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Aktenzeichen
OVG 95 A 1.12
ECLI
ECLI:DE:OVGBEBB:2012:1207.OVG95A1.12.0A
Datum
7. Dezember 2012
Gericht
Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg
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Tenor

Es wird festgestellt, dass die Weigerung der obersten Aufsichtsbehörde, die Sonderprüfberichte der ... Nr.1 bis 5 vollständig und ungeschwärzt vorzulegen, rechtswidrig ist.

Der Antrag des Klägers hat Erfolg.

I. Der Antrag ist zulässig. Das Verwaltungsgericht als Gericht der Hauptsache hat die Erheblichkeit des Akteninhalts für die Entscheidung des bei ihm anhängigen Rechtsstreits um das Recht des Klägers auf Akteneinsicht nach dem Informationsfreiheitsgesetz (IFG) - wie in der Regel geboten (vgl. BVerwG, Beschluss vom 6. April 2011 - BVerwG 20 F 20.10 -, Buchholz 310 §99 VwGO Nr.63 = juris Rn. 8) - durch einen den Anforderungen (vgl. dazu BVerwG, a.a.O.) entsprechenden Beweisbeschluss vom 3. November 2011, ergänzt durch Beschluss vom 8. Februar 2012, festgestellt.

II. Der Antrag ist auch begründet. Die Weigerung der Beklagten, die als oberste Aufsichtsbehörde tätig geworden ist, eine vollständige und ungeschwärzte Akte vorzulegen, ist nicht nach §99 Abs.1 Satz2 VwGO gerechtfertigt.

Nach dieser Vorschrift kann die zuständige oberste Aufsichtsbehörde die Vorlage von Urkunden oder Akten, die Übermittlung elektronischer Dokumente und die Erteilung von Auskünften verweigern, wenn das Bekanntwerden des Inhalts dieser Urkunden, Akten, elektronischen Dokumente oder dieser Auskünfte dem Wohl des Bundes oder eines Landes Nachteile bereiten würde oder wenn die Vorgänge nach einem Gesetz oder ihrem Wesen nach geheim gehalten werden müssen.

Die Beklagte stützt ihre Weigerung darauf (S.8 der Sperrerklärung), die Sonderprüfberichte seien Bestandteil von Personalakten im materiellen Sinne beziehungsweise enthielten entsprechende personenbezogene Daten von ....

Diese Unterlagen sind grundsätzlich im Sinne von §99 Abs.1 Satz2 VwGO geheimhaltungsfähig. Zwar besteht kein Geheimhaltungsbedarf nach einem Gesetz, wie die Beklagte meint. Die Geheimhaltung nach einem Gesetz betrifft lediglich spezielle gesetzliche Vorschriften wie das Post- und Fernmeldegeheimnis des Art.10 Abs.1 GG, die den Behörden hinsichtlich spezifischer Informationen Geheimhaltung auferlegen (vgl. Rudisile in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand September 2007, §99 Rn. 17). Richtig ist aber, worauf sich die Beklagte (S.11 der Sperrerklärung) ebenfalls beruft, dass Bestandteile von Personalakten beziehungsweise entsprechende personenbezogene Daten von ... im Sinne von §99 Abs.1 Satz2 VwGO ihrem Wesen nach geheimhaltungsfähig sind (vgl. auch Lang in Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Aufl., 2012, §99 Rn. 30, unter Bezugnahme auf BVerwG, Urteil vom 4. August 1975 - BVerwG VI C 30.72 -, BVerwGE 49, 89 = juris Rn. 30).

Die Sperrerklärung hat das Geheimhaltungserfordernis indes nicht hinreichend belegt (vgl. zu diesem Erfordernis BVerwG, Beschluss vom 6. April 2011, a.a.O., Rn. 11).

Die Darlegungen der Sperrerklärung zum Inhalt der Sonderprüfberichte Nr.4 und 5 sind unsubstanziiert. Die Sperrerklärung verweist hinsichtlich des Sonderprüfberichts Nr.4 nur vage auf den Verdacht von „dolosen Handlungen eines Mitarbeiters der Verwaltung des... “, „die“ gewonnenen „Daten“ sollten als - bloße - „Hinweise“ für disziplinarrechtliche sowie „ggf.“ zivil- und strafrechtliche „Sanktionen“ verwendet werden, deren Adressat nicht genannt wird. Dass es sich bei alledem um personenbezogene Daten handelt, die - wie die Beklagte im Ansatz selbst für erforderlich hält (vgl. S.8 der Sperrerklärung) - mit einem konkreten Dienst- oder Amtsverhältnis in einem unmittelbaren Zusammenhang stehen und eine Verletzung von Dienstpflichten erkennen lassen, erschließt sich aus der Sperrerklärung nicht hinreichend substanziiert. Lediglich pauschal ist auch deren Darlegung, der Sonderprüfbericht Nr.5 umfasse die Prüfung „möglicher“ Regressansprüche gegen „Mitarbeiter“ der ... und stelle fest, dass „gegen Haushalts- und Kassenvorschriften verstoßen wurde“. Ob der Bericht konkreten Mitarbeitern die Verletzung von Dienstpflichten vorwirft, lässt die Sperrerklärung offen. Undeutlich bleibt ferner ihr Hinweis (S.10), die Sonderprüfberichte Nr.1 bis Nr.5 beinhalteten „jeweils Informationen“, die „das“ Dienstverhältnis „eines“ Mitarbeiters der ... „betreffen“ bzw. im Falle des Sonderprüfberichts Nr.1 einen ... aufwiesen, „die Vorwürfe“ gegen „die Beschäftigten“ hätten sich als begründet erwiesen.

Es ist nicht Aufgabe des Senats im Zwischenverfahren, die geheimen Vorgänge daraufhin durchzusehen, ob sich aus ihnen die vermissten Informationen ergeben könnten. Dies zu leisten, ist Aufgabe der Sperrerklärung selbst.

Ferner verhält sich die Sperrerklärung hinsichtlich der Sonderprüfberichte Nr.1 bis 5 nicht zu der Frage, ob die Betroffenen in den Zugang des Klägers zu personenbezogenen Daten eingewilligt haben.

Die Einwilligung ließe die Notwendigkeit entfallen, im Rahmen der Prüfung des §99 Abs.1 Satz2 VwGO das persönlich-private Interesse der Betroffenen an der Geheimhaltung zu würdigen. Der Schutz des Betroffenen entfällt übrigens auch nach der von der Beklagten (S.8 der Sperrerklärung) zur Begründung des Geheimhaltungserfordernisses angeführten fachgesetzlichen Vorschrift des §5 IFG. Der von der Beklagten in diesem Zusammenhang zitierte §5 Abs.2 IFG bezieht sich nur auf §5 Abs.1 Satz1, 1. Alt. IFG, wonach der Zugang zu personenbezogenen Daten gewährt werden darf, soweit das Informationsinteresse des Antragstellers das schutzwürdige Interesse des Dritten am Ausschluss des Informationszugangs überwiegt. Gemäß §5 Abs.1 Satz1, 2. Alt. IFG darf der Zugang jedoch auch dann gewährt werden und liegt dementsprechend kein fachgesetzlicher Verweigerungsgrund vor, wenn der Dritte eingewilligt hat.

Die Sperrerklärung erwähnt im Falle des Sonderprüfberichts Nr.1 die Verweigerung des Einverständnisses. Im Ansatz geht die Beklagte also offenbar selbst davon aus, dass das Einverständnis den Geheimhaltungsbedarf entfallen lässt. Ihre Darstellung ist indes unsubstanziiert. Sie führt in der Sperrerklärung (S.10) aus, „der Verwaltungsmitarbeiter“ - demnach ein einzelner Mitarbeiter - habe sein Einverständnis im Rahmen des durchgeführten Drittbeteiligungsverfahrens nicht erteilt, weswegen auf die Drittbeteiligung des ebenfalls betroffenen ... verzichtet worden sei. Zum Inhalt des Sonderprüfberichts Nr.1 äußert die Sperrerklärung (S.9) hingegen, der Bericht betreffe Ausführungen zu dem Verhalten „der beteiligten Mitarbeiter der ... “ - mithin mehrerer Mitarbeiter -, die gegen dienstordnungs- und haushaltsrechtliche Vorschriften verstoßen hätten, es sei empfohlen worden, die Vorgänge zum Anlass personeller Einzelmaßnahmen zu nehmen. In der Zusammenschau wird nicht klar, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang die Beklagte den oder die Betroffenen tatsächlich nach ihrem Einverständnis mit der Veröffentlichung des Sonderprüfberichts Nr.1 gefragt hat. Zum Versuch, das Einverständnis in den Fällen der Sonderprüfberichte Nr.2 bis 5 einzuholen, schweigt die Sperrerklärung von vornherein.

Aus dem Vorstehenden ergibt sich zugleich eine fehlerhafte Ausübung des der Beklagten nach §99 Abs.1 Satz2 VwGO eingeräumten Ermessens (vgl. hierzu BVerwG, Beschluss vom 6. April 2011, a.a.O., Rn. 21).

Durch die Einräumung des Ermessens nach §99 Abs.1 Satz2 VwGO wird der obersten Aufsichtsbehörde die Möglichkeit eröffnet, dem öffentlichen Interesse und dem individuellen Interesse der Prozessparteien an der Wahrheitsfindung in dem vom Untersuchungsgrundsatz beherrschten Verwaltungsprozess den Vorrang vor dem Interesse an der Geheimhaltung der Schriftstücke zu geben. Soweit die Aktenvorlage auch Gegenstand des Rechtsstreits selbst ist, sind die Gründe, die eine Sperrerklärung nach §99 Abs.1 Satz2 VwGO rechtfertigen können, von denjenigen Gründen zu unterscheiden, die im Verfahren der Hauptsache zur Verweigerung der Aktenvorlage angeführt werden. Die oberste Aufsichtsbehörde ist im Rahmen des §99 Abs.1 Satz2 VwGO gefordert, in besonderer Weise in den Blick zu nehmen, welche rechtsschutzverkürzende Wirkung die Verweigerung der Aktenvorlage im Prozess für den Betroffenen haben kann. Darin liegt die Besonderheit ihrer Ermessensausübung nach dieser Verfahrensbestimmung. Dementsprechend ist der obersten Aufsichtsbehörde auch in den Fällen Ermessen zugebilligt, in denen das Fachgesetz der zuständigen Fachbehörde kein Ermessen einräumt (BVerwG, Beschluss vom 6. April 2011, a.a.O., Rn. 22).

Diesen Anforderungen genügt die Sperrerklärung der Beklagten schon deshalb nicht, weil sie aus den oben genannten Gründen von unzutreffenden Annahmen über die Reichweite der angeführten Geheimhaltungsgründe ausgegangen ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 6. April 2011, a.a.O., Rn. 23).

Zudem lässt die Sperrerklärung nicht erkennen, dass die Beklagte ihr Ermessen in einer der Eigenart der zu treffenden Entscheidung genügenden Weise ausgeübt hat. Sie hat zwar erkannt, dass §99 Abs.1 Satz2 VwGO grundsätzlich Ermessen eröffnet, hat jedoch (S.12 der Sperrerklärung) zu Unrecht schon aus der von ihr dafür gehaltenen Erfüllung des Tatbestands des §99 Abs.1 Satz2 VwGO geschlossen, sie müsse die Vorlage der Akten verweigern. Insoweit hat sie ausgeführt, bei Vorliegen eines fachgesetzlichen Versagungsgrundes nach dem IFG, der einen gesetzlichen Geheimhaltungsgrund im Sinne von §99 Abs.1 Satz2 VwGO darstelle, sei zwingend eine Sperrerklärung abzugeben. Richtigerweise erfordert die Ermessensbetätigung im Rahmen des §99 Abs.1 Satz2 VwGO aber eine Berücksichtigung und Abwägung der betroffenen Belange. Die Gründe, die eine Sperrerklärung nach §99 Abs.1 Satz2 VwGO rechtfertigen können, sind dabei von denjenigen Gründen zu unterscheiden, die im Verfahren der Hauptsache zur Verweigerung der Aktenvorlage angeführt werden, soweit die Aktenvorlage auch Gegenstand des Rechtsstreits selbst ist. Die Gründe können, müssen aber nicht deckungsgleich sein. Da die Sperrerklärung als Erklärung des Prozessrechts auf die Prozesslage abgestimmt sein muss, in der sie abgegeben wird, genügt es grundsätzlich nicht, in ihr lediglich auf die die Sachentscheidung tragenden Gründe des - je nach Fachgesetz im Einzelnen normierten - Geheimnisschutzes zu verweisen. Soweit die Beklagte demgegenüber an anderer Stelle der Sperrerklärung (S.6) auf die prozessualen Folgen des §100 VwGO und die Probleme hinweist, die sich aus einem von ihr als Umgehung der fachgesetzlichen Geheimhaltungsgründe empfundenen Verständnis der Pflicht zur Vorlage von Akten im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ergeben, hat der Gesetzgeber die Anwendbarkeit des §100 VwGO als unvermeidbare Folge des Verfahrens nach §99 Abs.2 VwGO in Kauf genommen (vgl. zu allem BVerwG, Beschluss vom 6. April 2011, a.a.O., Rn. 23; Beschluss vom 10. August 2010 - BVerwG 20 F 5.10 -, juris Rn. 13; Beschluss vom 19. Januar 2009 - BVerwG 20 F 23.07 -, Buchholz 310 §99 VwGO Nr.52 = juris Rn. 8).

Allerdings kann das Ergebnis der Ermessensausübung nach §99 Abs.1 Satz2 VwGO in bestimmten Fallkonstellationen durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit rechtlich zwingend vorgezeichnet sein. Dies kommt namentlich dann in Betracht, wenn ein privates Interesse an der Geheimhaltung besteht, das grundrechtlich geschützt ist. Die Frage nach der ausreichenden Rechtfertigung eines mit der Aktenvorlage verbundenen Grundrechtseingriffs stellt sich vor allem in Dreieckskonstellationen, die dadurch gekennzeichnet sind, dass neben dem Kläger und dem beklagten Staat auch ein privater Dritter am Prozess beteiligt ist, dessen Interessen denen des Klägers entgegengesetzt sind. In solchen Fällen sind neben dem öffentlichen und privaten Interesse an der Wahrheitsfindung und an effektivem Rechtsschutz auch die dem Rechtsstreit zugrunde liegenden und seinen Inhalt prägenden widerstreitenden Individualinteressen in die Entscheidung nach §99 Abs.1 Satz2 VwGO einzubeziehen und gegeneinander abzuwägen. Ergibt sich dabei, dass die auf die Aktenvorlage gerichteten und durch die genannten öffentlichen Interessen verstärkten privaten Interessen an Bedeutung hinter dem grundrechtlich gebotenen Geheimnisschutz zurückbleiben, muss sich dieser Schutz durchsetzen. Umgekehrt kann bei einem geringen Gewicht des Geheimhaltungsinteresses die Vorlage im Hinblick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit rechtlich geboten sein. In allen diesen Fällen verbleibt für die Ausübung des in §99 Abs.1 Satz2 VwGO um der Wahrheitsfindung und des effektiven Rechtsschutzes willen eröffneten Ermessens kein Raum. Dies kann bei Rechtsstreitigkeiten, die wie das Ausgangsverfahren einen Anspruch auf Informationszugang betreffen, dazu führen, dass sich das Prüfprogramm für die prozessuale Entscheidung nach §99 Abs.1 Satz2 VwGO faktisch - nicht jedoch rechtlich - weitgehend den fachgesetzlichen Vorgaben der Hauptsache annähert (vgl. BVerwG, Beschluss vom 8. Februar 2011 - BVerwG 20 F 13.10 -, DVBl. 2011, 501 = juris Rn. 20; Beschluss vom 19. Januar 2009, a.a.O., Rn. 9; Beschluss vom 21. Februar 2008 - BVerwG 20 F 2.07 -, BVerwGE 130, 236 = juris Rn. 20).

Für die von der Beklagten geheim gehaltenen Vorgänge ist ein rechtlich derart zwingend vorgezeichnetes Ergebnis indes nicht ersichtlich. Aus dem grundsätzlichen Gebot, Personalakten Bediensteter bzw. personenbezogene Daten von ... geheim zu halten, folgt nämlich nicht zwangsläufig, dass sie stets und bezüglich jedes Teiles ihres Inhalts geheim gehalten werden müssten. Auskünfte aus den Personalakten sind, wie bereits ausgeführt, mit Einwilligung des Betroffenen möglich, ferner, wenn ihre Erteilung in seinem wohlverstandenen Interesse liegt oder soweit nach den Umständen des Einzelfalles dem schutzwürdigen privaten Interesse an der Geheimhaltung ein überwiegendes schutzwürdiges Interesse der Allgemeinheit oder eines Dritten an der Auskunftserteilung gegenübersteht (vgl. BVerwG, Urteil vom 4. August 1975, a.a.O., Rn. 32). In diesem Lichte bedarf es einer einzelfallbezogenen Abwägung der Beklagten als oberster Aufsichtsbehörde, ob sie die Sonderprüfberichte veröffentlicht oder nicht. In Betracht kommt dabei auch eine teilweise Veröffentlichung, falls etwa die Beklagte zu dem Ergebnis kommen sollte, nach Vornahme von Schwärzungen seien Rückschlüsse auf die Identität von Betroffenen nicht mehr möglich.

Die Feststellung, die Sperrerklärung sei rechtswidrig, hindert die Beklagte nicht, erneut eine Sperrerklärung abzugeben.

Einer eigenständigen Kostenentscheidung bedarf es im Verfahren vor dem Fachsenat nach §99 Abs.2 VwGO nicht; denn es handelt sich im Verhältnis zum Hauptsacheverfahren um einen unselbständigen Zwischenstreit (vgl. BVerwG, Beschluss vom 16. Dezember 2010 - 20 F 15.10 -, juris Rn. 11). Einer Streitwertfestsetzung bedarf es gleichfalls nicht, weil für dieses Zwischenverfahren eine streitwertabhängige Gerichtsgebühr nicht anfällt.

Tatbestand

Entscheidungsgründe