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Aktenzeichen
OVG 6 S 37.15
ECLI
ECLI:DE:OVGBEBB:2015:1208.OVG6S37.15.0A
Datum
8. Dezember 2015
Gericht
Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg
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Tenor

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 3. August 2015 wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten der Beschwerde.

Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.

I.

Der Antragsteller ist Geschäftsführer einer gemeinnützigen GmbH, die eine Webseite mit journalistischen Inhalten betreibt. Er begehrt, der Antragsgegnerin im Wege einstweiliger Anordnung aufzugeben, ihm folgende Fragen zu beantworten:

        1.

        Trifft es zu, dass der Botschafter Dr. Weil am 14. Juli 2014 einen Bericht über das Briefing am 14. Juli 2014 in Kiew an das Auswärtige Amt geschickt hat?







        2.

        Trifft es zu, dass gemäß des Berichtes des Botschafters Dr. Weil auf dem Briefing berichtet wurde, dass die Ukraine über umfangreiche Beweise verfügt, dass die Russische Föderation die Separatisten in der Ostukraine mit Panzern, APCs, Waffen und russischen Soldaten unterstützt?







        3.

        Trifft es zu, dass gemäß des Berichtes des Botschafters Dr. Weil der ukrainische Außenminister Klimkin sagte, dass der Abschuss der Antonov am 14. Juli 2014 in 6200 m Höhe ein Beispiel für die militärische Unterstützung der Separatisten durch Russland sei, da dieses Flugzeug in dieser Höhe nur mit russischer Ausrüstung abgeschossen werden konnte, da die Separatisten über diese Art von Flugabwehrwaffen nicht verfügten?







        4.

        Trifft es zu, dass gemäß des Berichtes des Botschafters Dr. Weil durch diese Erklärung des Abschusses der Antonov den Beteiligten des Briefings klargemacht wurde, dass russische Luftabwehreinheiten in der Ostukraine auf Seiten der Separatisten operieren?







        5.

        Trifft es zu, dass gemäß des Berichtes des Botschafters Dr. Weil auf dem Briefing Filmmaterial gezeigt wurde, das russische Ausrüstung und Personal in der Ostukraine zeigte?







        6.

        Trifft es zu, dass gemäß des Berichtes des Botschafters Dr. Weil auf dem Briefing erklärt wurde, dass zu einem früheren Zeitpunkt „nur“ russische Spezialeinheiten in der Ostukraine operierten, dass es sich aber nun um russische Soldaten und ihre Kommandeure handeln würde?







        7.

        Trifft es zu, dass gemäß des Berichtes des Botschafters Dr. Weil auf dem Briefing berichtet wurde, dass zuvor lediglich Dutzende russische Panzer des Typs T - 72, T - 90 oder APCs in der Ostukraine gesichtet wurden, es sich nun aber um Hunderte handelte?







        8.

        Trifft es zu, dass das Auswärtige Amt gemäß des Berichtes des Botschafters Dr. Weil spätestens am 14. Juli 2014 wusste, dass russische Panzer und Waffentechnik mit russischem Personal in der Ostukraine operierten?







        9.

        Trifft es zu, dass das Auswärtige Amt gemäß des Berichtes des Botschafters Dr. Weil wusste, dass russische Panzer nicht ohne Begleitung von mobiler Flugabwehr ins Feld geführt werden?







        10.

        Trifft es zu, dass das Auswärtige Amt gemäß des Berichtes des Botschafters Dr. Weil spätestens am 14. Juli 2014 wusste, dass die Antonov mit einem Waffensystem abgeschossen, das aus Russland geliefert und von russischen Soldaten bedient wurde?







        11.

        Trifft es zu, dass das Auswärtige Amt gemäß des Berichtes des Botschafters Dr. Weil spätestens am 14. Juli 2014 wusste, dass russische Luftabwehr in der Ostukraine auf Seiten der Separatisten operierten?







        12.

        Trifft es zu, dass das Auswärtige Amt gemäß des Berichtes des Botschafters Dr. Weil spätestens am 14. Juli 2014 wusste, dass der Luftraum über der Ostukraine somit Kriegsgebiet ist und durch russische Luftabwehr bedient von russischen Soldaten gefährdet ist?







        13.

        Trifft es zu, dass das Auswärtige Amt gemäß des Berichtes des Botschafters Dr. Weil trotz dieser Erkenntnisse weder die Lufthansa noch andere Fluggesellschaften vor dem 17. Juli 2014 vor den Gefahren des zivilen Luftverkehrs durch russische Luftabwehr über der Ostukraine gewarnt hat? Falls das zutrifft, warum wurden die Fluggesellschaften nicht gewarnt?







        14.

        Wann wurde das Auswärtige Amt, das Bundeskanzleramt und das Verteidigungsministerium über die Inhalte des Berichtes des Botschafters Dr. Weil über das Briefing am 14. Juli 2014 in Kiew informiert?







        15.

        Wann wurde der Bundesminister des Auswärtigen der Bundesrepublik Deutschland, Herr Dr. Frank-Walter Steinmeier, über die Inhalte des Berichts des Botschafters Dr. Weil über das Briefing am 14. Juli 2014 in Kiew informiert?

Zu 2. bis 7. jeweils ergänzt um die Zusatzfrage: Falls das nicht zutrifft, schreibt der niederländische Botschaftsrat die Unwahrheit?

Das Verwaltungsgericht hat diesem Antrag hinsichtlich der Fragen 1., 14. und 15. entsprochen, die Antragsgegnerin im Wege einstweiliger Anordnung zu entsprechenden Auskünften verpflichtet und den Antrag im Übrigen mit der Begründung zurückgewiesen, das Auskunftsbegehren habe auch unter Berücksichtigung des der Pressefreiheit verfassungsrechtlich zukommenden Gewichts keinen Vorrang vor dem Schutz der Vertraulichkeit der internationalen Beziehungen. Bei den in Rede stehenden Gesprächen handele es sich um die prozesshafte Gestaltung internationaler Beziehungen mit dem Ziel der Friedenssicherung. Hierfür sei Vertraulichkeit von größter Bedeutung. Der in Rede stehende Bericht des deutschen Botschafters in der Ukraine sei im Rahmen eines der zahlreichen diplomatischen Treffen entstanden, die die noch immer andauernde krisenhafte Situation in der Ukraine zum Gegenstand hätten. Die Erteilung von Auskünften über seine Inhalte bedeute eine Verletzung der hinsichtlich des Treffens zugesagten oder vorausgesetzten Vertraulichkeit. Sie würde dazu führen, dass die vermittelnde Rolle, die die Bundesrepublik Deutschland in diesem auf eine friedliche Lösung des Konflikts abzielenden Prozess gemäß ihren aus dem Grundgesetz vorgegebenen Leitlinien bisher einnehmen konnte, aufgrund des eintretenden Vertrauensverlustes der beteiligten Gesprächspartner erheblich erschwert, wenn nicht unmöglich gemacht würde. Mit seiner hiergegen gerichteten Beschwerde begehrt der Antragsteller die Beantwortung der verbliebenen Fragen.

II.

Die Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag im dargelegten Umfang zu Recht zurückgewiesen. Der geltend gemachte Anordnungsanspruch nach §123 Abs.1 Satz2 VwGO steht dem Antragsteller aus den vom Verwaltungsgericht zutreffend genannten Gründen nicht zu. Die im Beschwerdeverfahren angeführten Gründe, auf deren Prüfung der Senat nach §146 Abs.4 Satz6 VwGO beschränkt ist, führen nicht zur Änderung des angegriffenen Beschlusses.

Der Antragsteller macht geltend, die vom Verwaltungsgericht angenommene absolute Vertraulichkeit der Berichte des Botschafters bezogen auf internationale Beratungen sei vorliegend nicht geboten. Hinsichtlich der Fragen 3. bis 13. lägen ein von der niederländischen Regierung nicht autorisierter Bericht der niederländischen Diplomatin Gerrie Willems sowie eine Erklärung der ukrainischen Regierung vor. Hieraus sei zu folgern, dass die ukrainische Regierung bei Preisgabe der begehrten Informationen durch die Antragsgegnerin einen Bruch der Vertraulichkeit gerade nicht geltend machen würde. Ein generelles Auskunftsverweigerungsrecht, wonach Botschafterberichte stets geheim zu halten seien, gebe es nicht.

Diese Argumentation verkennt die Bedeutung der Vertraulichkeit für die internationalen Beziehungen und die Rolle, die die Bundesrepublik dabei vorliegend eingenommen hat. Wie bereits das Verwaltungsgericht zutreffend dargelegt hat, ist das fragliche Gespräch in Kiew im Kontext des schon geraume Zeit andauernden Ukraine-Konflikts zu sehen. In diesem Konflikt zwischen der Ukraine, den ukrainischen Separatisten und der Russischen Föderation nimmt die Bundesregierung die Rolle eines Vermittlers wahr, der mit den Konfliktbeteiligten im Gespräch bleibt und so eine friedenssichernde Funktion erfüllt. Die damit eingenommene neutrale Position setzt unbedingtes Vertrauen sämtlicher Konfliktparteien voraus, das bei der Preisgabe von Informationen, deren vertrauliche Behandlung vereinbart wurde, Schaden erleiden müsste. Es kommt daher nicht darauf an, ob von anderer Stelle, insbesondere von Seiten der unmittelbar am Konflikt Beteiligten oder auch von anderen Staaten Informationen über Treffen zwischen der Bundesregierung und einem oder mehreren der Konfliktbeteiligten und deren Inhalt an die Öffentlichkeit gelangen. Entscheidend ist, dass die für die Annahme der Vermittlerrolle unerlässliche Vertrauensbasis nicht beeinträchtigt wird. In diesem Zusammenhang weist die Antragsgegnerin auch zutreffend darauf hin, dass sich die ukrainische Regierung darauf verlassen können muss, die volle Kontrolle über die Veröffentlichung von Informationen zu behalten. Darüber hinaus ist es auch für die anderen Konfliktbeteiligten von erheblicher Bedeutung, dass die Bundesregierung sich als verlässlicher, die Vertraulichkeit wahrender Vermittler erweist.

Aus diesem Grund lässt sich auch die vom Antragsteller gezogene Parallele zum Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 29. Oktober 2009 - 7 C 22.08 - (NVwZ 2010, S.321 ff.) zu den sog. CIA-Flügen nicht ziehen. In jenem Verfahren ging es um auf das Informationsfreiheitsgesetz gestützte Auskunftsansprüche gegenüber dem Bundesverkehrsministerium betreffend Informationen über die Flugbewegungen bestimmter Flugzeuge. Der Auskunftsanspruch war versagt worden, weil die erbetenen Daten als Verschlusssache eingestuft wurden. Das Bundesverwaltungsgericht gab der Revision des dortigen Klägers mit der Begründung statt, dass es nach einem Abschlussbericht des Ermittlungsbeauftragten der Bundesregierung über die sog. CIA-Flüge ein Programm der CIA zur Entführung mutmaßlicher Terroristen auch nach Aussagen des Präsidenten der Vereinigten Staaten gebe und zwei von der CIA veranlasste Transporte gefangener Verdächtiger über deutsches Staatsgebiet stattgefunden hätten oder ein solcher Sachverhalt jedenfalls nicht ausgeschlossen werden könne, wobei Flugzeuge zum Einsatz gekommen seien, die in dem Auskunftsersuchen des Klägers genannt seien. Vor diesem Hintergrund dränge sich die Frage auf, wie die Vereinigten Staaten auf die Herausgabe dieses Untersuchungsberichts reagiert hätten und ob die Herausgabe weiterer für sich neutraler Daten über Flugbewegungen durch die Bundesregierung überhaupt noch geeignet sei, Verstimmungen der USA auszulösen (a.a.O., Rn. 37 bei juris). Bei der in jenem Verfahren im Hintergrund stehende Frage der diplomatischen Beziehungen zu den USA wäre die Bundesrepublik selbst Beteiligter einer diplomatischen oder politischen Auseinandersetzung. Hier kam es gerade - anders als im vorliegenden Verfahren - nicht auf die abgesprochene Vertraulichkeit gemeinsamer Unterredungen und die Wahrung einer (neutralen) Vermittlerrolle an.

Zu Unrecht wendet die Beschwerde weiter ein, der angegriffene Beschluss gewichte das Informationsinteresse des Antragstellers insofern fehlerhaft, als er annähme, der Antragsteller habe seine wesentliche These, das Auswärtige Amt habe es schuldhaft versäumt, deutsche und andere Fluggesellschaften vor einem Überflug über die Ostukraine zu warnen, bereits auf der Grundlage des Berichts der niederländischen Diplomatin aufstellen und publizieren können, so dass das jetzige Auskunftsbegehren „lediglich“ auf eine Erhärtung dieser Vermutung ziele. Er meint, das Verwaltungsgericht berücksichtige nicht, dass der Bericht der niederländischen Diplomatin nicht autorisiert sei. Vor diesem Hintergrund stelle das „lediglich“ in der Formulierung des Verwaltungsgerichts eine Fehlgewichtung dar. Diese Argumentation vermag schon aus sich heraus vor dem dargelegten Hintergrund der Wahrung der von der Bundesregierung eingenommenen Vermittlerrolle nicht zu überzeugen.

Soweit er geltend macht, es könne nicht verlangt werden, sich darauf zu verlassen, was die Ukrainer oder die Niederländer der Öffentlichkeit zu der Angelegenheit preisgäben, die Öffentlichkeit habe einen Anspruch darauf zu erfahren, was die eigene Regierung gewusst habe, um ihrerseits politische Schlussfolgerungen über den Sachverhalt in der Öffentlichkeit ziehen zu können, legt er kein Interesse von einem Gewicht dar, dass das vom Verwaltungsgericht vorliegend zu Recht angenommene Geheimhaltungsinteresse der Bundesregierung überwöge. Dabei ist namentlich zu berücksichtigen, dass das Grundgesetz der Bundesregierung für die Regelung auswärtiger Beziehungen einen grundsätzlich weiten Ermessensspielraum eigener Gestaltung einräumt, innerhalb dessen die Bundesregierung die außenpolitischen Ziele und die zu ihrer Erreichung verfolgte Strategie selbst bestimmt (BVerwG, a.a.O., Rn. 15 bei juris).

Ohne Erfolg verweist der Antragsteller schließlich auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 15. Februar 2006 - 1 BvR 357/05 - (BVerfGE 115, 118 ff.) zum Luftsicherheitsgesetz, wonach der Abschuss von Passagiermaschinen mit der durch Artikel1 Abs.1 GG geschützten Menschenwürde unvereinbar sei. Der Antragsteller meint, es sei mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass der Bundesregierung vor dem 17. Juli 2014, dem Tag des Abschusses des Flugzeugs MH 17 der Malaysia Airlines über der Ukraine, Informationen vorgelegen hätten, wonach eine signifikant erhöhte Gefährdung des Luftraums einschließlich der Erhöhung eines Risikos des Abschusses von Passagiermaschinen bestanden habe. Im Hinblick auf die nicht disponible Wertung des Grundgesetzes, wonach der Mensch niemals zum Objekt staatlichen Handelns werden dürfe, dürften Vertraulichkeitsgesichtspunkte nicht dazu führen, die Freigabe von Informationen zu verhindern, bei denen es darum gehe, ob die Bundesregierung hinreichende Anstrengungen unternommen habe, um die Gewährleistungen des Artikels 1 Abs.1 GG durchzusetzen.

Der Antragsteller verkennt, dass es vorliegend nicht wie in der zitierten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts um eine gesetzliche Ermächtigung zum Abschuss eines Passagierflugzeugs im deutschen Luftraum geht, sondern um die Preisgabe von Informationen, die die Bundesregierung aufgrund des ihr im Rahmen der Pflege der auswärtigen Beziehungen zustehenden Ermessens aus nachvollziehbaren Gründen für geheimhaltungsbedürftig hält.

An dieser Einschätzung ändert auch der im Beschwerdeverfahren vorgelegte Abschlussbericht des Dutch Safety Boards über den Absturz des Malaysia Airlines Flug MH 17 nichts.

Die Kostenentscheidung folgt aus §154 Abs.2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §47 Abs.1, §53 Abs.2 Nr.1, §52 Abs.2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§152 Abs.1 VwGO, §68 Abs.1 Satz5 in Verbindung mit §66 Abs.3 Satz3 GKG).

Tatbestand

Entscheidungsgründe