Die Geheimdienst-Akten über Alois Brunner
Erst organisierte er den Holocaust mit, später lebte er unbehelligt im Exil. Wir veröffentlichen Akten des Bundesamts für Verfassungsschutz, die zeigen, wie früh Deutschlands Geheimdienst über den Aufenthaltsort des Kriegsverbrechers Bescheid wusste.
CC BY-SA 3.0, eigene Bearbeitung
Alois Brunner gilt als NS-Täter aus Überzeugung. Er befehligte SS-Sonderkommandos, war Stellvertreter von Adolf Eichmann und in dieser Rolle maßgeblich an der industriellen Vernichtung von Millionen Menschen beteiligt. Im Gegensatz zu Eichmann, der als Organisator des Holocausts 1962 in Israel zum Tode verurteilt wurde, musste sich Brunner jedoch nie für seine Taten vor einem Gericht verantworten. Bis 1954 lebte er unter falschem Namen in Deutschland, setzte sich dann ins Ausland ab und soll um 2001 in Damaskus gestorben sein.
Eine rund 400 Seiten starke Akte des Bundesamts für Verfassungsschutz (BfV), die wir veröffentlichen, zeigt: Schon seit Jahrzehnten wussten deutsche Geheimdienste, wo Brunner untergetaucht war, was er dort machte und wer ihn bei seiner Flucht unterstützt hatte. Die Akte wurde nach einem Antrag nach dem Bundesarchivgesetz herausgegeben.
Eine Akte, die nicht öffentlich werden sollte
Die Geheimdienstakten über Alois Brunner sind selbst ein Politikum. Über Inhalte der Dokumente berichtete 2020 bereits die Bild-Zeitung. Vorher musste das Boulevard-Medium vor Gericht mehr als acht Jahre lang streiten, um die Akte einsehen zu dürfen. Der Rechtsstreit führte bis vors Bundesverwaltungsgericht.
Man werde „dafür sorgen, dass das Bundesarchivgesetz geändert wird“, sollten die Brunner-Akten herausgegeben werden müssen, sagte der damalige Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen vor dem Urteil. Das passierte später auch.
Lediglich 129 Seiten, die aus den Jahren 1984 bis 1991 stammen, gab der Geheimdienst nach dem Urteil an die Bild-Zeitung heraus. Ältere Aktenbestände seien aufgrund von Löschfristen vernichtet worden. Wenig später gab das BfV jedoch überraschend weitere Dokumente über Brunner heraus, die „plötzlich aufgetaucht” seien und bis ins Jahr 1960 zurückreichen. Wir veröffentlichen nun die gesamte bisher herausgegebene Akte mit einem Umfang von 396 Seiten.
Was der Geheimdienst über Brunner wusste
Die Dokumente zeigen, dass schon im Jahr 1960 Hinweise über den Aufenthalt und die Tarnidentität des Kriegsverbrechers beim deutschen Geheimdienst bekannt waren.
Brunner soll demnach in Damaskus in Waffengeschäfte mit deutschen Rechtsextremen verwickelt gewesen sein. Er stand unter anderem in Kontakt mit Otto Ernst Remer, einem früheren Wehrmachtsoffizier, der den Aufstand gegen Adolf Hitler niederschlug und der in der Nachkriegszeit zu einem gut vernetzten Akteur der rechtsextremen Szene avancierte. Das Bundesamt nannte Remer eine „zuverlässige Quelle“.
Ein Schreiben des Bundesverfassungsschutz an die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt, die damals gegen Brunner ermittelte, zeigt zudem, dass es bereits 1960 „weitere Erkenntnisse über eine Tätigkeit Brunners in Damaskus“ gegeben hat, die jedoch unter Quellenschutz standen.
Doch obwohl die deutschen Behörden schon kurz nach seiner Flucht wussten, wo Brunner sich aufhielt, stellte die Bundesregierung erst 1984 ein Auslieferungsersuchen an Syrien. In diesem Jahr dokumentiert der Geheimdienst, dass Brunner unter dem Pseudonym Georg Fischer in Damaskus lebt. Eine handschriftliche Notiz ergänzt: „Um eine breitere Streuung der Meldung zu verhindern“, solle lediglich eine einzelne Abteilung unterrichtet werden.
Wie die Quelle in dem Vermerk weiter berichtet, komme „Georg” aufgrund einer angeblichen Tätigkeit für den syrischen Geheimdienst auch mit Mitarbeitern des Bundesnachrichtendienstes (BND) und des Verfassungsschutzes in Verbindung. Er sei nachrichtendienstlich stets „up to date“.
Prominente Fluchthilfe
Die Aktenteile aus den 60er Jahren zeigen auch absurde Details, wie damals mit NS-Verbrechern auf der Flucht umgegangen wurde – und wie gut diese in der Nachkriegszeit in höchste Kreise vernetzt waren. Schon damals gab es Hinweise darauf, dass der damalige CDU-Bundestagsabgeordnete Rudolf Vogel finanzielle Fluchthilfe für NS-Verbrecher Brunner geleistet hat. In einer Befragung durch den Verfassungsschutz räumte der Politiker laut Protokoll in den Akten zumindest ein, Geld für die Unterstützung von Brunners Ehefrau beigesteuert zu haben. Aktive Fluchthilfe für Alois Brunner selbst bestritt er jedoch. Erst 2017 berichtete der Spiegel schließlich auf der Grundlage weiterer Archivdokumente über die Fluchthilfe des Politikers. Da waren sowohl Vogel als auch Brunner seit Jahren tot. Beide blieben bis zum Schluss unbehelligt.
An anderer Stelle dokumentiert der Verfassungsschutz, dass der frühere SS-Hauptsturmführer und Reichsstudentenführer Georg Fischer, der seine Identität für Brunners Flucht zur Verfügung stellte und unter dessen Namen Brunner bis zu seinem Tod gelebt haben soll, in der damaligen Bundeshauptstadt Bonn einen „großen Bekanntenkreis und gute Beziehungen zu einflussreichen Personen“ hatte – etwa im Innenministerium und im Auswärtigen Amt.
Erster BND-Chef Reinhard Gehlen
Als wichtigster Fluchthelfer von Alois Brunner wird bis heute ein Mann vermutet, der damals an der Spitze eines weiteren Geheimdienstes stand: Reinhard Gehlen war bis 1968 der erste Präsident des Bundesnachrichtendienstes. Der frühere Generalmajor der Wehrmacht betrieb nach dem Weltkrieg mit finanzieller Unterstützung der USA den Aufbau eines Geheimdienstes. 1956 ging diese „Organisation Gehlen” im BND auf. Einen offensichtlichen Beleg dafür, dass der frühere Geheimdienst-Chef Gehlen die Flucht des Kriegsverbrechers Brunner ermöglicht hat, findet sich in den Akten jedoch nicht. Der BND selbst vernichtete eine 581 Seiten starke Akte zu Brunner in den 1990er-Jahren.
Wir veröffentlichen nun auch Dokumente des US-amerikanischen Geheimdienstes FBI zu Ex-BND-Chef Gehlen. Die Akten haben wir auf Basis des Freedom of Information Act (FOIA) in den USA bekommen. Es handelt sich um 76 Seiten, die in den Jahren 1956 bis 1972 angelegt wurden und ehemals als geheim oder vertraulich eingestuft waren. Sie behandeln im Wesentlichen mehrere USA-Aufenthalte von Gehlen, bei denen er an teils geheimen Konferenzen teilnahm, das FBI besuchte oder nach seiner Amtszeit für eine Lesung seiner Memoiren anreiste.
Über die Verbindung von Brunner und Gehlen findet sich auch in den Dokumenten des FBI nichts. Jedoch geben diese Seiten einen Einblick in das verworrene Geflecht der Geheimdienstarbeit zur Zeit des Kalten Kriegs. In einem Vermerk anlässlich eines Besuchs von Gehlen im Hauptsitz des FBI werden mehrere Personen angeführt, die in Spionagetätigkeiten verwickelt sein sollen. Demnach soll der BND Informationen erhalten haben, dass Karl-Heinrich Kappstein, damaliger deutscher Botschafter in den USA, diplomatische Informationen gegen Bezahlung weitergegeben haben soll. Dieses Wissen sei dann über zwei Mittelspersonen bei der ostdeutschen Stasi angekommen. Auch habe Gehlen ausgeführt, es könne sich dabei um Doppelspionage handeln, die vom sowjetischen Geheimdienst geführt werde.
All dies sei „Top Secret”, betonte Gehlen. Weder andere ausländische Geheimdienste noch eine andere deutsche Stelle außerhalb des BNDs habe Zugriff auf diese Informationen – bis jetzt.
→ Zur BfV-Akte über Alois Brunner
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vom 28.~.1960 Uberaandt. Aue t~tt . 2 d!eoe:r lclärW1g ergibt
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