Sehr geehrter Herr Kempen,
Ihre nachstehende Anfrage beantworte ich in diesem Fall ohne Erhebung von Verwaltungskosten gemäß § 15 ThürTG, da die anliegenden und nachstehenden Informationen mit geringfügigem Aufwand zusammengetragen werden konnten.
Im Freistaat Thüringen existiert kein explizierter Suizidpräventionsplan, vielmehr werden eine Reihe von Maßnahmen eingesetzt, um Suizide im Thüringer Justizvollzug zu verhindern. Einige davon möchte ich Ihnen nachfolgend vorstellen.
Der Thüringer Justizvollzug verfügt über ein im Jahr 2010 erstelltes Gesamtkonzept zur Suizidprophylaxe (Anlage A - Namen von Bediensteten wurden aus datenschutzrechtlichen Gründen geschwärzt, wie in allen anderen Anlagen auch). Im Rahmen eines Treffens aller Anstaltsleiter und Psychologen im Jahr 2017 wurde festgestellt, dass das Konzept noch immer wirkt und zeitgemäß ist, jedoch nach ca. acht Jahren einer Überprüfung bedarf.
Zu diesem Zweck wurden bereits während einer Dienstberatung aller Thüringer Anstaltsleiter und Psychologen im Jahr 2017 eine Menge an Handlungsvorschlägen gesammelt. Im Ergebnis wurde darüber hinaus eine interdisziplinäre Landesarbeitsgruppe – die Landesarbeitsgruppe Suizidprävention im Thüringer Justizvollzug (LAG) - gebildet, die sich aus Vertretern aller Anstalten zusammensetzt. Das Organisationskonzept füge ich als Anlage (Anlage B) bei.
Die interdisziplinäre LAG, traf sich im November 2017 erstmals, um das im Jahr 2010 erstellte Gesamtkonzept zur Suizidprophylaxe des Thüringer Justizvollzuges in seiner Gesamtschau zu überprüfen und die neu gewonnenen Handlungsvorschläge zu integrieren.
Zeitgleich konnten in den Thüringer Justizvollzugsanstalten interne interdisziplinär besetzte Suizidpräventionsteams geschaffen werden, die sich unter anderem aus den Vertretern der LAG zusammensetzen.
Darüber hinaus arbeitet die LAG eng mit der Bundesarbeitsgruppe „Suizidprävention im Justizvollzug“ zusammen. Die Leiterin der LAG ist seit 2009 für Thüringen Mitglied. Durch diese Struktur konnte ein effizienter Praxistransfer erreicht werden. Die durch die Bundesarbeitsgruppe erstellten Materialien finden regelmäßig ihren Einsatz im Thüringer Justizvollzug (siehe auch
https://www.bag-suizidpraevention.de/...).
Die Arbeit der LAG zeichnet sich weiter darin aus, dass das bereits in jeder Thüringer Anstalt eingesetzte Suizid-Screening zu Haftbeginn standardisiert und anwenderfreundlicher (insbesondere durch die Schaffung einer Handanweisung) gestaltet wurde. Eine elektronische Durchführung ist möglich. Zusätzlich wurde ein einheitliches Zugangsgespräch geschaffen. Zur besseren Dokumentation der Ergebnisse einer umfangreichen Suiziddiagnostik wurde weiter ein Tool für den Psychologischen Fachdienst eingerichtet. In Zukunft soll der Einsatz des Suizidscreenings im Haftverlauf überprüft werden. Bereits zu Haftbeginn erfolgt die Ausgabe des Flyers „Niedergeschlagen? Schlecht drauf? – Nicht zögern! Reden!“ an die aufzunehmenden Gefangenen (Anlage C). Dieser Flyer liegt in vielen verschiedenen Sprachen vor.
Ein weiteres Hauptaugenmerk lag und liegt weiterhin auf der Fortbildung und Sensibilisierung der Thüringer Bediensteten. Die Mitglieder der LAG führten bereits Fortbildungen in den Justizvollzugsanstalten durch. Darüber hinaus steht die LAG in engem Kontakt mit dem Bildungszentrum für den Justizvollzug in Gotha. Auch hier finden Fortbildungsveranstaltungen für alle Thüringer Bedienstete zum Thema Suizidprävention statt. Ebenso ist die Thematik bereits in die Ausbildung des mittleren und gehobenen Justizvollzugsdienstes integriert.
Zusätzlich ist die Erstellung eines Fortbildungskoffers zur Suizidprävention, der sodann in allen Thüringer Anstalten zu Fortbildungszwecken genutzt werden kann, geplant.
Auch die geschaffene Intranetseite der LAG trägt zur Transparenz u. a. im Rahmen der Fortbildung und Sensibilisierung der Bediensteten im Hinblick auf die Suizidprävention bei.
Nach einem erfolgten Suizid nehmen die Mitglieder der LAG eine zeitnahe Autopsie der Gefangenenpersonalakte vor. Im Anschluss erfolgt die Durchführung einer Suizidkonferenz mit Mitarbeitern, die mit der Betreuung des Gefangenen befasst waren. Im Anschluss an die Durchsicht der Gefangenenpersonalakte und nach der erfolgten Suizidkonferenz berichten die Mitglieder der LAG über sich aus dem Suizid ergebende organisatorische Maßnahmen zur weiteren Optimierung der Suizidpräventionsarbeit in den Anstalten (Anlage D).
Auch in Zukunft sollen in Thüringen weitere Standards zur Suizidprävention geschaffen werden (u.a. zu Dokumentation, Aufnahme, Transporthaft, Verfahren bei Suizidalität, Vollzugsverlauf, Nachsorge für Personal, Forschung) und diese mit Handlungsanleitungen, Formularen, Prozessbeschreibungen, Fortbildungen u. ä. hinterlegt werden. Seitens der LAG konnten bereits einige Plakate geschaffen werden. Diese wurden an alle Thüringer Justizvollzugsanstalten übersandt und in den Dienstzimmern des Allgemeinen Vollzugsdienstes ausgehangen (Anlage E, Anlage F). Auch für den Besuchsbereich der Thüringer Justizvollzugsanstalten wurde speziell für Angehörige, welche sich um den Inhaftierten sorgen, ein Plakat ausgehangen sowie Flyer ausgelegt, auf welchem sie Ansprechpartner in der jeweiligen Justizvollzugsanstalt finden (Anlage G).
Darüber hinaus soll die strukturierte und interdisziplinäre Zusammenarbeit weiter gestärkt werden, z. B. durch die Einführung von Fallbesprechungen und regelmäßigen Stationskonferenzen. Noch nicht abgeschlossen ist die Diskussion der Notwendigkeit einer gemeinschaftlichen Unterbringung zu Haftbeginn sowie die Überprüfung der Schaffung weiterer kameraüberwachter Hafträume unter Berücksichtigung von Eigen- und Fremdgefährdung. Ein Pilotprojekt zur Schaffung eines Suizidpräventionshaftraumes ist derzeit seitens der LAG in Planung.
Zuletzt konnte die LAG ein Handbuch Suizidprävention erarbeiten, welches allen Bediensteten im Intranet des Thüringer Justizvollzuges zur Verfügung gestellt wurde. Einige Exemplare des Handbuches wurden darüber hinaus in Papierform in den Dienstzimmern des allgemeinen Vollzugsdienstes ausgelegt und durch die Anstaltsteams Suizidprävention in den Thüringer Justizvollzugsanstalten vorgestellt (Anlage H).
Für ihre Arbeit im Rahmen der Suizidprävention wurde die LAG im Jahr 2020 durch die Bundesarbeitsgruppe Suizidprävention im Justizvollzug mit dem Suizidpräventionspreis ausgezeichnet. Die Preisverleihung konnte pandemiebedingt erst im Jahr 2021 stattfinden (Anlage I).
Bereits § 7 des Thüringer Justizvollzugsgesetzbuches (ThürJVollzGB) betont als allgemeinen Vollzugsgestaltungsgrundsatz die Bedeutung der Verhütung von Selbsttötungen. Der Vollzug ist daher verpflichtet, geeignete Vorsorgemaßnahmen zu ergreifen. Doch auch bei bester Suizidprävention lässt sich leider nicht jeder Suizid verhindern.
Mit freundlichen Grüßen