Information

Aktenzeichen
BW OLG 8 W 228.12 2012 LPG
Datum
27. Juni 2012
Gericht
Oberlandesgericht Stuttgart
Gesetz
Gesetz über die Presse (Landespressegesetz) – Baden-Württemberg
Gesetz über die Presse (Landespressegesetz) – Baden-Württemberg

Beschluss: Oberlandesgericht Stuttgart am 27. Juni 2012

BW OLG 8 W 228.12 2012 LPG

Das Interesse der Presse oder des Rundfunks erweist sich als gegenüber dem Persönlichkeitsrecht der Eingetragenen dann als vorrangig, wenn es sich um eine Frage handelt, die für die Öffentlichkeit von Interesse ist und wenn die Recherche der Aufbereitung einer ernsthaften und sachbezogenen Auseinandersetzung dient; schutzwürdiges Interesse der Presse und vergleichbarer publizistisch tätiger Medien vermag es, ein Interesse daran zu begruenden, von den für ein bestimmtes Grundstück vorgenommenen Eintragungen Kenntnis zu erlangen

Grundbuch Vermögensübertragungen zwischen Angehörigen einer Unternehmerfamilie Insolvenz

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4/2/2014                                                                     8 W 228/12 OLG Stuttgart Beschluß vom 27.6.2012, 8 W 228/12 Grundbuchverfahren: Einsichtnahmeanspruch eines Presseorgans in Grundbuchakten im Rahmen journalistischer Recherche; Anspruch des Eingetragenen auf rechtliches Gehör Tenor Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Grundbuchamts Ehingen vom 15.06.2012 (I GRG 604/2012) aufgehoben und das Grundbuchamt angewiesen, dem Antragsteller Einsicht in das Grundbuch vom Ehingen/Donau betreffend das Grundstück ... in ... zu gestatten, bzgl. der zur Ergänzung einer Eintragung in Bezug genommen Urkunden beschränkt sich die Einsicht auf solche, mit welchen Rechtsgeschäfte zwischen Mitgliedern der ... .... beurkundet wurden (zwischen ... ..., ... ..., ... ... oder ... ...). Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet. Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens beträgt 5.000.- EUR. Gründe I. 1        Die Antragstellerin recherchiert und produziert u.a. Beiträge für öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten und private Rundfunkveranstalter. Im Rahmen ihrer journalistischen Tätigkeit ist sie gegenwärtig auch mit möglichen Vermögensübertragungen zwischen Angehörigen der Unternehmerfamilie .... vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des eingetragenen Kaufmanns ... .... befasst. Dabei sei ihr bekannt geworden, dass das von Herrn ... ... und seiner Ehefrau ... ... bewohnte Haus in ... nunmehr im Eigentum der Ehefrau stehe. Die Antragstellerin weist ergänzend auf Presseberichte hin, u.a. der Münchener TZ vom 04.06.2012, in welchem ein Sprecher des Insolvenzverwalters mit der Äußerung zitiert werde, „in den nächsten Wochen werde die ... ... sehr genau auf Vermögensübertragungen untersucht“. Das Büro des Insolvenzverwalter habe auf telefonische Anfrage eine diesbezügliche Auskunft verweigert und an das Grundbuchamt verwiesen. 2        Unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesgerichtshofs hält die Antragstellerin ein Grundbucheinsichtsrecht für ausreichend dargelegt. Angesichts des konkreten Verdachts und wegen der Auswirkungen des Insolvenzverfahrens auch auf tausende von Arbeitnehmern überwiege das Informationsrecht der Öffentlichkeit und der Presse das Recht auf informationelle Selbstbestimmung der Mitglieder der ... .... 3        Das Grundbuchamt hat den Antrag auf Einsicht in das genannte Grundbuch mit der Begründung zurückgewiesen, der Antragsteller könne sich wegen der begehrten Auskunft auch an den Insolvenzverwalter wenden. Anders als in dem der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 17.08.2011 (V ZB 47/11, NJW-RR 2011, 1651) zugrundeliegenden Sachverhalt handele es sich vorliegend nicht um eine Person, die ein öffentliches Amt bekleide, und damit verbundene Abhängigkeiten. 4        Dagegen wendet sich der Antragsteller mit der Beschwerde. 5        Das Grundbuchamt hat der Beschwerde nicht abgeholfen. II. 1. http://lrbw.juris.de/cgi-bin/laender_rechtsprechung/document.py?Gericht=bw&Datum=2014&nr=16991&Blank=1                      1/3
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