Sehr geehrter Herr Semsrott,
in Ihrer o. g. Anfrage vom 13.05.2020 begehren Sie die Herausgabe des örtlichen Infektionsschutzplans und beziehen sich hierzu auf die Vorschriften des IFG/UIG sowie des VIG, um ihren Anspruch zu begründen.
I. Gegenstand der Anfrage
Zwischenzeitlich wurde der landesweite Seuchenalarmplan NRW in den "Infektionsschutzplan NRW" umbenannt, der in Ziff. 4.1. einen "örtlichen Infektionsschutzplan" für die Kreise und kreisfreien Städte erwähnt. Die Begriffe "Seuchenalarmplan" und "Infektionsschutzplan" werden insoweit synonym verwandt.
Festzuhalten ist damit, dass vorliegend die Herausgabe des "örtlichen Infektionsschutzplans" des Kreises Paderborn in Form des Seuchenalarmplans streitgegenständlich ist.
II. IFG NRW
1.
Ich übersende Ihnen anliegend das Inhaltsverzeichnis des Seuchenalarmplans nebst Anlagen.
2.
Der Seuchenalarmplan des Kreises Paderborn unterliegt im Übrigen der Geheimhaltung nach § 6 Satz 1 lit. a) IFG NRW.
Nach dieser Vorschrift ist der Informationszugang des Antragstellers abzulehnen, wenn
das Bekanntwerden der Information die Landesverteidigung, die internationalen Beziehungen, die Beziehungen zum Bund oder zu einem Land oder die öffentliche Sicherheit oder Ordnung, insbesondere die Tätigkeit der Polizei, des Verfassungsschutzes, der Staatsanwaltschaften oder der Behörden des Straf- und Maßregelvollzugs einschließlich ihrer Aufsichtsbehörden beeinträchtigen würde.
Vorab ist zu erwähnen, dass die Aufzählung der in dieser Norm genannten Behörden lediglich beispielhaft ist und sich damit auch der Kreis Paderborn als untere Gesundheitsbehörde erfasst ist (Beck, Informations- und Medienrecht, Gersdorf/Paal 27.Edition, Stand 01.02.2020, § 6 Rn. 12).
Die Frage der "Beeinträchtigung" ist im Zusammenhang mit § 6 Abs. 1 lit b) IFG NRW zu lesen. Dort wird eine "erhebliche Beeinträchtigung" im laufenden Verwaltungsverfahren als Voraussetzung für die Geheimhaltung genannt.
Aus dieser gesetzlichen Systematik schließt die Kommentierung als auch die ständige Rechtsprechung im Umkehrschluss, dass für die Verweigerung des Informationszugangs nach § 6 Satz 1 lit a) IFG NRW bereits eine "einfache" Beeinträchtigung genügt:
"Nachteilige Auswirkungen auf die Funktionsfähigkeit staatlicher Stellen sind schon dann gegeben, wenn deren organisatorische Vorkehrungen zur effektiven Aufgabenerledigung gestört werden und die Arbeit der betroffenen Amtsträger dadurch beeinträchtigt bzw. erschwert wird (Beck, Informations- und Medienrecht, Gersdorf/Paal 27.Edition, Stand 01.02.2020, § 6 Rn. 12; OVG NRW, Urteil vom 06.05.2015 - 8 A 1943/13)."
In dem oben zitierten OVG NRW-Urteil wurde dementsprechend die Verweigerung der Herausgabe dienstlicher Telefonnummern von Richtern - außerhalb von Krisenzeiten - unter Berufung auf § 6 Satz 1 lit a IFG NRW als rechtmäßig eingestuft.
Über die bereits angesprochenen "sensiblen Kontaktdaten" hinaus stehen in dem Seuchenalarmplan u.a. explizite Abläufe,
- Welche Stellen im Einzelnen zu informieren sind
- Wie die Kommunikation und die Meldeverfahren zu organisieren sind
- Welche konkreten Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Gesundheitsversorgung durch welche Personen/Organisationen (ggf. mit erheblichen Grundrechts-Einschränkungen für die Bevölkerung) zu treffen sind.
Eine (teilweise) Schwärzung von Personen-/Kontaktdaten ist insbesondere vor dem Hintergrund der Organisation der effektiven Arbeitsabläufe in Krisenzeiten für sich genommen nicht ausreichend (vgl. OVG NRW aAo). Schließlich sollen die Aufgaben der unteren Gesundheitsbehörden nach den Vorstellungen im dem Referentenentwurf des Bundesgesundheitsministers zum zweiten Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite noch erheblich ausgeweitet werden. Auch ist die untere Gesundheitsbehörde durch die kommunizierte Inzidenzgrenze (nur 50 Infektionen pro 100.000 Einwohner) in unmittelbarer Verantwortung gegenüber den Bürgern.
Es handelt sich bei den benannten Personen respektive Funktionen einzelner Amtsträger um "Schlüsselpositionen" wie auch bei den konkret benannten Maßnahmen um "Schlüsselmaßnahmen", die vor (potentiellen) Angriffen/dem Zugriff von außen gesichert werden müssen.
Eine Veröffentlichung des Seuchenalarmplans ist damit nicht zu vertreten.
3.
Ferner ist darauf zu verweisen, dass auch der überörtliche Infektionsschutzplan des Landes NRW in Teilen ebenfalls als Verschlusssache - nur für den Dienstgebrauch - eingestuft ist. Hierdurch wird deutlich, dass auch die Landesoberbehörde die Freigabe/Herausgabe der örtlichen Pläne als kritisch bewertet: Schließlich werden durch die unteren Gesundheitsbehörden die konkreten Maßnahmen - mit direkten Folgen für die Bürger (vgl. Quarantäneanordnungen) - ausgesprochen, während der überörtliche Infektionsschutzplan in weiten Teilen "grobe" Vorgaben (zwecks Vereinheitlichung im Land) enthält. Das Interesse an der Geheimhaltung des örtlichen Infektionsschutzplans in Form des Seuchenalarmplans ist somit noch gewichtiger. Wenn schon der überörtliche Infektionsschutzplan teilweise der Geheimhaltung unterliegt, gilt dies erst recht für den örtlichen Infektionsschutzplan mit konkreten Folgen für den einzelnen Bürger.
III. Keine Umweltinformation
Der Seuchenalarmplan des Kreises Paderborn stellt keine Umweltinformation im Sinne des UIG dar.
1.
Die Begriffsbestimmungen im UIG sind lex specialis zum IFG NRW. Das OVG NRW hat bereits im Jahre 2007 festgehalten, dass die Frage, was unter Umweltinformationen fällt abschließend in § 2 Abs. 3 UIG geregelt ist (OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 27.06.2007 - 8 B 920/07). In § 2 Abs. 3 Ziff. 6 UIG NRW heißt es:
"Umweltinformationen sind unabhängig von der Art ihrer Speicherung alle Daten über den Zustand der menschlichen Gesundheit und Sicherheit, die Lebensbedingungen des Menschen sowie Kulturstätten und Bauwerke, soweit sie jeweils vom Zustand der Umweltbestandteile im Sinne der Nummer 1 oder von Faktoren, Maßnahmen oder Tätigkeiten im Sinne der Nummern 2 und 3 betroffen sind oder sein können; hierzu gehört auch die Kontamination der Lebensmittelkette."
Hiernach muss eine Auswirkung auf die menschliche Gesundheit z.B. "durch" Erde/Luft oder Wasser (vgl. § 2 Abs. 3 Ziff. 1) eintreten oder zumindest möglich sein. Vorliegend begründet die Covid-19 Erkrankung eine etwaige Gefährdung der Menschen jedoch nicht die Umweltbestandteile an sich.
2.
Insoweit ist auch der (erstinstanzliche) Beschluss des VG Hannover, 4 B 2369/20 für den Kreis Paderborn weder rechtlich bindend noch juristisch plausibel:
Zum einen ist ein Bezug zur Umwelt bereits nicht erkennbar: So hat der Antragsteller in dem von Ihnen in Bezug genommenen Eilverfahren vor dem VG Hannover z.B. Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 21.02.2008, Az. 4 C 13/07; Urteil vom 23.02.2017, Az. 7 C 31/15) zitiert, um die "weite" Auslegung des UIG zu begründen. Hierbei ging es um Informationen für den Bau/Ausbau von Flughäfen/Bahnstrecken, für die regelmäßig eine Umweltverträglichkeitsprüfung vorzunehmen ist. Bereits hierdurch ist ein Umweltbezug für jedermann erkennbar. Die Auswirkungen der Bekämpfung einer Pandemie sind für die Umwelt rein zufällig.
Zum anderen ist bislang - im Gegensatz zur Auffassung des VG Hannover - eine flächendeckende Ansteckung über Aerosole noch gar nicht wissenschaftlich belegt. Mit Aerosolen sind (vgl. Beschluss des VG Hannover S. 3, vorletzter Absatz) sind besonders kleine Tröpfchen gemeint, die besonders lange in der Luft stehen bleiben, so dass bereits eine Anwesenheit in einem Raum mit einem Corona-Infizierten über das "Einatmen der gleichen Luft" eine Ansteckung herbeiführen soll. Dies im Unterschied zur "Tröpfcheninfektion", bei der die Übertragung durch Anhusten/Anniesen etc. geschieht.
Die einzelnen Studien/Äußerungen legen dies als zusätzliche Möglichkeit zur "Tröpfcheninfektion" nahe, bestätigen dies jedoch nicht als unumstößliche Tatsache. Anzumerken ist, dass während der laufenden Pandemie - infolge fortschreitender Erkenntnisse der Wissenschaft wiederholt (zurecht) - Standpunkte auch wieder angepasst worden sind.
Widersprüchlich ist im Beschluss des VG Hannover ebenfalls, dass z.B. das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes/eine Beachtung des 1,5 m Abstandes im Fall der flächendeckenden Übertragung über Aerosole kaum Nutzen für den Bürger hätte, da die im Raum vorhandene Luft trotzdem eingeatmet wird. Die Maßnahmen wären damit schon gar nicht geeignet, eine Reduzierung der Aerosole bzw. der Übertragung des Corona-Virus über Aerosole zu bewirken. Somit tragen schon die eigenen Gründe des Gerichts den Beschluss nicht.
Mit der "weiten" Auslegung wäre z.B. jede Genehmigung/Beschränkung einer Versammlung eine Umweltinformation, da "mehr Luft" eingeatmet wird bei einer höheren Teilnehmeranzahl und z.B. auch höhere Reinigungskosten (mehr Unrat/Müll) zu erwarten sind. Dies war und ist offensichtlich nicht der Sinn und Zweck des Umweltinformationsgesetzes.
Vorsorglich möchte ich auch anmerken, dass das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes sowie Abstandsregelungen in Nordrhein-Westfalen in der Corona-Schutzverordnung des Landesgesundheitsministeriums (MAGS) geregelt sind. Eine Übertragung der Entscheidung des VG Hannover scheidet daher auch aus diesen Gründen von Vornherein aus.
Im Übrigen sind die Ihnen mitgeteilten Grundsätze zur Geheimhaltung nach dem IFG NRW (vgl. II.) auch ohne Weiteres auf die Vorschriften zum UIG übertragbar. Insoweit darf ich auf die Einschränkung der Herausgabepflicht nach § 8 Abs. 1 Ziff. 1, 3. Alt. UIG ("öffentliche Sicherheit") verweisen.
IV. VIG
Ein Herausgabeanspruch nach dem VIG scheidet vorliegend bereits erkennbar aus.
Aus den vorstehend dargelegten Gründen kann Ihrem Antrag vom 13.05.2020 auf Übersendung des (vollständigen) örtlichen Seuchenalarmplans des Kreises Paderborn nicht entsprochen werden.
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