Sehr << Antragsteller:in >>
mit Ihrer E-Mail vom 30. Dezember 2023 beantragen Sie die Zusendung der Positionierung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales zur „Streichung des Bürgergeldes bei Jobverweigerern“ (unter verschiedenen Gesichtspunkten).
Sie stützen Ihren Antrag auf § 1 Absatz 1 des Gesetzes zur Regelung des Zugangs zu Informationen des Bundes (Informationsfreiheitsgesetz - IFG). Nach dieser Vorschrift hat jeder nach Maßgabe des IFG gegenüber den Behörden des Bundes einen Anspruch auf Zugang zu amtlichen Informationen. Dabei ist der Informationsanspruch auf die bei der informationspflichtigen Stelle zum Zeitpunkt der Antragstellung tatsächlich vorhandenen Informationen beschränkt. Des Weiteren gewährt das IFG keinen Anspruch auf die Zusammenstellung oder Aufbereitung von Informationen durch die Behörde, die über die Einsichtnahme in vorhandene amtliche Informationen hinausgeht.
Bei den von Ihnen gewünschten Informationen handelt es sich um die Positionierung bzw. Information zur Rechtsauffassung des BMAS zu den von Ihnen gestellten Fragen. Ihre Anfrage weist keinen Aktenbezug auf und unterfällt daher nicht dem IFG. Ich beantworte Ihnen Ihre Fragen dennoch sehr gern.
zu 1. und 2.
Das im Grundgesetz garantierte Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum bedeutet nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, dass durch die Lebensunterhaltsleistungen ein Existenzminimum in Höhe der für eine menschenwürdige Teilhabe erforderlichen Bedarfe abzudecken ist. Das Bürgergeld soll Menschen in Notlagen sozialen Schutz bieten. Es sichert ein menschenwürdiges Existenzminimum für diejenigen, die hilfebedürftig sind.
Wer Bürgergeld bekommt, verpflichtet sich im Gegenzug jedoch aktiv daran mitzuwirken, möglichst bald wieder seine Hilfebedürftigkeit zu überwinden oder zumindest zu verringern, insbesondere in Arbeit zu kommen. Das ist im Interesse der Gesellschaft, aber auch im Interesse jedes einzelnen erwerbsfähigen Bürgergeld-Berechtigten selbst. Grundsätzlich sind daher alle Personen, die Bürgergeld erhalten, verpflichtet zumutbar mitzuwirken, um die Hilfebedürftigkeit zu beenden bzw. zu verringern. Lehnen Bürgergeld-Beziehende eine zumutbare Arbeit, Ausbildung oder Eingliederungsmaßnahme ohne wichtigen Grund ab (sogenannte Pflichtverletzung) oder erscheinen ohne wichtigen Grund nicht zu vereinbarten Terminen (sogenanntes Meldeversäumnis), müssen sie mit einer Minderung des Bürgergeldes rechnen. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom 5. November 2019 (1 BvL 7/16) entschieden, dass der Staat grundsätzlich Leistungsminderungen zur Durchsetzung von Mitwirkungspflichten einsetzen darf. Die von Ihnen in Ihrer E-Mail kritisierte Regelung zum Entzug des kompletten Regelbedarfes bei willentlicher Arbeitsverweigerung steht auch im Einklang mit den Rahmenbedingungen, die das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil aufgestellt hat.
Mit der Regelung begegnen wir dem (sehr kleinen) Personenkreis derer, der den Sozialstaat bewusst ausnutzt. Denn der soziale Rechtsstaat ist darauf angewiesen, dass Mittel der Allgemeinheit, die zur Hilfe für bedürftige Menschen bestimmt sind, nur in Anspruch genommen werden, wenn wirkliche Bedürftigkeit vorliegt. Diejenigen, denen der Regelbedarf entzogen wird, können ihre Hilfebedürftigkeit jederzeit durch die Annahme des konkreten Jobangebots beenden bzw. reduzieren. Die Regelung betrifft damit nur Personen, die konkret und im zumutbaren Umfang arbeiten könnten, dies aber zu Lasten der Allgemeinheit nicht tun. Fällt das konkrete Jobangebot weg oder nimmt der Leistungsberechtigte das Jobangebot doch an, entfällt auch der Entzug des Regelbedarfes. Zudem dürfen, um Obdachlosigkeit zu vermeiden, die Wohn- und Heizkosten nicht gekürzt werden. Gleiches gilt für Mehrbedarfe beispielsweise wegen Schwangerschaft. Die betroffene Person ist vor dem Wegfall des Regelbedarfs außerdem immer anzuhören. Soweit der Wegfall der Leistungen zu einer außergewöhnlichen Härte führen würde, dürfen die Leistungen nicht gemindert werden. Die Regelung ist zunächst auf zwei Jahre befristet.
zu 3. und 4.
Die aktive vermittlerische Betreuung wird durch die Regelung nicht beeinflusst. Grundlage für die Vermittlung in zumutbare Arbeit ist der Kooperationsplan. Basis für den Kooperationsplan bilden wiederum die gemeinsam mit dem Bürgergeld-Beziehenden formulierten Ziele. Im Kooperationsplan soll unter anderem festgehalten werden, in welche Ausbildung, Tätigkeiten oder Tätigkeitsbereiche die erwerbsfähige leistungsberechtigte Person vermittelt werden soll. Der Kooperationsplan dient damit als „roter Faden“ im Eingliederungsprozess.
Auch der Kern des Bürgergeld-Gesetzes, auf Basis einer vertrauensvollen Zusammenarbeit durch Qualifizierung und gute Beratung nachhaltige Integrationen zu schaffen, bleibt uneingeschränkt erhalten. Mit dem Bürgergeld-Gesetz wurde u. a. der Vermittlungsvorrang abgeschafft und der Leitgedanke „Qualifizierung vor Arbeit für Geringqualifizierte“ etabliert, um Drehtüreffekte zu vermeiden. Von der Regelung zum Entzug des Regelbedarfes bei Arbeitsverweigerung sind lediglich Personen betroffen, die sich willentlich und grundlos weigern, eine konkrete und zumutbare Arbeit anzunehmen oder aufzunehmen. Insofern handelt es sich um Personen, bei denen die unmittelbare Vermittlung in Arbeit im Fokus steht und keine vorrangige Qualifizierung notwendig und vorgesehen ist.
Die angebotene Arbeit muss auch nicht zwingend existenzsichernd sein. Auch im Falle eines die Hilfebedürftigkeit nicht überwindenden Arbeitsangebotes ist die Existenzsicherung immer über erwerbsaufstockendes Bürgergeld sichergestellt. Es ist keine Voraussetzung für den Wegfall des Regelbedarfes, dass die angebotene Arbeit zu einer unmittelbaren vollständigen Überwindung der Hilfebedürftigkeit führt. Das steht auch mit den verfassungsrechtlich zulässigen Zielen des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch im Einklang, die Hilfebedürftigkeit zu verringern oder zu beenden. Andernfalls wäre der Leistungsentzug von der Größe der Bedarfsgemeinschaft und den dortigen zu diesem Zeitpunkt bestehenden Einkommensverhältnissen abhängig. Denn diese Faktoren bestimmen den individuellen Bedarf. Eine Ungleichbehandlung - abhängig von der Bedarfsgemeinschaftskonstellation und den dortigen Einkommensverhältnissen - soll vermieden werden.
Im Hinblick auf die kritisierte Höhe des Mindestlohns weise ich darauf hin, dass in Deutschland die Festlegung von Löhnen und Gehältern sowie weiteren Arbeitsbedingungen in erster Linie den Arbeitgebern und Arbeitnehmern beziehungsweise - auf kollektiver Ebene - den Tarifvertragsparteien (Arbeitgeber/Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften) obliegt. Aufgrund der verfassungsrechtlich geschützten Tarifautonomie der Tarifvertragsparteien und auch der allgemeinen Vertragsfreiheit auf einzelvertraglicher Ebene ergreift der Staat hinsichtlich der Arbeitsbedingungen grundsätzlich lediglich Maßnahmen zur Sicherung von Mindeststandards. Die Einführung des allgemeinen gesetzlichen Mindestlohns zum 1. Januar 2015 stellt eine solche Maßnahme dar. Zweck des Mindestlohngesetzes ist es, eine absolute Lohnuntergrenze und damit ein Mindestmaß an Austauschgerechtigkeit zu schaffen, nicht hingegen, einen umfassenden Schutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sicherzustellen. Es sind also auch weiterhin in erster Linie die sachnahen Tarifpartner dazu aufgerufen, ein angemessenes Gehaltsgefüge zu gewährleisten.
Die Höhe des Mindestlohns wird alle zwei Jahre auf Vorschlag einer unabhängigen Kommission der Tarifpartner (Mindestlohnkommission), durch Rechtsverordnung der Bundesregierung angepasst. Darüber hinaus wurde der Mindestlohn durch das Mindestlohnerhöhungsgesetz einmalig zum 1. Oktober 2022 auf brutto 12 Euro je Zeitstunde angehoben. Zusammen mit den auf Grundlage des vorhergehenden Beschlusses der Mindestlohnkommission festgesetzten Erhöhungsschritten ist der Mindestlohn allein im Jahr 2022 um 25 Prozent gestiegen. Auf Grundlage des Beschlusses der Mindestlohnkommission vom 26. Juni 2023 wurde der gesetzliche Mindestlohn zum 1. Januar 2024 erneut auf jetzt brutto 12,41 Euro je Zeitstunde erhöht . Seit der Einführung 2015 ist der Mindestlohn bis 2024 damit um 46 Prozent gestiegen.
Mit freundlichen Grüßen