Sehr geehrteAntragsteller/in
mit E-Mail vom 22. Oktober 2019 haben Sie sich mit einem Aktenauskunftsbegehren an das Kultusministerium gewandt. Sie bitten um die Beantwortung eines Fragenkatalogs zu den wöchentlichen Demonstrationen für den Klimaschutz. Nachfolgend übersendet Ihnen das Kultusministerium die Antworten hierauf.
1. Wie viele Stunden sind in Baden Württemberg durch die genannten Demonstrationen ausgefallen?
2. Wie werden diese nachgeholt?
Zum Umfang etwaiger Schulversäumnisse im Zusammenhang mit der Teilnahme an den wöchentlichen Demonstrationen für den Klimaschutz durch Schülerinnen und Schüler liegen dem Kultusministerium keine belastbaren Daten vor.
Die Schulen können unter Rückgriff auf die sogenannte schulrechtliche Generalklausel des § 23 Absatz 2 Schulgesetz für Baden-Württemberg die ganz oder teilweise Nachholung des versäumten Unterrichts anordnen. Auch können innerhalb des durch § 10 Notenbildungsverordnung bzw. des § 7 Gemeinschaftsschulverordnung vorgegebenen Rahmens zusätzlich Hausaufgaben bzw. Schulaufgaben aufgegeben werden.
3. Wie ist das Vorgehen bei Klassenarbeiten?
Gemäß § 8 Abs. 5 Notenbildungsverordnung wird die Note „ungenügend“ erteilt, wenn eine Schülerin oder ein Schüler unentschuldigt die Anfertigung einer schriftlichen Arbeit versäumt (zum Schulversäumnis s. zu Ziffer 6).
4. Wurden schon Strafen für säumige Schüler/Eltern verhängt? Wenn nein, bitte begründen, da ja Schulpflicht besteht.
Im Falle eines Schulversäumnis kann gegenüber der Schülerin oder dem Schüler
reagiert werden mit:
– Erziehungs- und Ordnungsmaßnahmen gemäß § 90 SchG, soweit pädagogische Erziehungsmaßnahmen nicht ausreichen;
– der Ahndung der Ordnungswidrigkeit mit einer Geldbuße (§ 92 Absatz 1 Nummer 1, Absatz 2 SchG);
– mit der zwangsweisen Durchsetzung der Schulpflicht (§ 86 Absatz 2 SchG).
Zur unentschuldigten Anfertigung einer schriftlichen Arbeit s.o.
Gegenüber Erziehungsberechtigten und Personen, denen Erziehung und Pflege eines Kindes anvertraut ist, kann bei der Verletzung ihrer Pflicht gemäß § 85 Absatz 1 Satz 1 SchG ein Zwangsgeld festgesetzt (§ 86 Absatz 1 SchG) und die Ordnungswidrigkeit ebenfalls mit einer Geldbuße geahndet werden (§ 92 Absatz 1 Nummer 1, Absatz 2 SchG).
Dem Kultusministerium liegen im vorliegenden Zusammenhang hierzu keine Daten vor. Die Stadt Mannheim hat als zuständige untere Verwaltungsbehörde in vier Einzelfällen Bußgeldbescheide wieder zurückgenommen.
5. Wer haftet bei eventuellen Unfällen in dieser Zeit?
Gemäß § 2 Absatz 1 Nummer 8 Buchstabe b) SGB VII sind Schülerinnen und Schüler kraft Gesetzes unfallversichert während des Besuchs von allgemein bildenden Schulen und während der Teilnahme an unmittelbar vor oder nach dem Unterricht von der Schule oder im Zusammenhang mit ihr durchgeführten Betreuungsmaßnahmen sowie nach § 8 Absatz 2 Nummer 1 SGB VII beim Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges zu und von dem Ort der Tätigkeit. An der in jedem Fall für die Annahme eines Schulunfalls vorausgesetzten Zurechnung zum organisatorischen Verantwortungsbereich der Schule mangelt es allerdings, wenn Schülerinnen und Schüler ihrer Pflicht zur Teilnahme am Unterricht nicht Folge leisten. Grundsätzlich kann von dieser Pflicht nicht für die Teilnahme an politischen Demonstrationen befreit werden.
6. Haben Sie schon Ausnahmegenehmigungen erteilt? Wenn ja auf welcher Grundlage?
Ausnahmegenehmigungen wurden nicht erteilt. Die Rechtslage stellt sich wie folgt dar:
Gemäß § 72 Absatz 3 Satz 1 des Schulgesetzes für Baden-Württemberg (SchG) erstreckt sich die Schulpflicht auf den regelmäßigen Besuch des Unterrichts und der übrigen verbindlichen Veranstaltungen der Schule. Ein Schulversäumnis liegt vor, wenn die Schülerin oder der Schüler der Teilnahmepflicht nicht nachkommt,
– ohne an der Teilnahmepflicht verhindert,
– von der Teilnahmepflicht befreit oder
– beurlaubt zu sein (§ 1 Absatz 3 der Schulbesuchsverordnung).
Für eine Teilnahme an den wöchentlichen Demonstrationen für den Klimaschutz („Fridays for Future“) darf weder gemäß der Schulbesuchsverordnung von der Teilnahme am Unterricht in einzelnen Fächern oder von sonstigen verbindlichen Schulveranstaltungen vorübergehend oder dauernd ganz oder teilweise befreit noch vom Besuch der Schule beurlaubt werden. Beide Tatbestände setzen das Vorliegen eines besonders begründeten Ausnahmefalls voraus (vgl. § 3 Absatz 1 Satz 2 und § 4 Absatz 1 Satz 1 der Schulbesuchsverordnung). Auch bei einer Auslegung dieses unbestimmten Rechtsbegriffs im Lichte der Versammlungsfreiheit gemäß Artikel 8 Absatz 1 des Grundgesetzes (GG) setzt sich in der Regel die bereits in Artikel 7 Absatz 1 GG verankerte Schulpflicht, die ausdrücklich auch in Artikel 14 Absatz 1 der Verfassung des Landes Baden- Württemberg Eingang gefunden hat und im Schulgesetz für Baden-Württemberg konkretisiert wird, durch. Sie dient der rechtlichen Absicherung des schulischen Erziehungs- und Bildungsauftrags. Der Erfüllung dieses Auftrags stünde entgegen, wenn regelmäßig (auch nur einzelne) Schülerinnen und Schüler vom Unterricht und den sonstigen verbindlichen Veranstaltungen der Schulen fernbleiben dürften. Es sind im vorliegenden Zusammenhang auch keine An-haltspunkte dafür ersichtlich, warum das in den wöchentlichen Versammlungen und Aufzügen zum Ausdruck kommende Eintreten für den Klimaschutz nicht ebenso wirksam auch nach Unterrichtsende stattfinden kann (vgl. zu diesem Aspekt allgemein auch Ebert in: ders. [Hrsg.], Schulrecht Baden-Württemberg, 2. Aufl. 2017, SchG, § 72 Rn. 12; Falkenbach in: Wörz/von Alberti/ders., Praxis der Kommunalverwaltung, 8. Fassung 2018, SchG, § 72 Anhang Rn. 4.3; Rux, Schulrecht, 6. Aufl. 2018, Rn. 646).
7. Gibt es Ihrerseits eine Empfehlung oder ähnliches zur Handhabung zu dem Thema?
Mit Schreiben von Frau Ministerin Dr. Eisenmann an die Schulleitungen der öffentlichen und privaten Schulen in Baden-Württemberg vom 26. Februar 2019 ist auf die Sicherung der Schulpflicht im Zusammenhang mit der Teilnahme von Kindern und Jugendlichen an den wöchentlichen Demonstrationen für den Klimaschutz hingewiesen worden. Zugleich wurden in dem Brief aber auch die „guten und pragmatischen Lösungen“ an den Schulen vor Ort erwähnt, mit denen aus Sicht des Kultusministeriums pädagogisch angemessen und vorbildlich auf die Verletzungen der Schulbesuchspflicht in diesen Fällen reagiert wird. Darin kommt zum Ausdruck, dass das Engagement der Schülerinnen und Schüler für den Klimaschutz ernst genommen wird. Die gesellschaftlichen Herausforderungen des Klimawandels sollen – wenn dies nicht ohnehin bereits erfolgt – in der Schule zum Gegenstand des Unterrichts gemacht werden.
Die oberen und unteren Schulaufsichtsbehörden - Regierungspräsidien und Staatliche Schulämter - wurden darüber hinaus in einem Schreiben im nachfolgenden Um-fang zur Rechtslage informiert:
Das Recht, an öffentlichen Versammlungen, Demonstrationen, Kundgebungen etc. teilzunehmen, wird grundsätzlich durch Artikel 8 Abs. 1 GG geschützt. Dies gilt auch für Personen, die in einem Sonderstatusverhältnis zum Staat stehen wie etwa bei dem Schulverhältnis oder Beamtenverhältnis.
Schülerinnen und Schüler haben jedoch gemäß § 72 Abs. 3 S. 1 SchG die Pflicht, den Unterricht und die übrigen verbindlichen Veranstaltungen der Schule regelmäßig zu besuchen. Die Teilnahme an politischen Demonstrationen erfüllt grundsätzlich keinen der in der Schulbesuchsverordnung genannten Ausnahmetatbestände. Die bereits in Artikel 7 Abs.1 GG verankerte und in Art. 14 Abs. 1 der Verfassung des Landes Baden-Württemberg ausdrücklich benannte Schulpflicht ist regelmäßig vorrangig gegenüber der Versammlungsfreiheit der Schülerinnen und Schüler. Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn Schülerinnen und Schüler für die Ausübung dieses Grundrechts im Regelfall auf die Freizeit verwiesen werden. Nur in Einzelfällen werden sich die Ziele von Versammlungen nicht auch außerhalb der Unterrichtszeit vergleichbar wirksam verfolgen lassen können (vgl. dazu VG Hamburg, Urteil vom 4.4.2012, 2 K 3422/10).
Beamtinnen und Beamte haben nach § 33 Abs. 2 BeamtStG bei politischer Betätigung diejenige Mäßigung und Zurückhaltung zu wahren, die sich aus ihrer Stellung gegenüber der Allgemeinheit und aus der Rücksicht auf die Pflichten ihres Amtes ergibt. Für Lehrkräfte ergeben sich zudem Beschränkungen aus ihrer dienstrechtlichen Verpflichtung, Unterricht zu erteilen, also ihrer Pflicht zum vollen persönlichen Einsatz in ihrem Beruf (§ 34 S. 1 BeamtStG) und ihrer Verpflichtung, dem Dienst nicht ohne Genehmigung fernzubleiben (§ 68 Abs. 1 LBG). Somit ist auch für Lehrkräfte die Versammlungsfreiheit grundsätzlich in der unterrichtsfreien Zeit wahrzunehmen.
Schulleitungen und Lehrkräfte dürfen sich grundsätzlich politisch engagieren, eine politische Betätigung darf allerdings nur außerhalb des Dienstes stattfinden (§ 33 BeamtStG, § 38 Abs. 2 SchG). Je näher der Bezug des politischen Engagements zu den dienstlichen Aufgaben ist, desto größer ist die Zurückhaltung, die sich Beamtinnen und Beamte auferlegen müssen. Die Lehrkraft darf ihre Glaubwürdigkeit als ein dem allgemeinen Wohl unparteiisch dienender Amtsträger nicht untergraben. Ihre Äußerungen müssen deshalb sachlich und ausgewogen sein (sog. Mäßigungsgebot). In aller Regel ist es sowohl mit dem Schul- als auch mit dem Beamtenverhältnis nicht vereinbar, für die Teilnahme an einer politischen Demonstration Unterricht ausfallen zu lassen.
Auch ist es staatlichen Einrichtungen versagt, die Ziele einer Demonstration als mehr oder weniger wertvoll zu bewerten. Dies würde allerdings eine Entscheidung für die Teilnahme an einer Demonstration an Stelle des Unterrichts notwendigerweise voraussetzen.
Mit freundlichen Grüßen