Das IFG und der Journalismus

Die meisten deutschen Journalisten benutzen das Informationsfreiheitsgesetz nicht. Sie wissen gar nicht, was sie verpassen.

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Als vor einigen Jahren der damalige britische Premier David Cameron eine Reform des dortigen Informationsfreiheitsgesetzes (IFG) ankündigte, war die Empörung im Vereinigten Königreich groß: 140 zivilgesellschaftliche Organisationen forderten die Regierung in einem offenen Brief auf, die Auskunftsmöglichkeiten des IFG nicht anzutasten. In den Jahren zuvor brachten Journalisten mithilfe des IFG unter anderem Dokumente an die Öffentlichkeit, die den Einfluss von Prince Charles auf Gesetzgebungsverfahren und die Steuerhinterziehung von britischen Parlamentsabgeordneten zeigten. Der Protest der Zivilgesellschaft zeigte bald schon Erfolg. Eine Regierungskommission sprach sich für die Beibehaltung der meisten Regelungen aus.

Als in Deutschland im Jahr 2013 hingegen der Bundestag in einer Nacht- und Nebelaktion eine Gesetzesänderung beschloss, nach der der Bundesrechnungshof gegenüber der Öffentlichkeit keine Auskunft mehr geben muss, fiel das ein halbes Jahr lang niemandem auf. Erst als der Rechnungshof Anfragen nach Prüfberichten zu Parteienfinanzen mit Verweis auf die Neuregelung ablehnte, regte sich kurz ergebnisloser Protest in wenigen Medien.

IFG-Anfragen an Behörden gehören in den USA und Großbritannien zum Tagesgeschäft von Journalisten. Dort hat es sich in Redaktionen eingebürgert, jeden Freitag Anfragen nach Dokumenten an Ämter, Ministerien und Nachrichtendienste zu stellen. Dann sind viele öffentliche Pressestellen unbesetzt und es ist Zeit für das IFG: Das ermöglicht es allen Personen, Originaldokumente wie interne Gutachten, Verträge und Schriftverkehr zwischen Verwaltungsmitarbeiten anzufordern. Behörden können die Anfragen nur dann ablehnen, wenn eine Veröffentlichung gegen Ausschlussgründe wie die innere Sicherheit verstoßen würde.

Hierzulande erntet die Erwähnung des Informationsfreiheitsgesetzen bei Journalisten hingegen oft nur Schulterzucken. Die fehlende Nutzung der Auskunftsrechte durch Journalisten hat vor allem drei Gründe:

Grund 1: Das Informationsfreiheitsgesetz ist noch immer weitgehend unbekannt. Die großen Potenziale der Auskunftsrechte gegenüber deutschen Behörden sind auch vierzehn Jahre nach Einführung des IFG praktisch ungenutzt. Selbst Anwält:innen wissen in der Regel kaum über die Einzelheiten des Gesetzes Bescheid. Und dass Journalisten neben den Landespressegesetzen die Möglichkeit haben, Originaldokumente von Ämtern zu erhalten, hat sich kaum herumgesprochen. Dabei sind öffentlich-rechtliche Anstalten wie der WDR und Deutsche Welle nach dem Gesetz selbst auskunftspflichtig. Ihre Verwaltungen (nicht jedoch die journalistisch arbeitenden Redaktionen) müssen selbst auf Anfrage Dokumente herausgeben.

Eher eine Ausnahme als die Regel bildet die kleine Community aus IFG-Nerds, die das Gesetz geschickt für die eigene Berichterstattung in verschiedenen Medien nutzen. Sie können mithilfe des Gesetzes häufig Dokumente aus Behörden präsentieren, auf die sonst niemand Zugriff hat.

Grund 2: Das Informationsfreiheitsgesetz nervt. Schnelle Auskünfte versprechen IFG-Anfragen nicht. Behörden überziehen oft ihre gesetzlich vorgeschriebene Antwortfrist von einem Monat, fordern Auskunftsgebühren von bis zu 500 Euro oder versperren mit teils abstrusen Begründungen den Zugang zu Dokumenten. Das liegt nicht nur an den Behörden, sondern auch am Gesetz: Liegen in Dokumenten etwa Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse vor, dürfen Behörden nichts herausgeben – was zum Beispiel dazu führt, dass Volkswagen und das Bundesverkehrsministerium die Aufklärung über den Abgasbetrug blockieren können. Die Bundesländer Bayern, Sachsen und Niedersachsen haben noch nicht einmal ein IFG und können somit alle derartigen Anfragen abwehren.

Im internationalen "Right to Information"-Rating, das Informationsfreiheitsgesetze aus 128 Ländern (allerdings nicht die gelebte Praxis) vergleicht, steht Deutschland denkbar schlecht dar: Nur Platz 120, knapp vor Ost-Timor, Tadschikistan, Liechtenstein und Österreich.

Damit sich die Praxis der Auskünfte verbessert, müsste das IFG deutlich öfters genutzt werden. Die Willkür der Behörden ist möglich, weil immer noch zu wenige Personen ihre Rechte einfordern. Während jährlich rund eine Million IFG-Anfragen an Bundesbehörden in den USA gehen, waren es 2019 rund 10.000 Anfragen an deutsche Bundesbehörden (plus 45.000 gleichlautende Anfragen an das Bundesinstitut für Risikobewertung). Widerstand gegen falsche Bescheide gab es auch kaum: Gerade einmal zwölf Klagen auf Informationszugang waren zumindest teilweise erfolgreich.

Grund 3: Das Informationsfreiheitsgesetz ist nicht exklusiv. Anders als die Landespressegesetze ist das IFG ein sogenanntes Jedermannrecht. Für eine Anfrage nach einem Dokument in einer Behörde muss weder die Volljährigkeit noch ein deutscher Wohnsitz oder Pass nachgewiesen werden. Der Umstand, der für die Zivilgesellschaft ein Segen ist, kann für die Nutzung durch Journalisten ein Ärgernis sein. Denn wenn ein Recherche-Instrument von allen Personen genutzt werden kann, kann auch die Exklusivität von Informationen verloren gehen.

Deshalb weisen oft selbst die Journalisten, die das IFG benutzen, nicht auf ihre Quellen hin. In investigativen Artikeln zitierte "Dokumente, die der Redaktion vorliegen", sind häufig Dokumente, die per IFG-Anfrage auch allen anderen Menschen vorliegen könnten.

Dabei haben Journalisten gegenüber der Bevölkerung einen entscheidenden Vorteil bei der Nutzung des IFG: Sie können Presseanfragen mit IFG-Anfragen kombinieren – zunächst per Pressegesetz nach Inhalten von Dokumenten und Übersichten fragen und anschließend die passenden Dokumente selbst erhalten. Um die Informationsfreiheit in Deutschland voranzubringen, können sie zudem gemeinsam mit Verlagen oder Journalistenverbänden vor Gericht ziehen. Klagen, die Auskunftspflichten nach dem IFG einfordern, helfen letztlich der gesamten Branche.

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