Erreichbarkeit und Herbeirufbarkeit von Richter:innen am Bundesverwaltungsgericht
Das Bundesverwaltungsgericht hat sich kürzlich in einer aufsehenerregenden Entscheidung zum Besuch einer Verhandlung des Europäischen Gerichtshofes durch einen vorlegenden Instanzrichter geäußert. Dabei hat es unter anderem betont, dass ein Richter - trotz seiner Unabhängigkeit, d. h. einer fehlenden Bindung an einen Arbeitsplatz bei Gericht - durchgängig erreichbar und sogar - für unvorhersehbare Eilsachen - ständig herbeirufbar sein muss.
Der maßgebliche Passus lautet (BVerwG, Urteil vom 15. April 2021 – 2 C 13/20 –, Rn. 61 - 64, juris):
"Auch dass es ohne Anknüpfung an den konkreten Einzelfall keinen Maßstab gibt, um zu bestimmen, bei welchem räumlichen Abstand die Herbeirufbarkeit noch gewahrt ist, spricht - entgegen der Ansicht des Klägers - nicht gegen eine grundsätzliche und generelle Pflicht, als im Dienst befindlicher Richter anlassunabhängig erreichbar und präsent zu sein. Die generelle und abstrakte Pflicht eines Richters, während gerichtsüblicher Zeiten erreichbar und herbeirufbar zu sein, wird durch nachrangige - weil im Fall der plötzlichen Notwendigkeit von spruchrichterlicher Soforttätigkeit absagbare - private Nebentätigkeiten nicht beeinträchtigt.
Wenn sich ein Richter im (auch innereuropäischen) Ausland aufhält, ist dies grundsätzlich und regelmäßig geeignet, seine Erreichbarkeit und Herbeirufbarkeit an den Ort seiner dienstlichen Tätigkeit zu beeinträchtigen oder oft auch ganz auszuschließen. Dafür spricht auch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs im Richterdienstrecht. Der Bundesgerichtshof führt in seinem Urteil vom 16. November 1990 - RiZ 2/90 - (NJW 1991, 1103 <1105>) für ein richterähnlich unabhängiges Mitglied des Bundesrechnungshofs aus, dass dieses Mitglied unbeschadet der Freiheit, außerhalb der Dienststelle zu arbeiten, erreichbar und herbeirufbar sein muss. Das ist bei Richtern nicht anders.
An diesem Maßstab orientiert verletzt die Annahme des Berufungsgerichts, dass aus der allgemeinen Arbeitspflicht des Richters (§ 71 DRiG i.V.m. § 34 Satz 1 und 2 BeamtStG) die Pflicht folgt, zur Wahrnehmung unaufschiebbarer Dienstgeschäfte an das Gericht zurückzukehren und zu diesem Zweck seine Erreichbarkeit und Herbeirufbarkeit sicherzustellen, in der vorgenommenen Auslegung kein revisibles Recht.
Ungeachtet von Rechtspflichten und der Bestimmung ihres Umfangs weist der Senat darauf hin, dass die Rechtsauffassung des Klägers zu diesem Punkt seines Feststellungsbegehrens auch Fragen richterlichen Selbstverständnisses und richterlicher Ethik berührt (vgl. insoweit Ziff. I Nr. 5 der Verhaltensrichtlinien für Richterinnen und Richter des Bundesverfassungsgerichts, derzufolge diese ihre durchgängige Erreichbarkeit und eine persönliche Präsenz am Gericht sicherstellen, welche die zügige Erledigung der richterlichen Aufgaben gewährleisten)."
Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung wird in Thüringen verlangt, ggf. Urlaub einzureichen, wenn aufgrund der räumlichen Distanz eine Herbeirufbarkeit nicht gewährleistet ist, etwa anlässlich eines Besuches des Europäischen Gerichtshofes in Luxemburg oder eines Vortrages an der Deutschen Richterakademie in Trier oder Wustrau.
Angesichts dieser Maßstäbe wird angefragt, welche Regelungen für die Richter:innen am Bundesverwaltungsgericht zur Erreichbarkeit und Herbeirufbarkeit gelten. Gibt es Verhaltensrichtlinien wie am Bundesverfassungsgericht?
Zur Konkretisierung: Am Bundesarbeitsgericht mit Sitz in Erfurt pflegen die nicht in Erfurt oder Umgebung lebenden Richter:innen im Laufe des Montags anzureisen und Donnerstagmittag wieder an die unterschiedlichsten Wohnsitze In Deutschland aufzubrechen. In der Logik der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts müsste jedenfalls im Falle erheblicher Entfernung für jeden Freitag ein Urlaubstag beantragt werden. Eine Herbeirufbarkeit ist bei einem Wohnsitz in Freiburg im Breisgau, Rostock oder Schleswig sicherlich nicht gewährleistet.
Dies alles dürfte auch für das Bundesverwaltungsgericht mit Sitz in Leipzig zutreffen.
Zudem wird angefragt, ob und inwieweit eine Differenzierung zwischen einem Aufenthalt innerhalb Deutschlands und in anderen Mitgliedstaaten der EU erfolgt, und aus welchen Gründen.
Es wird darauf hingewiesen, dass jeder deutsche Richter zugleich Unionsrichter ist. Weiter wird darauf hingewiesen, dass die Herbeirufbarkeit nach Leipzig bei einem Aufenthalt in Marienbad oder Karlsbad sicherlich eher gewährleistet ist als bei einem Heim in Kiel.
Abschließend wird angefragt, ob etwaige Regelungen angesichts der Einführung der elektronischen Akte oder bei Homeoffice modifiziert werden.
Anfrage erfolgreich
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Datum16. Mai 2022
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18. Juni 2022
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