheitsdienstes der DDR sowie der nationalsozialistischen Vergangenheit zur Verfügung gestellt werden sollen, durfte der Gesetzgeber die Entscheidung hierüber von einer Abwägung im Einzelfall abhängig machen. Allerdings muss zur Wahrung der Grundrechte des davon Betroffenen sichergestellt sein, dass die Unterlagen ausschließlich für diesen Forschungszweck genutzt und namentlich nicht an Dritte weitergegeben oder veröffentlicht werden. Tonbänder und Wortlautprotokolle über abgehörte Gespräche des Betroffenen oder Dritter bleiben ausgenommen. 2. Die Zurverfügungstellung von Stasi-Unterlagen mit personenbezogenen Informationen an die Presse ist dem davon Betroffenen demgegenüber grundsätzlich unzumutbar. Das umfasst Informationen, die durch Verletzung der räumlichen Privatsphäre und/oder des Rechts am gesprochenen Wort gewonnen worden sind, ebenso wie Informationen, die im weitesten Sinne auf Spionage beruhen, sowie Berichte und Stellungnahmen des Staatssicherheitsdienstes, die derartige Informationen zur möglichen Grundlage haben. Andere Unterlagen, etwa mit Informationen aus allgemeinzugänglichen Quellen, aus öffentlichen Reden oder aus Äußerungen gegenüber Dritten, die darüber ihrerseits berichtet haben, dürfen auch an die Presse nach Maßgabe einer Abwägung herausgegeben werden.

Stasi-Unterlagen-Gesetz Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen Ausspähung personenbezogene Informationen Unterlagen mit personenbezogenen Informationen allgemeines Persönlichkeitsrecht Privatsphäre Recht am gesprochenen Wort informationelle Selbstbestimmung Grundrechte von Amtsträgern Aufarbeitung der Stasi-Tätigkeit Forschung Presse politische Bildung Zweckbindung erhobener Dateien verfassungskonforme Auslegung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes Vollstreckungsgegenklage.

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BUNDESVERWALTUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL BVerwG 3 C 41.03                                Verkündet VG 1 A 317.02                                am 23. Juni 2004 Schöbel Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle In der Verwaltungsstreitsache
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-2- hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 23. Juni 2004 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. D r i e h a u s sowie die Richter am Bundesverwaltungsgericht van S c h e w i c k , Dr. D e t t e , L i e b l e r und Prof. Dr. R e n n e r t für Recht erkannt: Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Verwal- tungsgerichts Berlin vom 17. September 2003 teilweise geän- dert. Die Vollstreckung aus dem Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 4. Juli 2001 ist insoweit zulässig, als die Klägerin ohne Einwilligung des Beklagten Tonbänder und Wortlautpro- tokolle über Gespräche mit ihn betreffenden personenbezoge- nen Informationen oder Unterlagen mit solchen Informationen zur Verfügung zu stellen beabsichtigt, die - allein oder unter anderem - sein Privatleben betreffen. Darüber hinaus ist die Vollstreckung aus dem genannten Urteil insoweit zulässig, als die Klägerin ohne Einwilligung des Beklagten für Zwecke der politischen Bildung oder nach § 34 Abs. 1 StUG Unterlagen mit ihn betreffenden personenbezogenen Informationen zur Verfü- gung zu stellen beabsichtigt, bei denen sich nicht sicher aus- schließen lässt, dass sie aufgrund einer gegen ihn oder einen anderen gerichteten Verletzung der räumlichen Privatsphäre und/oder des Rechts am gesprochenen Wort gewonnen worden sind oder dass sie aus Akten oder Dateien von Organen oder Behörden der Bundesrepublik Deutschland einschließlich West- Berlins, westdeutschen Parteien, Wirtschaftsunternehmen oder gesellschaftlichen Organisationen stammen, oder die eine derartige Information zur möglichen Grundlage haben. Im Übrigen wird die Revision zurückgewiesen. Die Klägerin trägt zwei Drittel, der Beklagte ein Drittel der Kos- ten des Rechtsstreits in beiden Rechtszügen. Gründe: I. Der Beklagte war Ministerpräsident eines Landes, Abgeordneter und Fraktionsvorsit- zender im Deutschen Bundestag, Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland und Vorsitzender der CDU. Über ihn befinden sich etwa 6 500 Blatt mit personenbe-
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-3- zogenen Informationen in den Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehema- ligen DDR. Nachdem der Amtsvorgänger der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (im Folgenden: BStU) die Absicht geäußert hatte, diese Unterlagen - außer solchen mit ausschließlich privaten Informationen und Mitschnitten und Wortlautprotokollen von Telefonaten - auf entsprechende Anfrage hin Forschern und Medien zur Verfü- gung zu stellen, erwirkte der Beklagte ein Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 4. Juli 2001 (NJW 2001, 2987), mit dem die BStU verurteilt wurde, es zu unterlassen, Dritten ohne Einwilligung des Beklagten für die Forschung zum Zwecke der politischen und historischen Aufarbeitung der Tätigkeit des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Repu- blik, für Zwecke der politischen Bildung oder für die Verwendung durch Pres- se, Rundfunk, Film, deren Hilfsunternehmen und die für sie journalistisch- redaktionell tätigen Personen in Original-Unterlagen oder Duplikate von Unter- lagen des Staatssicherheitsdienstes mit personenbezogenen Informationen über den Beklagten Einsicht zu gewähren oder Duplikate von Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes mit personenbezogenen Informationen über den Beklagten herauszugeben, auch soweit es sich nicht um Tonbänder und Wortlautprotokolle handelt, soweit diese Informationen aufgrund zielgerichteter Informationserhebung oder Ausspähung einschließlich heimlicher Informa- tionserhebung durch den Staatssicherheitsdienst gesammelt wurden oder so- weit Informationen über den Beklagten als Dritten gesammelt wurden, auch soweit sie nicht ausschließlich das Privatleben oder die Privatsphäre des Be- klagten betreffen. Die Revision der Klägerin wies das Bundesverwaltungsgericht mit Urteil vom 8. März 2002 zurück (BVerwGE 116, 104). Mit Gesetz vom 2. September 2002 (BGBl I S. 3446) wurde das Stasi-Unterlagen- Gesetz mit Wirkung vom 6. September 2002 geändert. Nunmehr sollen Unterlagen mit personenbezogenen Informationen über Personen der Zeitgeschichte, Inhaber politischer Funktionen oder Amtsträger zu den im Gesetz vorgesehenen Zwecken herausgegeben werden dürfen, soweit es sich um Informationen handelt, die ihre zeitgeschichtliche Rolle, Funktions- oder Amtsausübung betreffen, und soweit durch deren Verwendung keine überwiegenden schutzwürdigen Interessen des Betroffenen beeinträchtigt werden; bei der Abwägung soll insbesondere berücksichtigt werden, ob die Informationserhebung erkennbar auf einer Menschenrechtsverletzung beruht. Sollen Unterlagen hiernach zur Verfügung gestellt werden, so soll der Betroffene im Regelfalle zuvor angehört werden; stimmt er nicht zu, so sollen die Unterlagen erst
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-4- zwei Wochen nach Mitteilung von der Behördenentscheidung zugänglich gemacht werden. Mit ihrer Klage hat die Klägerin beantragt, die Vollstreckung aus dem Urteil des Ver- waltungsgerichts vom 4. Juli 2001 für unzulässig zu erklären. Sie meint, das Ände- rungsgesetz habe dem Titel die Grundlage entzogen. Der Beklagte hat im Wesentli- chen entgegnet, das Änderungsgesetz sei verfassungswidrig und nichtig. Es verletze ihn in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht, das ihm auch in seiner Rolle als Per- son der Zeitgeschichte sowie als Amts- und Funktionsträger zustehe. Diesem Grund- recht komme der Vorrang gegenüber den Belangen der Forschung und der Presse zu, weil die Stasi-Unterlagen rechtsstaatswidrig - oft unter Verletzung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses - erlangt worden seien, vielfach ihre Quelle nicht erkennen ließen und sich einer inhaltlichen Überprüfung entzögen. Wenn die rechts- staatlich erhobenen Bestände des Bundesarchivs erst nach dreißig Jahren frei- gegeben würden, könnten für eine Freigabe der rechtsstaatswidrig erlangten Stasi- Unterlagen keine geringeren Voraussetzungen gelten. Im Übrigen sei das Ände- rungsgesetz mit seinen Rechten als Abgeordneter des Deutschen Bundestages aus Art. 47 GG und insofern mit dem Gleichheitssatz unvereinbar, als nunmehr Opfer des Staatssicherheitsdienstes mit Tätern gleichgestellt würden. Das Verwaltungsgericht hat der Klage mit Urteil vom 17. September 2003 stattgege- ben. Zur Begründung hat es ausgeführt: Die Klägerin könne der Vollstreckung ent- gegenhalten, dass sie mit dem In-Kraft-Treten des Änderungsgesetzes nicht länger grundsätzlich gehindert sei, Forschern oder Medienvertretern Unterlagen mit perso- nenbezogenen Daten über den Beklagten zur Verfügung zu stellen. Das Änderungs- gesetz sei verfassungsgemäß und damit wirksam. Zwar werde das allgemeine Per- sönlichkeitsrecht des Beklagten in der Ausprägung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung berührt, wenn die Klägerin personenbezogene Informationen he- rausgebe, die der Öffentlichkeit nicht ohnehin bekannt oder die allgemein zugänglich seien. Dieses Recht stehe auch Amtsträgern zu. Der Eingriff sei jedoch gerechtfer- tigt. Er diene der Aufarbeitung der Stasi-Tätigkeit und der politischen Bildung und damit legitimen Gemeininteressen. Die Herausgabe von Stasi-Unterlagen mit perso- nenbezogenen Informationen - auch von solchen mit unwahrem Inhalt - sei zur Er- reichung dieser Ziele geeignet und erforderlich. Der Eingriff in die Rechtssphäre des
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-5- Beklagten sei, gemessen am Gesetzeszweck, auch nicht im engeren Sinne unver- hältnismäßig, weil das Gesetz nur die Herausgabe von Unterlagen mit amts- bzw. funktionsbezogenen Informationen erlaube; damit bleibe die Herausgabe ausschließ- lich privater Informationen verboten, der unantastbare Kernbereich des Persönlich- keitsrechts mithin geschützt. Außerhalb dieses Kernbereichs werde die BStU mit Recht dazu befugt, über die Herausgabe aufgrund einer Abwägung im Einzelfall zu entscheiden. Dass das Gesetz hierfür - abgesehen von der Pflicht, etwaige Men- schenrechtsverletzungen bei der Informationsgewinnung zu berücksichtigen - keine näheren Maßstäbe vorgebe, liege in der Natur der Sache und lasse sich nicht bean- standen, zumal die darin gelegene Schwäche durch die neue Verfahrensregelung kompensiert werde. Dass sich eine nur zweckentsprechende Verwendung einmal herausgegebener Unterlagen kaum sicherstellen lasse, müsse die Behörde im Rah- men ihrer Abwägung berücksichtigen. Eine Verletzung von Art. 3 oder Art. 47 GG lasse sich ebenfalls nicht feststellen. Zur Begründung seiner Sprungrevision wiederholt der Beklagte sein erstinstanzliches Vorbringen und hebt besonders hervor, dass im Rechtsstaat etwa das hoheitliche Abhören von der Strafprozessordnung nur unter engen Voraussetzungen erlaubt werde. Vor darüber hinausreichendem Abhören müsse der Rechtsstaat seine Bürger schützen. Die Unterlagen der Staatssicherheit seien insgesamt rechtsstaatswidrig erlangt worden. Daher sei der Rechtsstaat verpflichtet, die Opfer dieser Ausspähung generell zu schützen. Das Stasi-Unterlagen-Gesetz sei dementsprechend als Opfer- schutzgesetz konzipiert worden. Durch die Praxis der Klägerin werde dieses Geset- zesziel in sein Gegenteil verkehrt. Dass Wortmitschriften abgehörter Gespräche so- wie Informationen mit ausschließlich privatem Inhalt ausgenommen würden, genüge bei weitem nicht, da nicht wortgetreue Zusammenfassungen von Abhörmaßnahmen sowie Informationen mit zugleich privatem und amtlichem Bezug zugänglich gemacht werden sollten. Hinzu komme, dass die Stasi-Unterlagen oft inhaltlich unwahr, ihre Quellen nicht mehr überprüfbar seien. Einmal veröffentlicht, sei nicht einmal mehr erkennbar, dass es sich um Stasi-Unterlagen handele. Sie würden vom Publikum als wahr angesehen. Dadurch gerieten die Opfer und ihre Erben zusätzlich in eine Rechtfertigungssituation.
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-6- Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil. Für den Rechtsstreit entscheidend sei, ob die Neufassung des § 32 Abs. 1 StUG selbst und nicht erst deren mögliche Anwendung im Einzelfall mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Betroffenen unvereinbar sei. Dieses schütze aber den Beklagten von vornherein nicht in seiner Funktion als Bundeskanzler. Amtsbezogene Informationen seien nur dann grund- rechtsrelevant, wenn sie "auf die Person durchschlügen" oder wenn sie sich von pri- vatbezogenen Informationen nicht trennen ließen. Im Übrigen müssten sich Perso- nen der Zeitgeschichte außerhalb der engsten Privatsphäre ein niedrigeres Schutz- niveau gefallen lassen als andere. Das gelte auch bei Informationen, auf die der Staat das alleinige Zugriffsrecht habe. Umgekehrt sei, auch wenn Forscher und Pressevertreter keinen grundrechtlichen Anspruch auf Zugang zu amtlichen Unterla- gen hätten, doch der institutionelle Gehalt der Forschungs- und Pressefreiheit im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen. Dabei bestehe ein öffentliches Aufarbei- tungsinteresse gerade an den menschenrechtswidrigen Methoden des Staatssicher- heitsdienstes. Derart gewonnene Informationen auszunehmen, führe dazu, dass ein Regime gerade dann vor Aufarbeitung geschützt werde, wenn es besonders rechts- staatswidrig vorgehe. Im Rahmen der Abwägung müsse im Übrigen auch berück- sichtigt werden, dass nur die Antragsteller wirksam an den gesetzlichen Aufarbei- tungszweck gebunden werden könnten, nicht jedoch Nutzer aus einer - zulässigen - Weiterveröffentlichung. Die Presse in ihren Veröffentlichungen an den Aufarbei- tungszweck zu binden, sei mit der Pressefreiheit auch gar nicht vereinbar. Umso größere Bedeutung komme dem neu geschaffenen Verfahren nach § 32a StUG zu, in welchem der Betroffene seine Einwendungen gegen eine Herausgabe vorbringen könne; hernach könne er um vorläufigen und vorbeugenden Rechtsschutz nachsu- chen. Damit habe der Gesetzgeber das Mögliche und das Erforderliche getan. Der Vertreter des Bundesinteresses beteiligt sich nicht am Verfahren. II. Die Sprungrevision des Beklagten hat zum Teil Erfolg. Das vollstreckbare Urteil vom 4. Juli 2001 findet in dem geänderten Gesetz insoweit noch eine Grundlage, als der Klägerin weiterhin untersagt ist, ohne Einwilligung des Beklagten Tonbänder und
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-7- Wortlautprotokolle über Gespräche mit ihn betreffenden personenbezogenen Infor- mationen oder Unterlagen mit solchen Informationen zur Verfügung zu stellen, die - allein oder unter anderem - sein Privatleben betreffen; darüber hinaus, als der Klä- gerin ohne Einwilligung des Beklagten untersagt ist, Unterlagen mit ihn betreffenden personenbezogenen Informationen für Zwecke der politischen Bildung oder nach § 34 Abs. 1 StUG zur Verfügung zu stellen, bei denen sich nicht sicher ausschließen lässt, dass sie aufgrund einer gegen ihn oder einen anderen gerichteten Verletzung der räumlichen Privatsphäre und/oder des Rechts am gesprochenen Wort gewonnen worden sind oder dass sie aus Akten oder Dateien von Organen oder Behörden der Bundesrepublik Deutschland einschließlich West-Berlins, westdeutschen Parteien, Wirtschaftsunternehmen oder gesellschaftlichen Organisationen stammen, oder die eine derartige Information zur möglichen Grundlage haben. In diesem Umfang ist die Vollstreckungsgegenklage abzuweisen. Soweit das Urteil vom 4. Juli 2001 darüber hinausgeht, hat das Verwaltungsgericht demgegenüber die Vollstreckung mit Recht für unzulässig erklärt. 1. Das Verwaltungsgericht hat die Vollstreckungsgegenklage als statthaft und zuläs- sig angesehen. Das ist richtig. § 767 ZPO ist bei der Vollstreckung verwaltungsge- richtlicher Urteile entsprechend anwendbar (§ 167 Abs. 1 Satz 1, § 168 Abs. 1 Nr. 1 VwGO; Urteil vom 26. Oktober 1984 - BVerwG 4 C 53.80 - BVerwGE 70, 227 <229>). Hiernach kann der Vollstreckungsschuldner nachträglich entstandene Ein- wendungen, die den durch das Urteil festgestellten Anspruch selbst betreffen, im Wege der Klage geltend machen. Das schließt auch nachträgliche Gesetzesände- rungen ein (vgl. Urteil vom 26. Oktober 1984 a.a.O. <231>; Urteil vom 19. September 2002 - BVerwG 4 C 10.01 - BVerwGE 117, 44 <45>). Nachträgliche Gesetzesände- rungen betreffen den im Urteil festgestellten Anspruch freilich nur dann selbst, wenn sie sich rückwirkende Kraft beilegen oder wenn der festgestellte Anspruch in die Zu- kunft hinein wirkt. Letzteres ist bei Unterlassungsansprüchen wie dem vorliegend rechtskräftig festgestellten der Fall (vgl. auch BGH, Urteil vom 26. September 1996 - I ZR 265/95 - BGHZ 133, 316 <323>). Gegenstand der Vollstreckungsgegenklage kann auch sein, die Vollstreckung aus dem Titel nur zu einem Teil für unzulässig zu erklären (BGH, Urteil vom 17. April 1986 - III ZR 246/84 - NJW-RR 1987, 59 <60>).
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-8- 2. a) Das Verwaltungsgericht hatte die Klägerin im Jahr 2001 verurteilt, es zu unter- lassen, Dritten ohne Einwilligung des Beklagten Unterlagen des Staatssicherheits- dienstes mit ihn betreffenden personenbezogenen Informationen zur Verfügung zu stellen, soweit diese Informationen aufgrund zielgerichteter Informationserhebung durch den Staatssicherheitsdienst gesammelt wurden oder soweit Informationen über den Beklagten als Dritten gesammelt wurden. Dies kommt einem generellen Herausgabeverbot gleich; denn die beiden Fallgruppen der zielgerichteten Informati- onserhebung und der Sammlung von Informationen über den Beklagten als Dritten decken - wie in den Entscheidungsgründen des Urteils klargestellt wurde - sämtliche denkbaren Fälle ab. Rechtsgrundlage des Urteils war § 4 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 32 Abs. 1 Nr. 3 erster Spiegelstrich, § 34 Abs. 1 des Gesetzes über die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (Stasi-Unterlagen-Gesetz - StUG) vom 20. Dezember 1991 (BGBl I S. 2272) in der Fassung des Art. 4 Abs. 2 des Gesetzes vom 17. Juni 1999 (BGBl I S. 1334) - im Folgenden: StUG a.F. -. Hiernach war die Klägerin nur ermächtigt, für die gesetzlich bestimmten Zwecke Unterlagen mit personenbezogenen Informationen über Perso- nen wie den Beklagten zur Verfügung zu stellen, soweit diese nicht Betroffene oder Dritte sind. Nach § 6 Abs. 3 StUG sind Betroffene Personen, zu denen der Staatssi- cherheitsdienst aufgrund zielgerichteter Informationserhebung oder Ausspähung einschließlich heimlicher Informationserhebung Informationen gesammelt hat, und gemäß § 6 Abs. 7 StUG sind Dritte sonstige Personen - also weder Betroffene noch Mitarbeiter des Staatssicherheitsdienstes noch Begünstigte (vgl. § 6 Abs. 4 bis 6 StUG) -, über die der Staatssicherheitsdienst Informationen auf andere Weise ge- sammelt hat. Mit dem Fünften Gesetz zur Änderung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes (5. StUÄndG) vom 2. September 2002 (BGBl I S. 3446) hat der Gesetzgeber, soweit hier von Inte- resse, § 32 geändert - im Folgenden: § 32 StUG n.F. -. Die Vollstreckungsgegenkla- ge ist begründet, wenn und soweit der titulierte Unterlassungsanspruch in dem ge- änderten Gesetz keine Grundlage mehr findet; sie ist unbegründet, soweit der Unter- lassungsanspruch nach dem geänderten Gesetz fortbesteht.
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-9- b) Auch nach dem geänderten Gesetz darf die Klägerin keine Unterlagen mit Infor- mationen über den Beklagten herausgeben oder sonst zur Verfügung stellen, die - al- lein oder unter anderem - sein Privatleben betreffen. Nach dem Wortlaut von § 32 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StUG n.F. darf die Behörde Unterlagen mit personenbezogenen Informationen über Personen der Zeitgeschichte, Inhaber politischer Funktionen oder Amtsträger ohne deren Einwilligung nur zur Verfügung stellen, soweit die Informatio- nen die Person gerade in ihrer zeitgeschichtlichen Rolle, Funktions- oder Amtsaus- übung betreffen. Damit ermächtigt die Vorschrift nicht zur Weitergabe von Informati- onen, die inhaltlich das Privatleben betreffen. Bei Unterlagen mit sowohl privaten als auch amts- oder funktionsbezogenen Informationen müssen die privaten Informatio- nen getilgt werden; lässt sich dies nicht bewerkstelligen, etwa weil eine Information zugleich die zeitgeschichtliche Rolle, Funktions- oder Amtsausübung wie das Privat- leben betrifft, so muss die Weitergabe unterbleiben. Die von der Klägerin im Erstpro- zess vertretene Auffassung, unzulässig sei nur die Herausgabe von Unterlagen mit ausschließlich privatem Inhalt, wurde bereits im Ausspruch des Urteils vom 4. Juli 2001 zurückgewiesen; sie findet im geänderten Gesetz ebenfalls keine Stütze. Im Übrigen aber enthält der Wortlaut des § 32 Abs. 1 StUG n.F. kein generelles Her- ausgabeverbot mehr. Dass die betreffende Person hinsichtlich der jeweiligen Infor- mation Betroffener oder Dritter im Sinne des § 6 Abs. 3 und 7 StUG ist, soll eine Zur- verfügungstellung auch bei Personen der Zeitgeschichte, Inhabern politischer Funk- tionen oder Amtsträgern nicht mehr von vornherein ausschließen. Vielmehr ist über eine Zurverfügungstellung in diesen Fällen nach Maßgabe einer Abwägung im Ein- zelfall zu entscheiden (§ 32 Abs. 1 Sätze 2 und 3 StUG n.F.). c) Etwas anderes ergibt sich nicht aus § 5 Abs. 1 Satz 1 StUG. Hiernach ist die Ver- wendung personenbezogener Informationen über Betroffene oder Dritte, die im Rahmen der zielgerichteten Informationserhebung oder Ausspähung des Betroffenen einschließlich heimlicher Informationserhebung gewonnen worden sind, zum Nachteil dieser Personen unzulässig. Der Beklagte meint, diese Vorschrift gehe den §§ 32 ff. StUG vor und trage allein für sich schon den strittigen Unterlassungstitel; dass der Gesetzgeber sie bei der Änderung des § 32 StUG nicht ebenfalls geändert habe, nehme dem Änderungsgesetz die Wirkung. Dem ist das Verwaltungsgericht zu Recht nicht gefolgt.
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- 10 - § 5 Abs. 1 Satz 1 StUG ist im Bereich von §§ 32, 34 StUG n.F. nicht anwendbar. Aus § 32 Abs. 1 Sätze 2 und 3, Abs. 3 Sätze 2 und 3 StUG n.F. ergibt sich, dass die möglichen Nachteile, welche Betroffenen oder Dritten aus der Zurverfügungstellung oder Verwendung von Unterlagen mit personenbezogenen Informationen über sie drohen, allein im Wege einer Abwägung zu berücksichtigen sind, dass sie aber die einwilligungslose Zurverfügungstellung oder Verwendung nicht länger ausnahmslos hindern sollen. Dass die Geltung des § 5 Abs. 1 Satz 1 StUG im Anwendungsbereich von §§ 32, 34 StUG n.F. - entgegen der sonstigen Regelungstechnik des Gesetzes (vgl. § 21 Abs. 2, § 23 Abs. 1 Satz 2, § 24 Abs. 1 Satz 2, § 25 Abs. 3 StUG) - nicht ausdrücklich suspendiert oder relativiert wurde, ändert nichts. Dies belegt lediglich, dass der Gesetzgeber des Fünften Änderungsgesetzes die ursprüngliche Systematik und Regelungstechnik des Gesetzes nicht beachtet und fortgesetzt hat. Es zieht je- doch nicht seinen deutlich erklärten Willen in Zweifel, für den Schutz von Betroffenen und Dritten im Anwendungsbereich der §§ 32, 34 StUG künftig die bloße Abwägung genügen zu lassen (BTDrucks 14/9219, S. 4 f.; 14/9591, S. 6 f.; 14/9641). Dieser Wille hat im Gesetz auch Ausdruck gefunden. So hat der Gesetzgeber in § 32 Abs. 1 und 2 StUG n.F. bei den Personen der Zeitgeschichte, Funktions- und Amtsträgern die an § 5 Abs. 1 Satz 1 StUG anknüpfende Einschränkung "soweit sie nicht Betrof- fene oder Dritte sind" gerade gestrichen; und er hat das Anliegen des Opferschutzes, welches § 5 Abs. 1 Satz 1 StUG verfolgt, in den Rahmen der geforderten Abwägung verlagert, indem § 32 Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 Satz 3 StUG n.F. nunmehr gebietet, bei der Abwägung insbesondere zu berücksichtigen, ob die Informationserhebung erkennbar auf einer Menschenrechtsverletzung beruht. 3. Dem Verwaltungsgericht ist darin zu folgen, dass die Vollstreckungsgegenklage nicht schon deshalb abzuweisen ist, weil die Neuregelung wegen Verstoßes gegen ein verfassungsrechtliches Gebot der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung oder wegen Unvereinbarkeit mit Art. 3 Abs. 1 oder mit Art. 47 Satz 2 GG nichtig wäre. a) Der Beklagte meint, das Änderungsgesetz sei nicht widerspruchsfrei, weil der Ge- setzgeber nur § 32, nicht aber auch die Grundnorm des § 5 Abs. 1 Satz 1 StUG ge- ändert habe. Das geht fehl. Der behauptete Widerspruch besteht nicht, weil § 32
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