Kleine Anfragen, große Probleme

Wegen tausender kleiner Anfragen würden die Beamten ihre "eigentliche Arbeit" nach Feierabend erledigen – es sind aber viel zu wenige kleine Anfragen.

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Der damalige Hamburger Bürgermeister Herbert Weichmann soll in den 1960er-Jahren gesagt haben: "Kleine Anfragen müssen kurz und verletzend beantwortet werden". Anfragen an die Regierung sind eines der wichtigsten Instrumente der Parlamente auf nationaler und regionaler Ebene, um die Exekutive zu kontrollieren. Aus dem Nachrichtenzyklus sind die Enthüllungen durch die Anfragen nicht mehr wegzudenken.

Die "eigentliche Arbeit"

Fast genauso alt wie das Fragerecht sind die Beschwerden der Verwaltung über die Arbeit, die die Fragen ihnen machen. Erst kürzlich wieder kamen in einem Artikel der Süddeutschen Zeitung über das Parlamentsrecht ausführlich Beamte zu Wort, die sich über die Flut von tausenden kleinen Anfragen durch den Bundestag beklagten, die sie alle beantworten müssen. Ihre "eigentliche Arbeit" machten sie inzwischen nach Feierabend.

Leider erklärte der Artikel dabei nicht, dass diese Unterscheidung schon im Ansatz falsch ist: Der Öffentlichkeit Rede und Antworten zu stehen ist, unter anderem, die "eigentliche Arbeit" der Exekutive. Viele der Probleme, die Bundesbehörden mit Anfragen haben, sind hausgemacht.

Fax vs. maschinenlesbares Format

Da wäre zum einen der Personalmangel. Bundesbehörden haben zwar ein so großes Budget wie nie zuvor – das Innenministerium alleine ist schon jetzt auf eine Größe angewachsen, dass der Minister selbst kaum einen Überblick über alle wichtigen Projekte im eigenen Hause haben dürfte. Dabei planen die Behörden aber grundsätzlich den Arbeitsaufwand für das Beantworten von Anfragen durch Parlamente und Öffentlichkeit nicht mit ein. Klar, dass einigen dabei zu viel auf dem Tisch landet.

Ähnlich sieht es auch beim technischen Verwaltungssystem aus: Offenbar müssen laut Süddeutscher Zeitung viele Anfragen per Hand abgetippt werden, weil sie per Fax und nicht in maschinenlesbarem Format übermittelt werden. Dazu kommt dann noch das interne Aktensystem, das eine Suche nach einzelnen Dokumenten kaum ermöglicht – und schon dauert die Beantwortung selbst einer einfachen Anfrage schon mehrere Stunden.

Verschlusssache – Einsicht nur für die Parlamentarier

Zum anderen ist es durchaus im Interesse der Bundesregierung, dass das Parlament so viel fragen muss. Von sich aus veröffentlichen die Ministerien nämlich kaum wichtige Daten, wenn sie nicht per Gesetz dazu verpflichtet sind. Open Data ist trotz OpenData-Gesetz immer noch ein Fremdwort in der Verwaltung. Der Geheimhaltungswille zieht sich im Übrigen auch durch die Antworten auf kleine Anfragen: Wer sich etwa die Antworten aus dem Innenministerium anschaut, sieht schnell, dass viele von ihnen als Verschlusssache gekennzeichnet werden – Einsicht nur für die Parlamentarier, sonst für niemanden.

Hinzu kommt, dass sich die Ministerien weigern, Parlamentariern Einsicht in Dokumente zu geben. Sie geben nur Auskünfte. Wer die Dokumente selbst sehen will, muss das Informationsfreiheitsgesetz bemühen – ob man Abgeordneter ist oder nicht.

Trennung zwischen Exekutive und Legislative

Und schließlich, das eigentliche Problem: Die Exekutive ist in Deutschland inzwischen so riesig geworden, dass sie eigentlich kaum noch zu kontrollieren ist. Wenn beispielsweise selbst eine neu geschaffene Behörde wie die ZITiS (Zentrale Stelle für Informationstechnik im Sicherheitsbereich) schon über ein Budget von 64 Millionen Euro verfügt, um Informationstechnik im Sicherheitsbereich zu koordinieren, dann werden die wenigen Parlamentarier:innen, die sich in diesem Bereich auskennen, wohl kaum mit ein paar Anfragen effektiv kontrollieren können.

Gäbe es wenigstens eine klare Trennung zwischen Exekutive und Legislative, würde das Parlament in einigen Kontrollfragen selbstbewusster agieren. Aber die beiden Gewalten sind miteinander verwoben, wie dies in anderen Staaten unüblich ist. Die meisten Minister und die Kanzlerin sind gleichzeitig Abgeordnete des Bundestags, zudem sitzen Abgeordnete als parlamentarische Staatssekretäre in den Ministerien. Das war ursprünglich gedacht, um die Kontrolle der Exekutive durch das Parlament zu verbessern.

Vermischung die Macht

Angesichts der ungleichen Ressourcen- und Expertisenverteilung muss man inzwischen aber eher davon ausgehen, dass diese Vermischung die Macht der Exekutive noch in den parlamentarischen Raum hinein verstärkt. Tatsächlich ist es jetzt schon so, dass die Bundesministerien etwa in Gesetzgebungsprozessen auch dann noch reinregieren, wenn die Gesetzentwürfe schon beim Parlament sind. Mit den sogenannten Formulierungshilfen wird inzwischen fast jede Änderung nochmal einem Check von Ministerien unterworfen – auch wenn die qua Gewaltenteilung eigentlich schon längst nicht mehr zuständig sind.

Das alles deutet eher darauf hin, dass die kleinen Anfragen nicht das eigentliche Problem sind. Im Gegenteil: Es scheint eher so, dass es noch viel zu wenige Anfragen an die Exekutive gibt.

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