Sehr << Antragsteller:in >>
die Aktenauskunft zu Ihrer Transparenzanfrage 258839 wird nach § 9 Abs. 1 des Thüringer Transparenzgesetzes (ThürTG) gewährt.
Frage 1:
Regeln, Richtlinien, Handlungsanweisungen, Empfehlungen o.ä. des Thüringer Ministeriums für Bildung, Jugend und Sport (TMBJS) zum Umgang und der Zeit nach einem Coming-out von Schülerinnen und Schülern; bezogen auf folgende Fragen:
- Wann/Wo darf ein neuer Name von transidenten Schülerinnen und Schülern genutzt bzw. nicht genutzt werden?
- Wann/Weshalb muss eine Rücksprache mit Erziehungsberechtigten stattfinden?
- Umgang mit transidenten Schülerinnen und Schülern bei nach Geschlecht getrennten
Punkten (z.B. Sportunterricht, Umkleiden, Toiletten)
Antwort:
Weder das Thüringer Schulgesetz noch die Thüringer Schulordnungen treffen Festlegungen zu dieser Thematik.
Das Coming-Out bzw. die Geschlechtsidentität ist als Recht auf Selbstbestimmung Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nach Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes. Jeder Fall bedarf in der Regel einer Einzelfallentscheidung und kann nicht durch starre Regeln oder Richtlinien geregelt werden.
Nach § 1626 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) haben die Eltern die Pflicht und das Recht, für das minderjährige Kind zu sorgen. Die elterliche Sorge umfasst die Sorge für die Person des Kindes und das Vermögen des Kindes. Nach § 1627 BGB haben die Eltern sich dabei am Wohl des Kindes zu orientieren. Damit sind die Eltern, wenn es sich um die Belange des Kindes handelt, einzubeziehen. Dabei ist auch durch die Schule immer das Wohl des Kindes im Blick zu behalten.
Tritt die Schule gegenüber der Schülerin oder dem Schüler behördlich auf, z.B. durch Ausstellung eines Zeugnisses sowie bei Aufnahme einer Schülerin oder eines Schülers in die Schule, verbleibt es bis zu einer Änderung nach § 1 Transsexuellengesetzes (TSG) bei der Verwendung des in der Geburtsurkunde ausgewiesen Vornamens. Diese ist bei der Anmeldung zur Einschulung von den Eltern vorzulegen.
Nach erfolgter Änderung des Vornamens wird der neue Vorname verwendet. Im Hinblick auf die Abschluss- und Prüfungszeugnisse sind nach der Vornamensänderung die Thüringer Schulen durch die Festlegungen des TMBJS gehalten eine Zweitschrift des Abschluss- und Prüfungszeugnisses auszustellen.
Anders als bei den Zeugnissen gestaltet es sich bei der Führung des Klassenbuchs oder von Namenslisten. Hier spricht nichts gegen die Verwendung des neuen dem Zugehörigkeitsempfinden entsprechenden Namens vor offizieller Namensänderung. Vielmehr ist dieses Vorgehen den Schulen zu empfehlen, da auf diesem Weg der Schülerin oder dem Schüler Respekt für ihre/seine Entscheidung gezeigt wird oder ein Schutz vor Diskriminierung oder Mobbing gegeben wird.
Darüberhinausgehend gibt es jedoch keine Festlegungen, die es Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Schulen untersagen, eine Schülerin oder einen Schüler mit deren oder dessen Zustimmung anders zu benennen, soweit die Personenidentität sichergestellt bleibt. Demzufolge ist es beim Vorliegen besonderer Gründe zulässig und sogar geboten, auf Wunsch einer Schülerin oder eines Schülers, in der Regel vertreten durch seine Eltern, abzustimmen, dass ein anderer Vorname als bisher im "schulalltäglichen Leben" Verwendung findet. Ein solch besonderer Grund kann beispielsweise "der Zwang, sich dem anderen Geschlecht zugehörig zu fühlen" im Sinne des § 1 TSG sein. Im Zuge dieser Entscheidungsfindung wird sich die Schule sorgfältig mit der Situation auseinandersetzen müssen, um eine am Wohl der Schülerin oder des Schülers orientierte Entscheidung treffen zu können. Da für die Bewertung der Lage ein spezifisches Fachwissen notwendig ist, soll die Schule in diesen Fällen eine über das notwendige Fachwissen verfügende Beratungslehrkraft oder den Schulpsychologischen Dienst am Verfahren beteiligen.
Für den Sportunterricht bestehen derzeit keinerlei Regeln, Richtlinien und/oder Handlungsanweisungen zu dieser Thematik. In der Kommunikation mit den für den Schulsport Verantwortlichen der Staatlichen Schulämter und der Regionen wird darauf verwiesen, dass transgeschlechtliche Schülerinnen und Schüler, bei denen die geplante Geschlechtsumwandlung bereits mit einem neuen Personaldokument (PA, Reisepass) amtlich ist, nach den Normvorgaben des gewählten neuen Geschlechts bei Leistungskontrollen zu bewerten sind.
Hinsichtlich der Umkleiden bestehen derzeit keinerlei Regeln, Richtlinien und/oder Handlungsanweisungen o.ä. zu dieser Thematik. Bisher gab es zudem keine Anfrage einer Schule zu dieser Fragestellung.
Frage 2:
Wenn es keine Regeln, Richtlinien, Handlungsanweisungen, Empfehlungen, o.ä. seitens des TMBJS zum Umgang und der Zeit nach einem Coming-out von Schülerinnen und Schülern gibt, wie und anhand welcher Informationen werden Anfragen von Schulen zu den in Punkt 1 genannten Themen beantwortet?
Antwort:
Die Beratungslehrkräfte an den Schulen können hilfreiche Ansprechpartnerinnen bzw. Ansprechpartner beim Thema Coming-out sein. Schulen sowie Eltern und Schülerinnen/Schüler können sich bei psychologischem Beratungsbedarf bei Coming-outs auch an den Schulpsychologischen Dienst der Staatlichen Schulämter wenden.
Die Aufgabe der Vertrauens- und Beratungslehrkräfte im Kontext des Landesprogramms für Akzeptanz und Vielfalt besteht darin, Schülerinnen und Schülern Unterstützung und Hilfe bei der Suche nach der eigenen sexuellen Orientierung und geschlechtlichen Identität, aber auch in Fällen von Mobbing, zu gewähren sowie für ein offenes und diskriminierungssensibles Klima in der Schule zu arbeiten.
Die Referentinnen und Referenten für Schulpsychologie in Thüringen orientieren sich in ihrer Arbeit am humanistischen Menschenbild. Jeder Mensch wird als eigenständige, in sich wertvolle Persönlichkeit betrachtet und die Verschiedenartigkeit der einzelnen Menschen wird akzeptiert und respektiert. Das trifft selbstverständlich auch auf Lesben, Schwule, Bisexuelle, Trans*, Inter* und queere Menschen zu. Der Schulpsychologische Dienst Thüringen unterstützt sowohl im Rahmen der schulzentrierten als auch der schülerzentrierten Beratung die pädagogische Arbeit an den Schulen - auch bei Fragen zu Coming-outs. Die Referentinnen und Referenten für Schulpsychologie beraten dabei u.a. bei Fragen der Transition bei Transmenschen oder bei sozialen Konflikten im Klassenzimmer (z.B. in der Folge von Coming-outs). Dabei arbeiten die Referentinnen und Referenten eng mit den zuständigen Fachlehrerinnen und Fachlehrern sowie den Beratungslehrkräften der Schulen zusammen. Die schulpsychologische Einzelfallhilfe ist auf die Prävention, beratende Intervention und die Vernetzung mit Beratungspartnern ausgerichtet.
In der Systemberatung werden schulische Fragestellungen (z.B. Schaffung eines Klimas der Akzeptanz und Vielfalt an Schulen) nicht isoliert, sondern im Kontext ihrer Bedingungen und Wechselwirkungen gesehen. Die Entwicklung von arbeits- und lernförderlichen Schulstrukturen wird im Rahmen von Schulentwicklungsprozessen begleitet. Dabei werden organisationspsychologische Sicht- und Arbeitsweisen angewendet. Im Fokus steht die individualisierte Lernkultur. Der Schulpsychologische Dienst hilft auch bei der Bewältigung systemimmanenter Konflikte.
Frage 3:
Welchen Handlungsspielraum haben Schulen bei der Beantwortung der in Punkt 1 genannten Fragen? Hierbei beziehe ich mich unter anderem auf folgende (fiktive) Beispiele:
- Erziehungsberechtigte müssen über ein Coming-out informiert werden
- Bevor ein neuer Name genutzt werden darf, benötigt es die Erlaubnis von
Erziehungsberechtigten
Antwort:
Es liegt ein breiter Handlungsspielraum vor, solange die Persönlichkeitsrechte des betroffenen Schülers/der betroffenen Schülerin und die der Eltern, wie bei Frage 1 dargestellt, eingehalten werden.
Gegebenenfalls entstandene Verwaltungskosten werden mit einem gesonderten Bescheid erhoben.
Mit freundlichen Grüßen