Sehr geehrter Herr Wehrmeyer,
mit Ihrem IFG-Antrag vom 12. Juli 2020 bitten Sie um Übersendung nachfolgender amtlicher Informationen:
"Alle Aufzeichnungen zu dem Gespräch vom 5. November 2019 zwischen dem damaligen CEO der Wirecard AG Markus Braun und dem Staatssekretär Jörg Kukies."
Mit E-Mail vom 24. August 2020 konkretisieren Sie Ihren Antrag wie folgt:
"Gerne konkretisiere ich meine Anfrage dahingehend, dass ich die Aufzeichnungen zu dem genannten Gespräch erfrage, die zu Vorbereitung, während des Gesprächs selbst oder zur direkten Nachbereitung angefertigt wurden. Meines Erachtens kann es sich dabei um nicht mehr als drei Dokumente handeln, die doch hoffentlich zusammen veraktet wurden, weswegen ich weiterhin von einem geringen Umfang ausgehe. Ich hoffe, dass Sie nach meiner Konkretisierung keine "hausweite" Suche vornehmen müssen.
Ich bin grundsätzlich bereit etwaige Gebuihren zu zahlen, weise aber daraufhin, dass das IFG eine Rahmengebühr vorsieht, die Grundsätze der Gebührengerechtigkeit gewahrt bleiben müssen und die wirksame Inanspruchnahme des Informationszugangs in vollem Umfang gewährleistet werden muss (vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Oktober 2016). Eine gerichtliche Überprüfung der Gebührenentscheidung behalte ich mir
vor.
Über Ihren Antrag entscheide ich nach § 1 Absatz 1 Satz 1 IFG wie folgt:
I.
Ihrem Antrag gebe ich teilweise statt. Im Übrigen lehne ich diesen ab.
II. Hinsichtlich der Kosten ergeht noch ein gesonderter Bescheid.
Begründung:
Zul.
§ 1 Absatz 1 Satz 1 IFG gewährt gegenüber den Behörden des Bundes einen Anspruch auf Zugang zu amtlichen Informationen (§ 2 Nummer 1 IFG). Was eine amtliche Information ist, bestimmt sich nach § 2 Nummer 1 IFG. Danach handelt es sich bei einer amtlichen Information um jede amtlichen Zwecken dienende Aufzeichnung, unabhängig von der Art ihrer Speicherung. Entwürfe und Notizen, welche nicht Bestandteil eines Vorgangs werden sollen, gehören ausdrücklich nicht dazu. Nach § 1 Absatz 2 IFG kann die Behörde Auskunft erteilen, Akteneinsicht gewähren oder Informationen in sonstiger Weise zur Verfügung stellen. Der Anspruch auf Informationszugang besteht jedoch nur für die bei der jeweiligen Behörde vorhandenen Informationen bzw. Akten. Einen Anspruch auf Informationsbeschaffung vermittelt das IFG nicht.
Im Rahmen der hiesigen Recherche in der Fachabteilung für Finanzmarktpolitik konnten die nachfolgend aufgeführten zehn Dokumente ermittelt werden:
[Tabelle]
Über die Zugangsgewährung zu diesen amtlichen Informationen entscheide ich wie folgt:
I. Informationsgewährung
Die zwei der Ifd. Nummer 1 und 2 zugeordneten E-Mails werden - ohne Anlage - herausgegeben. Die Übersendung erfolgt in der Anlage dieses Schreibens.
Insoweit gebe ich Ihrem Informationsbegehren statt.
II. Informationsausschluss
Zu acht Dokumenten, die den Ifd. Nummern 1, 3 - 5 zugeordnet werden können, kann Ihnen aus nachfolgenden Gründen kein Zugang gewährt werden:
§&3 Nummer 4 IFG i. V.m. 89 KWG und 8 21 WpHG (Aufsichtsgeheimnis)
Nach § 3 Nummer 4 IFG besteht der Anspruch auf Informationszugang nicht, wenn die Information einer durch Rechtsvorschrift geregelten Geheimhaltungs- oder Vertraulichkeitspflicht oder einem Berufs- oder besonderen Amtsgeheimnis unterliegt.
Zu den hierdurch in Bezug genommenen Vorschriften zählt auch § 9 IKWG in seinem gesamten Anwendungsbereich; nichts anderes gilt für die im Wesentlichen gleichlautenden Bestimmungen des § 21 I WpHG (BVerwG, NVwZ 2011, 1012 und BVerwG, NVwZ 2015, 823). §9 IKWG bezieht sich seinem Wortlaut nach auf Tatsachen, deren Geheimhaltung im Interesse des beaufsichtigten Instituts bzw. eines Dritten liegt. Ob ein solches legitimes Geheimhaltungsinteresse besteht, ist durch Abwägung aller Umstände nach objektiven Kriterien
zu ermitteln (vgl. Bruchwitz in Just ua, WpHG, 2015, § 8 Rn. 7; Beck in Schwark/Zimmer, Kapitalmarktrechts-Kommentar, 4. Aufl. 2010, § 8 WpHG Rn. 8; Möllers/Wenninger in Kölner Kommentar zu WpHG, 2. Aufl. 2014, § 8 Rn. 23).
Unter den geheimhaltungsbedürftigen Tatsachen werden die Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse nur beispielhaft erwähnt. Diese umfassen alle auf ein Unternehmen bezogenen Tatsachen, Umstände und Vorgänge, die nicht offenkundig, sondern nur einem begrenzten Personenkreis zugänglich sind und an deren Nichtverbreitung der Rechtsträger ein berechtigtes Interesse hat; Betriebsgeheimnisse betreffen im Wesentlichen technisches Wissen, Geschäftsgeheimnisse vornehmlich kaufmännisches Wissen (vgl. etwa BVerfGE 115, 205 [230 £.] = NVwZ 2006, 1041). In den Unterlagen sind Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse der Wirecard AG enthalten, welche zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht offenkundig sind und damit unter den Schutz des § 9 Absatz 1 KWG bzw. § 21 Absatz 1 WpHG fallen.
Die in diesem Sinne schützenswerten Geschäftsgeheimnisse können auch nach Eröffnung eines Insolvenzverfahrens vorliegen. Es kann dahinstehen, ob die Wettbewerbsrelevanz der Angaben notwendige Voraussetzung für die Anerkennung eines Geschäftsgeheimnisses ist oder ob sie nur für den typischen Fall des werbenden Unternehmens ein berechtigtes Geheimhaltungsinteresse begründet (BVerwGE 135, 34 = NVwZ 2010, 189 Rn. 50, und BVerwG, NVwZ 2017, 1775). Denn wenn der Schutz des Geschäftsgeheimnisses nicht einschlägig sein sollte, kann die Geheimhaltung der Angaben aus anderen Gründen im Interesse des beaufsichtigten Instituts bzw. - nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens - im Interesse der Insolvenzmasse und somit der Insolvenzgläubiger liegen.
Der Verschwiegenheitspflicht nach § 9 IKWG unterliegen nicht nur Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse, sondern allgemein Tatsachen, deren Geheimhaltung im Interesse des Instituts oder eines Dritten liegt. Ein Geheimhaltungsinteresse kann auch bestehen, wenn die Angaben vermögenswertes Wissen darstellen, das zugunsten der Insolvenzmasse und damit der Insolvenzgläubiger verwertet werden kann. Es bestehen auch Anhaltspunkte dafür, dass in den amtlichen Informationen vermögenswertes Wissen enthalten ist, welches zugunsten der Insolvenzmasse der Geheimhaltung unterliegt.
& 9 IKWG schützt des Weiteren - über seinen Wortlaut hinaus - Angaben und Informationen, deren Geheimhaltung allein im Interesse der BaFin liegt. Das in Art. 54 I der RL 2004/39/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21.04.2004 über Märkte für Finanzinstrumente zur Änderung der Richtlinien 85/611/EWG und 93/6/EWG des Rates und der RL 2000/12/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der RL 93/22/EWG des Rates (ABIEGL 145, 1) geregelte Berufsgeheimnis erstreckt sich auch auf die Unterlagen, die dem so genannten "aufsichtsrechtlichen Geheimnis" zuzurechnen sind, d. h. schützenswerte Angaben über interne Vorgänge der Aufsichtsbehörde. Hierzu gehören etwa die von den zuständigen Behörden angewandten Überwachungsmethoden, die Korrespondenz und der Informationsaustausch der verschiedenen zuständigen Behörden untereinander sowie zwischen ihnen und den beaufsichtigten Unternehmen und alle sonstigen nicht-öffentlichen Informationen über den Stand der beaufsichtigten Märkte und die dort ablaufenden Transaktionen (s. Schlussanträge des Generalanwalt beim EuGH Jääskinen v. 4.9.2014 im Verfahren C-140/13, ECLI:EU:C:2014:2168, BeckRS 2014, 81740 Rn. 38 - Altmann). Dieses weite Verständnis folgt aus dem von der Richtlinie verfolgten Ziel einer wirksamen Überwachung der Tätigkeit von Wertpapierunternehmen, was auch den Schutz der Geheimhaltungsinteressen der zuständigen Behörden bedingt (vgl. EuGH, Urt. v. 11.12.1985 - C-110/84, ECLI:EU:C:1985:495, BeckRS 2004, 71248 Rn. 27 - Gemeinde Hillegom/Hillenius; EuGH, C-140/13, ECLI:EU:C:2014:2362 = NVwZ 2015, 46 Rn. 31- Altmann ua; EuGH, C-15/16, ECLI:EU:C:2018:464 = NVwZ 2018, 1386 Rn. 31, 46 - Baumeister, und EuGH, C-358/16, ECLI:EU:C: 2018:715 = ZD 2019, 164 Rn. 38 - UBS Europe ua).
Die von Ihnen begehrten Dokumente enthalten Informationen, aus denen sich die Korrespondenz und der Informationsaustausch der verschiedenen zuständigen Behörden untereinander
" sowie zwischen ihnen und den beaufsichtigten Unternehmen und alle sonstigen nicht-öffentlichen Informationen über den Stand der beaufsichtigten Märkte und die dort ablaufenden Transaktionen entnehmen lassen. Damit unterliegen diese dem Schutz des § 9 Absatz 1 KWG, was zu einem Informationsausschluss nach § 3 Nummer 4 IFG führt. Gleiches gilt für den Informationsausschluss gem. § 3 Nummer 4 IFG i. V.m. § 21 Absatz 1 WpHG.
&3 Nummer 1 g) IFG - (Laufende strafrechtliche Ermittlungen)
Zudem ist der Informationszugang zu den begehrten amtlichen Informationen gem. § 3 Nummer 1 lit. g IFG ausgeschlossen. Wie der Presseberichterstattung entnommen werden kann, laufen derzeit strafrechtliche Ermittlungen der Staatsanwaltschaft München I im Fall Wirecard. Diese strafrechtlichen Ermittlungen dauern gegenwärtig noch an.
Die dritte Variante des § 3 Nr. 1 lit. g schützt die Durchführung strafrechtlicher, ordnungswidrigkeitsrechtlicher und disziplinarischer Ermittlungen. Würden im Zuge von Ermittlungsverfahren amtliche Informationen vorzeitig bekannt, könnte dies vor allem die Ermittlung der Wahrheit erschweren. Geschützt sind die bereits laufenden strafrechtlichen Ermittlungen und die unmittelbar bevorstehenden strafrechtlichen Ermittlungsverfahren.
Das strafrechtliche Ermittlungsverfahren beginnt nach § 160 StPO mit der Aufnahme staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen; Grundlage hierfür ist ein sog. Anfangsverdacht. Die Gesetzesbegründung betont ausdrücklich, dass strafrechtliche Ermittlungen i.S.d.§3 Nr. 1 lit. g auch polizeiliche Ermittlungen umfassen. (Schoch IFG/Schoch, 2. Aufl. 2016, IFG § 3 Rn. 136, 137). Insoweit liegt hier ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren im Sinne des § 3 Nummer 1 lit.g IFG vor.
Das BVerwG postuliert zu dem Ausschlussgrund gemäß § 3 Nr. 1 lit. g Var. 3 eine Vermutungsregel mit der Folge, dass die informationspflichtige Stelle für das Vorliegen der Voraussetzungen des Informationsverweigerungsgrundes nicht die volle Darlegungslast trage, sondern lediglich herabgesetzten Anforderungen an die Darlegung des Ausschlussgrundes unterliege. Danach wird die Schutzgutgefährdung vermutet, wenn Akten der informationspflichtigen Stelle wegen ihres thematischen Bezugs zum strafrechtlichen Untersuchungsgegenstand in staatsanwaltschaftliche Ermittlungen einbezogen worden seien. (BVerwG, NVwZ 2015, 823 Tz. 24ff.) Dies ist vorliegend der Fall.
Durch eine Veröffentlichung der von Ihnen begehrten amtlichen Informationen könnten die strafrechtlichen Ermittlungen vereitelt oder zumindest erschwert werden, da sich aus den Dokumenten neue Ermittlungsansätze ergeben können. Diese ermittlungsrelevanten Informationen sind nicht öffentlich bekannt. Die laufenden und unmittelbar bevorstehenden Untersuchungen könnten durch Bekanntgabe der von Ihnen begehrten Information gefährdet werden.
Aus diesen Gründen wird Ihr IFG-Antrag abgelehnt.
Zu II.
Wie Ihnen bereits vorab mitgeteilt worden ist, werden gemäß § 10 Absatz 1 IFG für individuell zurechenbare öffentliche Leistungen Gebühren und Auslagen erhoben. Hiermit hatten Sie sich einverstanden erklärt. Die Kostenfestsetzung erfolgt im Rahmen eines gesonderten Bescheids.
Rechtsbehelfsbelehrung:
Gegen diesen Bescheid kann innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe beim Bundesministerium der Finanzen, Wilhelmstraße 97, 10117 Berlin, Widerspruch erhoben werden.
Mit freundlichen Grüßen