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Aktenzeichen
OVG 12 M 67.10
ECLI
ECLI:DE:OVGBEBB:2011:0126.OVG12M67.10.0A
Datum
26. Januar 2011
Gericht
Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg
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Tenor

Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 15. Oktober 2010 wird geändert. Dem Kläger wird Prozesskostenhilfe für den ersten Rechtszug bewilligt und ihm Rechtsanwalt E., Berlin, beigeordnet, soweit er mit seiner Verpflichtungsklage Informationszugang begehrt zu Vollstreckungsprotokollen und Quittungsdurchschriften hinsichtlich Zahlungen, die dem Schreiben des Beklagten vom 20. Januar 2009 zufolge durch Vollstreckungsbeamte beigetrieben worden sind, und soweit er Informationszugang zu Barzahlungsquittungen begehrt, die die in dem Schreiben genannten selbstbestimmten Zahlungen betreffen. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Von den Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Kläger die Hälfte. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

    I.



    Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen des Herrn S. Dieser tilgte einen Teil seiner Steuerrückstände gegenüber dem Finanzamt R. in Höhe von rund 114.000 Euro durch selbstbestimmte Zahlungen bzw. im Wege der Beitreibung durch Vollziehungsbeamte. Insoweit erklärte der Kläger gegenüber dem Finanzamt die Insolvenzanfechtung und bat um Überweisung des Anfechtungsbetrages zuzüglich Zinsen in Höhe von insgesamt rund 120.000,00 Euro. Außerdem begehrte er mangels vorhandener Nachweise Zugang nach dem Berliner Informationsfreiheitsgesetz zu den bei dem Finanzamt geführten, Herrn S. betreffenden Vollstreckungsakten. Die dadurch gewonnenen Erkenntnisse sollen der Durchsetzung der Insolvenzanfechtung dienen. Nachdem das Finanzamt nicht reagiert hatte, nahm der Kläger verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe hatte keinen Erfolg.


    II.



    Die Beschwerde des Klägers gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Insoweit hat er nach §166 VwGO in Verbindung mit §§114, 121 ZPO einen Anspruch auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts für das erstinstanzliche Verfahren, denn die beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet hinreichende Aussicht auf Erfolg und erscheint nicht mutwillig (1.). Außerdem sind auch die hier maßgeblichen persönlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen des §116 Satz1 Nr.1 ZPO erfüllt (2.).



    1. a) Die Klage hat keine Aussicht auf Erfolg, soweit der Kläger hinsichtlich der in dem Schreiben des Beklagten vom 20. Januar 2009 angeführten selbstbestimmten Zahlungen Informationszugang zu Bankkontoauszügen in den Fällen einer Zahlung durch Überweisung begehrt. Dem insoweit erstmals im gerichtlichen Verfahren erhobenen Anspruch gemäß §3 Abs.1 des Berliner Informationsfreiheitsgesetzes (IFG Bln) steht entgegen, dass der Kläger zuvor keinen entsprechenden Antrag bei dem Beklagten gestellt hat (§13 IFG Bln). Ausweislich der an den Beklagten gerichteten Schreiben vom 16. September 2009 und vom 22. Dezember 2009 bezieht sich das im Verwaltungsverfahren geltend gemachte Informationsbegehren nur auf selbstbestimmte Zahlungen, die nicht durch Überweisung erfolgt sind.



    b) Hinsichtlich des übrigen Verpflichtungsbegehrens (Informationszugang zu Vollstreckungsprotokollen und Quittungsdurchschriften, die durch Vollstreckungsbeamte beigetriebene Zahlungen betreffen, sowie Informationszugang zu Barzahlungsquittungen für selbstbestimmte Zahlungen) hat die Klage Aussicht auf Erfolg.



    Die Bejahung hinreichender Erfolgsaussichten setzt grundsätzlich nicht voraus, dass der Prozesserfolg schon gewiss ist. Es genügt vielmehr eine gewisse Wahrscheinlichkeit, die jedenfalls dann gegeben ist, wenn der Ausgang des Verfahrens offen ist und ein Obsiegen ebenso in Betracht kommt wie ein Unterliegen (BVerwG, Beschluss vom 8. März 1999, NVwZ-RR 1999, 587, 588; VGH Mannheim, Beschluss vom 21. November 2006, NVwZ-RR 2007, 210 f.; Kopp/ Schenke, VwGO, 16. Aufl., §166 Rn. 8). Prozesskostenhilfe darf demgegenüber verweigert werden, wenn die Erfolgschance lediglich eine entfernte ist (BVerfG, Beschluss vom 13. März 1990, BVerfGE 81, 347, 357).



    Gemessen daran ist der Ausgang des Verfahrens zumindest offen. Das Verfahren betrifft die in der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg noch nicht entschiedene Frage, ob und in welchem Umfang gegenüber den Berliner Finanzämtern als Behörden im Sinne von §2 Abs.1 Satz1 IFG Bln ein Anspruch auf Informationszugang besteht. Zwar spricht einiges dafür, dass die Einsicht in Steuerakten – unabhängig vom Vorliegen sonstiger Ausschlussgründe – nicht wegen auf Bundesrecht beruhender Geheimhaltungspflichten gemäß §17 Abs.4 IFG Bln in Verbindung mit §30 der Abgabenordnung (AO) versagt werden kann, wenn ein Steuerpflichtiger – oder der über dessen Vermögen eingesetzte Insolvenzverwalter - Zugang zu ihn selbst betreffenden Informationen begehrt. Allerdings setzt dies voraus, dass der Anspruch des Steuerpflichtigen bzw. des Insolvenzverwalters auf Akteneinsicht nicht abschließend in der Abgabenordnung geregelt ist, sodass ihm ein weiter gehender Anspruch nach dem IFG Bln zusteht als nach der Abgabenordnung, die lediglich einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung gewährt (vgl. zum Sach- und Streitstand FG des Saarlandes, Urteil vom 17. Dezember 2009 – 1 K 1598/08 -, juris, Rn 25 und 28; BFH, Beschlüsse vom 9. Januar 2007 – VII B 134/05 -, juris, und vom 7. Dezember 2006, NJW 2007, 1311; OVG Koblenz, Urteil vom 23. April 2010 – 10 A 10091/10 -, juris, Rn. 22; s. auch FG Münster, Urteil vom 17. September 2009 – 3 K 1514/08 AO -, juris). Der Beklagte kann sich insoweit auch nicht auf das Urteil des Bundesgerichtshofes vom 13. August 2009 (- IX ZR 58/06 -, juris) berufen. Der BGH hat dort offen gelassen, ob der Insolvenzverwalter seinen Auskunftsanspruch gegenüber dem Finanzamt auf das Informationszugangsgesetz des Landes Sachsen-Anhalt stützten konnte, weil dieser das vorgeschriebene Verwaltungsverfahren nicht durchgeführt hatte (BGH, a.a.O., Rn. 8).



    2. Die in §116 Satz1 Nr.1 ZPO, §166 VwGO normierten persönlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen, unter denen der Kläger als Insolvenzverwalter Prozesskostenhilfe beanspruchen kann, liegen hier ebenfalls vor. Danach erhält eine Partei kraft Amtes Prozesskostenhilfe, wenn die Kosten aus der verwalteten Vermögensmasse nicht aufgebracht werden können und den am Gegenstand des Rechtsstreits wirtschaftlich Beteiligten nicht zuzumuten ist, die Kosten aufzubringen.



    a) Angesichts der von dem Kläger in nachvollziehbarer Weise berechneten Unterdeckung in Höhe von 3.149,06 Euro reicht die von ihm verwaltete Vermögensmasse unstreitig nicht aus, um die anfallenden Prozesskosten zu begleichen.



    b) Ebenso wenig ist – wie die Beschwerde zutreffend ausführt - den Insolvenzgläubigern als am Gegenstand des Rechtsstreits wirtschaftlich Beteiligten zuzumuten, die Kosten in Gestalt von Vorschüssen aufzubringen. Das ist nur dann der Fall, wenn die Insolvenzgläubiger die erforderlichen Mittel unschwer aufbringen können und für sie der zu erwartende Nutzen bei vernünftiger, auch das Eigeninteresse sowie das Prozesskostenrisiko angemessen berücksichtigender Betrachtungsweise voraussichtlich größer sein wird als die Kosten. Hierbei ist eine wertende Abwägung aller Gesamtumstände des Einzelfalles erforderlich (BGH, Beschluss vom 25. November 2010 – VII ZB 71/08 -, juris; Beschluss vom 6. Dezember 2007 – II ZA 12/07 -, juris; Beschluss vom 6. März 2006, NJW-RR 2006, 1064; BVerwG, Beschluss vom 8. Februar 2006, Buchholz 303 §116 ZPO Nr.1).



    Anders als das Verwaltungsgericht meint, lässt sich unter Berücksichtigung dieser Grundsätze für die Insolvenzgläubiger kein wirtschaftlicher Nutzen der auf Informationszugang gerichteten Klage in Höhe von 12.000,00 Euro mit der Begründung annehmen, dass es sich um einen Auskunftsanspruch handele, mit dessen Hilfe die von der Insolvenzanfechtung betroffene Forderung als Leistungsanspruch durchgesetzt werden solle, und der daher mit einem Zehntel des Leistungsanspruchs bewertet werde. Zwar ist der von dem Verwaltungsgericht angeführten zivilrechtlichen Rechtsprechung zufolge auch eine nur mittelbare Besserstellung der Insolvenzgläubiger bei der Beurteilung der wirtschaftlichen Vorteile, welche durch die beabsichtigte Klage für sie zu erzielen sind, zu berücksichtigen (OLG Köln, Beschluss vom 10. September 2002 – 22 W 43/02 -, juris Rn. 7).



    Einer derartigen Berücksichtigung steht hier jedoch entgegen, dass selbst bei einem unterstellten Erfolg der auf Informationszugang gerichteten Klage der Ausgang der Insolvenzanfechtung und damit die Realisierung der gegenüber dem Beklagten im Wege der Insolvenzanfechtung geltend gemachten Forderung weiterhin ungewiss bleibt. Ob bzw. mit welcher Wahrscheinlichkeit die Insolvenzanfechtung Erfolg haben wird, lässt sich erst nach einer Auswertung der begehrten Informationen beurteilen, deren Weitergabe der Beklagte ablehnt und um die die Beteiligten streiten. Dieses unabsehbare Risiko kann den Insolvenzgläubigern nicht als wirtschaftlicher Nutzen entgegengehalten werden. Insofern liegt es hier anders als in dem von dem Verwaltungsgericht zitierten zivilrechtlichen Verfahren. Dort konnte das Oberlandesgericht die potenziellen finanziellen Auswirkungen ohne weiteres als günstig einschätzen. Ihm zufolge führte die beabsichtigte Klage, mit der nur mittelbar die Freigabe und Einziehung einer Forderung zur Masse erwirkt werden sollte, zu einer Rechtslage, „welche […] aller Wahrscheinlichkeit die Zahlung des Betrages an den Antragsteller zur Folge haben wird“ (OLG Köln, a.a.O.).



    Angesichts dessen kann offen bleiben, ob der Beschwerde auch insoweit zu folgen ist, als sie dem von dem Verwaltungsgericht angenommenen wirtschaftlichen Wert des Auskunftsanspruchs die nach diesem Wert berechneten höheren Kosten des Insolvenzverfahrens (Gerichtskosten und Insolvenzverwaltervergütung) gegenüberstellt, obwohl eine erfolgreiche Durchsetzung des Anspruchs auf Informationszugang nicht unmittelbar zu einer Erhöhung der Insolvenzmasse führt. Ebenso wenig kommt es hier im Ergebnis darauf an, dass das Verwaltungsgericht bei den dem wirtschaftlichen Wert gegenüberzustellenden Prozesskosten einen Streitwert von 12.000,00 Euro zugrunde gelegt hat, während der Senat in Verfahren, in denen ein Kläger Akteneinsicht nach dem Informationsfreiheitsgesetz des Bundes bzw. nach den Informationsfreiheitsgesetzen der Länder Brandenburg oder Berlin begehrt, pauschal und typisierend von dem Auffangwert des §52 Abs.2 GKG ausgeht, weil das Recht auf Informationszugang weder ein rechtliches noch ein berechtigtes Interesse voraussetzt und das Motiv hierfür bzw. der Zweck des begehrten Informationszuganges unbeachtlich sind. (vgl. z.B. OVG Berlin-Brandenburg, Beschlüsse vom 4. November 2009 – 12 L 73.09 – und vom 30. Dezember 2010 – OVG 12 L 73.10 -).



    Die Kostenentscheidung beruht auf §154 Abs.2 VwGO, §127 Abs.4 ZPO. Der Senat hat die gesetzlich bestimmte Gerichtsgebühr von 50,00 Euro im Hinblick auf die nur zum Teil erfolgte Zurückweisung der Beschwerde nach dem ihm gemäß §3 Abs.2 GKG in Verbindung mit Nr.5502 des Kostenverzeichnisses (Anlage 1) eingeräumten billigen Ermessen auf die Hälfte ermäßigt. Einer Streitwertfestsetzung bedarf es im Hinblick auf die halbierte Festgebühr nicht.



    Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§152 Abs.1 VwGO).

Tatbestand

Entscheidungsgründe