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Aktenzeichen
BW OLG 4 V As 14/91 LPG
Datum
19. Dezember 1991
Gericht
Oberlandesgericht Stuttgart
Gesetz
Gesetz über die Presse (Landespressegesetz) – Baden-Württemberg
Gesetz über die Presse (Landespressegesetz) – Baden-Württemberg

Beschluss: Oberlandesgericht Stuttgart am 19. Dezember 1991

BW OLG 4 V As 14/91 LPG

1. Die Entscheidung über die Ablehnung der Überlassung einer Urteilsabschrift in Anwendung des § 4 Abs. 2 Nr. 3 LPG Baden-Württemberg unterliegt im Verfahren nach den §§ 23 ff. EGGVG nicht voller gerichtlicher Nachprüfung. Vielmehr ist die Überprüfung maßgeblich darauf beschränkt, Ob der Behördenleiter den unbestimmten Rechtsbegriff des "schutzwürdigen privaten Interesses" Zutreffend ausgelegt hat und nach $ 4 Abs. 2 LPG BW die Grenze des Ermesens überschritten oder von dem Ermessen fehlerhaft Gebrauch gemacht hat. 2. Im Rahmen der für den Begriff "schutzwürdiger privater Interessen" Vorzunehmende Abwägung mit dem Informationsanspruch der Presse ist darauf abzustellen, Dass dem Informationsanspruch, Vor allem durch die im engen Zusammenhang mit dem Strafverfahren erfolgende Berichterstattung aus öffentlicher Hauptverhandlung, Befriedigt werden kann. Das schriftlich niedergelgte Urteil in einem Strafverfahren ist dagegen in erster Linie für die Verfahrensbeteiligten bestimmt. 3. Dem zeitlichen Abstand von Vorgängen, Die Gegenstand eines Strafverfahrens waren, Ist bei der verfassungsrechtlichen Bedeutung des Persönlichkeitsschutzes im Verhältnis zwischen Pressefreiheit und dem sich hieraus ergebenden Informationsanspruch sowie dem Interesse des Beschuldigten Rechnung zu tragen.

Urteilsabschrift Schutzwürdige private Interessen Persönlichkeitsschutz

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Das Landgericht hat der Antragsgegnerin untersagt, Preisrätsel
in der Weise zu veranstalten, daß die Gewinne anders als unter
bestimmten, im einzelnen genannten Voraussetzungen ausge-
lobt werden. Damit sind nicht bestimmte Merkmale genannt,
die, sofern sie vorliegen, die Veranstaltung des Preisrätsels un-
zulässig machen, sondern Voraussetzungen der Zulässigkeit
aufgestellt worden. Zugleich werden diese Zulässigkeitsmerk-
male nicht ausreichend bestimmt umschrieben. Ein Unterlas-
sungsufteil muß aber die verbotene Handlung eindeutig be-
zeichnen (Baumbach/Hefermehl, 16. Einl., Rd.-Nr. 481 a. E.;
RG, MuW 37, 390).

Nach dem Unterlassungstenor des Landgerichts ist die Veran-
staltung eines Preisrätsels zulässig, wenn die Gewinne unter ih-
rer Abbildung und/oder Nennung ihrer Bezeichnung im Ver-
trieb, der Nennung des Herstellers sowie der Nennung der die
Gewinne objektiv kennzeichnenden technischen Eigenschaften
ausgelobt werden. Der Begriff der technischen Eigenschaften,
die die Gewinne „objektiv“ kennzeichnen, ist nicht bestimmt
genug. Beispielsweise bliebe offen, ob die Angabe eines be-
stimmten Testergebnisses, mit dem im Regelfall technische Ei-
genschaften beschrieben werden, bei der Auslobung des Ge-
winns verwendet werden darf. Ferner ist nicht eindeutig, ob die
Angabe anderer als der im Tenor genannten Merkmale, etwa
die Nennung eines bestimmten Verkaufserfolgs in Form von
Stückzahlen, zulässig ist oder nicht, weil die Formulierung „an-
ders als...“ nicht erkennen läßt, ob es sich um eine abschlie-
ßende Aufzählung handelt.

Dagegen war auf die Hilfsanträge des Antragstellers die An-
tragsgegnerin zur Unterlassung zu verurteilen.

Das sich auf eine gefestigte Standesauffassung der Zeitungsver-
leger, Journalisten und Werbungtreibenden gründende Gebot
der Trennung von Werbung und redaktionellem Text ist im
Hinblick darauf gerechtfertigt, daß der Leser einer Zeitung
oder Zeitschrift annimmt, im redaktionellen Teil die objektive
Meinung der Redaktion und nicht die subjektive Meinung eines
seine Waren oder Leistungen anpreisenden Gewerbetreibenden
zu erfahren (vgl. Baumbach/Hefermehl, $ 1, Rd.-Nt. 30). Hin-
sichtlich der sogenannten redaktionellen Hinweise ist aner-
kannt, daß die unentgeltlich erfolgende Berichterstattung der
Presse dann nicht das Gebot der Trennung von redaktionellem
Text und Werbung verletzt, solange die sachliche Unterrich-
tung der Leser im Vordergrund steht und die unvermeidlich da-
mit verbundene Werbewirkung nur als eine in Kauf zu nehmen-
de Nebenfolge erscheint (BGH, GRUR 1968, 645, 647 — „Pelz-
versand“ = WRP 1968, 282, 283; GRUR 1968, 382, 385 — „Fa-
vorit II“ = WRP 1967, 363, 365). Wo die sachliche Information
aufhört und die Werbung beginnt, ist nur aufgrund einer Ge-
samtwürdigung von Anlaß und Inhalt des einzelnen Berichts
feststellbar (Baumbach/Hefermehl, $1, Rd.-Nr. 35 m. w.N;;
Senatsurteil KG, GRUR 1987, 718).

Hinsichtlich der Preisrätsel hat der Senat beteits zum Ausdruck
gebracht, daß, falls Unternehmen Warenpreise „stiften“ und ein
Verlag ein Preisausschreiben unter Auslobung dieser Preise
veranstaltet, sich aus diesem Verfahren eine Symbiose ergibt,
wobei der Hersteller eine billige Werbung bekommt, der Ver-
lag aber einen Anreiz für seine Leser, durch die Lösung eines
Preisausschreibens/Kreuzworträtsels einen Gewinn zu erzielen
(Beschluß vom 19. Juli 1991 - 5 W 4024/91). Immer aber ist im
Einzelfall aufgrund einer Gesamtwürdigung zu prüfen, ob die
Grenzlinie der sachlichen Information überschritten wird und
die Werbung beginnt.

Der obengenannte Beschluß des Senats vom 19. Juli 1991 hat

allerdings nicht abschließend zu der Frage einer unentgeltlichen

Überlassung eines Preises durch den Produzenten an den Ver-
lag Stellung genommen,, weil nach dem damaligen Sachverhalt
hierzu kein Anlaß bestand. Liegt eine in Wahrheit entgeltliche
Überlassung der Preise vor, ist regelmäßig ein Fall der getarn-
ten Werbung durch einen Beitrag im redaktionellen Teil gege-
ben, sofern er nicht deutlich als „Anzeige“ gekennzeichnet ist
(Baumbach/Hefermehl, $ 1, Rd.-Nt. 36). In sämtlichen Landes-
Pressegesetzen ist vorgeschrieben, daß der Verleger einer peri-
odischen Druckschrift oder der für den Anzeigenteil Verant-
wortliche eine Veröffentlichung, für die er ein Entgelt erhalten,

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gefordert oder sich hat versprechen lassen, innerhalb des
Druckwerks in der üblichen Weise als „Anzeige“ kenntlich zu
machen hat, wenn sie nicht schon dutch Einordnung und Ge-
staltung allgemein als Anzeige zu erkennen ist (Löffler, Presse-
recht I, LPG, $ 10, Rd.-Ntrw. 61 ff., und $ 1, Rd.-Nr. 202; fer-
ner Baumbach/Hefermehl, $ 1, Rd.-Nr. 30; vgl. auch die Richt-
linien für redaktionell gestaltete Anzeigen, verabschiedet vom
Präsidialrat des ZAW am 9. April 1964 und die Klarstellung zu
den ZAW-Richtlinien für redaktionell gestaltete Anzeigen
durch Beschluß des ZAW-Präsidiums im Januar 1967).

Der Antragsteller hat hierzu vorgetragen, daß Veröffentlichun-
gen wie die hier streitigen Preisrätsel in gleicher Weise bezahlt
werden wie Werbeinserate, wobei dei Preis allerdings höher sei
als für Werbeinserate, die den gleichen Raum in Anspruch neh-
men. Bei einer Reihe von Verlagen seien ausdrücklich benannte
Personen als Ansprechpartner für Hersteller, die redaktionelle
Berichterstattung wünschen, bekannt geworden.

Die Antragsgegnerin hat zwar bestritten, in irgendeinem Fall.

ein Entgelt für die Aufnahme bestimmter Produkte als Preise in
einem Preisrätsel entgegengenommen zu haben. Mit diesem
Vorbringen kann sie jedoch im Ergebnis nicht durchdringen,
Auch wenn kein bestimmtes Entgelt gezahlt worden ist, so
stellt doch die kostenlose Überlassung von bestimmten Produk-
ten an einen Verlag, damit dieser in einem redaktionellen Bei-
trag, insbesondere in einem Kreuzworträtsel, dieses Produkt als
Preis auslobt, und zwar unter Hinzufügung eines anpreisenden,
zumindest erläuternden Textes nebst einer Abbildung des Pro-
dukts, ein der Zahlung eines bestimmten Geldbetrags gleichzu-
setzendes Entgelt dar. Denn der Verlag erspart in diesem Falle
die Aufwendungen für den käuflichen Erwerb der Preise. Diese
Ersparnis mag zwar im Verhältnis zu dem Erlös, den der Verlag
bei von vornherein vorgeschenem entgeltlichen Abdruck eines
redaktionellen Beitrags oder einer Preisauslobung mit Text und
Abbildung erzielen kann, als gering anzusehen sein. Gleich-
wohl wird hierdurch der Charakter eines Entgelts für die Veröf-
fentlichung nicht beseitigt.

Infolgedessen ist in allen denjenigen Fällen von Preisrätseln, die
zum Gegenstand des vorliegenden Verfahrens gemacht worden
sind und bei denen erkennbar ist, daß die Preise kostenlos der
Antragsgegnerin überlassen worden sind, eine entgeltliche Ver-
öffentlichung anzunehmen. Dies folgert der Senat aus der Ver-
wendung des Textes „Gestiftet von der Firma... .“, wie dies im
Falle des ausgelobten Gewinns der fünf Picknick-Körbe durch
die Firma Alois Müller der Fall ist „Wochenend“ Nr. 19 vom
2. Mai 1991, Seite 36). In gleicher Weise trifft dieser Gesichts
punkt zu bei der Veröffentlichung betreffend das Preisrätsel mit
dem Gewinn von zehn Bademänteln und Sets für die Hautpfle-
ge („Neue Post“ Nr. 18 vom 26. April 1991). Dort ergibt sich
aus den Formulierungen „10 Bademäntel und Sets für die Haut-
pflege hat sebamed für die Rätselfreunde zusammengestellt“
nach Ansicht des Senats, daß es sich um eine unentgeltliche
Überlassung gehandelt hat. Ebenso liegt es im Falle der Eisma-
schinen („Auf einen Blick“ Nr. 19 vom 2. Mai 1991, Seite 71),
die die „Molkerei Alois Müller diesmal mit uns verlost“. Auch
aus dieser Formulierung ist ersichtlich, daß die Antragsgeg-
nerin hierfür eigene Aufwendungen erspart hat. Schließlich ist
auch im Falle der zehn Pflege-Sets eine kostenlose Überlassung
an die Antragsgegnerin durch den Hersteller anzunehmen
(„Neue Post“ Nr. 19 vom 3. Mai 1991, S. 39). Dies folgert det
Senat aus der Wendung: „In die Sets hat die Firma noch je fünf
Handtücher beigepackt.“

Die Auslobung eines Preises in einem Kreuzworträtsel-Ge-
winnspiel kann aber auch dann unter dem selbständigen Ge-
sichtspunkt der $$ 1 und 3 UWG unzulässig sein, wenn die Ge-
samtwürdigung ergibt, daß nicht die sachliche Unterrichtung
der Leser, also die Vorstellung des Preises, im Vordergrund
steht und die damit unvermeidlich verbundene Werbewirkung
nur als eine in Kauf zu nehmende Nebenfolge erscheint, son-
dern wenn die Hinweise über das durch eine Information be-
dingte Maß hinausgehen und eine übermäßige werbliche Her-
ausstellung erfolgt, mithin überwiegend nicht Sachlichkeit,
sondern die „Sprache der Werbung“ herrscht.

AfP 3/92

 

Dies trifft im Streitfall zu auf die Auslobung der drei Kaffeeser-
vice mit der Porzellanform „La Belle“ von der Firma Friesland
(„Das Neue“ Nr. 21 vom 18, Mai 1991, Seite 47). Hier sind, wie
schon das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, in besonders
eindrucksvoller Weise die Vorzüge des Erzeugnisses angeprie-
sen worden. Weiterhin findet sich eine direkte Aufforderung,
„dieses hübsche 15teilige Kaffeeservice einmal beim Fachhänd-
ler anzuschauen“, Es fehlt auch nicht der Hinweis darauf, daß
der Gewinn einen Wert von 348 DM besitzt.

In gleicher Weise trifft dieser Gesichtspunkt auf die Auslobung
der zehn Acrylglas-Tabletts zu („Das Neue“ Nr. 20 vom 13.
Mai 1991, Seite 47). Auch hier wird unter lobender Hervorhe-
bung der Firma Leifheit das Produkt übermäßig werblich her-
ausgestellt und darauf hingewiesen, daß es im Fachhandel 99,—
DM kostet bzw. 149,— DM für das große Tablett.

Der Gesichtspunkt der übermäßigen werblichen Herausstel-
lung trifft im übrigen — neben dem Unzulässigkeitsmerkmal der
als entgeltlich anzusehenden Überlassung — auch auf die Fälle
der zehn Pflege-Sets, der drei Eismaschinen und der zehn Bade-
mäntel zu. Anpreisungen wie „diese Präparate machen die Haut
geschmeidig und weich“ und „die Produkte helfen, die Haut zu
schützen“ gehen über die sachliche Notwendigkeit, das als Preis
angebotene Produkt zu beschreiben, hinaus. Insbesondere im
Fall der drei Eismaschinen steht der Werbecharakter eindeutig
im Vordergrund: Dort wird nicht nur auf die verschiedenen
Möglichkeiten der Verwendung einer Eismaschine hingewiesen
(„Wie wär’s mit frisch hergestelltem Buttermilch-Eis? Oder
fruchtigem Joghurt-Eis? Vielleicht mit Obst aus dem eigenen
Garten?“), sondern die Abbildung enthält neben der Eismaschi-
ne auch Erzeugnisse der Molkerei Alois Müller, die zwar in der
Eismaschine verarbeitet, aber nicht gewonnen werden können.

Soweit der Antragsteller drei weitere Fälle in seinem Unterlas-
sungsantrag einbezogen hatte, konnte er jedoch damit keinen
Erfolg haben:

Hinsichtlich der ausgelobten zehn Nagelpflege-Sets („Bella“
Nr. 17 vom 18. April 1991, Seite 51) kann weder festgestellt
werden, daß eine kostenlose Überlassung der Preise an die An-
tragsgegnerin erfolgt, noch daß eine übermäßige werbliche
Herausstellung im Text des Preisrätsels erfolgt ist. Zwar heißt

es dort: „Jedes Set enthält alles, was Sie für eine perfekte Mani-
küre und Pediküre benötigen: Zum Schneiden, Feilen, Polieren
— immer den richtigen Helfer zur Hand!“ Hierin ist aber ledig-
lich eine Beschreibung der objektiven Verwendungsmöglich-
keiten zu sehen. Ferner ist zwar der Name der Herstellerfirma
angegeben, es fehlen aber Hinweise auf eine „Stiftung“ oder
sonstige Anhaltspunkte für eine kostenlose Überlassung.

Auch die Auslobung von zehn Anrufbeantwortern der Firma
Uher als Preise („Tina“ Nr. 19 vom 2. Mai 1991, Seite 28) ist
nicht zu beanstanden. Neben einer Beschreibung der techni-
schen Eigenschaften heißt es lediglich: „Wer viel unterwegs

und schwer erreichbar ist, dem bietet sich ein Telefon mit An-

rufbeantworter wie der ‚2000 FT“ von Uher an.“ Damit wird
nicht mehr als die grundsätzliche Situation für die Zweckmä-
Bigkeit der Verwendung eines Anrufbeantworters geschildert.
Auch hier findet sich kein Hinweis auf eine kostenlose Überlas-
sung der Preise.

Schließlich ist auch die Auslobung der zehn 24teiligen Bestecke
(„Auf einen Blick“ Nr. 18) nicht unzulässig, da kein Anhalts-
punkt für eine kostenlose Überlassung gegeben ist und auch
noch nicht von einer übermäßigen werblichen Herausstellung
gesprochen werden kann, wenn auch nicht eine gewisse — un-
vermeidbare — Anpreisung zu verkennen ist („Schön in der
Form, praktisch im Gebrauch ist ‚Berlin‘ aus spülmaschinenfe-
stem Edelstahl“).

Hiernach war auf die Berufung der Antragsgegnerin das ange-
fochtene Urteil zu ändern und der Hauptantrag abzuweisen,
während die Antragsgegnerin nach Maßgabe der beiden Hilfs-
anträge zu verurteilen war. Hierbei hat der Senat keine Beden-
ken getragen, die in dem ersten Hilfsantrag enthaltene weite
Fassung des ursprünglichen Antrags in der Antragsschrift vom
10. Juni 1991 zugrunde zu legen. Denn der Unterlassungstenor
bezieht sich nur auf die jeweilige konkrete Verletzungsform,
wie dies in der Einschränkung (,... wenn dies wie folgt ge-
schieht: ... .“) und den sodann folgenden konkreten Preisrätseln
zum Ausdruck kommt. Eine besondere Hervorhebung der Ent-
geltlichkeit des Abdrucks im Urteilstenor war nicht erforder-
lich, da in den hier in Frage kommenden Fällen zugleich der
Gesichtspunkt der übermäßigen werblichen. Herausstellung
dutchgreift.

Zum Anspruch der Presse auf Überlassung
einer Urteilsabschrift

$ 4 LPG Baden-Württemberg; $ 23 EGGVG

1. Die Entscheidung über die Ablehnung der Überlassung
einer Urteilsabschrift in Anwendung des $4 Abs. 2 Nr. 3
LPG Baden-Württemberg unterliegt im Verfahren nach
den $$ 23 ff. EGGVG nicht voller gerichtlicher Nachprü-
fung. Vielmehr ist die Überprüfung maßgeblich darauf be-
schränkt, ob der Behördenleiter den unbestimmten
Rechtsbegriff des „schutzwürdigen privaten Interesses“
zutreffend ausgelegt hat und nach $ 4 Abs. 2 LPG Baden-
Württemberg die Grenze des Ermessens überschritten
oder von dem Ermessen fehlerhaft Gebrauch gemacht hat.

2. Im Rahmen det für den Begriff „schutzwürdiger privater
Interessen“ nach $ 4 Abs. 2 Nr. 3 LPG Baden-Württemberg
vorzunehmende Abwägung mit dem Informationsan-
spruch der Presse ist darauf abzustellen, daß dem Informa-
tionsanspruch, vor allem durch die im engen Zusammen-
hang mit dem Strafverfahren erfolgende Berichterstattung
aus Öffentlicher Hauptverhandlung, befriedigt werden
kann. Das schriftlich niedergelegte Utteil in einem Straf-
verfahren ist dagegen in erster Linie für die Verfahrensbe-
teiligten bestimmt.

3. Dem zeitlichen Abstand von Vorgängen, die Gegen-
stand eines Strafverfahrens waren, ist bei der verfassungs-

AfP 3/92

rechtlichen Bedeutung des Petsönlichkeitsschutzes im
Verhältnis zwischen Pressefreiheit und dem sich hieraus
ergebenden Informationsanspruch sowie dem Interesse
des Beschuldigten Rechnung zu tragen.

Oberlandesgericht Stuttgart,
Beschluß vom 19. Dezember 1991 —- 4 V As 1491

Sachverhalt

Die Antragstellerin beantragte beim Amtsgericht Reutlingen
am 2. August 1991 die Erteilung einer Urteilsabschrift aus den
Strafakten gegen M. zwecks weiterer Aufklärung der Zusam-
menhänge und der Rolle des M. in einem Spielcasinoring, der —
so die Behauptung in dem von der Antragstellerin verlegten
Nachrichtenmagazin — illegal vom Landeskriminalamt Baden-
Württemberg gestützt worden sei.

Mit Bescheid vom 8. August 1991 hat der Vorstand des Amts-
getichts dies unter Hinweis auf den Abschluß des Verfahrens
im Jahre 1984 und die bereits 1989 eingetretene 'Tilgungsreife
abgelehnt, weil zumindest das Interesse der weiteren an dem
Verfahren beteiligten Personen am Schutze ihrer Privatsphäre
hinsichtlich von Vorgängen, die lange zurücklägen und straf-
rechtlich abgeschlossen seien, entgegenstche.

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1

Hiergegen wendet sich die Antragstellerin mit ihrem am 9. Sep-
tember 1991 beim Obetlandesgeticht eingegangenen Antrag
auf gerichtliche Entscheidung.

Sie beantragt, das Amtsgericht Reutlingen anzuweisen, der An-
tragstellerin eine Abschrift des Urteils aus den Strafakten gegen
M, zu erteilen, hilfsweise unter Schwätzung der Namen der üb-
rigen Betroffenen.

Zut Begründung trägt sie im wesentlichen vor: Auf Nr. 185
Abs. 4 RiStVB könne die Ablehnung der Erteilung einer Ur-
teilsabschrift nicht, wie geschehen, gestützt werden, da es sich
insoweit um eine interne Dienstanweisung ohne Rechtssatzcha-
. rakter handle, die dem verfassungsmäßig und gesetzlich ge-
währleisteten Informationsanspruch der Presse nicht entgegen-
gehalten werden könne. Im übrigen erlaube aber auch Nr, 184
Abs. 4 Satz 2 der RiStVB die beantragte Erteilung einer Utteils-
abschrift, da schutzwürdige private Belange nicht entgegen-
stünden. Tatsächlich finde jedoch der Antrag seine Rechtferti-
gung in $ 4 Abs. 1 LPG Baden-Württemberg. Danach seien die
Behörden gesetzlich verpflichtet, den Vertretern der Presse die
der Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben dienenden Auskünf-
te zu erteilen. Ein Versagungsgrund nach $ 4 Abs. 2 LPG beste-
he nicht. Dem überragenden Informationsinteresse der Öffent-
lichkeit an den fraglichen Vorgängen stünden überwiegend
schutzwürdige private Interessen nicht entgegen. Eine an den
konkreten Umständen des Einzelfalls orientierte Güterabwä-
gung zwischen dem berechtigten Informationsinteresse der Of-
fentlichkeit, dem das Auskunftsersuchen gelte, und angeblich
schutzwürdiger privater Interessen sei nicht erfolgt. Schutz-
würdige Interessen des flüchtigen, der kriminellen Szene zuge-
hörigen M. rechfertigten jedenfalls die Ablehnung der bean-
tragten Auskunftserteilung nicht; schutzwürdige Belange ande-
rer seien nicht ersichtlich; diesen könnte notfalls durch die
Schwätzung von Namen hinreichend Rechnung getragen wer-
den.

Gründe
DI.

1. Der Antrag ist zulässig. Der Rechtsweg nach $ 23 EGGVG
ist eröffnet (Löffler, Presserecht, 3. Aufl, Bd. 1, $ 4, Rz. 133).
Die Antragstellerin begehrt die Verpflichtung einer Justizbe-
hörde — des Amtsgerichts Reutlingen als aktenverwahrender
Behörde — zum Erlaß eines abgelehnten Verwaltungsakts ($ 23
Abs. 2 EGGVG), worunter nach $23 Abs. 1 EGGVG nicht
nur Anordnungen oder Verfügungen zu verstehen sind, son-
dern auch sonstige Maßnahmen auf dem Gebiet der Strafrechts-
pflege, d. h. ein behördliches Handeln, das der Regelung einer
einzelnen Angelegenheit auf diesem Gebiet dient und geeignet
ist, den Betroffenen in seinen Rechten zu verletzen. Bei der hier
begehrten Überlassung einer Urteilsabschrift an die Presse han-
delt es sich um eine solche Maßnahme.

Aufgrund anderer Vorschriften können die ordentlichen Ge-
richte nicht angerufen werden, so daß auch diese weitere Vor-
aussetzung der Zulässigkeit des Justizverwaltungsrechtsweges
gegeben ist ($ 23 Abs. 3 EGGVG). Der Antrag ist form- und
fristgerecht gestellt und auch insoweit zulässig, als die Antrag-
stellerin geltend macht, durch die unterlassene Maßnahme in ih-
ten Rechten verletzt zu sein ($ 24 Abs. 1 EGGVG). Eines Vor-
schaltverfahtens ($ 24 Abs. 2 EGGVG) bedurfte es mangels ei-
nes förmlichen Rechtsbehelfs nicht.

2. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist jedoch nicht
begründet. Die ablehnende Entscheidung des Vorstands des
Amtsgerichts Reutlingen ist nicht rechtswidrig.

$4 Abs. 1 LPG verpflichtet die Behörden, den Vertretern der
Presse die der Erfüllungihrer öffentlichen Aufgaben dienenden
Auskünfte zu erteilen. Dabei besteht kein Anspruch auf eine be-
stimmte Form der Auskunftserteilung (Löffler a. a. O., $ 4, Rz.
74 m. N.). Als Verlegerin gehört die Antragstellerin zu den
Auskunftsberechtigten (Löffler a. a. O.,$ 4, Rz. 35). Daß sie die
Überlassung der Urteilsabschrift begehrt, um die öffentlichen
Aufgaben der Presse im Sinne des $3 LPG zu erfüllen, steht
nach ihrem Vorbringen außer Frage. Das Informationstecht der
Presse erfährt jedoch insoweit eine Einschränkung, als unter

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den Voraussetzungen des $ 4 Abs. 2 LPG Auskünfte verweigert
werden können. Wie für das Grundrecht der Pressefreiheit
selbst, gelten auch für das darin wurzelnde Informationsrecht
der Presse die Schranken des Art. 5 Abs. 2 GG. Dem ist zum
Schutze anderer Rechtsgüter, wie z. B. der Staatssicherheit im
öffentlichen Bereich oder des Persönlichkeitsrechts im privaten
Bereich mit den Ausnahmetatbeständen des $4 Abs. 2 LPG,
Rechnung getragen (Löffler/Ricker, Handbuch des PresseR, 2,
Aufl., S. 115).

Der ablehnende Bescheid des Direktors des Amtsgerichts Reut-
lingen ergibt, daß die Überlassung einer Urteilsabschrift in An-
wendung des $4 Abs. 2 Nt. 3 LPG verweigert wurde, weil
sonst schutzwürdige private Interessen verletzt würden. Diese
Entscheidung unterliegt im Verfahren nach den $$ 23 ff.
EGGVG uicht voller gerichtlicher Nachprüfung. Diese ist viel-
mehr darauf beschränkt, ob der Behördenleiter den unbestimm-
ten Rechtsbegriff des schutzwürdigen privaten Interesses zu-
treffend ausgelegt hat und ob bei der Ermessensentscheidung
nach $4 Abs. 2 LPG die gesetzliche Grenze des Ermessens
überschritten oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der
Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht
wurde ($ 28 Abs. 3 EGGVG).

Die Ausführungen in dem angegriffenen Bescheid sind zwar
knapp; sie ergeben jedoch noch mit hinreichender Deutlichkeit,
daß der Behördenleiter die Bedeutung des Begriffs „schurzwärdi-
ger privater Interessen“ im Rahmen des $ 4 Abs. 2 LPG nicht
verkannt hat. Von einem — wieder aktualisierten — Informati-
onsinteresse und einem grundsätzlich bestehenden Informati-
onsanspzuch der Presse ist der Amtsleiter in seiner ablehnenden
Verfügung ersichtlich ausgegangen. Dieser Informationsan-
spruch der Presse wird vor allem durch die im engen zeitlichen
Zusammenhang mit dem Strafverfahren erfolgende aktuelle Be-
richterstattung aus Öffentlicher Hauptverhandlung befriedigt.
Das schriftlich niedergelegte Urteil in einem Strafverfahren ist
dagegen in erster Linie für die Verfahrensbeteiligten bestimmt.
Es befaßt sich in aller Regel detaillierter und eingehender als
dies in mündlicher, öffentlicher Urteilsverkündung geschehen
kann mit den strafrechtlich relevanten Vorgängen und mit der
Bewertung nicht nur des Verhaltens und der Persönlichkeit des
Angeklagten, sondern auch dritter Personen, die — sei es als
Zeuge oder als Mitbeschuldigte — in dem Strafverfahren eine
Rolle spielen. Wenn der Amtsleiter insbesondere auf den auf-
grund der Urteilsfeststellungen zu besorgenden Einbruch in die
persönliche Sphäre dieser dritten Personen abstellte, darauf hin-
wies, daß die Vorgänge schon lange zurückliegen und im Hin-
blick auf die bereits eingetretene Tilgungsteife, die insoweit in
Nr. 185 Abs. 2 RiStVB aufgestellten Grundsätze in seine Erwä-
gungen einbezog, so ist dies demzufolge nicht rechtsfehlerhaft.

Dem zeitlichen Abstand von Vorgängen, die Gegenstand eines
Strafverfahrens waren, ist bei der verfassungstechtlichen Be-
deutung des Persönlichkeitsschutzes im Verhältnis zwischen
Pressefreiheit und dem sich daraus ergebenden Informationsan-
spruch und den Interessen von Beschuldigten Rechnung zu tra-
gen (vgl. BVerfG, NJW 1973, 1226, 1231). Erst recht gilt dies,
wenn die Auskunft private Interessen nichtbeschuldigter Ver-
fahrensbeteiligter verletzte. Die Annahme, dem auf das Infor-
mationsrecht und -interesse der Presse gestützten Begehren auf
Überlassung einer Urteilsabschrift stünden im vorliegenden
Fall wegen des zeitlichen Abstands schutzwürdige private In-
teressen der weiteren am Strafverfahren Beteiligten entgegen,
ist deshalb nicht zu beanstanden. Daß diese gegenüber dem In-
formationsanspruch der Presse überwiegen müßten, wie die
Antragstellerin meint, setzt die Anwendung des $ 4 Abs. 2 Nr. 3
LPG nicht voraus. Insoweit bedurfte es daher keiner Abwä-
gung.

Der Behördenleiter hat auch, wie die Gründe des Bescheides et-
geben, nicht verkannt, daß es in seinem pflichtgemäßen Ermes-
sen lag, ob er trotz Vorliegens eines Verweigerungsgrunds der
Antragstellerin die Urteilsabschrift überlassen wollte oder
nicht. Dabei hat er seine ablehnende Entscheidung mit den von
ihm als schutzwürdig erkannten privaten Interessen der übrigen
am Strafverfahren Beteiligten begründet. Ein Ermessensmiß-
brauch oder -fehlgebrauch ist nicht ersichtlich. Die schutzwüt-

A£P 3/92

 

digen Interessen der betroffenen Dritten am Schutz ihrer Pri-
vatsphäre, deren Verletzung bei Aushändigung der Urteilsab-
schrift drohte, konnte er rechtsfehlerfrei auch bei der Ermes-
sensausübung berücksichtigen und ihnen unter den gegebenen
Umständen auch den Ausschlag für seine Weigerung geben.

Daß der Amtsleiter bei der heute üblichen, aus Gründen des
Datenschutzes gebotenen Praxis, Gerichtsentscheidungen nur
unter Unkenntlichmachung der Namen der beteiligten Perso-

nen herauszugeben, diese Möglichkeit im Hinblick auf die Be-
deutung des Informationsanspruchs der Antragstellerin nicht
bedacht hätte, ist wenig wahtscheinlich. Tatsächlich wäre hier
auch bei einer Namensschwärzung jedenfalls das im Hinblick
auf die lange zurückliegenden Vorgänge zu beachtende Persön-
lichkeitsrecht eines Zeugen verletzt, mit dessen Glaubwürdig-
keit sich das Urteil kritisch auseinandersetzt, da hierdurch seine
Identifizierung nicht ausreichend ausgeschlossen würde. Auch
der hilfsweise gestellte Antrag bleibt daher ohne Erfolg.

Zur strafrechtlichen Verantwortlichkeit
für Außerungen
in einem Fernsehspiel

Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG; $ 337 StPO, $$ 185, 186 StGB

Eine inktiminierte Äußerung („G. und Co.: Das sind doch
alles Faschisten.“) in einem Fernschspiel (Serie „Linden-
straße“), mit der nach rechtsfehlerfteier tatgerichtlicher
Auslegung für den Durchschnittszuschauer erkennbar le-
diglich eine in Teilen der Bevölkerung tatsächlich vertre-
tene Ansicht über den vermeintlichen politischen Standort
eines Politikers zu einer aktuellen politischen Frage
(„Aids-Bekämpfung“) wiedergegeben werden soll, stellt
keine dem Schauspieler und den für die Abnahme der Sen-
dung Verantwortlichen der Fernsehanstalt zurechenbare
Beleidigung im Sinne des $ 185 StGB dat, weil diese Norm
die strafrechtliche Sanktion an die Kundgabe der eigenen
Nichtachtung oder Mißachtung anknüpft.

Oberlandesgericht Köln,
Urteil vom 28, Jannar 1992 — Ss 567-569/91

Sachverhalt

Die Anklage legt den Angeklagten zur Last, mit der am 9. Ok-
tober 1988 ausgestrahlten 149. Folge der Fernschserie „Linden-
straße“, gemeinschaftlich handelnd, den bayrischen Umweltmi-
nister und damaligen Staatssekretär Dr. Gauweiler (Nebenklä-
ger) beleidigt zu haben. Das Schöffengericht hat die Angeklag-
ten freigesprochen'!. Das Landgericht hat die Berufungen der
Staatsanwaltschaft und des Nebenklägers verworfen. Gegen
diese Entscheidung tichten sich die Revisionen der Staatsan-
waltschaft und des Nebenklägers mit der Sachrüge.

Die Angeklagten W. und P. sind beim WDR angestellt. Der
Angeklagte W. übt die Funktion eines Programmgruppenlei-
ters aus, die Angeklagte P. ist als Produktionsgruppenleiterin
tätig. Zu den Aufgaben dieser Angeklagten gehört es, Sendun-
gen abzunehmen. Die Angeklagte M. ist als Schauspielerin in
der „Lindenstraße“ für die Rolle der Chris Barnsteg vertraglich
verpflichtet. Ihr Vertrag sieht vor, daß sie die Rolle entspre-
chend dem Drehbuch spielt.

Am Sonntag, dem 9. Oktober 1988, strahlte der WDR die 149.
Folge der „Lindenstraße“ aus. In dieser Folge ging es um das
Problem Aids und Arbeitsplatz. Ein Mitglied der fiktiven
Wohngemeinschaft (Benno) ist an Aids erkrankt und hat die
Kündigung seines Arbeitsverhältnisses erhalten. Die Mitglieder
der Wohngemeinschaft diskutieren darüber, ob „Benno“ „Pto-
zessieren“ soll. Die Angeklagte M. sagt dazu in der Rolle der
„Chris“:

„Klar muß er! Die Öffentlichkeit muß endlich mitkriegen, was
hier bei uns passiert. Unter dem Deckmantel der Sauberkeit!
Gauweiler und Co! Das sind doch alles Faschisten!“

Grundkonzept der Sendeserie „Lindenstraße“ ist es, über die
alltäglichen Ereignisse, Erlebnisse und Probleme einer Gruppe

I Abgedruckt in AfP 1991, 453 £.

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von Menschen zu berichten, die nur gemeinsam haben, daß sie
in derselben Straße in einer deutschen Stadt wohnen. Die Serie
soll ein Spiegel des normalen, alltäglichen Lebens sein. Die Sen-
dereihe soll die in der Wirklichkeit vorkommende Meinungs-
vielfalt wiedergeben.

Dabei sollen auch Meinungen zu gesellschaftlichen Problemen,
politischen Fragen oder ganz allgemein zum aktuellen Zeitge-
schehen einbezogen werden. Um diese Meinungsvielfalt wie-
derzugeben und plastisch darzustellen, sollen auch Extremposi-
tionen eingefangen werden, ohne daß eine Wertung stattfinden
soll. Rechtsextremistische Meinungen, aber auch extrem linke
Positionen, Alternativmeinungen und auch die „Null-Bock-
oder Null-Future-Stimmung“ sollen realistisch und wirklich-
keitsnah vorgeführt werden. Dabei sollen die einzelnen Haupt-
figuren für eine bestimmte weltanschauliche Richtung stehen.
Die Figur der „Chris“ soll dabei typisiert eine jugendliche unbe-
kümmerte Person darstellen, die unreflektiert, ohne die Hintet-
gründe und die politischen Zusammenhänge zu durchschauen,
pseudoextreme Positionen einnimmt. Stellvertretend für eine
tatsächlich vorhandene Bevölkerungsschicht Ichnt sie eigentlich
alles ab und versinnbildlicht eine teilweise in jugendlichen Krei-
sen vorzufindende Anti-Haltung.

Zum damaligen Zeitpunkt vertrat der Nebenkläger die Auffas-
sung, die Aids-Erkrankung müsse ins Bundesseuchengesetz
aufgenommen werden. Br empfahl der bayrischen Regierung in
seiner Eigenschaft als damaliger Staatssekretär einen Maßnah-
mekatalog, der die zwangsweise Erfassung der Aids-Erkrank-
ten und Aids-Infizierten vorsah und der auch eine Beschnei-
dung der beruflichen Ausübungsfreiheit beinhaltete. Diese Mei-
nung war damals und ist auch heute noch umstritten und wurde
von der überwiegenden Anzahl der Regierungspolitiker abge-
lehnt. In der damaligen politischen Diskussion wurden von
Zeitungen und Zeitschriften auch Vergleiche zwischen den
vom Nebenkläger vorgeschlagenen Maßnahmen und der Inter-
nierung und Konzentrierung von Bevölkerungsteilen im Drit-
ten Reich angestellt, die zum Teil schr unsachlich vorgenom-
men wurden.

Gründe

Die Rechtsmitel bleiben ohne Erfolg. Der Freispruch der Ange-
klagten ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.

1. Rechtsfehlerfrei hat die Strafkammer — ersichtlich — in der in-
kriminierten Außerung keine Tatsachenbehauptung im Sinne
des $ 186 StGB, sondern ein nach $ 185 StGB zu beurteilendes
Werturteil gesehen. Eine Tatsachenbehauptung liegt vor, wenn
der Gehalt der Äußerung einer objektiven Klärung zugänglich
ist und als etwas Geschehenes oder Bestehendes dem Beweis of-
fensteht (BGH, JR 1977, 28, 29; OLG Frankfurt, NJW 1989,
1367; Herdegen in Leipziger Kommentar, 10. Aufl., $ 185, Rd.-
Ne. 4m. N.; Lenckner in Schönke/Schröder, StGB, 24. Aufl.,

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