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Aktenzeichen
4 V 1051 20
Datum
27. November 2019
Gericht
Verwaltungsgericht Bremen
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Verwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen 4 V 1051/20 Beschluss In der Verwaltungsrechtssache – Antragstellerin – gegen die Freie Hansestadt Bremen, vertreten durch die Senatorin für Gesundheit, Frauen und Verbraucherschutz, Contrescarpe 72, 28195 Bremen – Antragsgegnerin – hat das Verwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen - 4. Kammer - durch Richter Stahnke, Richter Ziemann und Richter Grieff am 27. November 2020 beschlossen: Die Anträge werden abgelehnt.
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2 Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen, die dieser selbst trägt. Der Streitwert wird zum Zwecke der Kostenberechnung auf 5.000 € festgesetzt. Gründe I. Die Antragstellerin wendet sich gegen die (beabsichtigte) Informationserteilung an den Beigeladenen nach dem Verbraucherinformationsgesetz (VIG). Sie betreibt in Bremen einen Supermarkt mit Lebensmittelsortiment. Mit E-Mail vom 24.01.2020 beantragte der Beigeladene über die von f                 e.V. und F                                                  e.V.) betriebene Internetplattform „Topf Secret“ (www.topf-secret.de) bei der Antragsgegnerin die Herausgabe folgender Informationen über den Betrieb der Antragstellerin: „1. Die Zeitpunkte aller lebensmittelrechtlichen Betriebsprüfungen der letzten fünf Jahre in folgendem Betrieb                                      Bremen 2. Kam es hierbei zu Beanstandungen? Falls ja, beantrage ich hiermit die Herausgabe des entsprechenden Kontrollberichts an mich.“ Zur Einreichung einer Anfrage über die Internetplattform „Topf Secret“ wird ein Restaurant oder ein Lebensmittelbetrieb in einer Straßenkarte ausgewählt oder es wird nach einem konkreten Betrieb gesucht. Im nächsten Schritt trägt der Anfragende seinen Namen und seine E-Mail- sowie Postadresse ein. Die vorformulierte Anfrage wird automatisch per E- Mail an die zuständige Behörde gesandt. Die Anfragenden haben die Möglichkeit, die Informationen auf der Internetplattform zu veröffentlichen. Mit   Schreiben    vom     14.02.2020   wurde    die   Antragstellerin  zur  beabsichtigten Informationsgewährung an den Beigeladenen angehört. Der   Lebensmittelüberwachungs-,       Tierschutz-   und   Veterinärdienst (LMTVeT)      der Antragsgegnerin teilte dem Beigeladenen mit Bescheid vom 25.05.2020 mit, dass ihm der beantragte Zugang zu Informationen über die Betriebsstätte der Antragstellerin gewährt
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3 werde durch Übersendung der Kontrollberichte nach Ablauf des 08.06.2020, sofern die Antragstellerin nicht von ihrem Recht Gebrauch mache, gerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen. Für die weiteren Einzelheiten wird auf den Bescheid der Antragsgegnerin vom 25.05.2020 Bezug genommen (Bl. 71 BA). Mit Schreiben vom 25.05.2020 wurde der Antragstellerin der gegenüber dem Beigeladenen ergangene Bescheid bekanntgegeben. Dagegen legte sie mit Schreiben vom 05.06.2020 (Bl. 86 BA) Widerspruch ein. Die Antragstellerin hat am 08.06.2020 die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes beantragt. Zur Begründung führt sie aus, dass ihr Aussetzungsinteresse das Vollzugsinteresse überwiege, da der Verwaltungsakt rechtswidrig sei. Die in den fraglichen Kontrollberichten getroffenen Feststellungen ließen keinen Rückschluss darauf zu, ob „nicht zulässige Abweichungen von Anforderungen“ im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG festgestellt worden seien. Es fehle an der Benennung von Anforderungen, gegen die verstoßen worden sei. Es fänden sich dort sämtliche Notizen der Betriebskontrolle, auch solche, die schon gar keine Abweichungen darstellen könnten. Beispielsweise fänden sich Bemerkungen wie „… sind zu beobachten“. Das Feld für die „Frist zur Beseitigung der Beanstandung“ sei in einigen Niederschriften nicht ausgefüllt. Es bedürfe somit einer konkreten Prüfung der einzelnen Inhalte der Niederschriften auf das tatsächliche Vorliegen von nicht zulässigen Abweichungen in einem Hauptsacheverfahren. Es sei eine aktenkundige      Würdigung    des    Sachverhalts   und   Nennung       der    einschlägigen Rechtsvorschrift erforderlich. Die Herausgabe der Kontrollberichte sei außerdem unverhältnismäßig und nicht geeignet, den Auskunftsersuchenden sachgerecht zu informieren. Amtliche Kontrollberichte würden nicht zur Veröffentlichung, sondern zur Dokumentation von Feststellungen im Rahmen amtlicher Kontrollen angefertigt. Es liege ein unverhältnismäßiger Eingriff in die Rechte der Antragstellerin vor, da nicht sichergestellt werden könne, dass der Beigeladene eine hinreichende Publikation einer gegebenenfalls erforderlichen Richtigstellung vornehmen würde. Art und Umfang der Geltendmachung des Auskunftsanspruchs seien darüber hinaus offensichtlich rechtsmissbräuchlich. Die von den genannten Nichtregierungsorganisationen bereitgestellte Infrastruktur zur massenhaften Generierung von Anträgen nach dem VIG diene allein der eigenen Kampagnenführung, hinter ihr stehe kein echtes Informationsinteresse eines Verbrauchers. Mit der Gewährung der begehrten Informationen erfolge ferner eine unzulässige Übertragung von hoheitlichen Handlungsbefugnissen auf private Stellen. In Bezug auf die Auslegung des VIG seien zahlreiche Rechtsfragen offen. Die gesetzgeberische Wertung des § 80 Abs. 1 VwGO spreche bei einem offenen Ausgang des Hauptsacheverfahrens dafür, dem Rechtsmittel aufschiebende Wirkung zuzumessen. Der hilfsweise gestellte Feststellungsantrag sei
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4 begründet, da es sich bei der Anfrage über die Internetplattform „Topf Secret“ um einen Fall des § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 VIG handele, bei dem die aufschiebende Wirkung des Rechtsmittels nicht ausgeschlossen sei. Bei den Kontrollberichten handele es sich um die Auswertung       von    amtlichen     „Überwachungsmaßnahmen“          im     Rahmen        der Lebensmittelkontrolle, hingegen nicht um festgestellte „nicht zulässige Abweichungen von den Anforderungen“ des LFGB oder des Produktsicherheitsgesetzes. Auch der äußerst hilfsweise gestellte Antrag sei begründet. Sofern die Antragsgegnerin die anfragende Person nicht unter Zwangsgeldandrohung darauf hinweise, dass die Veröffentlichung der Kontrollberichte auf der Internetplattform „Topf Secret“ nicht rechtens sei, stelle dies einen Eingriff in den durch Art. 12 Abs. 1 GG und Art. 14 Abs. 1 GG geschützten, eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb der Antragstellerin dar. Die Antragstellerin beantragt, die aufschiebende Wirkung des von ihr am 05.06.2020 erhobenen Widerspruchs gegen den Auskunftsbescheid der Antragsgegnerin vom 25.05.202020 anzuordnen, hilfsweise festzustellen, dass ihr Widerspruch vom 05.06.2020 gegen den Auskunftsbescheid der Antragsgegnerin vom 25.05.2020 aufschiebende Wirkung hat, äußerst hilfsweise, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Beigeladenen die Kontrollberichte bzw. die darin enthaltenen Informationen nicht oder nur verbunden mit der Untersagung der Veröffentlichung unter Zwangsgeldandrohung zu übersenden. Die Antragsgegnerin beantragt sinngemäß, die Anträge abzulehnen. Rechtsgrundlage für die Gewährung des Informationszugangs sei § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG. Die im Rahmen der Betriebskontrollen festgestellten Mängel verstießen gegen lebensmittelhygienische Vorschriften der Verordnung (EG) Nr. 852/2004 und somit gegen einen     unmittelbar   geltenden    Rechtsakt    der   Europäischen     Gemeinschaft        im Anwendungsbereich des Lebensmittelrechts (§ 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 c) VIG). Die in den Kontrollberichten aufgeführten Beanstandungen seien von der zuständigen Behörde festgestellt worden. Die Berichte würden neben einer Auflistung von Beanstandungen auch rechtliche    Subsumtionen     der  Kontrollergebnisse    beinhalten.   Dies    ergebe     sich insbesondere aus den aufgeführten Handlungsanweisungen, die eine fachliche und rechtliche Bewertung der festgestellten Mängel voraussetzten. Die Benennung der verletzten Vorschriften sei nicht erforderlich und würde die Anforderungen an die Feststellung i. S. d. § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VIG überspannen. Ausreichend sei, dass die zuständige Behörde die Abweichung unter Würdigung des Sachverhalts und der
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5 einschlägigen Rechtsvorschriften abschließend aktenkundig festgestellt habe. Das VIG untersage weiterhin nicht die Veröffentlichung über ein Online-Portal. Sie habe dem Auskunftsersuchenden         im   Rahmen      einer   gebundenen     Entscheidung     einen Informationszugang        zu    gewähren,      sofern   gesetzliche    Ausschluss-     oder Beschränkungsgründe nicht vorlägen. Eine Rechtsgrundlage zur Regelung der weiteren Verwendung der überlassenen Daten sehe das VIG nicht vor. Die Verhinderung einer Veröffentlichung über das Internet stelle keinen Grund für die Ablehnung des Auskunftsantrags dar. § 6 Abs. 1 Satz 3 VIG regele vielmehr, dass informationspflichtige Stellen Informationen auch über das Internet öffentlich zugänglich machen könnten. Sinn und Zweck des VIG sei es, die Informationsrechte der Verbraucher als wesentlichen Baustein einer modernen Verbraucherpolitik zu stärken. Es entspreche dem Leitbild eines mündigen Verbrauchers, diesem die bei der Behörde vorhandenen Daten ungefiltert zugänglich zu machen. Missbräuchlich gestellte Anträge seien zwar nach § 4 Abs. 4 VIG abzulehnen, die Antragstellerin könne sich auf diese Regelung jedoch nicht berufen. Die Regelung bezwecke lediglich den Schutz einer funktionierenden Verwaltung, dem von der Verbraucherinformation betroffenen Lebensmittelunternehmer vermittle sie hingegen kein subjektives Abwehrrecht. Der Antrag auf Herausgabe von Informationen hätte nicht gemäß § 4 Abs. 3 Nr. 4 VIG abgelehnt werden müssen. Durch die Bearbeitung des Antrags sowie der seit Mitte Januar gestellten gleichlautenden Anträge weiterer Auskunftssuchender sehe sie sich nicht in der ordnungsgemäßen Erfüllung ihrer Aufgaben beeinträchtigt. Im Übrigen sei die Norm des § 4 Abs. 3 Nr. 4 VIG bereits auf Grund ihrer Einschränkung durch das Wort „soweit“ restriktiv auszulegen. Der Ablehnungsgrund sei lediglich bei Ausforschungs- und Globalanfragen zu Zwecken, die mit dem VIG nicht vereinbar seien, gegeben. Der gestellte Auskunftsantrag widerspreche zudem nicht offensichtlich dem Gesetzeszweck des VIG. Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung sei das Auskunftsbegehren selbst und nicht, ob die Organisation foodwatch e.V. auf ihrer Internetplattform eigene Ziele verfolge. Die durch das VIG bereitgestellten Instrumente der Informationsgewährung aufgrund von antragsabhängigen Auskunftsansprüchen einerseits und der Befugnis zur Information der Öffentlichkeit von Amts wegen andererseits würden selbstständig neben den Instrumenten der behördlichen Produktwarnung nach § 40 Abs. 1a LFGB stehen. Es sei davon auszugehen, dass der Gesetzgeber neben § 40 Abs. 1a LFGB auch die Möglichkeit der Veröffentlichung im Internet durch den privaten Auskunftsersuchenden habe zulassen wollen, insbesondere, weil einer privaten Veröffentlichung eine geringere Wirkung auf das Marktgeschehen zukomme. § 5 Abs. 4 Satz 1 VIG sei nicht verfassungswidrig. In § 5 Abs. 4 Satz 2 VIG seien Sicherungsmaßnahmen für den einstweiligen Rechtsschutz eines Dritten vorgesehen. Der Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.
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6 Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der vorgelegten Behörden- und der Gerichtsakte Bezug genommen. II. Die Eilanträge haben keinen Erfolg. Der Hauptantrag ist zulässig, jedoch nicht begründet. 1. Der Antrag ist zulässig. a) Er ist nach §§ 80a Abs. 3 Satz 2, 80 Abs. 2 Nr. 3, 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO als Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung statthaft. Die aufschiebende Wirkung des bereits eingelegten Widerspruchs entfällt hier gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i. V. m. § 5 Abs. 4 Satz 1 VIG, weil der Beigeladene mit seiner Frage nach „Beanstandungen“ und – nur für diesen Fall – der Bitte um Herausgabe des entsprechenden Kontrollberichts eine Informationsgewährung nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG beantragt und das LMTVet der Antragsgegnerin ausweislich der Begründung des angegriffenen Bescheids aufgrund dieser Vorschrift über das Begehren entschieden hat. Auf § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 VIG haben weder der Beigeladene noch das LMTVet abgestellt (vgl. OVG Bremen, Beschluss vom 14.07.2020 – 1 B 331/19 –, Rn. 29; Nds. OVG, Beschluss vom 16.01.2020 – 2 ME 707/19 –, Rn. 6; jeweils juris). Konkrete Rechtsverstöße und die behördliche Reaktion hierauf sind unter § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG zu subsumieren (VG Bremen, Beschluss vom 17.12.2019 – 5 V 2340/19 –, Rn. 26 m. w. N., juris). b) Die Antragstellerin ist nach § 42 Abs. 2 VwGO antragsbefugt. Adressat des angegriffenen Bescheides ist zwar nicht sie, sondern der Beigeladene, jedoch kann die Antragstellerin als Drittbetroffene geltend machen, durch die Auskunftserteilung möglicherweise in ihren Rechten verletzt zu sein. Es ist nicht von vorneherein ausgeschlossen, dass die Auskunftserteilung sie in ihrem Recht auf informationelle Selbstbestimmung nach Art. 2 Abs. 1 GG oder ihrem Grundrecht der Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG jeweils i. V. m. Art. 19 Abs. 3 GG verletzt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 21.03.2018 – 1 BvF 1/13 –, Rn. 26; BayVGH, Urteil vom 16.02.2017 – 20 BV 15.2208 –, Rn. 19 m. w. N.; jeweils juris). Darüber hinaus sieht § 3 Satz 1 Nr. 2 VIG auch den Schutz privater Belange vor (VG Bremen, Beschluss vom 17.12.2019 – 5 V 2340/19 –, Rn. 28, juris). Hiernach entfällt der Anspruch auf Informationsgewährung, wenn die dort abschließend aufgezählten Belange berührt werden (ausführlich zum Kreis der Anspruchsberechtigten: BVerwG, Urteil vom 29.08.2019 – 7 C 29.17 –, Rn. 11, juris).
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7 2. Der Antrag ist unbegründet. Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache in den Fällen des § 80 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 VwGO die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen, wobei es eine eigene Abwägungsentscheidung trifft. Hierbei ist das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung eines Verwaltungsaktes gegen das Interesse der Antragstellerin an der aufschiebenden Wirkung ihres Rechtsbehelfs abzuwägen. Maßgebliches Kriterium bei der vorzunehmenden Interessenabwägung sind zunächst die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache. Erweist sich der angefochtene Verwaltungsakt bei der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung als offensichtlich rechtswidrig, überwiegt grundsätzlich das private Aussetzungsinteresse das gegenläufige öffentliche Vollziehungsinteresse. Stellt sich der Verwaltungsakt als offensichtlich rechtmäßig dar, bedarf es in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung durch die Behörde angeordnet wurde, auch bei Vorliegen eines rechtmäßigen Verwaltungsaktes eines besonderen Interesses an der sofortigen Vollziehung.     Lässt     sich   hingegen     bei   summarischer     Überprüfung     eine Offensichtlichkeitsbeurteilung nicht treffen, kommt es entscheidend auf eine Abwägung zwischen den für eine sofortige Vollziehung sprechenden Interessen einerseits und dem Interesse des Betroffenen an einer Aussetzung der Vollziehung bis zur rechtskräftigen Entscheidung im Hauptsacheverfahren andererseits an. Bei der Abwägung fällt der Rechtsschutzanspruch des Bürgers umso stärker ins Gewicht, je schwerer die ihm auferlegte Belastung ist und je mehr die Maßnahme der Exekutive Unabänderliches bewirkt (BVerfG, Kammerbeschluss vom 29.05.2015 – 2 BvR 869/15 –, Rn. 12, juris). Geltung und Inhalt dieser Leitlinien sind nicht davon abhängig, ob der Sofortvollzug eines Verwaltungsaktes einer gesetzlichen (vgl. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 3 VwGO) oder einer behördlichen Anordnung (vgl. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO) entspringt (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 10.10.2003 – 1 BvR 2025/03 –, Rn. 19, juris). Allerdings ist in den Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO zu beachten, dass der Gesetzgeber einen grundsätzlichen Vorrang des Vollziehungsinteresses angeordnet hat und es deshalb besonderer Umstände bedarf, um eine hiervon abweichende Entscheidung zu rechtfertigen (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 10.10.2003 – 1 BvR 2025/03 –, Rn. 21, juris). Hat sich schon der Gesetzgeber für den Sofortvollzug entschieden, sind die Gerichte - neben der Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache - zu einer Einzelfallbetrachtung grundsätzlich nur im Hinblick auf solche Umstände angehalten, die von den Beteiligten vorgetragen werden und die Annahme rechtfertigen können, dass im
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8 konkreten     Fall  von   der  gesetzgeberischen     Grundentscheidung     ausnahmsweise abzuweichen ist (BVerfG, ebd., Rn. 22). Gerade für Fälle wie den vorliegenden hat sich der Gesetzgeber mit der Frage der sofortigen Vollziehung auseinandergesetzt. Aus § 5 Abs. 4 Satz 1 VIG ergibt sich, dass bei Informationen über unzulässige Abweichungen i. S. d. § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG dem Interesse der Öffentlichkeit an einer wirksamen, das heißt zeitnahen Information grundsätzlich    der  Vorrang   gegenüber     den   privaten  Belangen    der  betroffenen Unternehmen, einstweilen von der Informationsherausgabe verschont zu bleiben, zukommt. Bei einer Abwägung dieser widerstreitenden Interessen hielt es der Gesetzgeber für sachgerecht, die sofortige Vollziehbarkeit (lediglich) bei Informationen über Rechtsverstöße im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG gesetzlich anzuordnen, da er für diesen Fall von einem überragenden Interesse der Öffentlichkeit an einer schnellen Information ausging (vgl. BT-Drs. 17/7374, Seite 18). Die wirksame, das heißt zeitnahe Information über solche Tatsachen liegt nicht nur im Interesse des konkreten Verbrauchers, sondern auch im öffentlichen Interesse (VG Bremen, Beschluss vom 17.12.2019 – 5 V 2340/19 –, Rn. 31 m. w. N., juris). Die in § 5 Abs. 4 Satz 1 VIG gesetzlich getroffene Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit begegnet mit Blick auf Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Die darin zum Ausdruck kommende Entscheidung des Gesetzgebers, dem Interesse der Öffentlichkeit an einer zeitnahen Information über marktrelevante Tatsachen den Vorrang vor den Interessen des betroffenen Betriebs einzuräumen (BT-Drs. 17/7374, Seite. 18), ist aufgrund des hohen Gewichts derartiger Informationen für die Entscheidung der Marktteilnehmer nicht zu beanstanden. Die Möglichkeit, in zumutbarer Weise effektiven gerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch nehmen zu können, steht damit nicht in Frage (OVG Bremen, Beschluss vom 14. Juli 2020 – 1 B 331/19 –, Rn. 30, juris). Vor diesem Hintergrund geht die Interessenabwägung zu Lasten der Antragstellerin aus. Der angegriffene Bescheid erweist sich bei summarischer Prüfung als formell (a.) und materiell (b.) rechtmäßig. Besondere Umstände des Einzelfalls, die ausnahmsweise das Überwiegen des Aussetzungsinteresses der Antragstellerin begründen könnten, liegen nicht vor (c.). a. Der Bescheid vom 25.05.2020 ist formell rechtmäßig. Der LMTVet ist gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 VIG i. V. m. § 2 Abs. 2 VIG sachlich zuständig für die Informationsgewährung. Auskunft erteilt nach § 2 Abs. 1 Satz 1 VIG die Stelle im Sinne des § 2 Abs. 2 VIG, bei der die entsprechenden Informationen „vorhanden“ sind. Dies ist der LMTVet, der die Daten
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9 als Vollzugsbehörde auf Grund der Kontrollen erhoben hat und bei dem die relevanten Informationen daher im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 VIG vorhanden sind (VG Bremen, Beschluss vom 17.12.2019 – 5 V 2340/19 –, Rn. 33, juris). Auch die Anforderungen an das Verfahren sind gewahrt. Die Antragstellerin, deren rechtliche Interessen durch den Informationszugang berührt werden, ist gemäß § 5 Abs. 1 Satz 2 VIG angehört worden. b. Der Bescheid erweist sich nach summarischer Prüfung auch in materiell-rechtlicher Hinsicht als rechtmäßig. Rechtsgrundlage für den Informationszugang des Beigeladenen ist § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG. Danach hat jeder nach Maßgabe des VIG Anspruch auf freien Zugang zu allen Daten über von den nach Bundes- oder Landesrecht zuständigen Stellen festgestellte nicht zulässige Abweichungen von Anforderungen a)     des       Lebensmittel-      und      Futtermittelgesetzbuches      und      des Produktsicherheitsgesetzes, b) der auf Grund dieser Gesetze erlassenen Rechtsverordnungen c) unmittelbar geltender Rechtsakte der Europäischen Gemeinschaft oder der Europäischen Union im Anwendungsbereich der genannten Gesetze sowie Maßnahmen und Entscheidungen, die im Zusammenhang mit den in den Buchstaben a) bis c) genannten Abweichungen getroffen worden sind. aa. Der Beigeladene ist als natürliche Person gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 VIG anspruchsberechtigt. Ein besonderes Interesse oder eine Betroffenheit ist für den Informationszugangsanspruch nicht erforderlich (vgl. amtliche Begründung zur früheren Fassung des VIG von 2008, BT-Drs. 16/1408, Seite 9), ebenso ist grundsätzlich das Motiv des Auskunftsersuchenden unbeachtlich (vgl. Schoch, AfP 2010, 313, 316). Daher kommt es für den Anspruch auf Erteilung von Verbraucherinformationen nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG auch nicht darauf an, welche Interessen mit der Internetplattform "Topf Secret", über die der Beigeladene seinen (vorformulierten) Antrag gestellt hat, verfolgt werden (VG Bremen, Beschluss vom 17.12.2019 – 5 V 2340/19 –, Rn. 37 m. w. N., juris). bb. Der Antrag des Beigeladenen entspricht den Bestimmtheitsanforderungen des § 4 Abs. 1 Satz 2 VIG. Ein Antrag nach § 4 Abs. 1 Satz 2 VIG muss insbesondere erkennen lassen, auf welche Informationen er gerichtet ist. Im Interesse eines möglichst ungehinderten Zugangs zu Verbraucherinformationen ist die Angabe des Unternehmens, des Zeitraums, für den Auskunft begehrt wird, und der Art der Information ausreichend (BVerwG, Urteil vom 29.08.2019 – 7 C 29.17 –, Rn. 19, juris). Das Auskunftsbegehren des Beigeladenen      bezieht     sich   hinreichend   konkret     auf   die  beiden    letzten
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10 lebensmittelrechtlichen Kontrollen im Betrieb der Antragstellerin sowie auf etwaige hierbei festgestellte Beanstandungen (vgl. VG Bremen, Beschluss vom 17.12.2019 – 5 V 2340/19 –, Rn. 38, juris). cc. Die Kontrollberichte, die die Antragsgegnerin dem Beigeladenen zur Verfügung stellen will, sind sachlich vom Informationsanspruch umfasst. Bei den in den Kontrollberichten dokumentierten Mängeln handelt es sich um festgestellte nicht zulässige Abweichungen von den Anforderungen der in § 2 Abs. 1 Nr. 1 VIG genannten Vorschriften. Der Begriff der Abweichung bezeichnet die objektive Nichteinhaltung der unter den Buchstaben a bis c genannten Rechtsvorschriften. Ein vorwerfbares Verhalten des Lebensmittelunternehmers muss nicht vorliegen (vgl. BVerwG, Urteil vom 29.08.2019, – 7 C 29.17 –, Rn. 27; VG Bremen, Beschluss vom 17.12.2019 – 5 V 2340/19 –, Rn. 39; VG Düsseldorf, Beschluss vom 07.06.2019 – 29 L 12226/19 –, Rn. 44; OVG NW, Urteil vom 12.12.2016 – 13 A 846/15 –, Rn. 98, jeweils juris). Die zusätzliche Anforderung, dass die Abweichung "festgestellt" werden muss, erfordert aber über die bloße Feststellung von Abweichungen in einem naturwissenschaftlich-analytischen Sinne eine juristisch-wertende Einordnung,      das    heißt    eine    rechtliche     Subsumtion     der   Kontroll-  und Untersuchungsergebnisse durch die zuständige Behörde (BVerwG, Urteil vom 29.08.2019, – 7 C 29.17 –, Rn. 30; VG Bremen, Beschluss vom 17.12.2019 – 5 V 2340/19 –, Rn. 39; VG Düsseldorf, Beschluss vom 07.06.2019 – 29 L 1226/19 – Rn. 48; jeweils juris). Die Kontrollberichte sind nach Auskunft der Antragsgegnerin dergestalt strukturiert, dass die vorgefundenen Mängel zunächst in tatsächlicher Hinsicht beschrieben und sodann eine Bemerkung oder eine Handlungsanweisung enthalten. Die Kontrollberichte enden zudem mit der Anweisung, die Mängel innerhalb einer gesetzten Frist zu beheben. Es ist unschädlich, wenn einige der Kontrollberichte keine Angabe einer konkreten Frist enthalten sollten, da sich aus dem Gesamtkontext der Kontrollberichte der Beanstandungscharakter hinreichend deutlich ergibt. Es ist nicht erforderlich, dass die verletzten Rechtsvorschriften in den Berichten ausdrücklich genannt und den aufgelisteten Mängeln gegenübergestellt werden. Das Informationsbegehren        knüpft     an     die     tatsächliche   Kontrolltätigkeit  der Überwachungsbehörden an. Aus der Beschreibung des Mangels und der daraus abgeleiteten    Handlungsanweisung       wird    deutlich,  dass   der   jeweils  handelnde Lebensmittelkontrolleur eine Subsumtion der festgestellten Kontrollergebnisse unter die einschlägigen Rechtsvorschriften vorgenommen hat. Daraus ergibt sich, dass über die Beschreibung eines vorgefundenen Zustandes hinaus eine rechtliche Bewertung durch
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