Sehr geehrter Herr Semsrott,
vielen Dank für Ihre Anfrage, bei der wir davon ausgehen, dass es sich im Kern um eine Presseanfrage handelt.
In Niedersachsen wurden die Staatsanwaltschaften ermächtigt, aus Anlass des Weihnachtsfestes 2022 aufgrund einer Prüfung der Umstände des Einzelfalles im Gnadenwege die vorzeitige Entlassung von Strafgefangenen, die eine von einem niedersächsischen Gericht verhängte zeitige Freiheitsstrafe (nicht: Ersatzfreiheitsstrafe), Jugendstrafe oder einen Strafarrest nach § 9 WStG in einer niedersächsischen Vollzugsanstalt oder in einer Vollzugseinrichtung der Bundeswehr in Niedersachsen verbüßen, nach folgenden Grundsätzen zu veranlassen:
Gefangene, die sich mindestens seit dem 1. August 2022 ununterbrochen in Haft befinden und deren Entlassung in der Zeit vom 1. Dezember 2022 bis zum 2. Januar 2023 - beide Tage eingeschlossen - ansteht, weil
a) das endgültige Strafende in diese Zeit fällt oder
b) ihnen im Gnadenwege oder nach § 57 StGB, § 14a Abs. 2 WStG, § 88 JGG Strafaussetzung zur Bewährung bewilligt wurde oder
c) ihnen eine Freistellung gemäß § 40 Abs. 8 NJVollzG, § 43 Abs. 9 StVollzG oder einer entsprechenden Vorschrift eines anderen Bundeslandes auf den Entlassungszeitpunkt angerechnet wurde,
können bereits am 1. Dezember 2022 entlassen werden, wenn kein sich unmittelbar anschließender, über den 2. Januar 2023 hinausgehender weiterer Vollzug vorgemerkt ist (z.B. Anschlussvollzug, Untersuchungs-, Auslieferungs-, oder Abschiebungshaft, freiheitsentziehende Maßregeln der Besserung und Sicherung) und die unter den Nummern 2 bis 3 genannten Voraussetzungen gegeben sind. Eine vorzeitige Entlassung ist
ausgeschlossen, wenn im Falle des § 68f Abs. 1 Satz 1 StGB die nicht vollständige Vollstreckung das Eintreten der Führungsaufsicht verhindern würde.
Von der vorzeitigen Entlassung sind ausgeschlossen:
a) Gefangene, gegen die während der laufenden Strafhaft nach dem 30. Juni 2022 ein Arrest als Disziplinarmaßnahme verhängt worden ist,
b) Gefangene, die nach dem 30. Juni 2022 entwichen oder vom Urlaub, Ausgang, Freigang oder von einer Strafunterbrechung nicht oder schuldhaft mit erheblicher Verspätung zurückgekehrt sind,
c) Gefangene, die wegen vorsätzlicher Tötungs- oder Sexualdelikte in Haft sind,
d) Gefangene, die strafrechtlich verfolgt werden, weil ihnen zur Last gelegt wird, während des Vollzugs (einschließlich etwaiger Vollzugslockerungen wie Ausgang, Urlaub, Freigang) oder während einer Strafunterbrechung eine Straftat begangen zu haben.
Die vorzeitige Entlassung setzt voraus, dass
a) die Leiterin oder der Leiter der Justizvollzugsanstalt die Entlassung befürwortet,
b) die oder der Gefangene mit der vorbezeichneten Entlassung einverstanden ist,
c) die Unterkunft und der Lebensunterhalt sichergestellt sind.
Eine weitere Vorverlegung des Entlassungszeitpunkts nach § 18 Abs. 3 NJVollzG, § 16 Abs. 3 StVollzG oder einer entsprechenden Vorschrift eines anderen Bundeslandes kommt nicht in Betracht. Werden nachträglich Umstände bekannt, die nach Maßgabe der vorstehend aufgeführten Voraussetzungen zur Versagung des Gnadenerweises geführt hätten, so kann der Gnadenerweis zurückgenommen werden. Der Gnadenerweis kann widerrufen werden, wenn sich bis zur Entlassung im Verhalten der Gefangenen ein Grund ergibt, der zur Versagung des Gnadenerweises geführt hätte. Für die Zurücknahme und den Widerruf gilt § 36 der Gnadenordnung entsprechend.
Fällt der Entlassungszeitpunkt deshalb in den Zeitraum vom 1. Dezember 2022 bis zum 2. Januar 2023, weil das endgültige Strafende - gegebenenfalls auch mehrerer Strafen - erreicht ist, so ist der nicht zu verbüßende Strafrest - gegebenenfalls auch die hiernach nicht zu verbüßende weitere Strafe - zu erlassen. Fällt der Entlassungstermin in diesen Zeitraum, weil im Gnadenwege oder nach § 57 StGB, § 14a Abs. 2 WStG, § 88 JGG Strafaussetzung zur Bewährung bewilligt wurde, so wird für den aufgrund dieses Erlasses nicht zu vollstreckenden Teil der Strafe Strafunterbrechung gewährt. Die Zeit der Strafunterbrechung wird unter der auflösenden Bedingung, dass die bewilligte Strafaussetzung zur Bewährung nicht widerrufen wird, auf die Strafzeit angerechnet.
Bei Gefangenen, welche die von einem niedersächsischen Gericht verhängte zeitige Freiheitsstrafe, Jugendstrafe oder einen Strafarrest nach § 9 WStG in einer Justizvollzugsanstalt eines anderen Landes oder einer Vollzugseinrichtung der Bundeswehr in einem anderen Land verbüßen, ist auf Antrag oder, soweit der Entlassungstermin im Einzelfall der Staatsanwaltschaft bekannt wird, von Amts wegen nach den oben genannten Grundsätzen verfahren.
Die Leitungen der Vollzugsanstalten benennen den Staatsanwaltschaften umgehend die für eine Begnadigung in Betracht kommenden Gefangenen und äußern sich zur Gnadenfrage. Die Sicherstellung von Unterkunft und Lebensunterhalt als Voraussetzung für die vorzeitige Entlassung ist von besonderer Bedeutung.
Ich hoffe, diese Informationen sind für Ihre Zwecke hilfreich.
Viele Grüße